Freitag, 4. September 2015

# 14 - Zwei ungleiche Knastbrüder probieren es mit der Freiheit

Rechtschaffen zu leben kann eine Herausforderung sein

 

Jack Foley, der (angeblich) größte Bankräuber aller Zeiten, und Cundo Rey, ein reicher und hochkrimineller kleiner Kubaner, lernen sich im Gefängnis kennen. Obwohl sie ziemlich verschieden  sind, sind sie zwei Road Dogs, die sich als Duo gegen die Gangs im Knast behaupten. Elmore Leonard vereint hier zwei völlig verschiedene Männer zu einem Team: Der großmäulige Macho Cundo kennt in seiner Welt nur die Macht des Geldes. Damit hält er sich rabiate Gefängniswärter vom Leib und gewalttätige Mithäftlinge auf Abstand. Aber er ist kein Egoist: Sein Kumpel Jack wurde zu 30 Jahren Haft verurteilt und hat eigentlich keine Chance, jemals ein normales Leben zu führen. Doch da bleibt Cundo nicht untätig: Er spannt seine eigene Anwältin, die überaus clevere und rasend teure Megan Norris, ein. Sie sorgt dafür, dass nicht nur Cundo, sondern auch Jack schon nach kurzer Zeit in die Freiheit entlassen werden.

Alles eine Frage der Zeit? 

 

Jack ist bewusst, dass er bei Licht betrachtet nur eins kann: Banken ausrauben. Aber er ist die große Ausnahmeerscheinung unter seinen "Kollegen": Er sieht gut aus, hat ein tadelloses Auftreten und wendet nie Gewalt an. Seine Freundlichkeit geht sogar so weit, dass er einer nervösen Kassiererin beim Eintüten der Geldscheine die Hand tätschelt und beruhigend auf sie einredet. Doch er ist kaum entlassen, da heftet sich der FBI-Agent Lou Adams an seine Fersen. Er ist fest davon überzeugt, dass Jack bereits innerhalb von 30 Tagen wieder eine Bank ausrauben wird - schlicht, weil es nichts anderes gibt, womit er sein Geld verdienen könnte. Adams fühlt sich beruflich verkannt und möchte kurz vor seiner Pensionierung endlich einmal in der Zeitung stehen als der FBI-Agent, der den berühmten Bankräuber Jack Foley wieder ins Gefängnis gebracht hat.

Jack kommt wenige Wochen vor Cundo frei und zieht in eines von dessen Häusern in Venice, Kalifornien. Im Haus direkt gegenüber lebt Cundos Freundin Dawn, die bereits seit acht Jahren auf ihn wartet und ihm immer wieder versichert hat, sie würde leben "wie eine Heilige". Sie vertreibt sich die Zeit mit riskanten Bettgeschichten und Wahrsagereien, mit denen sie reichen Witwen das Geld aus der Tasche zieht. Sie wird von Cundos "Blutsbruder" Jimmy unterstützt, der das Vermögen des Kubaners verwaltet und nebenbei dafür sorgen soll, dass Dawn nicht vergisst, welchen Lebensstil sie Cundo immer wieder versprochen hat, während er im Knast sitzt.

Jeder ist sich selbst der Nächste


Die Freundschaft zwischen Cundo und Jack kommt ins Wanken, als der Kubaner zu Hause eintrifft und ahnt, dass es zwischen seinem Freund und Dawn nicht sonderlich enthaltsam zugegangen ist. Spätestens ab diesem Zeitpunkt beginnen sich alle insgeheim zu fragen, wer auf wessen Seite steht und wem man noch vertrauen kann. Dawns Lebensinhalt wird die Frage, wie sie Cundo um sein Vermögen erleichtern und künftig sorgenfrei ihr Leben genießen kann - ohne ihn, versteht sich. Sie kann sich sehr gut in Menschen hineinversetzen, was ihr dabei hilft, immer wieder neue Allianzen zu bilden und sich neu zu orientieren, wenn ihr einer der Herren in ihrem Leben nicht kooperativ genug ist. Doch irgendwann weiß niemand mehr, wem noch zu trauen ist, und so beschließen alle insgeheim, ihr eigenes Ding zu machen.


Road Dogs ist ein durchweg interessanter und lebendig geschriebener Roman, der durch seine teilweise drastische Sprache immer authentisch wirkt. Die Handlung nimmt immer wieder neue Wendungen und wird deshalb nie vorhersehbar. Mit dem Ende dürfte kaum ein Leser gerechnet haben.
Die mir vorliegende Ausgabe ist 2011 in der 2. Auflage bei Eichborn erschienen. Der Roman ist auch als Taschenbuch beim Suhrkamp Verlag erhältlich.