Freitag, 9. Oktober 2015

# 19 - Heute schon ins Polarmeer gefallen?

Wie man als Medizinstudent Schiffsarzt wird

 

Diese Art der Berufserfahrung dürfte heute kaum ein Medizinstudent vorweisen können, doch einer der berühmtesten Krimi-Autoren hat sein Leben lang davon gezehrt: In Heute dreimal ins Polarmeer gefallen erzählt Arthur Conan Doyle von seinem fast schon überstürzten Aufbruch aus Edinburgh, um von Februar bis August 1880 auf einem Arktis-Walfangschiff anzuheuern. Seine Erfahrung mit Schiffsreisen aller Art war bei Null, aber die Abenteuerlust und die Aussicht, Geld zu verdienen, behielten die Oberhand. Ein Kommilitone bot ihm seinen eigenen Job auf der Hope an, das Schiff lief bereits eine Woche später aus. Arthur Conan Doyle war damals erst 20 Jahre alt und befand sich im dritten Studienjahr. 

Was macht ein Schiffsarzt eigentlich?

 

Die Bedenken, die Conan Doyle zunächst hatte, wurden rasch zerstreut: Seine  absolut ausbaufähigen medizinischen Kenntnisse wurden nur sehr selten benötigt. Der einzige Patient, der während seiner Behandlung starb, hätte die Erkrankung aufgrund der fehlenden Hygiene an Bord auch dann nicht überlebt, wenn ein erfahrener Chirurg zur Stelle gewesen wäre. Ein Schiffsarzt war in erster Linie dazu da, dem Kapitän Gesellschaft zu leisten und ansonsten "Mädchen für alles" zu sein. 
Selbstverständlich wurde der junge Medizinstudent von der Crew kritisch beäugt, und erst ein erfolgreicher Boxkampf gegen den Stewart bewog diesen, Conan Doyle als den besten Arzt zu loben, "den wir je hatten. Er hat mir ein blaues Auge verpasst!". 

Die Hope begann ihre Fahrt im Februar 1880 im schottischen Peterhead. Arthur Conan Doyle war sehr erstaunt, als sich das Schiff bereits im arktischen Eis befand, nachdem es erst sechs Tage zuvor nach etlichen Tagen Liegezeit wegen schlechten Wetters in Lerwick (Shetland-Inseln) ausgelaufen war.
Doch es sollte eine Weile dauern, bevor überhaupt die ersten Tiere gefangen werden konnten. Wegen der bis zum 3. April dauernden Schonfrist war es zunächst nicht möglich, Robben zu jagen. Auch andere Tiere machten sich rar, sodass viel Zeit mit Warten und der Erledigung von Routineaufgaben verstrich. Gleich bei seiner ersten Robbenjagd fiel Conan Doyle zwischen zwei Eisschollen und musste mit einem Bootshaken aus dem eisigen Wasser geholt werden. Nachdem er auch an den folgenden Tagen mehrmals aus Ungeschicklichkeit ins Polarmeer gefallen war, bekam er vom Kapitän den Spitznamen "der große Eistaucher".

Fängt ein Walfänger Wale?

 

Bei gerade dieser Fahrt konnte man daran zweifeln: Erst Anfang Juni wurde überhaupt der erste Wal gesichtet, bis zum ersten Fang wurde es Ende Juni. Bis dahin hatte die Beute auschließlich aus Robben und einigen Vögeln bestanden. 
Conan Doyle fand bei allen Naturbeobachtungen und Wetterkapriolen auch Zeit zum Lesen. Wenn es um ihn selbst ging, neigte er häufig zur Ironie. Er zitierte eine Geschichte, in der ein Arzt in der Mitte des Friedhofs bestattet wurde. Einer seiner Kollegen schlug die Grabinschrift "Si momentum quareis, circumspice" vor: "Sucht ihr sein Denkmal, seht euch um."

Conan Doyle war überwältigt von der Fülle der vielen neuen Eindrücke und saugte sie förmlich auf. Er war sich immer dessen bewusst, dass sich diese Erlebnisse nie wiederholen würden und es für ihn keine weitere Reise auf einem Walfänger geben würde - trotz des verlockenden Angebots des Kapitäns, ihm im nächsten Jahr den doppelten Sold zu zahlen. 
Von einem besonderen Naturphänomen war er sehr beeindruckt: Am 21. Juni 1880 sah Conan Doyle "drei deutlich erkennbare Sonnen, die gleichzeitig mit ebenbürtiger Leuchtkraft schienen, und alle waren umkränzt von schönen Regenbogen,...". Ihm war das, was er sah, ein Rätsel, aber es wird sich um Halos gehandelt haben, die zu ihrem Entstehen gleichmäßige und klare Eiskristalle benötigen.


Die Faszination hält ein Leben lang

 

Das Tagebuch wurde von Arthur Conan Doyle gewissenhaft geführt. Für jeden Tag finden sich Einträge, die häufig durch eigene Zeichnungen von Schiffen oder Tieren illustriert wurden. Viele dieser Aufzeichnungen sind ebenso wie die Skizzen als Faksimiles erhalten. Conan Doyles Handschrift war sehr deutlich, sodass sich viele Texte im Original lesen lassen. Er war oft im Zwiespalt zwischen der Faszination des Robben- und Walfangs und dem Leid, das die Tiere bis zu ihrem Tod aushalten mussten. Auch er selbst hatte sich während des ganzen halben Jahres aktiv auf dem Schiff und beim Fang an allen Arbeiten beteiligt und selbst zahlreiche Robben und Vögel erlegt. Auch an der Jagd auf Wale war er beteiligt und beschrieb immer wieder den Nervenkitzel, den er dabei empfunden hatte. Walfang quasi als Bungee-Springen des 19. Jahrhunderts.

 

Das Buch  Heute dreimal ins Polarmeer gefallen wurde von seinen Herausgebern um Essays, mehrere Schriften und den Lebenslauf Conan Doyles ergänzt. So bekommt der Leser einen sehr guten Einblick in seine Persönlichkeit und seine Entwicklung vom Arzt zum Schriftsteller, für die das Tagebuch eine Art Fingerübung war.
Es ist mit dem Kriegstagebuch von Astrid Lindgren, das ich hier vor einer Woche vorgestellt habe, nicht zu vergleichen. Arthur Conan Doyle hatte es sich im Gegensatz zu seiner schwedischen "Kollegin" zur Aufgabe gemacht, jeden Tag seiner Reise zu dokumentieren. Deshalb gibt es auch vereinzelt Tage, an denen er nur ein Wort zu Papier gebracht hat: "Nichts."
Auch den Umstand, dass er bei seiner Abreise aus Peterhead erst 20 Jahre alt war, merkt man seiner heiteren und unbeschwerten Sicht auf die Dinge an. Er hat eine so plastische Ausdrucksweise, dass seine Leser diese sechs Monate praktisch mit ihm zusammen erleben und sich gut in die geschilderten Situationen hineinversetzen können. Wer die Krimis mit Sherlock Holmes und Dr. Watson gelesen hat, wird auch die eine oder andere Szene wiedererkennen, die Conan Doyle in seinem Tagebuch geschildert hat.


Empfehlung?

 

Auf jeden Fall! Das im März 2015 erschienene Buch wird nicht nur den Conan Doyle-Fans gefallen, sondern auch allen, die sich für Geschichte und/oder Natur interessieren. Wer bei der Schilderung der Reiseroute den Faden verliert, kann sich an der Karte orientieren, die sich zu Beginn des Buchs befindet.
Selbstverständlich kommt es bei jedem Buch zuerst auf den Inhalt an. Bei diesem hat sich der mareverlag Hamburg jedoch besondere Mühe gegeben, die hier erwähnt werden soll: Es ist ein Leinenband mit einem Lesebändchen und  wird in einem stabilen Schuber verkauft. Auf dem Bild oben ist das Cover des Schubers zu sehen. In dieser Ausstattung ist es natürlich teurer als ein Taschenbuch.

 

 

Vielen Dank!

Das Buch Heute dreimal ins Polarmeer gefallen wurde mir als Rezensionsexemplar vom Inhaber der Hemminger Buchhandlung, Herrn Stefan Koß, zur Verfügung gestellt, wofür ich mich ganz herzlich bedanke. Herr Koß bietet ein breites Spektrum unterschiedlichster Bücher an und besorgt nicht im Laden vorhandene Exemplare innerhalb eines Werktages. 
Die Kontaktdaten und Öffnungszeiten gibt es hier: Hemminger Buchhandlung