Freitag, 25. März 2016

# 43 - Schlauchboot trifft Kreuzfahrtschiff

Vier Schiffe und elf Schicksale

 

Das Thema Flüchtlinge und ihre Konfrontation mit Touristen gab es in diesem Blog bereits: Mit "Boat People" von Roland Künzel hatte ich im Januar ein Buch vorgestellt, das diese Konstellation aufgegriffen hat. Doch so augenscheinlich diese Übereinstimmung zum heutigen Titel sein mag, so deutlich wird der Unterschied schon nach den ersten Seiten: Havarie von Merle Kröger nimmt sich der ganzen Tragik an, die in der Situation der Flüchtlinge liegt, die in Seelenverkäufern über das Mittelmeer nach Europa fliehen. Doch die Autorin lenkt den Blick auch auf andere Personen, die in irgendeiner Weise mit ihnen in Kontakt kommen.

Das Mittelmeer als Treffpunkt der Welt

 

Das drittgrößte Kreuzfahrtschiff der Welt, die "Spirit of Europe", fährt mit 5.000 Menschen über das Mittelmeer. Unter ihnen ist auch Marwan Fakhouri, ein syrischer Arzt, der aus Aleppo geflohen ist und nun als Illegaler in der Bordwäscherei arbeitet. Doch es gibt eine Komplikation: Fakhouri bricht zusammen, und die sichtlich überforderte Bordärztin diagnostiziert eine Hirnblutung. Der Patient müsste sofort ins Krankenhaus. Doch Nikhil Mehta, der Sicherheitschef, spielt gedanklich die Alternativen durch: Der nächste Hafen Palma de Mallorca wird erst am nächsten Morgen erreicht, das ist zu spät. Die andere Option ist, einen Hubschrauber anzufordern und den Kranken nach Alicante oder Almería zu transportieren und dort operieren zu lassen. Das zöge hohe Kosten und deswegen zwangsläufig die Kritik der Konzernleitung nach sich. Seine Karriere wäre beendet, er könnte seine Familie in Indien nicht mehr unterstützen. Klar ist nur: Der Syrer muss runter von Bord, irgendwie. Mehta findet eine Lösung. Da begegnet die "Spirit of Europe" einem Schlauchboot mit Flüchtlingen in Seenot.

Im Hafen von Oran (Algerien) legt der unter irischer Flagge fahrende Frachter "Siobhan" ab. Der ukrainische Chef-Ingenieur Oleksij Lewtschenko steht an der Reling und beobachtet ein Boot der Küstenwache, das an der Mole festmacht. Ein nasses Bündel wird an Land geworfen. Lewtschenko ist klar, worum es sich dabei handelt: Um einen Toten, der aus dem Mittelmeer geborgen wurde, einen Flüchtling.

Dies sind nur zwei von elf Personen, auf die Merle Kröger in ihrem Buch den Blick wie durch ein Brennglas richtet. Alle haben eines gemeinsam: In ihren Biographien befinden sich Brüche, die sie durch ihr ganzes Leben begleiten. Das gilt für die gutsituierte Passagierin Sybille Malinowski, die in einem fortgeschrittenen Stadium an der Parkinson-Krankheit leidet und in ihrer Kindheit im 2. Weltkrieg Flucht und Vertreibung erlebt hat ebenso wie für den philippinischen Bordmusiker Joseph Quezón, der sich heimlich durch Prostitution Geld dazuverdient. Die Autorin lässt das Kreuzfahrtschiff, den Frachter, ein Seenotrettungsschiff und ein Schlauchboot, das mit anfangs 12 algerischen Flüchtlingen auf dem Weg in eine bessere Zukunft besetzt ist, einander auf dem Mittelmeer begegnen. Oft, aber nicht immer siegt bei diesen Begegnungen das Geld über die Menschlichkeit.


Ein klassischer Krimi?

Der Argument Verlag, der Havarie herausgebracht hat, hat den Titel in seine Reihe der "Ariadne Kriminalromane" eingefügt. Auch die Wochenzeitschrift DIE ZEIT führte ihn in der KrimiZEIT auf dem 3. Platz. Ich kann diese Zuordnung nicht nachvollziehen, erst recht nicht vor dem Hintergrund der Gedanken, die sich die ZEIT selbst 2010 über das, was einen Krimi ausmacht, gemacht hat. Es gibt zwei Tote, und über die Todesursache der einen Person herrscht bis zum Ende des Buches Unklarheit. Aber Tote allein machen noch keinen Krimi aus.
Merle Kröger hat für ihren Roman (diese Bezeichnung geht fast immer) einen ungewöhnlichen Sprachstil gewählt. Sie arbeitet mit kurzen, prägnanten Sätzen, die die Szenen auf den Punkt bringen. Als etwas irritierend habe ich die englischen Einsprengsel empfunden, die den jeweiligen Personen vermutlich eine coole Aura geben sollten. 
Die Personen werden dem Leser authentisch nahegebracht, sodass man sich auch in die Entscheidungszwänge der Handelnden hineinversetzen kann, ohne ihr Tun unbedingt gutheißen zu müssen. Havarie ist ein lesenswertes Buch, das seinen Lesern die Komplexität des brandaktuellen Flüchtlingsthemas etwas näherbringt. 

Merle Kröger ist auch als Filmproduzentin tätig und hat Havarie als Film herausgebracht. Die Premiere fand Anfang Februar im Rahmen der Berlinale statt.

Die gebundene Ausgabe (mit Lesebändchen) kostet 15,-- €, die epub- oder Kindle-Edition 9,99 €.


Vielen Dank!

Das Buch Havarie wurde mir als Rezensionsexemplar vom Inhaber der Hemminger Buchhandlung, Herrn Stefan Koß, zur Verfügung gestellt, wofür ich mich ganz herzlich bedanke. Herr Koß bietet ein breites Spektrum unterschiedlichster Bücher an und besorgt nicht im Laden vorhandene Exemplare innerhalb eines Werktages. 
Die Kontaktdaten und Öffnungszeiten gibt es hier: Hemminger Buchhandlung
 



 

Freitag, 18. März 2016

# 42 - Schauspieler lässt Kuh reisen

 Auswandern leicht gemacht

 

Heute stelle ich euch zum ersten Mal ein Hörbuch vor. Ich bin eigentlich eher ein Fan von "richtigen" Büchern, aber als ich Heilige Kuh bekam, hat mich interessiert, was dahintersteckt. Es stammt von David Duchovny, der als Schauspieler durch seine Hauptrollen in "Akte X" und "Californication" bekannt geworden ist. Dass er vor seiner Karriere als Schauspieler einen Abschluss in Literaturwissenschaften an der renommierten Princeton University erworben hat, dürften nur wenige wissen.

Kuh trifft auf Realität

 

Die 3-jährige Kuh Elsie lebt ein  ziemlich geruhsames Leben auf einer Farm in den USA, wo sie die Zeit mit ihrer besten Freundin Mallory schwatzend und wiederkäuend verbringt. Beiden ist gemeinsam, dass ihre Mütter ohne Ankündigung verschwanden und sie nicht wissen, wo sie sich jetzt aufhalten. Das wundert sie jedoch nicht besonders, weil sie es so auch bei allen anderen Kühen beobachtet haben und für den normalen Lauf der Dinge halten. Doch eines Tages trabt Elsie am Haus ihres Bauern gerade dann vorbei, als dort im Wohnzimmer im Fernsehen eine Dokumentation über die Massenschlachtungen in Schlachthöfen gezeigt wird. Sie ist entsetzt und kann das Gesehene kaum verkraften. Ihrer Freundin erzählt sie nichts davon. Bei einem weiteren TV-Besuch vor dem Wohnzimmerfenster erfährt Elsie, dass Kühe in Indien nicht geschlachtet, sondern als heilige Tiere verehrt und gepflegt werden. Indien wird zu ihrem Traumland, und Elsie beschließt zu fliehen und künftig dort zu leben. Doch unter den Tieren auf einem Bauernhof bleibt auch das größte Geheimnis nicht geheim. So kommt es, dass sich ihr auch Shalom, ein zum Judentum konvertiertes Schwein, und der Truthahn Tom anschließen wollen. Deren Ziele sind jedoch ganz andere. Shalom möchte den Rest seines Lebens in Israel verbringen, wo sein Fleisch verschmäht wird, während es Tom in die Türkei zieht: Ist die Namensgleichheit zwischen den englischen Bezeichnungen für Truthahn und Türkei - "Turkey"- nicht Beweis genug, dass es ihm dort gutgehen wird? Aber zunächst brauchen sie einander, um die Flucht in die Welt außerhalb der Farm zu wagen.

Transport von Botschaften 

 

Nach allem, was ich über David Duchovny gelesen habe, ist er kein konsequenter Vegetarier, würde jedoch selbst kein Essen, das aus Fisch oder Fleisch besteht, zubereiten. Das, was er seinen Lesern vermitteln will, spricht die Kuh Elsie für ihn aus: Es ist grundsätzlich in Ordnung, dass sowohl Tiere als auch Menschen einander (fr)essen, wenn es tatsächlich dazu dient, den Nahrungsbedarf zu decken. Dass für die Massenproduktion von Fleisch die Tiere jedoch unter unwürdigen Umständen leben und sterben müssen, wird scharf verurteilt. Elsie wird auch nicht müde, immer wieder für gegenseitige Toleranz zu werben und spricht den Hörer dabei auch direkt an. Diesen Botschaften werden die meisten Menschen zustimmen, sie sind jedoch nicht neu und taugen meiner Meinung nach innerhalb dieser Handlung nicht dazu, jemanden zum Nachdenken zu bewegen.

Die Sprecherin Cathlen Gawlich ist Schauspielerin und hat Heilige Kuh nicht einfach nur vorgelesen, sondern den beteiligten Tieren - darunter auch ein Bombenspürhund mit kölschem Dialekt und ein Kamel, das als Model in der Werbung für eine Zigarettenmarke berühmt geworden ist - Leben eingehaucht. Sie gibt jedem Tier eine andere Klangfarbe und lässt Shalom Jiddisch sprechen und Tom im östereichischen Dialekt psychologische Betrachtungen à la Sigmund Freud vortragen. Aber wie das nun mal so ist: Jedes Buch ist Geschmackssache, und was zu Beginn noch amüsant war, begann mir im Laufe des Zuhörens auf die Nerven zu gehen. Wie gut die Übersetzung von Timur Vernes war, kann man nur beurteilen, wenn man den Originaltext gelesen hat. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass eine Geschichte, die von einem Amerikaner geschrieben wird und in den USA ihren Anfang nimmt, an das deutsche Publikum angepasst wird, indem z. B. auf Theo Lingen verwiesen wird. Auch der Sprachstil, der vermutlich besonders jugendlich wirken soll, macht das Zuhören anstrengend. 
David Duchovny hat mir als Schauspieler gut gefallen, als Autor hat er mich leider nicht überzeugt.

Heilige Kuh ist als Hörbuch bei der hörverlag erschienen und kostet 14,99 € (3 CDs). Die gebundene Ausgabe ist zum Preis von 16,99 €, das Taschenbuch für 9,99 € und die Kindle- sowie die epub-Edition für 13,99 € erhältlich.
Das Hörbuch wurde mir vom Bloggerportal zur Verfügung gestellt, wofür ich mich herzlich bedanke.

Mittwoch, 16. März 2016

# 41 - Gegen die Verschwendung von Ressourcen

Was kaputt ist, wird neu gekauft? Das ist jetzt vorbei

 

In vielen Städten etabliert sich eine Idee, die zunehmend mehr Anhänger findet: das Repair Café. Die Bezeichnung kann auch eine andere sein, aber das Konzept ist immer gleich: Menschen, die handwerkliche Kenntnisse haben, bieten anderen Menschen, die mit kaputten Geräten oder Gebrauchsgegenständen zu ihnen kommen, unentgeltlich ihre Hilfe bei der Reparatur dieser defekten Dinge an. Das ist auch der Hintergrund für das Buch, das ich euch heute vorstellen möchte: Repair Café von Sylvia Keck, Tobias Koßbiel und weiteren vier Beteiligten.

Weil mir das Buch so gut gefallen hat, möchte ich es euch hier zeigen, auch wenn es vor dem Hintergrund der bisherigen Rezensionen etwas aus dem Rahmen fällt.

Die Idee hinter dem Buch

 

Im Mai 2014 hat ein Team aus sechs Personen erstmals in Stuttgart ein Repair Café angeboten. Wegen des großen Zulaufs wird die Veranstaltung nun jeden Monat durchgeführt. Diesem Team ging es nicht nur einfach darum, Defektes zu reparieren, sondern sich auch gegen die Verschwendung von Ressourcen und die sog. geplante Obsoleszenz, also die Begrenzung der Haltbarkeit von Gebrauchsgütern während des Produktionsprozesses, zu wenden. Die Entstehung von Kontakten war ein weiterer schöner Effekt.

Reparatur eines Beistelltisches

Die Autoren haben das Buch übersichtlich in die Kapitel
  • Textil,
  • Holz,
  • Elektronik und 
  • Alles ohne Kabel
aufgeteilt. Jedes Kapitel beginnt mit den Basics, die grundlegende Kenntnisse sowie einige Tricks vermitteln. Danach folgen je 7-10 typische Defekte wie z. B. das Austauschen eines Reißverschlusses an einem Kleidungsstück oder der Elektrolyt-Kondensatoren in einem FRITZ!Box-Router. Am Ende der Kapitel werden unter der Rubrik "Funny Facts" einige amüsante Begebenheiten aus dem Stuttgarter Repair Café zum Besten gegeben.

Praktisches wird anschaulich vermittelt

 

Wieder fahrtüchtige Holzeisenbahn nach einem doppelten Achsbruch
Die Anleitungen sind sehr verständlich formuliert, sodass sich auch Reparatur-Anfänger zurechtfinden. Mit zahlreichen Fotos wird das Erklärte noch zusätzlich anschaulich erläutert.



Johanna Hochrein, eine der Autorinnen, unterstützt eine Besucherin
 
Wer sich bislang nicht getraut hat, selbst Hand anzulegen, wird mit diesem praktischen Buch sehr gut unterstützt. Es richtet sich vor allem an Leser, die mit Reparaturen bisher eher zurückhaltend umgegangen sind und sich nicht zugetraut haben, defekte Gegenstände wieder gebrauchsfertig zu machen.

Repair Café ist im frechverlag erschienen (ISBN 978-3-7724-7565-8) und kostet 17,99 €. Ich bedanke mich beim Verlag, der mir die Fotos zur Verfügung gestellt hat.

Freitag, 11. März 2016

# 40 - Check-in ohne Wiederkehr

Massenhaftes, zähes Morden ist an der Tagesordnung

 

Seit mehr als 30 Jahren ist er mit dem Schreiben erfolgreich, 43 Millionen Mal wurden seine Bücher verkauft, aber ich habe bislang keines von ihm gelesen. Das hat sich in dieser Woche geändert: Die Rede ist von Wolfgang Hohlbein, und ich stelle euch heute sein neuestes Buch Mörderhotel vor.

Nachhilfe für mittelalterliche Folterknechte

 

Der promovierte Arzt Herman Webster Mudgett besitzt ein riesiges Hotel in Chicago, das von seinem Freund Henry Holmes geleitet wird. Auch dieser ist Arzt, die beiden Männer kennen sich seit ihrer Studienzeit. Als im Jahr 1893 die 19. Weltausstellung in Chicago stattfindet, wirkt sich das auf die ohnehin spärlichen Besucherzahlen des Hotels fast nicht aus. Es kommen jedoch interessante Gäste: Arlis Christen und der von ihr engagierte Privatdetektiv Frank Geyer wollen sich auf die Suche nach Arlis' Schwester Endres machen, die seit geraumer Zeit verschwunden ist. Sehr schnell findet Geyer heraus, dass Endres für Holmes gearbeitet hat und hat so eine erste Spur. Doch von seiner Auftraggeberin weiß er auch, dass sie von ihrer Schwester zahlreiche Briefe erhalten hatte, in denen sie davon schrieb, sich verliebt zu haben - in einen Herrn Mudgett, der von Beruf Arzt sei. Arlis Christen und Peter Geyer haben noch keine Ahnung, in welch tödlicher Gefahr sie sich befinden.

Leichen pflastern seinen Weg...

 

Herman Mudgett ist ein skrupelloser Mörder, der schon in seiner Kindheit den, wie er es nennt, "Pakt mit der Dunkelheit" geschlossen hat. In seiner Vorstellung wird er vom Tod dabei beobachtet, wie er Menschen bis zu ihrem letzten Atemzug quält und glaubt, dass der Tod seine Methoden auch bewerten würde. Doch es wird schon auf den ersten Seiten klar, dass Mudgett nichts anderes ist als ein Psychopath mit extrem ausgeprägten sadistischen Zügen. Wenn es darum geht, einen Menschen geplant umzubringen, wird ihm von seinem willigen Helfer William Peizel assistiert, einem Kerl mit der Figur eines Mittelgebirges, der vorher im örtlichen Schlachthof für die Drecksarbeit zuständig war. In Mudgetts Folterkeller, versteckt im Kellergewölbe des Hotels, ist alles bestens darauf ausgerichtet, dass dort in aller Ruhe und völlig unbemerkt die Opfer gequält werden können. Der Keller ist schalldicht, die Toten werden wahlweise im Säurebad aufgelöst oder in einem eigens angefertigten Ofen verbrannt. Die Foltermethoden sind bis ins Kleinste perfektioniert: Als Arzt weiß Mudgett, was besonders weh tut und wie man das Sterben so lange wie möglich ausdehnt. Er ist intelligent und selbstsicher, spürt jedoch, dass der Privatdetektiv Geyer dabei ist, ihm auf die Spur zu kommen. Er setzt Peizel darauf an, sich um den Mann zu "kümmern".

Mordlust schon im Kindesalter

 

Mudgett wird 1860 in Gilmanton, einem Kaff in New Hampshire, geboren und wächst bei seinen strenggläubigen Eltern auf. Besonders sein Vater legt bei dem Begriff "Gottesfurcht" den Schwerpunkt auf den zweiten Teil des Wortes. Das Leben des Jungen ist geprägt von Schule, Arbeit und dem Kirchgang einschließlich der Sonntagsschule. Im Alter von fünf Jahren wird er von zwei Zehnjährigen verprügelt, doch es gelingt ihm, sich zum Schluss so erfolgreich so wehren, dass die beiden Verletzungen davontragen, die nie mehr ganz ausheilen sollen. Schon damals spürt er die Mordlust, kann sie aber noch niederringen. Doch fünf Jahre später gelingt ihm das nicht mehr, und die beiden Jungen, mit denen er sich zwischenzeitlich angefreundet hatte, werden seine ersten Mordopfer. Herman gelingt es jedoch, den Verdacht auf den Indianer Tohorse zu lenken, der sich auf der Durchreise in Gilmanton aufgehalten hat. Ein Jahr später wird Tohorse trotz seiner Unschuldsbeteuerungen zum Tode verurteilt. Schon das Kind Herman war also kein Mensch, den man unbedingt ins Herz schließen würde.

Wie war's?

 

Angesichts dessen, dass es sich bei Wolfgang Hohlbein um einen Autor handelt, der über reichlich Schreiberfahrung und Wissen, wie man einen Spannungsbogen aufbaut, verfügt, war ich von Mörderhotel ziemlich enttäuscht. Echte Spannung habe ich vergebens gesucht, gefunden habe ich eher das Gruseln: Die Mord- und Folterszenen wurden im wahrsten Sinne des Wortes regelrecht ausgeschlachtet. Die Handlung orientiert sich grob an der Mordserie des US-Serienmörders Herman Mudgett, der eine unbekannte Zahl von Menschen getötet hat - Schätzungen schwanken zwischen mehreren Dutzend und deutlich mehr als 200 Opfern. Er wurde 1896 hingerichtet. 
Sehr schade fand ich, dass es auch etliche Fehler gab, die ein aufmerksamer Lektor hätte finden sollen: So stimmte beispielsweise eine Kapitelüberschrift nicht - die Handlung in diesem Abschnitt geschah fünf Jahre später, als es dort angegeben war. Auch im weiteren Text ergibt sich ein Fehler bei den zeitlichen Abständen. Und was mich besonders stört, war hier häufig vertreten: Etliche Male gab es Wortwiederholungen innerhalb von zwei Zeilen, auch wurden für vergleichbare Zustände immer dieselben Worte oder Wendungen benutzt. Ich habe irgendwann die Stellen, in denen etwas "vor Dreck starrte" überlesen. Auch die "Agonie" wurde sehr oft bemüht. Vielleicht bin ich da zu kleinlich, aber das hier ist nicht das Erstlingswerk eines Newcomers, sondern das Buch eines Vielschreibers, von dem ich einfach mehr erwartet hatte. 
Dass ein Verlag ein Buch außerdem so gestaltet, dass sich beim Lesen des Textes auf dem Schutzumschlag des Rätsels Lösung ergibt, habe ich bei diesem Thriller zum ersten Mal erlebt. Ein Buch, das sich selbst spoilert.
Ich glaube nicht, dass ich in der nächsten Zeit einen weiteren Titel von Wolfgang Hohlbein lesen werde.

Ich bedanke mich bei bloggdeinbuch, wo mir dieses Buch zur Verfügung gestellt wurde. Mörderhotel kann beim Verlag Bastei Lübbe bestellt oder in jeder Buchhandlung zum Preis von 22,-- € gekauft werden (Hardcover). Die Audio-CD ist für 13,99 € erhältlich, die Kindle-Edition und die epub-Ausgabe kosten je 16,99 €.
 

Freitag, 4. März 2016

# 39 - Macht einen Bogen um Rote-Bete-Schnaps

Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, sich sein Leben zu versauen...

 

..., und der Roman Hit & Run von Doug Johnstone gibt für die, die noch unschlüssig sind, erste Hinweise. Die Brüder Billy und Charlie Blackmore sowie Billys Freundin Zoe fahren in Edinburgh in einer Sommernacht von einer Party kommend nach Hause. Sie sitzen im alten roten Micra, der früher der verstorbenen Mutter der Brüder gehört hat, sind richtig gut drauf und bis zum Hals voll mit Rote-Bete-Schnaps und Drogen. Billy sitzt am Steuer, bestaunt den Sternenhimmel, die Drei fühlen sich, als könnten sie die Welt aus den Angeln heben. Doch dann kracht es und etwas, das sie im Dunkeln nicht erkennen können, prallt auf die Windschutzscheibe, rutscht über das Autodach und bleibt auf der Straße liegen.

Die eine Sekunde, die das Leben verändert

 

Man ahnt es bereits: Billy hat nicht "etwas", sondern einen Menschen angefahren. Einige Meter hinter dem Micra liegt ein Mann auf dem Asphalt, und Charlie, ein junger Krankenhausarzt, stellt mit einem geübten Griff an dessen Handgelenk seinen Tod fest. Billy will die Polizei rufen, aber sein Bruder hindert ihn daran: Seine eigene Approbation als Arzt wäre verloren, wenn im Zuge von Ermittlungen herauskäme, dass er sich selbst und seinen Bruder mit Aufputschmitteln, Opiaten, Barbituraten und Benzodiazepinen aus den Arzneischränken des Krankenhauses versorgt hat. Auch die Karrieren von Billy und Zoe wären beendet, bevor sie richtig begonnen hätten: Billy hat erst vor einem Monat eine Stelle als Kriminalreporter beim Evening Standard angetreten, und Zoe arbeitet ebenfalls als Nachwuchsjournalistin. Und so werfen sie die Leiche kurzerhand eine nahe gelegene Böschung hinunter.
Der Micra ist auf den ersten Blick fast unbeschädigt. Nur ein kleiner Riss auf der Frontscheibe und ein paar kaum zu erkennende Dellen im Blech deuten auf den Unfall hin.
Es dauert nur wenige Stunden, bis der Tote gefunden und Billy von seiner Kollegin Rose aufgefordert wird, sich zusammen mit ihr um den Fall zu kümmern. Der Tote ist in Edinburgh kein Unbekannter: Es handelt sich um Frank Whitehouse, einen wohlhabenden Unternehmer, dem illegale Machenschaften nachgesagt werden. Die Polizei geht zunächst von einem Selbstmord aus. Das ändert sich, als der Obduktionsbericht des Gerichtsmediziners vorliegt: Aufgrund der Art der Verletzungen kommt nur ein Zusammenstoß mit einem Kraftfahrzeug infrage. Kurz darauf werden in der Umgebung des Leichenfundortes Lacksplitter gefunden, die auf ein rotes, mehr als zehn Jahre altes Fahrzeug schließen lassen. 

Die Schlinge zieht sich zu

 

Wenn es eine Meisterschaft darin gäbe, sich selbst durch dämliches Verhalten immer mehr in die Bredouille zu bringen, wäre Billy Blackmore ein heißer Anwärter auf einen der vorderen Plätze. Er vernebelt sich sein Hirn, indem er sich ständig an Charlies geklauten Chemikalien vergreift und sie mit Alkohol hinunterspült, selbstverständlich nichts isst, so gut wie gar nicht schläft, seinen Sexualtrieb an der falschen Frau auslässt und sich in Situationen bringt, in die er durch pure Selbstüberschätzung gelangt. Das kann nicht gutgehen und tut es auch nicht. Die Situation eskaliert, es gibt noch weitere Tote und eine Entführung.

Doug Johnstone hat seine Hauptfigur Billy Blackmore durch ein Gefühlschaos gesteuert und sie auch körperlich sehr leiden lassen. Leider ist das Ende trotz aller Irrungen und Wirrungen zu vorhersehbar. Das, was sich zwischen dem Entschluss, den Unfall zu verheimlichen und Fahrerflucht zu begehen und dem Ende des Thrillers abspielt, wirkt deshalb wie eine Aneinanderreihung von Handlungsschleifen, die den Leser aber nicht an seiner Ahnung, wie das Finale aussehen könnte, ernsthaft zweifeln lassen. So verpufft trotz des ansonsten sehr guten Plots ein Teil der Spannung.

Ich bedanke mich beim Bloggerportal, das mir dieses Buch zur Verfügung gestellt hat. Hit & Run kann beim btb-Verlag bestellt oder in jeder Buchhandlung zum Preis von 9,99 € gekauft werden (Taschenbuch). Die Kindle-Edition und die epub-Ausgabe kosten je 8,99 €.