Freitag, 15. Januar 2016

# 32 - Schreibende Juristin lässt Anwältin sterben

Ein Psychodrama in München?

 

Der 14jährige Oliver Baptiste wird an einem klirrend kalten Januartag verletzt und verstört in einem Kellerabteil eines Mehrfamilienhauses in München gefunden. Er kann sich angeblich an  nichts erinnern, aber seine Hände sind blutverschmiert - mit dem Blut der Rechtsanwältin Rose Benninghoff, die ermordet in ihrer Wohnung in der zweiten Etage desselben Hauses liegt. Damit beginnt das Krimidebüt Kellerkind von Nicole Neubauer. Die Autorin hat zwar ebenso wie Georg M. Oswald ein abgeschlossenes Jurastudium hinter sich, aber damit hören die Gemeinsamkeiten zwischen dem heutigen Buch und Oswalds Roman Vom Geist der Gesetze auch schon beinahe auf.

Zunächst scheint alles klar zu sein...

 

Anhand der Spurenlage ergibt sich, dass die Tote ihren Mörder gekannt und ihn arglos in ihre Wohnung gelassen haben muss. Die Indizien sprechen also zunächst dafür, dass Oliver für die Tat verantwortlich ist. Nachforschungen ergeben, dass sein Vater, der erfolgreiche und gut in Münchener Kreisen vernetzte Wirtschaftsprüfer Laurent Baptiste, bis vor wenigen Monaten mit Rose Benninghoff liiert gewesen ist. Man hat sich im Unfrieden getrennt, was den Kreis der Verdächtigen erweitert.

Im Zuge der Ermittlungen ergeben sich auch Hinweise, die bis in die Kindheit der Ermordeten zurückführen. Bereits im Alter von zwölf Jahren hat sich Benninghoff von ihrer ganzen Familie distanziert und niemanden an sich herangelassen. Bei der Durchsuchung ihrer Wohnung findet das Team um Hauptkommissar Waechter in der unpersönlich eingerichteten Wohnung sehr versteckt das alte Foto eines Mannes, das mit "O. Paulssen" gekennzeichnet wurde. Um wen handelt es sich? Sehr auffällig ist auch das Bild einer Rose, das in Benninghoffs Wohnzimmer hängt und überhaupt nicht in diese nüchterne Umgebung passt. Beim Herabnehmen fällt ein Zettel mit der Widmung "Für immer O." aus dem Rahmen heraus. Hat Paulssen, der sich als mittlerweile dementer Kunstmaler im Rentenalter entpuppt, etwas mit dem Fall zu tun?

Aber auch die auf der selben Etage wie Benninghoff wohnende Judith Herold erregt die Aufmerksamkeit der Ermittler: Sie bezeichnet sich selbst als die beste Freundin der Ermordeten, hat aber von einigen Details aus dem Leben der Toten, die die Polizei nach und nach herausfindet, keine Ahnung.

Psychologie, Familiengeschichten und  jede Menge Lügen

 

Der Mordfall entwickelt sich zu einer nervlichen Belastung für das gesamte Ermittlungsteam. Die privaten Probleme, die manche von ihnen mit sich herumschleppen, wirken bis in die Arbeit hinein und haben Einfluss auf die Tätersuche. Der junge Oliver Baptiste leidet zudem unter psychischen Problemen, die ihn unberechenbar machen. Dass sein empathiebefreiter Vater ihn offenbar immer wieder brutal schlägt und sich bei jedem Gespräch mit der Polizei mit Anwälten umgibt, lähmt die zahlreichen Versuche, Oliver zu Aussagen über den Tattag zu bewegen. Doch das Polizeiteam fühlt sich vollends verschaukelt, als plötzlich Vater und Sohn jeweils die Tat gestehen und sich kaum noch herausfinden lässt, wer hier wen decken will. Der Fall nimmt jedoch nach mehreren Wendungen einen Ausgang, mit dem nicht unbedingt zu rechnen war.

Nicole Neubauer hat ihren Krimi Kellerkind flüssig geschrieben und ermöglicht es ihren Lesern, die einzelnen Ermittler auch von ihrer privaten Seite kennenzulernen. Eine besondere Eigenart von Hauptkommissar Waechter ist es dann auch, die den Fokus des Teams in eine andere Richtung lenkt und zur Aufklärung des Mordes führt. 
Wie bei dem oben zitierten Buch von Georg M. Oswald kann man sich auch bei diesem Krimi fragen, inwieweit die persönlichen juristischen Erfahrungen der Autorin in die Handlung eingeflossen sind. Wie oft kommt es beispielsweise vor, dass ein Staatsanwalt die Polizei bei ihren Ermittlungen abbremst, wenn es dabei um eine stadtbekannte und einflussreiche Persönlichkeit geht?

Mir hat dieses Buch gut gefallen, aber es gehört nicht zu meinen persönlichen Favoriten unter den Krimis. Olivers psychische Probleme werden immer wieder thematisiert, indem von einem Reptil in seinem Kopf die Rede ist, das sich in Stresssituationen zu Wort meldet. Der Junge befindet sich aber nicht in entsprechender Behandlung, sondern wird von seinem beruflich vielbeschäftigten Vater weitgehend sich selbst überlassen, obwohl dieser immer wieder behauptet, Olivers Verhalten schon von dessen verstorbener Mutter zu kennen.
Im Gegensatz zu den meisten anderen Krimis verwendet Nicole Neubauer eine sehr bildliche Sprache, die den Leser näher an das Geschehen heranrücken lässt und verzichtet auf die Schilderung von brutalen Szenen.

Ich bedanke mich beim Bloggerportal, das mir dieses Buch zur Verfügung gestellt hat. Kellerkind kann beim Blanvalet Verlag bestellt und in jeder Buchhandlung zum Preis von 9,99 € gekauft werden (Klappenbroschur). Die Kindle-Edition kostet 8,99 €, das mp3-Hörbuch auf CD 12,99 €.