Dienstag, 12. April 2016

# 46 - Schwedische Schwermut

Die Geschichte einer schwedischen Kleinfamilie

 

In Die Raben erzählt Tomas Bannerhed über das Leben einer Bauernfamilie in Småland in den 1970-er Jahren: Im Mittelpunkt steht der zu Beginn des Buchs 12-jährige Klas, der wie ein Gefangener seines eigenen Lebens wirkt. Seine sehr guten Schulnoten interessieren seinen Vater Tom Agne Georgsson ebensowenig wie sein großes Interesse an der Natur, insbesondere an Vögeln. Und Klas weiß fast alles über die Vögel in seiner Heimat: Er kennt ihre Gewohnheiten, ihre Rufe und die Routen der Zugvögel. So oft es geht, streift er mit dem Fernglas in der Hand durch die Umgebung und beobachtet die Tiere. Für seinen Vater ist das nur eine Form der Drückebergerei, um der schweren Feldarbeit aus dem Weg zu gehen.

Wolken ziehen über der Familie auf

 

Klas schwankt immer wieder in seiner Haltung gegenüber seinem Vater. Der vom Leben gezeichnete Mann hat nie etwas anderes als das einfache Leben und die Landarbeit kennengelernt und stellt sich vor, dass sein älterer Sohn Klas den Hof übernehmen soll, wenn er alt genug dazu ist. Doch der kleine Familienbetrieb steht wirtschaftlich bereits am Abgrund. Die Schuld gibt der Vater regelmäßig dem Wetter. Aber sein Sohn hat kein Interesse daran, das entbehrungsreiche Leben seines Urgroßvaters, Großvaters und Vaters zu führen - auf diese bäuerliche Ahnenreihe weist ihn Agne gern hin, doch er erreicht damit das Gegenteil dessen, was er beabsichtigt.

Die Mutter ist es, die den Familienfrieden mit aller Kraft aufrecht erhält. Sie ist nicht zufrieden mit ihrem eintönigen Leben, das von der Haus- und der Feldarbeit bestimmt wird und in dem es fast keinen Platz für Freiheiten und Heiterkeit gibt. Sie ist der ruhende Pol nicht nur für Klas und Agne, sondern auch für Klas' jüngeren Bruder Göran. Die Mutter nimmt auch wahr, dass sich ihr Mann immer mehr überfordert fühlt und versucht ständig, ihn zu beruhigen. Doch der gleitet immer mehr in den Wahnsinn ab und entwickelt sich zu einer Gefahr nicht nur für sich, sondern auch für seine Familie. 
Klas empfindet das Verhalten seines Vaters immer stärker als Bedrohung und beginnt, sich wieder nachts einzunässen. Als er erfährt, dass bereits der Großvater psychisch krank gewesen ist und sich umgebracht hat, beginnt er auch bei sich, nach Anzeichen von Wahnsinn zu suchen.

Schwierige Einschätzung

 

Beim Lesen von Die Raben hatte ich zwiespältige Empfindungen: Da sind einerseits die poetische Sprache und der genaue Blick auf Details, die es dem Leser ermöglichen, sich vollkommen in den jungen Klas einzufühlen. Aber es gibt auch den fast durchgehend sehr präsenten Eindruck, dass über der Familie ständig ein dickes Federkissen liegt, das ein normales Leben erschwert und das sich - je nach der augenblicklichen Verfassung des Vaters - jederzeit auf die Menschen legen und ihnen auf ihrem Hof die Luft zum Atmen nehmen kann. Die Handlung läuft schließlich auf ein Ereignis zu, das die Situation der Familie völlig ändert.

Die Raben ist in der deutschsprachigen Ausgabe 2015 im btb Verlag erschienen. Tomas Bannerhed hat für die schwedische Originalausgabe, die 2011 unter dem Titel "Korparna" erschienen ist, im selben Jahr den in Schweden renommierten August-Preis erhalten - interessanterweise in der Kategorie 'Fiction'. 
Ich bedanke mich beim Bloggerportal, das mir dieses Buch zur Verfügung gestellt hat. Die Raben kann als gebundenes Buch zum Preis von 21,99 € gekauft werden. Die Kindle- sowie die epub-Edition kosten jeweils 17,99 €.