Freitag, 28. Oktober 2016

# 73 - Deutsch-türkische Hochzeitsplanung witzig verpackt

Eigentlich ganz einfach: eine Frau, ein Mann, eine Hochzeit

 

Heiraten kann ganz einfach sein: Man macht einen Termin im Standesamt, erscheint pünktlich zur Trauung, jeder sagt ein Mal "Ja" und unterschreibt, fertig ist die Ehe. Kaum jemand mag es so puritanisch, aber was da passiert, als der Deutsche Daniel seine türkische Verlobte Aylin im Roman Der Boss heiraten will, wächst dem Bräutigam rasch über den Kopf. Moritz Netenjakob reiht auf lustige Weise ein Klischee an das andere und unterhält mit zahlreichen Überspitzungen.

Fortsetzung einer ungewöhnlichen Liebesgeschichte

 

Im vorangegangenen Roman Macho Man hatte sich Daniel in Aylin verliebt, nun haben die beiden beschlossen, zu heiraten. Der Boss beginnt 6 Wochen, 2 Tage, 1 Stunde und 20 Minuten vor der Hochzeit. Das Brautpaar plant seine Hochzeitsreise, und eines wird schnell klar: Ab sofort ist Daniel der Boss in ihrer Beziehung. Zumindest offiziell. Das geben ihm sowohl Kenan, ein Mitglied des weitverzweigten Familienclans, dem auch Aylin angehört und der Besitzer des Reisebüros, als auch die junge Braut zu verstehen. Doch wie ist man der Boss? Daniel ist ein Vorzeige-Warmduscher und Schattenparker und hat vom Macho-Sein keinen blassen Schimmer.

Typisch deutsche Weihnachten mit Plastikmüll am Baum

 

Mit jedem Kapitel rückt der Hochzeitstermin näher, in gleichem Maße nimmt das Chaos zu: Selbstverständlich sollen sich die künftigen Schwiegereltern vor der Trauung kennenlernen. Aylins Eltern sind dann auch sehr erfreut, von Daniels Eltern zur familiären Weihnachtsfeier eingeladen zu werden. Endlich werden sie erfahren, wie Deutsche die Geburt von Gottes Sohn feiern. Doch es geht im Elternhaus des jungen Mannes alles andere als durchschnittlich oder konventionell zu: Die Eltern sehen sich als Teil des Bildungsbürgertums und Alt-68er, lehnen Weihnachten aus atheistischen Gründen eigentlich ab, feiern es aber offiziell der Oma zuliebe. Oma Berta ist 92, geistig verwirrt und wähnt sich noch im 3. Reich. Ihre Nachfragen nach dem Wohl des Führers sorgen immer wieder für Irritationen. Mit dem künstlerischen Anspruch an die Gestaltung des Festes können weder sie noch Daniel etwas anfangen: Der Baumschmuck besteht immer aus einer alternativen Dekoration, dieses Mal aus leeren Joghurtbechern, um den Künstler Ilya Kabakov zu würdigen. Selbstredend werden keine klassischen Weihnachtslieder gesungen, sondern alljährlich die Schallplatte "Wann ist denn endlich Frieden?" von Wolf Biermann abgespielt. Die Runde wird durch das Künstlerpaar Ingeborg und Dmitri vervollständigt, für die das Attribut "schrullig" weit untertrieben ist. Aylins konservative Eltern erleben am Heiligen Abend spätestens dann einen Kulturschock erster Güte, als Daniels Mutter damit beginnt, ganz ungezwungen von ihren Affären und Sexualpraktiken zu berichten.

Der Hochzeitscountdown läuft

 

Der Roman wäre schnell zu Ende, wenn das verliebte Paar jetzt einfach so heiraten würde. Es stellen sich ihnen so einige Hürden in den Weg, die vor allem in der kulturellen Tradition von Aylins Familie liegen. Da gibt es Rücksichtnahmen, Lügen und extreme Emotionalität, die von der jungen Türkin als völlig normal, von Daniel jedoch irgendwann nur noch als Zumutung empfunden werden. Aylin hingegen ist von der Distanziertheit zwischen ihrem Verlobten und dessen Eltern irritiert und möchte ihre künftigen Schwiegereltern auch in die gemeinsamen Freizeitaktivitäten einbeziehen. Die Hochzeit steht auf der Kippe, die Beziehung auf Messers Schneide.

Der Boss ist ein durchgehend witziges Buch und jongliert mit den Vorstellungen und Klischees, die "man" vom Deutsch- oder Türkischsein hat. Moritz Netenjakob weiß, wovon er schreibt: Er ist mit der deutsch-türkischen Schauspielerin und Regisseurin Hülya Doğan-Netenjakob verheiratet, die auch zusammen mit ihrem Mann als Kabarettistin auftritt. Sie hat sowohl Macho Man als auch Der Boss dramaturgisch betreut, sodass ich davon ausgehe, dass in der teils skurrilen Handlung sehr viel Wahrheit steckt.

Der Boss kostet als Taschenbuch, Kindle- oder epub-Version 9,99 Euro und als DAISY-Hörbuch 12,95 Euro.