Freitag, 22. September 2017

# 118 - Ex-Kommissar ist dem Mörder auf der Spur

Mitten in München: Ein Kind verschwindet

 

Friedrich Ani hat mit seinem neuesten Krimi Ermordung des Glücks den zweiten Band seiner Reihe um den Münchener Ex-Kommissar Jakob Franck veröffentlicht. Der erste Band Der namenlose Tag ist 2015 erschienen, und Ani bekam für dieses Buch 2016 den Deutschen Krimipreis. Die Erwartungen an den jüngsten Roman sind also hoch.

Ein langer Irrweg

 

An einem kalten, stürmischen und regnerischen Tag Mitte November verschwindet der elfjährige Lennard Grabbe spurlos auf dem Weg von der Schule nach Hause. Erst 34 Tage später wird seine Leiche gefunden. Der pensionierte Kommissar Jakob Franck hatte schon als aktiver Ermittler freiwillig eine Tätigkeit übernommen, die seine Kollegen bereitwillig an ihn abgegeben hatten: Er überbrachte Angehörigen von Mordopfern die Todesnachricht. Dabei ist es auch nach seiner Pensionierung geblieben, und so ist er es, der in das Café von Tanja und Stephan Grabbe kommt und den Eltern die schreckliche Nachricht vom Fund ihres toten Sohns überbringt. Doch dabei bleibt es nicht: Franck taucht auch in diesen Fall ein und ermittelt auf seine eigene und sehr spezielle Weise. 
Die Polizeiarbeit läuft auf Hochtouren: Der Fundort ist nicht der Tatort. Schnell ist klar, dass Lennard ganz in der Nähe der Schule getötet worden sein muss. An einem Baum werden dann auch tatsächlich Haare mit seiner DNA gefunden. Aber die Spurensuche ergibt ansonsten keine Erkenntnisse: Mehr als fünf Wochen nach der Tat bei ständig miserablem Wetter noch etwas Verwertbares finden zu können, gliche einem Sechser im Lotto. Die Frage bleibt im Raum: Wer vergreift sich an einem Jungen? Stammt der Täter aus dem Umfeld der Familie? Die Mordkommission der Münchener Kripo befragt 650 Menschen, die in der Nähe des mutmaßlichen Tatorts leben oder arbeiten, doch niemand hat eine Beobachtung gemacht, die der Polizei weiterhelfen würde.
Während die Ermittler nach Lennards Mörder suchen, wird immer deutlicher, dass der grausame Verlust des Kindes in der Familie Gräben wieder aufreißt, die viele Jahre lang verschüttet gewesen waren. Tanja Grabbe kommt mit dem Tod ihres Sohnes am schlechtesten zurecht. Lennards nun verwaistes Kinderzimmer wird für sie zu einer Art Schrein, in den sie sich physisch und psychisch zurückzieht und in Zwiesprache mit ihrem toten Sohn tritt. Ihr Mann Stephan hat hier keinen Zutritt, weder in den Raum noch in ihre Seele. Stephan fühlt neben der eigenen Verzweiflung und der zunehmenden Hilflosigkeit auch etwas anderes immer deutlicher: Auch nach etlichen Ehejahren kann er es mit Tanjas Bruder Maximilian Hofmeister nicht aufnehmen. Das Band zwischen seiner Frau und seinem Schwager ist so fest, dass er als Tanjas Ehemann immer nur eine Nebenrolle gespielt hat und spielen wird. Was Stephan nicht ahnt: Maximilian trägt schwer an einem grausamen Geheimnis, von dem nur Tanja weiß.

Gibt es den typischen Verdächtigen

 

Die Polizei ermittelt einen Verdächtigen, der bestens ins "Beuteschema" passt: Ein Versicherungsvertreter, der bis zum Umzug der Familie Grabbe zu ihren Nachbarn gehörte, hat Freude am Kontakt zu Kindern. Er bewunderte Lennards Fußballtalent und unterhielt sich gern mit ihm. Die Aufmerksamkeit konzentriert sich auf ihn, die Presse nimmt den Faden gern auf. Letzten Endes reicht der Verdacht gegen den Mann jedoch nicht aus, um seine Untersuchungshaft zu verlängern. Doch er wird, kaum wieder in Freiheit, von jemandem erwartet, der nicht an seine Unschuld glaubt und das Recht in die eigenen Hände nehmen will. 
Der Mordfall erhält eine unerwartete Wendung, was insbesondere Francks Hartnäckigkeit und seiner besonderen Art, mit seinen Gesprächspartnern umzugehen, zu verdanken ist. Die Kripo muss sich an den Gedanken gewöhnen, dass es nicht nur eine Unschuldsvermutung gibt, sondern dass sie auch immer die Menschen als mögliche Täter im Fokus behalten sollte, denen sie eine solche Tat am wenigsten zutraut.

Lesen?

 

Ermordung des Glücks gehört nicht zu den Krimis, die nach einem klassischen Schema aufgebaut sind. Ex-Kommissar Franck ist ein Mann, dessen Psyche nach der jahrzehntelangen Beschäftigung mit menschlichen Abgründen zerrissen ist. Er ist nicht in der Lage, mit dem Polizeidienst abzuschließen und bringt seine besonderen Kompetenzen bei speziellen Fällen immer wieder ein. Von seiner sehr ungewöhnlichen Methode, sich einem Mord emotional zu nähern und dessen Untiefen auszuloten, weiß allerdings kaum jemand: Die von ihm als Gedankenfühligkeit bezeichnete Vorgehensweise eignet sich nicht für die Polizeischule, hat ihm aber in seinem Berufsleben zu vielen überraschenden Erkenntnissen verholfen. Allerdings nicht bei der Aufklärung des Mordes an Lennard Grabbe. Krimi-Fans, die sich auch dafür interessieren, wie sich extreme psychische Belastungen auf Menschen auswirken und wie diese darauf reagieren können, werden dieses Buch sicher mögen. Nach Lennard kommen zwei weitere Menschen ums Leben, brutal wird die Handlung dadurch aber nicht. 

Die Suche nach der Wahrheit beinhaltet auch, dass die Aufnahmen von Kameras, die die Gegend um den mutmaßlichen Tatort ausleuchten, in Augenschein genommen werden. Friedrich Ani zählt auf, von welchen Größenordnungen da die Rede ist: Im Münchener Stadtgebiet befinden sich insgesamt mehr als 9.000 Kameras, der Großteil davon gehört der Deutschen Bahn und den Verkehrsbetrieben. Im Einsatzzentrum der Polizei sitzen Beamte rund um die Uhr vor 32 Monitoren und melden ihren Kollegen, wenn sie etwas Verdächtiges wahrnehmen. Aber die Frage, wie groß die Chance ist, mithilfe dieser Kameras ein Verbrechen zu beobachten oder sogar zu verhüten, erhitzt immer wieder die Gemüter. Letztlich geht es um ein subjektives Sicherheitsgefühl, das die Geräte vermitteln; wie einzelne Studien belegen, hat eine Videoüberwachung im öffentlichen Raum keinen Einfluss auf die Verbrechensrate.

Ermordung des Glücks ist im Suhrkamp Verlag erschienen und kostet als gebundene Ausgabe 20 Euro, als Kindle- oder epub-Edition 16,99 Euro sowie als CD-Hörbuch 15,95 Euro. Das Buch wurde mir von vorablesen zur Verfügung gestellt.

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