Sonntag, 9. April 2017

# 94 - Zu viel Gier kann tödlich enden


Viel Geld verdirbt den Charakter


Lauter Leichen - so heißt der Debütroman der Hamburgerin Zara Philips. Ein sehr treffender Titel für einen Krimi, bei dem die Zahl der Toten irgendwann größer ist als die der (noch) Lebenden. Die Autorin fackelt nicht lange und wirft ihre Leser schon auf der ersten Seite an einen Tatort: Die Malerin Elenor Gint findet in der Villa ihrer Mutter Martha in Hamburg-Rissen zwei Männer: Der eine ist Elenors gerade-mal-nicht-Freund Peter, der nun im Begriff ist, nach einem Schusswechsel sein Leben auszuhauchen; das Leben des anderen Mannes, mutmaßlich ein Osteuropäer, war schon einige Minuten vor Peters zu Ende, nachdem Elenor auf ihn geschossen hatte. Ihn entsorgt Elenor mithilfe einer Sackkarre im Seerosenteich der Nachbarn. Das ist der Einstieg für einen Roman, dessen Handlung 2015 ihren Höhepunkt findet, aber bereits 1882 in der Nähe von Lübeck mit der Geburt eines Jungen beginnt, der es später weit bringen wird und nach seinem Tod ein riesiges Vermögen vererbt. Wenn es um viel Geld geht, finden sich immer Menschen, die ein Stück vom Kuchen abhaben wollen. Egal, um welchen Preis.

Cleverer Ermittler trifft auf Schwarze Witwen


Kriminalhauptkommissar Hiob Watkowski vom LKA Hamburg nimmt sich dieses Mordfalls an. Da Martha Gint zum Tatzeitpunkt in Florida war, scheidet sie als Verdächtige aus. Damit richtet sich die Aufmerksamkeit des Polizisten ganz auf Elenor. Doch die ganze Sache ist komplizierter, als sie zunächst erscheint: Bei der Durchsuchung von Marthas Villa finden die Beamten in der Tiefkühltruhe im Keller einen weiteren Toten. Die Obduktion ergibt, dass es sich dabei um Marthas vor Jahren verschwundenen Liebhaber Helmut handelt. Doch Martha hat buchstäblich noch mehr Leichen im Keller: In einem verschraubbaren Weinfass findet sich eine junge tote Frau - durch den Alkohol wurde sie ziemlich gut konserviert, wobei ihr Körper allerdings eine geleeartige Konsistenz angenommen hat. Doch damit sind es noch nicht genug Gemeuchelte: Auf dem Grundstück der Villa befinden sich in einem privaten Luftschutzbunker noch mehr Menschen, die bereits vor Jahrzehnten unfreiwillig ihr Leben lassen mussten. Doch von ihnen weiß nur Marthas Mutter Frieda. Einer von ihnen ist so problematisch, dass Frieda sämtliche Enkelkinder dazu anstiftet, ihr in einer Nacht-und-Nebel-Aktion bei dessen Beseitigung zu helfen.

Wer stört, wird aus dem Weg geräumt


Hauptkommissar Watkowski gehört zu den fähigsten Ermittlern des LKA Hamburg, aber das ist nicht der einzige Grund, warum er sich so sehr für diesen Fall interessiert: 1997 hatte bereits sein Adoptivvater, der seinerzeit als berühmt-berüchtigt geltende Ermittler Josef Watkowski, Untersuchungen gegen eine Person angestrengt, die auch jetzt wieder im Fokus der Polizeiarbeit steht. Damals wie heute vermutet Hiob Watkowski hinter dem plötzlichen Tod seines Vaters keinen Unfall, sondern einen Mord. Jetzt soll sich ihm die Möglichkeit bieten, quasi mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: die Aufklärung des Todes seines Vaters und der weiteren Menschen, die irgendwie mit den Mordfällen in Martha Gints Haus zusammenhängen. Im selben Jahr wie sein Vater kam auch Marthas Mann ums Leben – er wurde damals erschossen in der Villa aufgefunden, sein Mörder wurde nicht gefunden. Doch so intelligent Hiob auch vorgeht, die Verwandtschaft von Elenor und Martha und ihr unfreiwilliger Kontakt zur serbischen Mafia geben dem Geschehen ständig neue Wendungen. Im Zuge der Ermittlungen wird das Grundprinzip, nachdem insbesondere zwei Hamburger Familien handeln, deutlich: Wer stört, wird entsorgt. Je  geräuschloser, desto besser.

Wie war’s?


Lauter Leichen geht von einem interessanten Plot aus: Zwei Tote im Haus einer gutsituierten Frau, von denen einer der Ex-Freund der Tochter ist, die zufällig auf die beiden Männer trifft, als sie während des Urlaubs ihrer Mutter dort nach dem Rechten sehen will. Doch schon in dieser ersten Szene gibt es Zweifel, ob Elenor nur für den Tod des einen Mannes verantwortlich ist. Im weiteren Verlauf der Handlung wird unklar, ob das Buch eher spannend oder doch lieber amüsant werden sollte. Das Karussell der Verwicklungen dreht sich immer schneller, die ganze nähere Verwandtschaft nimmt es mit der kriminellen serbischen Bande rund um deren Boss Novakov auf. Der hält sich zu Hause ein Lama namens Frühstück, das ihm Elenors Neffen und ihre Nichte entführen, um von ihm bestimmte Informationen zu erpressen. Navakovs Vater befindet sich da schon eine Weile in der Gefangenschaft von Friedas Nachbarin Else, die ihn mit einem Würgehalsband aus dem Sexshop ausstaffiert hat – was dem alten Mann zu gefallen scheint.
Der Roman hält etliche auch für die Protagonisten überraschende Erkenntnisse bereit, die bis hin zum Entdecken von neuen Verwandtschafts- und damit auch Erbbeziehungen führen. Die Lösung des komplizierten Falles ist in weiten Teilen zwar der Kombinationsgabe Watkowskis zu verdanken, die Handlung wird allerdings so oft von Zufällen bestimmt, dass dem Buch insgesamt eine Menge Glaubwürdigkeit verloren geht. Dass der plötzlich ums Leben gekommene Josef Watkowski, der in der Mordangelegenheit um Marthas Mann ermittelte, auf dem Weg zu einer der Hauptpersonen des Romans, der ihn mit der Ankündigung eines Geständnisses auf eine einsame Straße gelockt hatte, dort in eine Falle lief, kann man sich noch gut vorstellen. Dass er jedoch im Kofferraum seines Autos sämtliche Fallakten hatte, aus denen von seinen Mördern die sie belastenden Seiten entfernt wurden und die Ermittlungen danach zu Fall kamen, ist schwer zu glauben. Josef Watkowski wird mehrmals als kriminalistische Berühmtheit geschildert und hat sogar noch 18 Jahre nach seinem gewaltsamen Tod eine Fangemeinde. Solch ein grober Schnitzer passt nicht zu einem Vollprofi.
Auch die Verwandtschaft rund um Elenor Gint wirkt dauerhaft exzentrisch und überdreht, schafft es aber, Navakovs beste Männer zu übertölpeln. Die serbische Mafia agiert tatsächlich auf dem Gebiet des Drogen- und Waffenhandels und ist hochkriminell, wird aber sicher nicht von einem Haufen Idioten angeführt.
Lauter Leichen ist trotz dieser Kritik eine flott geschriebene Unterhaltungslektüre, zu der am besten die Kategorie des Cosy-Krimis passt: Es gibt zwar reichlich Tote, aber das Entsetzen bleibt beim Lesen aus.

Lauter Leichen ist bei epubli erschienen und kostet als Taschenbuch 14,99 € sowie als Epub- oder Kindle-Ausgabe 2,99 €.