tag:blogger.com,1999:blog-66228323713042124712024-03-18T18:45:21.608+01:00Die Bücherkiste - alles querbeet in meinem BücherblogJede Woche stelle ich ein Buch vor, das ich gelesen habe und das mich auf irgendeine Weise berührt hat.Ina Degenaarhttp://www.blogger.com/profile/12372372085755879381noreply@blogger.comBlogger505125tag:blogger.com,1999:blog-6622832371304212471.post-81776363491650639892024-03-16T17:33:00.000+01:002024-03-16T17:33:50.039+01:00# 429 - Ein Krimi, der auf das Leben in Japan im beginnenden 20. Jahrhundert blickt<p><span style="font-family: verdana; font-size: large;"></span></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEh496KY9_9rfYDOhM_ZbWLxAihl42tO8xaEmw_DpshyLFS_Usn948tXCkmBazDlWwmr6LB8xc40IffwGeFsk6NKFsD12YT5tmAZfEyyIc8nWkFYvF_xFnhuPEkSMsKRVBFCpTJOglR1Z5paWORKq-x_bw8B_hbC-5TC-Tbjv_10wUxMhamkaE8sC_zBfMs/s2806/Cover%20Die%20r%C3%A4tselhaften%20Honjin-Morde.jpg" imageanchor="1" style="clear: right; float: right; margin-bottom: 1em; margin-left: 1em;"><img border="0" data-original-height="2806" data-original-width="1800" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEh496KY9_9rfYDOhM_ZbWLxAihl42tO8xaEmw_DpshyLFS_Usn948tXCkmBazDlWwmr6LB8xc40IffwGeFsk6NKFsD12YT5tmAZfEyyIc8nWkFYvF_xFnhuPEkSMsKRVBFCpTJOglR1Z5paWORKq-x_bw8B_hbC-5TC-Tbjv_10wUxMhamkaE8sC_zBfMs/w256-h400/Cover%20Die%20r%C3%A4tselhaften%20Honjin-Morde.jpg" width="256" /></a></span></div><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Der bereits 1981 verstorbene Krimi-Autor Seishi Yokomizo ist in Japan sehr bekannt, außerhalb des Landes war er es bis vor Kurzem nicht. Das änderte sich zumindest für den deutschen Buchmarkt, nachdem der Aufbau Verlag 2022 unter seiner Marke Blumenbar die Übersetzung des ersten Teils der Reihe um den Detektiv Kosuke Kindaichi, <i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Die rätselhaften Honjin-Morde</span></i>, herausbrachte. Das erstmals 1946 erschienene Buch war so erfolgreich, dass Yokomizo noch 76 weitere Male seinen Detektiv durch Japan schickte, um scheinbar unlösbare Kriminalfälle aufzuklären.</span><p></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Die Handlung spielt im November 1937 in einer ländlichen Gegend in der Präfektur Okayama. Kenzo, der älteste und bereits 40-jährige Sohn einer begüterten Familie, hat am Vortag im kleinen Kreis geheiratet, als die Familie in der Nacht durch schreckliche Schreie geweckt wird. Kurz erklingt das schnelle Anschlagen einer Koto [Anm.: japanisches Saiteninstrument], gefolgt vom Geräusch eines Aufpralls. Als die Familie das vor Kenzos Haus liegende Gartentor gewaltsam öffnen will, sind wieder die Töne einer Koto und kurz darauf ein sirrendes Geräusch, das von einer gerissenen Saite stammen könnte, zu hören.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Die Familie findet Kenzos Haus verschlossen vor. Auf dem Grundstück sind auf dem frisch gefallenen Schnee keine menschlichen Spuren außer ihren eigenen zu sehen - und ein Schwert, das im Schnee steckt. Mithilfe eines Beils verschaffen sich einige der Männer Zutritt zum Gebäude und finden das Brautpaar getötet in einer großen Blutlache vor. Neben der toten Braut Katsuko steht eine blutverschmierte Koto mit einer gerissenen Saite. Außerdem ist ein Wandschirm umgestürzt. Auf ihm befinden sich ebenfalls Blutspuren: Es ist der Abdruck einer Hand zu sehen, allerdings nur des Daumens, des Zeige- sowie des Mittelfingers. Und offenbar hatte sich der Mörder Koto-Plektren über die Finger gestreift. Ist der mysteriöse Fremde, der im Dorf am Tag der Hochzeit nach dem Weg zum Anwesen der Familie gefragt hatte, der Mörder?</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Katsukos Onkel, der Teil der Hochzeitsgesellschaft gewesen ist, registriert, dass der anwesende Kriminalkommissar und sein Assistent an ihre Grenzen stoßen und schickt seiner Frau ein Telegramm: <i>Katsuko tot. Schick Kindaichi</i>.<br />Wird der Privatdetektiv, der Kriminalfälle nur nach logischen Gesichtspunkten löst, es schaffen, auch hinter das Geheimnis dieses Falls zu kommen?</span></p><h4 style="text-align: left;"><span style="color: #0b5394; font-family: verdana; font-size: large;">Lesen?</span></h4><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><i style="font-weight: bold;">D<span style="color: #38761d;">ie rätselhaften Honjin-Morde</span></i><span style="color: #38761d;"> </span>ist insbesondere für europäische Leserinnen und Leser ungewöhnlich. Nicht nur, dass Seishi Yokomizo hier ein <i>Locked Room Murder Mystery</i> konstruiert und sein Publikum zwischendurch gekonnt in die Irre führt; der Krimi gibt außerdem einen tiefen Einblick in die gesellschaftlichen Regeln und Lebensumstände im Japan der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts - eine Welt, die uns kaum fremder sein kann. Wer normalerweise keine Krimis liest, sollte diesen allein deshalb zur Hand nehmen.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Allerdings ist auch Yokomizos Stil etwas gewöhnungsbedürftig, sodass sich sein Krimi nicht durchgehend flüssig lesen lässt. Aber es lohnt sich, am Ball zu bleiben.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Um den Überblick aufgrund der Vielzahl von japanischen Ausdrücken und auftretenden Personen nicht zu verlieren, sind dem Buch ein Personenregister und ein Glossar angefügt.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><b style="font-style: italic;"><span style="color: #38761d;">Die rätselhaften Honjin-Morde</span></b> ist gebunden für 20 Euro, als Taschenbuch für 12 Euro, als Audio-Download für 14,99 Euro sowie als E-Book für 9,99 Euro erhältlich.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><u>Anmerkung:</u> Honjins waren während der Edo-Zeit Gasthäuser, in denen nur gehobene Regierungsbeamte und Adelige einkehrten. Wer solch einen Gasthof betreiben durfte, stieg sowohl wirtschaftlich als auch sozial auf. Die Familie des getöteten Kenzo betrieb ein Honjin bis zum Sturz des Shoguns und der Wiederherstellung des kaiserlichen Systems Ende der 1860-er Jahre. Diese Zeit bildet die Grundlage ihres Ansehens und Wohlstands.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><br /></span></p>Ina Degenaarhttp://www.blogger.com/profile/12372372085755879381noreply@blogger.com030966 Hemmingen-Arnum, Deutschland52.2964253 9.730834223.986191463821157 -25.4254158 80.606659136178848 44.887084200000004tag:blogger.com,1999:blog-6622832371304212471.post-53771264179357353532024-03-02T18:09:00.000+01:002024-03-02T18:09:45.576+01:00# 428 - Ein Essay über die Liebe<p><span style="font-family: verdana; font-size: large;"></span></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEguHvE_iQVlD3JlWvVxrkyxS3a_juxqih3QoTFDtm1KPoTgfNaYuZ8pdR-2D0AWm9JBVxgZ_rnCqQqWIBSOEuEhcOvE3b5GjSpNdi4IgfCFvF9qc8ahRAAfUjyOCQzxCCBgI0_TcP4VS_fEn_7EFLntIIQM8Dd7FAKFjyT4NEUJotQb6vtlGH3lh0EdDW4/s2593/Cover%20Liebe.jpg" imageanchor="1" style="clear: right; float: right; margin-bottom: 1em; margin-left: 1em;"><img border="0" data-original-height="2593" data-original-width="1800" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEguHvE_iQVlD3JlWvVxrkyxS3a_juxqih3QoTFDtm1KPoTgfNaYuZ8pdR-2D0AWm9JBVxgZ_rnCqQqWIBSOEuEhcOvE3b5GjSpNdi4IgfCFvF9qc8ahRAAfUjyOCQzxCCBgI0_TcP4VS_fEn_7EFLntIIQM8Dd7FAKFjyT4NEUJotQb6vtlGH3lh0EdDW4/w278-h400/Cover%20Liebe.jpg" width="278" /></a></span></div><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Die Philosophin und Journalistin Veronika Fischer war dabei, eine Doktorarbeit über die Liebe zu schreiben. Dann beschloss sie, nicht zu promovieren und den Inhalt der Beinahe-Dissertation so umzuschreiben, dass er sich als Sachbuch eignet, das auch von Nicht-Philosophen verstanden wird. So entstand <i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Liebe</span></i>.</span><p></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Das ist ihr zweifellos gelungen. Beim Lesen erwischt man sich dabei, immer wieder zustimmend mit dem Kopf zu nicken oder über die eine oder andere Aussage nachzudenken. Fischer macht schon zu Beginn deutlich, wie inflationär mit dem im Grunde sehr intimen Begriff "Liebe" umgegangen wird. Ist das Kribbeln im Bauch und der Gefühlsrausch am Beginn einer Beziehung schon Liebe? Oder ist es eine Vorstufe, also die Verliebtheit? Und wie ist das, wenn sich langjährige Freundschaften nach und nach in Liebesbeziehungen verwandeln, ohne dass es vorher die Phase der Verliebtheit gegeben hat?</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Fischer zieht zahlreiche Quellen wie Philosophen, Schriftsteller oder Musiker heran, um zu ergründen, was es mit der Liebe auf sich hat. Für die Überlegung, ob es sich bei der Liebe um ein Gefühl handelt, hilft möglicherweise die Definition des Wörterbuches der Philosophie weiter, denn es heißt hier, dass man unter einem Gefühl eine <i>"nicht dem Willen unterliegende, körperlich-seelische Reaktion eines Individuums auf die Inhalte seines Erlebens"</i> versteht. So ganz passt das nicht auf die Liebe.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Vorsicht ist geboten, wenn man auf der Suche nach klugen Ratgebern, die sich in der Vergangenheit bereits über die Liebe Gedanken gemacht haben, auf solche stößt, die außer salbungsvollen Worten nichts Hilfreiches zum Thema zu bieten haben. Beispielhaft sei der französische Schriftsteller Stendhal genannt, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts jahrelang eine verheiratete politische Aktivistin liebte, aber von ihr nie erhört wurde. Stendhal hat die Dame nie berührt und die in seinem Inneren mit ihr geführten Gespräche nie in der Realität umgesetzt. Er hatte sein Leben lang keine Liebesbeziehung, weswegen Fischer ihn mit einem mittelalterlichen Minnesänger vergleicht. Wie sollte er etwas Sinnvolles über die Liebe sagen können, wenn er nur das Stadium des Verliebtseins kannte?</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Veronika Fischer nähert sich der Liebe von mehreren Seiten und es wird deutlich, was wir schon ahnten: Es ist nicht immer alles eitel Sonnenschein, sondern eine Liebesbeziehung basiert auch darauf, dass man an ihr arbeitet und - schöne Grüße an Paare, die sich nur noch anschweigen - miteinander kommuniziert.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Die meisten Überlegungen, die Fischer in <i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Liebe</span></i> anstellt, sind nachvollziehbar. Einige Stellen fand ich jedoch irritierend, zum Beispiel die Aussage, dass in Liebesbeziehungen nicht automatisch Liebe im Spiel ist. Die Begründung hat mich leider nicht überzeugt.<br />Auch die Passage, in der es heißt, dass <i>"in vielen anderen Kulturen [...] arrangierte Ehen ein fester Bestandteil der Liebespraxis (sind), bei deren Nicht-Befolgung ein Verstoßen aus der Gemeinschaft droht"</i>, ließ mich ratlos zurück. </span></p><h4 style="text-align: left;"><span style="color: #0b5394; font-family: verdana; font-size: large;">Lesen?</span></h4><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Liebe</span></i> ist ein lesenswerter Exkurs in ein Thema, über das wohl schon nachgedacht wird, seitdem Menschen Sätze formen können. Dem Text ist zwar manchmal anzumerken, dass seine Autorin mit ihm ursprünglich etwas anderes vor hatte, den für wissenschaftliche Arbeiten verwendeten sprachlichen Duktus vermeidet Fischer jedoch. Manche Aussagen werden jedoch nicht weiter vertieft und bleiben einfach im Raum stehen. Da wäre an einigen Stellen mehr möglich gewesen.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><b style="font-style: italic;"><span style="color: #38761d;">Liebe</span> </b>ist 2024 im Verlag Kremayr & Scheriau erschienen und kostet als Hardcover-Ausgabe 20 Euro sowie als E-Book 12,99 Euro.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><br /></span></p>Ina Degenaarhttp://www.blogger.com/profile/12372372085755879381noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-6622832371304212471.post-29957628047443210492024-02-27T13:22:00.000+01:002024-02-27T13:22:21.936+01:00# 427 - Der Schiffskoch und der Ziegenbock<p></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgOLnquG6x1j_siS9bu7l_I_znytRrii4GAkBDhhuFv2-xTZ-xJdB334ydhSfUT1C05h9eCTWUp1CxO8qMbxvJavjaEvJlbyT0VxAk75-qhdViTcmLlJMkaS1temmxZ0yWGgeG1TC36jIDciFAaJGu1nGjPUvYGaFDeHknYU_NbZTx7NNgfnCG5cC0XqPk/s2827/Cover%20Der%20Schiffskoch.jpg" imageanchor="1" style="clear: right; float: right; margin-bottom: 1em; margin-left: 1em;"><img border="0" data-original-height="2827" data-original-width="1789" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgOLnquG6x1j_siS9bu7l_I_znytRrii4GAkBDhhuFv2-xTZ-xJdB334ydhSfUT1C05h9eCTWUp1CxO8qMbxvJavjaEvJlbyT0VxAk75-qhdViTcmLlJMkaS1temmxZ0yWGgeG1TC36jIDciFAaJGu1nGjPUvYGaFDeHknYU_NbZTx7NNgfnCG5cC0XqPk/w254-h400/Cover%20Der%20Schiffskoch.jpg" width="254" /></a></div><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Ich wollte eigentlich nur in unseren örtlichen <a href="https://www.instagram.com/hemminger.buchhandlung/" target="_blank">Buchladen</a>, um ein Geschenk zu kaufen. Als ich hatte, was ich gesucht habe, fiel mein Blick auf dieses schmale Buch: <i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Der Schiffskoch</span> </i>von Methijs Deen. Der Roman hat nur rd. 100 Seiten, aber die haben es in sich.</span><p></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Bis auf wenige Szenen spielt sich die Handlung auf dem Feuerschiff "Texel" ab, das vor Den Helder in Nordholland liegt. Die Mannschaft bleibt vier Wochen ununterbrochen an Bord, bevor sie von der nächsten Crew abgelöst wird. Das Leben auf der "Texel", die keinen Meter zurücklegt, ist öde. Auf solch einem Schiff, das weder eine Schraube noch ein Ruder hat, geht es darum, die Funktionen eines Leuchtturms zu übernehmen, wo es nicht möglich ist, einen aufzustellen. Die Mahlzeiten des Schiffskochs Lammert sind der einzige Lichtblick und retten die Männer vor der Verzweiflung.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Eines Tages beschließt Lammert, etwas ganz Besonderes zu kochen: Gulai kambing, einen indonesischen Schmortopf mit dem Fleisch eines jungen Ziegenbocks. Lammert schmuggelt das Tier verbotenerweise in seinem Rucksack an Bord und plant, es demnächst zu schlachten. Aber wie das so ist mit Plänen: Trotz Lammerts Hinweis, dem Böckchen auf keinen Fall einen Namen zu geben, wird es zu einem unterhaltsamen Teil der Besatzung. Es gewöhnt sich schnell an das schwankende Schiff und entwischt dem Koch, wenn der es fangen will. Und die Crew gewöhnt sich an das Böckchen.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Doch Lammerts Plan, ein leckeres Gulai kambing zu kochen, wird durch ein weiteres Problem verhindert: Der Koch hatte sich als Kind mit Malaria infiziert. Seitdem kehren immer wieder heftige Fieberschübe zurück. Als es Lammert besonders schlecht geht und er in seiner Koje intensive Fieberträume hat, zieht dichter Nebel auf, der die "Texel" und alle anderen Schiffe in der Umgebung praktisch unsichtbar macht. Das Feuerschiff muss ununterbrochen mit Leuchtfeuer und Nebelhorn auf sich aufmerksam machen, um nicht selbst von vorbeifahrenden Frachtschiffen, die deutlich größer sind, gerammt zu werden. </span></p><p><span style="font-size: large;"><span style="font-family: verdana;">Lammert nimmt das Dröhnen der Nebelhörner ebenso wahr wie das Rennen und Rufen der Mannschaft an Deck. Doch alles vermischt sich mit seinen traumatischen Erinnerungen an das Leben im Lager auf Java, als er noch ein kleiner Junge war. Was damals in seiner Kindheit passierte, ist tief in seiner Seele vergraben und bricht während seiner Krankentage in der Kajüte hervor. Eines Tages wurde dem kleinen Lammert gesagt, dass sein Vater nicht mehr wiederkommen würde. Wo er war, das wurde ihm nicht erklärt. Und dann ist da noch eine andere Erinnerung: <br /></span><i style="font-family: verdana;">"[...] und sie haben Mutter eingesperrt, und jeden Tag gehen sie dort hinein, und dann hört er sie schreien, und dann schreit er selbst auch, aber seine Tante, wo ist sein Vater, seine Tante, die keine richtige Tante ist, nimmt ihn fest in den Arm und streicht ihm über den Kopf, [...]."</i></span></p><div><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><span style="font-weight: 400;"><i><br /></i></span></span></div><p></p><h4 style="text-align: left;"><span style="color: #0b5394; font-family: verdana; font-size: large;">Lesen?</span></h4><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Der Schiffskoch</span></i> hat mich überrascht, weil in diesem kurzen Roman mehr steckt, als ich erwartet hatte.<br />Mathijs Deen schildert plastisch, wie es ist, auf engem Raum zusammenleben zu müssen und von anderen nicht ernst genommen zu werden, weil man auf einem Schiff arbeitet, das nie vom Fleck kommt.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Als es zu einem Todesfall kommt, der möglicherweise hätte verhindert werden können, zeigt sich, wie wenig die Männer trotz der räumlichen Nähe voneinander wissen. Als er von Kriminalbeamten befragt wird, antwortet der Maschinist zutreffend: <br /><i>"Was weiß man denn wirklich von jemand anderem?"</i></span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Mathijs Deen spielt in seinem Roman auf historische Ereignisse an, die der Schiffskoch in seinen Fieberträumen immer wieder durchlebt: Die Insel Java war Teil der niederländischen Kolonie Niederländisch-Indien und wurde im März 1942 im Rahmen des Pazifikkrieges in Südostasien von japanischen Truppen überfallen und eingenommen. Die dort lebenden Niederländer wurden in Lager gesperrt oder getötet, viele Frauen vergewaltigt - eine Parallele, die praktisch alle Kriege gemeinsam haben.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Das Feuerschiff "Texel" war tatsächlich im Einsatz. Wer sich für seine Geschichte interessiert, kann sie <a href="https://www.texel-no10.de/feuerschiff-texel-nr-10-in-den-helder/" target="_blank">hier</a> nachlesen. Es kann heute im Museumhaven Willemsoord besichtigt werden.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Der Schiffskoch</span></i> ist 2021 als gebundene Ausgabe im mareverlag Hamburg zum Preis von 18 Euro erschienen. Ein Jahr später erschien das Buch in einer Broschurausgabe für 11 Euro im Insel Verlag.</span></p>Ina Degenaarhttp://www.blogger.com/profile/12372372085755879381noreply@blogger.com030966 Hemmingen-Arnum, Deutschland52.2964253 9.730834223.986191463821157 -25.4254158 80.606659136178848 44.887084200000004tag:blogger.com,1999:blog-6622832371304212471.post-19771992513370946552024-02-09T18:32:00.003+01:002024-02-27T18:30:24.177+01:00# 426 - Hass und Liebe während der "Troubles" in Nordirland<p><span style="font-family: verdana; font-size: large;"></span></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjsUkkMIQjoRcSNZyPrdVM7vyFe9g1V9fPKjbY7Le9GVJ05XeXn2UcEyDDIbdkoY6rmEb03GzOOqajGGAMYg_vike1DTeXNn9hdYcyN-GtZSkE-ypM4gg7gk8__FEXdBWqb6hp-XkPyE7cSehc5Qggv2lKbylAo_ZUlbccZWAxcaeDDoeK7FNhLRv8Llt8/s1951/Cover%20%C3%9Cbertretung.jpg" imageanchor="1" style="clear: right; float: right; margin-bottom: 1em; margin-left: 1em;"><img border="0" data-original-height="1951" data-original-width="1142" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjsUkkMIQjoRcSNZyPrdVM7vyFe9g1V9fPKjbY7Le9GVJ05XeXn2UcEyDDIbdkoY6rmEb03GzOOqajGGAMYg_vike1DTeXNn9hdYcyN-GtZSkE-ypM4gg7gk8__FEXdBWqb6hp-XkPyE7cSehc5Qggv2lKbylAo_ZUlbccZWAxcaeDDoeK7FNhLRv8Llt8/w234-h400/Cover%20%C3%9Cbertretung.jpg" width="234" /></a></span></div><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Louise Kennedy hat mit <i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Übertretung</span></i> ihren ersten<br /> Roman veröffentlicht - im dafür ungewöhnlichen Alter von 56 Jahren. Sie wuchs in der Nähe von Belfast auf und hat die auch als "Troubles" bezeichneten bürgerkriegsähnlichen Zustände während des Nordirlandkonflikts, um die es in ihrem Buch geht, aus erster Hand erlebt.</span><p></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Belfast, 1975: Die 24-jährige Grundschullehrerin Cushla Lavery lebt mit ihrer alkoholkranken Mutter Gina zusammen und hilft häufig im Pub ihres Bruders Eamonn aus. Der Pub befindet sich in einem Stadtteil, der überwiegend von Protestanten bewohnt wird, die Laverys sind allerdings Katholiken. Das ist mitten im Nordirland-Konflikt, in dem trotz der vereinbarten Waffenruhe täglich Attentate von beiden Seiten verübt werden, nicht einfach. Katholisch zu sein ist dort eine Sache, es zu zeigen eine andere und in dieser Gegend keine gute Idee. Niemand ist davor geschützt, nicht Opfer eines Anschlags zu werden. Wer nicht hinterrücks in seinem Haus erschossen werden will, zieht mit Einbruch der Dunkelheit die Vorhänge vor die Fenster. Schon ein geringes Fehlverhalten von pro-britischen Protestanten oder pro-irischen Katholiken kann zu einer Eskalation führen.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Cushla ist mit ganzem Herzen Lehrerin und nimmt wahr, wie belastend die ständige Gewalt um sie herum für ihre Schülerinnen und Schüler ist. Am meisten haben Kinder aus sogenannten Mischehen zu leiden, bei denen ein Elternteil katholisch und das andere protestantisch ist. Das erfährt auch der kleine Davey McGeown, dessen Klassenlehrerin Cushla ist. Sein Vater wird eines Tages derart zusammengeschlagen, dass ihn die massiven Verletzungen zu einem lebenslang behinderten Mann machen, der seine Familie nicht mehr ernähren kann. Um Davey kümmert sich Cushla besonders.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Cushla lernt während ihrer Arbeit im Pub den Prozessanwalt Michael Agnew kennen. Der Jurist ist Protestant, verheiratet, Vater eines Sohnes und etwa doppelt so alt wie die junge Frau. Er ist in Nordirland sehr bekannt, weil er vor allem Menschen verteidigt, die wegen politischer Delikte angeklagt sind. Ihre Konfession ist Michael egal. Es gibt somit genügend Gründe, zu ihm Abstand zu halten. Eigentlich. Doch zwischen Cushla und Michael beginnt eine leidenschaftliche Beziehung, die strikt geheim gehalten werden muss. Sie ahnen nicht, dass sie schon bald ins Visier genommen werden. Über ihnen braut sich ein Unheil zusammen, das sich in einem dramatischen Ereignis entlädt.</span></p><h4 style="text-align: left;"><span style="color: #0b5394; font-family: verdana; font-size: large;">Lesen?</span></h4><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Mit <i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Übertretung</span> </i>ist Louise Kennedy ein Roman gelungen, der seine Leserinnen und Leser in den Nordirland-Konflikt, der seit dem Brexit auf kleiner Flamme wieder aufgelebt ist, eintauchen lässt. Mit der verbotenen Liebe zwischen Cushla und Michael transportiert sie die damalige brisante Stimmung in Nordirland und zeigt, wie sehr der Hass das Leben der Menschen bestimmte und Menschlichkeit und Mitgefühl abschaffte.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Kennedy beleuchtet auch, inwieweit die Kirche durch ihren Einfluss auf die Bevölkerung den Konflikt befeuerte und hier in Gestalt des widerwärtigen Paters Flatterly Öl ins Feuer goss. Der Roman ist spannend geschrieben, sodass man ihn kaum aus der Hand legen mag.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Leider sind in der von mir gelesenen E-Book-Erstausgabe etliche Fehler beim Korrekturlesen übersehen worden. Das ist sehr schade, ändert aber nichts am guten Eindruck des Werks.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Übertretung</span></i> ist 2023 im Steidl Verlag erschienen und kostet als gebundene Ausgabe 25 Euro sowie als E-Book 12,99 Euro.</span></p>Ina Degenaarhttp://www.blogger.com/profile/12372372085755879381noreply@blogger.com030966 Hemmingen-Arnum, Deutschland52.2964253 9.730834223.986191463821157 -25.4254158 80.606659136178848 44.887084200000004tag:blogger.com,1999:blog-6622832371304212471.post-80825293683371232032024-02-02T17:54:00.000+01:002024-02-02T17:54:10.444+01:00# 425 - Ein Familiengeheimnis wird entschlüsselt<p><span style="font-family: verdana; font-size: large;"></span></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgqFGbRO22Gps1yWR-D0ESOYNpUET9GWlvUdZG7WED25WRshpO8h9sBNmdnhDwevh6HPtnz97WDIVCn_qHdoMaWJPgb9UnXXCeeR9pnF7Lx5rK9rX5_gVozQzsbhvdbj3zMZYB_42YzgC1P77716mg5DrXno8VeBTmNl7BG10fURxReWy0w9BSXZVNmyUg/s2433/Cover%20Die%20Farben%20des%20Sees.jpg" imageanchor="1" style="clear: right; float: right; margin-bottom: 1em; margin-left: 1em;"><img border="0" data-original-height="2433" data-original-width="1800" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgqFGbRO22Gps1yWR-D0ESOYNpUET9GWlvUdZG7WED25WRshpO8h9sBNmdnhDwevh6HPtnz97WDIVCn_qHdoMaWJPgb9UnXXCeeR9pnF7Lx5rK9rX5_gVozQzsbhvdbj3zMZYB_42YzgC1P77716mg5DrXno8VeBTmNl7BG10fURxReWy0w9BSXZVNmyUg/w296-h400/Cover%20Die%20Farben%20des%20Sees.jpg" width="296" /></a></span></div><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Matilda war zum letzten Mal vor zwanzig Jahren im Haus ihrer Großmutter Enni am Bodensee. Doch Enni ist vor Kurzem gestorben, und Matilda hat gemeinsam mit ihrer Schwester deren Haus geerbt. Matildas Mutter, Ennis Tochter, hat das Erbe ausgeschlagen. Sie wollte nichts mehr von ihrer Mutter, mit der sie seit Jahrzehnten kein Wort mehr gewechselt hatte, haben. Der Graben zwischen ihnen war offenbar zu tief.</span><p></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Rike Richstein schickt ihre Protagonistin in ihrem Roman <i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Die Farben des Sees</span></i> für eine Auszeit an den Bodensee, die Matilda helfen soll, die Trennung von ihrem Freund zu überwinden. Als sie sich in Ruhe im Haus umsieht, stellt sie fest, wie wenig sie über ihre Großmutter wusste. Die Besuche bei ihr fanden damals, als sie noch ein Kind war, ein abruptes Ende. Warum, das hat ihr nie jemand erklärt.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Und dann stößt Matilda im Nachttisch ihrer Großmutter auf das Foto eines jungen Mannes, der nicht ihr verstorbener Großvater ist. Um wen handelt es sich und warum ist dieser Mann für Enni offenbar so wichtig gewesen, dass sie dieses Bild aufbewahrt hat?</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Mit einer Mischung aus Neugier und dem Versuch, sich vom eigenen Kummer abzulenken, macht sich Matilda auf die Suche nach einer Antwort. Doch sie hätte nicht gedacht, dass sie am Ende ihrer Nachforschungen ein Familiengeheimnis aufdecken würde, das eine Erklärung für einige Ungereimtheiten, die Matilda im Laufe der Jahre aufgefallen sind, ist.</span></p><h4 style="text-align: left;"><span style="color: #0b5394; font-family: verdana; font-size: large;">Lesen?</span></h4><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Die Farben des Sees</span></i> verknüpft eine besondere Familiengeschichte mit der Atmosphäre des Bodensees, dessen Farben immer wieder anders sind und von einer Person beschrieben werden, die sich erst nach und nach als diejenige herausstellt, die ohne es zu wollen außerhalb der Familie steht.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Mir hätte das Buch noch besser gefallen, wenn die einzelnen Figuren etwas genauer herausgearbeitet geworden wären. So weiß man zum Beispiel von Matilda kaum mehr, als dass sie um das Zerbrechen ihrer Beziehung trauert und ein enges Verhältnis zu ihrer Schwester hat.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Etwas kurios ist, dass ich im Buchtext auch bei einer zweiten Durchsicht keinen Hinweis darauf gefunden habe, dass es sich bei dem beschriebenen Gewässer um den Bodensee handelt. Es ist die Rede von einem See, über den eine Fähre fährt und in dessen Nähe Berge sind. Das trifft jedoch nicht nur auf den Bodensee zu. Die einzige konkrete Benennung findet sich im Klappentext. Immerhin.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Die Farben des Sees</span></i> ist 2024 im Verlag Friedr. Stadtler Konstanz erschienen und kostet als gebundene Ausgabe mit Lesebändchen 22 Euro.</span></p>Ina Degenaarhttp://www.blogger.com/profile/12372372085755879381noreply@blogger.com030966 Hemmingen-Arnum, Deutschland52.2964253 9.730834223.986191463821157 -25.4254158 80.606659136178848 44.887084200000004tag:blogger.com,1999:blog-6622832371304212471.post-14552449241231421422024-01-28T20:17:00.000+01:002024-01-28T20:17:17.536+01:00# 424 - Reinhold Beckmann: Zwei Kriege löschten beinahe seine Familie aus<p><span style="font-family: verdana; font-size: large;"></span></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhDcp7YUnz4BFZoAAsrKTWoSmfvSfA6FNw27bSbMVz_PNJGAE8jK3HIiC8jFmQ-Duosc28TItTmWvbXZKf4mVm-VcoMs-jHLySuP095PciymvtUEhW4rbnAt53u5KYTCSr393pI2aE3vx4HiRx00oWDoa4HoadmquE46QJtpAubA1j1lCXKUJs7nmk2JHI/s2439/Cover%20Aenne%20und%20ihre%20Br%C3%BCder.jpg" imageanchor="1" style="clear: right; float: right; margin-bottom: 1em; margin-left: 1em;"><img border="0" data-original-height="2439" data-original-width="1679" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhDcp7YUnz4BFZoAAsrKTWoSmfvSfA6FNw27bSbMVz_PNJGAE8jK3HIiC8jFmQ-Duosc28TItTmWvbXZKf4mVm-VcoMs-jHLySuP095PciymvtUEhW4rbnAt53u5KYTCSr393pI2aE3vx4HiRx00oWDoa4HoadmquE46QJtpAubA1j1lCXKUJs7nmk2JHI/w275-h400/Cover%20Aenne%20und%20ihre%20Br%C3%BCder.jpg" width="275" /></a></span></div><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Reinhold Beckmann ist der breiten Öffentlichkeit vor<br /> allem als TV-Moderator und Fußballkommentator bekannt. In großen Abständen veröffentlicht er jedoch auch Bücher, die sich mit dem Blick in die Vergangenheit beschäftigen. In seinen Titeln <i>Zufall? </i>und <i>Erzähl doch mal von früher - Loki Schmidt im Gespräch mit Reinhold Beckmann</i> ging es immer um die Leben bekannter Persönlichkeiten, die mit seinem eigenen nichts zu tun hatten.</span><p></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Das ist mit seinem neuesten Buch <span style="color: #38761d;"><i style="font-weight: bold;">Aenne und ihre Brüder: Die Geschichte meiner Mutter</i> </span>völlig anders. Beckmann erzählt die Lebensgeschichte seiner Mutter, die 2019 im Alter von 98 Jahren verstarb. Ihr Leben war geprägt durch Entbehrungen, Krankheiten und Todesfälle, die im Zusammenhang mit den beiden Weltkriegen standen.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Der Zwillingsbruder ihres Vater litt seit seiner Rückkehr aus dem 1. Weltkrieg, wo er gemeinsam mit Aennes Vater im Stellungskrieg gegen Frankreich an der Front gewesen war, an einem hartnäckigen Husten. Als Aenne am 1. August 1921 in Wellingholzhausen, heute ein Ortsteil von Melle in Niedersachsen, als Schwester von drei Brüdern geboren wurde, besuchte der stolze Onkel seine Schwägerin und seine Nichte. </span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Unwissentlich steckte Aennes Onkel sie und ihre Mutter mit Tuberkulose an, an der er kurz darauf verstarb. Nur knapp acht Wochen später war auch die Mutter tot. Aenne überlebte die Krankheit knapp. Beide Todesfälle stehen in einem Zusammenhang zum Weltkrieg.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Mit fünf Jahren wurde Aenne zur Vollwaise. Sie wird drei Brüder, eine Halbschwester sowie einen Stiefbruder haben. Alle vier Brüder kommen im 2. Weltkrieg ums Leben. Reinhold Beckmann spürt seinen Onkeln, die starben, bevor sie ihre eigenen Träume leben konnten, mithilfe von Feldpostbriefen nach, die ihm seine Mutter kurz vor ihrem Tod übergeben hatte. In ihnen spiegelt sich das ganze Elend im Leben der Frontsoldaten wider. Der Jüngste, Stiefbruder Willi, wird kurz nach seinem siebzehnten Geburtstag zum Volkssturm, dem letzten Aufgebot, das den "Endsieg" bringen soll, eingezogen.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Reinhold Beckmann bettet die Geschichte der durch die Weltkriege so sehr strapazierten Familie inhaltlich in drei Teile ein: Da sind die Brüder mit ihrer Angst vor dem Tod und der immerwährenden Hoffnung, dass alles doch noch ein gutes Ende nimmt; da ist Aennes Leben in Wellingholzhausen und ihren Arbeitsstellen in der näheren Umgebung, einschließlich der Schilderung, wie sich die dortige Bevölkerung und insbesondere die Repräsentanten der katholischen Kirche angesichts der wachsenden Bedrohung durch Nationalsozialismus und Krieg verhalten haben; und schließlich ist da Beckmanns Beschreibung der historischen politischen Ereignisse und Kriegsverläufe, mit denen er seine Familiengeschichte einrahmt.</span></p><h4 style="text-align: left;"><span style="color: #0b5394; font-family: verdana; font-size: large;">Lesen?</span></h4><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Es gibt viele Familien wie die Beckmanns, in denen eine ganze Generation von Söhnen ausgelöscht wurde, weil der "Führer" auf Gedeih und Verderb sein Ziel von einer Weltmacht Deutschland durchsetzen wollte. In einer Kultur des Schweigens haben allerdings viele Nachfahren nur wenig Wissen über die näheren Umstände, unter denen man im "Dritten Reich" lebte. Das Thema totzuschweigen, war viel zu oft die Regel. Beckmanns Buch lässt das Schicksal seiner Angehörigen nah an die Leserinnen und Leser heranrücken und macht es begreifbar. Durch das wörtliche Zitieren der Feldpostbriefe der drei ältesten Brüder wird es noch authentischer. Kurz: Lest es.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Aenne und ihre Brüder: Die Geschichte meiner Mutter</span> </i>ist 2023 im Propyläen Verlag erschienen und kostet als Hardcover-Ausgabe 26 Euro sowie als E-Book 21,99 Euro.</span></p><p><br /></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><br /></span></p>Ina Degenaarhttp://www.blogger.com/profile/12372372085755879381noreply@blogger.com030966 Hemmingen-Arnum, Deutschland52.2964253 9.730834223.986191463821157 -25.4254158 80.606659136178848 44.887084200000004tag:blogger.com,1999:blog-6622832371304212471.post-13423848535845427952024-01-22T19:38:00.001+01:002024-01-22T19:38:46.145+01:00# 423 - Der Struwwelhitler - eine Parodie neu aufgelegt<p></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEi3xZS3baI_s1MOFsTAiPVKMpikVqVrI4SqbJet-C5nEPypNLpHJjuc5JEt548H4SggE4DrW4sUc4qgtZ_7ItHgTuXrrK2YeJsIBOHxvH0bJeJx7_5FHdiKbUyjvML2vy4QgpzxnYEs_PvUM_7t9yNbvxJgeaTobtk16mKQo5cvI0JKNbCUUrDng28mj4I/s2260/Cover%20Struwwelhitler.jpg" imageanchor="1" style="clear: right; float: right; margin-bottom: 1em; margin-left: 1em;"><img border="0" data-original-height="2260" data-original-width="1738" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEi3xZS3baI_s1MOFsTAiPVKMpikVqVrI4SqbJet-C5nEPypNLpHJjuc5JEt548H4SggE4DrW4sUc4qgtZ_7ItHgTuXrrK2YeJsIBOHxvH0bJeJx7_5FHdiKbUyjvML2vy4QgpzxnYEs_PvUM_7t9yNbvxJgeaTobtk16mKQo5cvI0JKNbCUUrDng28mj4I/w308-h400/Cover%20Struwwelhitler.jpg" width="308" /></a></div><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Dieses Buch ist in der Originalausgabe zum ersten Mal bereits 1941 in Großbritannien erschienen. Es trug wie die spätere deutsche Fassung den Titel <i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Struwwelhitler - A Nazi Story Book</span></i>. Als Autor wurde ein "Doktor Schrecklichkeit" angegeben, aber tatsächlich steckten die Brüder Philip und Robert Spence hinter der Parodie auf den <i>Struwwelpeter</i> von Heinrich Hoffmann. Sie gehörten zu den besten Illustratoren ihrer Zeit. Hier haben sie sich jedoch nicht auf das Zeichnen beschränkt, sondern auch für die - manchmal etwas holprigen - Verse gesorgt.</span><p></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Die Figuren und Handlungen sind Hoffmanns Werk entlehnt: Außer Adolf ist da zum Beispiel anstelle von Paulinchen mit den Streichhölzern das Gretchen mit der Hakenkreuz-Armbinde, das ihre Katzen mit Kanonenschüssen erschreckt, denn: </span></p><p style="text-align: center;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">"Ich schieße jetzt, mir ist 'ne Last<br />der Frieden in der Nachbarschaft!"</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Man ahnt, welches Ende es mit dem schießenden Gretchen nimmt.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Der <i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Struwwelhitler</span></i> war der Beitrag der Spence-Brüder zum "Daily Sketch War Relief Fund" und sollte mit seinen Übertreibungen und dem britischen Humor Hitler und sein Regime lächerlich machen. Großbritannien fühlte sich von der Übermacht des Deutschen Reiches bedrängt, und die englischen Truppen sowie die Opfer von deutschen Luftangriffen sollten mit dieser Persiflage neue Zuversicht und Hoffnung schöpfen.<br />Das Buch war von Anfang an ein großer Erfolg.</span></p><h4 style="text-align: left;"><span style="color: #0b5394; font-family: verdana; font-size: large;">Lesen?</span></h4><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"></span></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEh7YRTfzpoCjwgr7CR9KcsQomhSUTcExsE2QldkZ5mHghc1COO5AbWkMah9LffTguzCnZnGOlD1g-8B_zYGlAxVENuUDvtcI5bjxsXdyh2_Z8qVaXke9A0tvpyVhmXXa-sS2lvliiHqLjgRcrCNk69_iHKXw32LLnNaa3hfB3Vjdpj_L7dwqYJjVgoztyU/s2472/Struwwelhitler%20Seite.jpg" imageanchor="1" style="clear: right; float: right; margin-bottom: 1em; margin-left: 1em;"><img border="0" data-original-height="2472" data-original-width="1800" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEh7YRTfzpoCjwgr7CR9KcsQomhSUTcExsE2QldkZ5mHghc1COO5AbWkMah9LffTguzCnZnGOlD1g-8B_zYGlAxVENuUDvtcI5bjxsXdyh2_Z8qVaXke9A0tvpyVhmXXa-sS2lvliiHqLjgRcrCNk69_iHKXw32LLnNaa3hfB3Vjdpj_L7dwqYJjVgoztyU/s320/Struwwelhitler%20Seite.jpg" width="233" /></a></span></div><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Struwwelhitler - A Nazi Story Book</span></i> enthält einige<br /> Anspielungen auf Personen und Ereignisse, die in der Zeit des Zweiten Weltkriegs Einfluss auf das Schicksal Europas hatten. Ein paar Geschichtskenntnisse sind also hilfreich, um die Verse zu verstehen. Die Spence-Brüder haben es verstanden, sich der für ihr Heimatland bedrohlichen Situation mit britischem Humor zu nähern, sodass das Buch auch mehr als achtzig Jahre nach dem Erscheinen der Erstausgabe lesenswert ist.</span><p></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Der Autorenhaus Verlag Berlin hat den <i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Struwwelhitler</span></i> erstmals 2005 mit der deutschen Übersetzung herausgebracht. Der mir vorliegende Nachdruck stammt aus dem Jahr 2018. Der Historiker Joachim Fest, der durch seine Hitler-Biografie und mehrere Bücher über den Nationalsozialismus bekannt wurde, hat das sehr interessante Vorwort geschrieben, in dem er den <span style="color: #38761d;"><i style="font-weight: bold;">Struwwelhitler</i> </span>in den historischen Kontext einordnet.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Das Buch wird als Klappenbroschur angeboten und kostet 10 Euro.</span></p>Ina Degenaarhttp://www.blogger.com/profile/12372372085755879381noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-6622832371304212471.post-46101650664804058322024-01-12T17:18:00.000+01:002024-01-12T17:18:58.829+01:00# 422 - Wer will Inklusion und wer eher nicht?<p></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiqObm8Cs0nmYGlXmFu2s9pGvBid05z_aYF0AFJTso6ZEaei1wuulqtlhgGw6PRkJITfOO_LJhRdbX4c1GzRGqMea-2F4hluZgqxMh9XB1HaOxPvLFnYnaMtNON_pRoF5nGdwXm2nTPayx7spPotj-xd_sZEkb8x0qIEFfkmOPgTDezphsw01QJMMWRzU0/s2978/Cover%20Wer%20Inklusion%20will.jpg" imageanchor="1" style="clear: right; float: right; margin-bottom: 1em; margin-left: 1em;"><img border="0" data-original-height="2978" data-original-width="1800" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiqObm8Cs0nmYGlXmFu2s9pGvBid05z_aYF0AFJTso6ZEaei1wuulqtlhgGw6PRkJITfOO_LJhRdbX4c1GzRGqMea-2F4hluZgqxMh9XB1HaOxPvLFnYnaMtNON_pRoF5nGdwXm2nTPayx7spPotj-xd_sZEkb8x0qIEFfkmOPgTDezphsw01QJMMWRzU0/w241-h400/Cover%20Wer%20Inklusion%20will.jpg" width="241" /></a></div><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Ich bin jetzt endlich dazu gekommen, <i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Wer Inklusion<br /> will, findet einen Weg. Wer sie nicht will, findet Ausreden.</span> </i>von Raúl Aguayo-Krauthausen zu lesen. Schon aus persönlichem Interesse wollte ich wissen, was einer der bekanntesten Behindertenaktivisten Deutschlands zu diesem Thema zu sagen hat.</span><p></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Der Buchtitel sticht nicht gerade durch seine Knappheit hervor, drückt aber genau das aus, was Krauthausen und zahllose andere Menschen mit Behinderung praktisch täglich erleben. Es geht ihm jedoch nicht nur um Barrieren, denen auch Nicht-Behinderte begegnen können: Treppen oder schwierige Einstiege in öffentliche Verkehrsmittel stellen beispielsweise auch alle, die einen Kinderwagen schieben, vor Probleme. Er beschreibt in drei Kapiteln das "große Ganze", was das Leben von Behinderten in Deutschland ausmacht.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Es wird schnell deutlich, dass ein Leben mit einer Behinderung ebenso facettenreich ist wie das ohne. Wer im Alltag keinen Kontakt zu behinderten Menschen hat, der mag überrascht sein, dass sich die Problematik nicht nur um die Berollbarkeit von Wegen und Gebäuden dreht, sondern auch um Wünsche und Bedürfnisse, deren Erfüllung für Nicht-Behinderte ganz selbstverständlich ist: Inklusion findet zum Beispiel in Schulen oder bei der Berufswahl zu oft nicht oder nur eingeschränkt statt. Sehr vielen Behinderten wird außerdem keine Chance gegeben, möglichst selbstbestimmt zu wohnen oder ihre Sexualität auszuleben. Fürsorge wird dann schnell zur Bevormundung. Bestimmte Arten der Fürsorge haben außerdem einen finanziellen Aspekt, der sich für zahlreiche behinderte Menschen nachteilig auswirkt.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Krauthausen belässt es nicht bei einer Kritik des Status Quo, sondern beschäftigt sich ausführlich mit der Frage, wie sich die Inklusion von behinderten Menschen erreichen lässt. Es gibt noch einiges zu tun, aber er zitiert den spanischen Dichter Antonio Machado mit einem Satz, der auch für andere Themenfelder passt: "Wege entstehen dadurch, dass man sie geht."</span></p><h4 style="text-align: left;"><span style="color: #0b5394; font-family: verdana; font-size: large;">Lesen?</span></h4><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Wer Inklusion will, findet einen Weg. Wer sie nicht will, findet Ausreden. </span></i>sollte auch oder gerade von Menschen gelesen werden, die sich mit der Inklusion von Behinderten bislang nicht oder nur wenig beschäftigt haben. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass vieles in diesem Buch bei Leserinnen und Lesern einen "Aha-Effekt" auslöst und damit zum Verständnis beiträgt.<br />Mehrere Interviews mit Expertinnen und Experten - z. B. einer Sachverständigen für barrierefreies Bauen oder dem Vater eines Kindes mit Downsyndrom - runden den Inhalt ab.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Wer Inklusion will, findet einen Weg. Wer sie nicht will, findet Ausreden. </span></i>ist 2023 bei Rowohlt Polaris erschienen und kostet als Paperback 17 Euro sowie als E-Book 12,99 Euro.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><br /></span></p>Ina Degenaarhttp://www.blogger.com/profile/12372372085755879381noreply@blogger.com030966 Hemmingen-Arnum, Deutschland52.2964253 9.730834223.986191463821157 -25.4254158 80.606659136178848 44.887084200000004tag:blogger.com,1999:blog-6622832371304212471.post-27828705239726099012023-12-10T14:16:00.000+01:002023-12-10T14:16:25.918+01:00# 421 - Die Karriere einer Frau unterm Hakenkreuz<p><span style="font-family: verdana; font-size: large;"></span></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgaFtHlxCmhPw0AeS5nCl2Hv0q4879Mjli_UXQIOl2zx38UkZXQpb9ewuHCJWFJk9UeEe2IQLyL5DsRknTPff9jH1AQ7Eor8XvDIYOEfT33WLMCkpsSjSOCkTQqzvF1VN2A4fsopoczhL5XGUAo2t3AvbPqzsb8C3YfWMAAenSLxLYuAe19QbmhtT6QaeA/s2723/Cover%20Die%20karierten%20M%C3%A4dchen.jpg" imageanchor="1" style="clear: right; float: right; margin-bottom: 1em; margin-left: 1em;"><img border="0" data-original-height="2723" data-original-width="1720" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgaFtHlxCmhPw0AeS5nCl2Hv0q4879Mjli_UXQIOl2zx38UkZXQpb9ewuHCJWFJk9UeEe2IQLyL5DsRknTPff9jH1AQ7Eor8XvDIYOEfT33WLMCkpsSjSOCkTQqzvF1VN2A4fsopoczhL5XGUAo2t3AvbPqzsb8C3YfWMAAenSLxLYuAe19QbmhtT6QaeA/w253-h400/Cover%20Die%20karierten%20M%C3%A4dchen.jpg" width="253" /></a></span></div><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Es ist das Jahr 1999. Die 91-jährige Witwe Klara Erfurt<br /> lebt allein in ihrem Reihenhaus irgendwo in Norddeutschland. Als ihr eine ihrer Töchter erzählt, dass ihre Enkelin schwanger ist und das Kind allein großziehen will, wirft diese Nachricht die alte Dame in die Vergangenheit zurück. Sie beschließt, ihre Erinnerungen nicht mehr für sich zu behalten und auch über Dinge zu sprechen, die sie ihrer Familie bislang verschwiegen hat.</span><p></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Alexa Hennig von Lange hat mehr als 130 Tonbandkassetten abgehört, die ihre Großmutter im hohen Alter mit ihren Lebenserinnerungen besprochen hat. <i style="font-weight: bold;">Die karierten Mädchen</i> ist der erste Teil einer Trilogie, der den Zeitraum von 1929 bis etwa Mitte der 1930-er Jahre umfasst.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">1929: Klara ist Lehrerin und froh, inmitten der Wirtschaftskrise eine Stelle in der Kinderheilstätte Oranienbaum im Freistaat Anhalt bekommen zu haben. Das Heim kümmert sich sowohl um die Pflege lungenkranker Kinder als auch die Ausbildung junger Mädchen in der Haushaltsführung. <br />Klara fühlt sich dort wohl und genießt sowohl die Freiheit als auch die neuen Herausforderungen. </span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">1932 erkrankt die Heimleiterin Fräulein Martin und verstirbt. Mehrmals hatte sie Klara gegenüber ihre Sorge über die politische Entwicklung in Deutschland geäußert, aber Klara, die sich nicht für Politik interessiert und keine Zeitung liest, hatte die Bedeutung dieser Warnungen nicht nachvollziehen können - oder wollen.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Kurz vor Fräulein Martins Tod wird von der Fürsorgerin die einjährige Tolla Lewitan in das Heim gebracht. Deren jüdische Mutter will das Kind nur für kurze Zeit abgeben, doch dann erfährt Klara, dass die Frau sich das Leben genommen hat. Klara, die jeden Monat ihre fast mittellosen Eltern unterstützt, beschließt spontan, für das Mädchen zu sorgen. Doch das Kinderheim befindet sich in einer finanziellen Schieflage. Klara hat die Leitung der Einrichtung übernommen. Die einzige Rettung, die sie erkennt, ist die Übernahme des Hauses durch die nationalsozialistische Regierung. Als Klara endlich realisiert, dass die Nationalsozialisten alle Juden und alles Jüdische ausmerzen wollen, begreift sie, in welchem Dilemma sie sich befindet. Kurzentschlossen verbrennt sie Tollas Geburtsurkunde, um deren Herkunft zu verschleiern, und gibt sie als ihre Tochter aus.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Die Landesregierung will aus dem Kinderheim eine Vorzeigeeinrichtung machen und sie so umgestalten, wie "der Führer" sich diese vorstellt. Die Erziehung soll nach nationalsozialistischen Prinzipien erfolgen, die Kleidung der Mädchen einheitlich sein: karierte Kleider im Dirndlstil.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Als sie während einer Zugfahrt den etwas jüngeren Gustav kennenlernt, bekommt ihr Leben allmählich eine etwas andere Richtung. Der junge Mann ist ihr eine große Stütze. Doch die Situation wird für Klara als Tollas "Mutter" immer bedrohlicher und sie fasst einen Entschluss, der ihr Leben und vor allem das des Mädchens völlig verändert.</span></p><h4 style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Lesen?</span></h4><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Alexa Hennig von Lange merkt in ihrem Nachwort an, dass ihre Großmutter in ihren Aufzeichnungen Ereignisse wie zum Beispiel den Brandanschlag auf die Wörlitzer Synagoge ausließ. Der Ort ist nur wenige Minuten von Oranienbaum entfernt, es kann ihr nicht entgangen sein. Ihr Entsetzen über den Brand der Dessauer Synagoge, den Klara zufällig miterlebt, schildert sie hingegen. Warum hat die Großmutter hier einen Unterschied gemacht? <br /></span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Die auf Tonbandkassetten gebannten Erinnerungen offenbaren hier einen großen Unterschied zu einem Interview: Nachfragen sind nicht möglich. Hennig von Lange musste mit dem leben, was sie vorfand. Ihr im Nachwort formulierter Wunsch, mit ihrer Großmutter ins Gespräch zu kommen, kann über die Aufzeichnungen nicht erfüllt werden.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Die Figur des Mädchens Tolla hat die Autorin allerdings hinzugefügt. Sie begründet das so: "Ich wollte den Schmerz erfahrbar machen, der entsteht, wenn ein Mensch, eine ganze Gesellschaft sich gegen die Menschlichkeit wendet. [...] Allein ins Ungewisse fortgeschickt, symbolisiert es [Anm.: das Mädchen Tolla] für mich den Verlust der Unschuld."</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><i style="font-weight: bold;">Die karierten Mädchen</i> ist eine interessante Umsetzung eines deutschen Lebens während der Nazi-Diktatur, aber es bleiben Fragen offen. Alexa Hennig von Lange beschreibt die politische Naivität ihrer Großmutter, ob deren Vorbehalte gegenüber den Nationalsozialisten jedoch tatsächlich so groß waren, kann wohl nicht mehr beantwortet werden.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><i style="font-weight: bold;">Die karierten Mädchen </i>ist 2022 im DuMont Buchverlag erschienen und kostet als Hardcover 22 Euro, als Taschenbuch 13 Euro sowie als E-Book 9,99 Euro. </span></p>Ina Degenaarhttp://www.blogger.com/profile/12372372085755879381noreply@blogger.com030966 Hemmingen-Arnum, Deutschland52.2964253 9.730834223.986191463821157 -25.4254158 80.606659136178848 44.887084200000004tag:blogger.com,1999:blog-6622832371304212471.post-75546412411958487192023-12-03T19:35:00.000+01:002023-12-03T19:35:41.154+01:00# 420 - Rezitativ - Ein Spiel mit Erwartungen<p><span style="font-family: verdana; font-size: large;"></span></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjm_Lin6bibiUjTHM7gXO0WR_n6GUDgWefyLAupGVaNHfkp5Q1F8RvosCgHnPlQ__W1GbA59bKeH6emKqCOoo60Fp0W0p9J-uzs4TRYF7Y_fJOsfYX7FIxHFljI17Am9ZMEPSDp71SxXpBeEXCGWszPfW6i1mv1DTp00ZQhB8LUo8tjy3Y9AMcREGz2Dto/s2336/Cover%20Rezitativ.jpg" imageanchor="1" style="clear: right; float: right; margin-bottom: 1em; margin-left: 1em;"><img border="0" data-original-height="2336" data-original-width="1777" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjm_Lin6bibiUjTHM7gXO0WR_n6GUDgWefyLAupGVaNHfkp5Q1F8RvosCgHnPlQ__W1GbA59bKeH6emKqCOoo60Fp0W0p9J-uzs4TRYF7Y_fJOsfYX7FIxHFljI17Am9ZMEPSDp71SxXpBeEXCGWszPfW6i1mv1DTp00ZQhB8LUo8tjy3Y9AMcREGz2Dto/w304-h400/Cover%20Rezitativ.jpg" width="304" /></a></span></div><span style="font-family: verdana; font-size: large;">1983 erschien mit <i>Recitatif</i> die einzige Erzählung der<br /> späteren Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison in einer Anthologie. Erst in diesem Jahr wurde die deutsche Übersetzung unter dem Titel <i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Rezitativ</span> </i>herausgegeben.</span><p></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><i>Meine Mutter tanzte die ganze Nacht, und die von Roberta war krank. Darum wurden wir ins St. Bonny's gebracht.</i></span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Das ist der Einstieg in die Erzählung, und er stammt von der achtjährigen Twyla, der mit der gleichaltrigen Roberta ein gemeinsames Zimmer in einem Kinderheim zugewiesen wird. Schon in dieser Einleitung liegt eine große Tragik: Die beiden Mädchen müssen ihre Zuhause nicht deshalb verlassen, weil sie Waisen wären, sondern weil man sich dort nicht um sie kümmern kann.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Morrison stellt schnell klar, dass eines der Mädchen weiß und das andere schwarz ist. Es bleibt jedoch unklar, welchem Kind sie welche Hautfarbe zuweist. Aber ist das denn wichtig? Morrisons Spiel mit vermeintlichen Hinweisen hat etwas Entlarvendes: Sie hält ihren Leserinnen und Lesern den Spiegel vor, indem sie demonstriert, wie viele Vorurteile diese gegenüber den Menschen mit der einen oder anderen Hautfarbe (mutmaßlich) haben.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Roberta und Twyla bilden im Kinderheim so etwas wie eine Notgemeinschaft. Die anderen Mädchen sind schon länger im Heim und älter als sie, sodass die beiden versuchen, ihnen aus dem Weg zu gehen, um nicht zu Mobbingopfern zu werden.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Doch dann ereignet sich etwas, was Roberta und Twyla zunächst unwichtig finden. Die Küchenhilfe Maggie stürzt im Obstgarten des Heims. Maggie hat starke O-Beine und kann nicht sprechen. Sie ist ohnehin Zielscheibe des Spotts der großen Mädchen, aber an diesem Tag wird sie von ihnen ausgelacht. Aus Angst vor den älteren Mädchen trauen sich Twyla und Roberta nicht, der Frau auf die Beine zu helfen.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Als die beiden Mädchen kurz nacheinander das Heim verlassen und zu ihren Müttern zurückkehren, verlieren sie sich sofort aus den Augen. Aber im Laufe der Jahre begegnen sie sich mehrmals zufällig, und immer steht das Ereignis um die Küchenhilfe Maggie zwischen ihnen: Die nun erwachsenen Frauen erinnern sich ganz unterschiedlich an das, was nach deren Sturz geschah und machen sich gegenseitig Vorwürfe.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Doch nicht nur die Erinnerung an die Zeit im Heim trennt sie, sondern ihre Zugehörigkeit zu verschiedenen sozialen Schichten, die ihnen schon damals in St. Bonny's aufgefallen ist. Aus der Not-Freundschaft von einst entwickelt sich eine ambivalente Bekanntschaft, die zum Schluss um die Frage kreist, ob Maggie schwarz oder weiß gewesen ist.</span></p><p></p><h4 style="text-align: left;"><span style="color: #0b5394; font-family: verdana; font-size: large;">Lesen?</span></h4><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Im von Zadie Smith stammenden Nachwort beschreibt die britische Schriftstellerin, dass sie sich beim Lesen von <i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Rezitativ</span> </i>ebenfalls af die Suche nach "eindeutigen" Hinweisen auf die jeweilige Hautfarbe von Roberta und Twyla begeben hat und gescheitert ist.<br />"Wir hören Twyla sprechen, und wir hören Roberta sprechen, und obwohl sie sich klar voneinander unterscheiden, sind wir doch nicht in der Lage,<i> den einen Unterschied zu entdecken, den wir eigentlich entdecken wollen", </i>gibt sie zu.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Auch der Versuch, anhand der Beschreibung der Mütter der Mädchen zu einem Ergebnis zu kommen, scheitert. Smith' Schlussfolgerung ist eine Einladung, ebenfalls zu versuchen herauszufinden, welches der beiden Mädchen eine schwarze bzw. weiße Hautfarbe hat:<br />"<i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Rezitativ</span></i> ruft mir in Erinnerung, dass es keine wesenhaft schwarze oder weiße Qualität ist, arm zu sein, unterdrückt, unbedeutend, ausgebeutet, missachtet."</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Rezitativ</span></i> ist 2023 in der Übersetzung von Tanja Handels im Rowohlt Verlag erschienen und kostet als gebundenes Buch 20 Euro sowie als E-Book 17,99 Euro.</span></p><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><br /></span><p></p>Ina Degenaarhttp://www.blogger.com/profile/12372372085755879381noreply@blogger.com030966 Hemmingen, Deutschland52.2964253 9.730834223.986191463821157 -25.4254158 80.606659136178848 44.887084200000004tag:blogger.com,1999:blog-6622832371304212471.post-77815920867461187892023-11-26T22:17:00.000+01:002023-11-26T22:17:58.379+01:00# 419 - Solmeckes juristischer Adventskalender<p></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiCZZansvg8HEZIQSKBK5NoN5DJi_RVXceJdIrRsRjCDYPef0dc3mk4eneVCyKyNtHsbqfNKKXLg0gHWwyoCItcQ37AaVRR-sXKPBkj9jPSwZYO6UnzYv1oiLkcTv8uzL0Vo2ZjxwhnjSxOTJaZoJiaspHyJ02PXEyXVUuI-F1afbrEifg-lDhtmHzcjZE/s1693/Cover%20Recht%20besinnlich.jpg" imageanchor="1" style="clear: right; float: right; margin-bottom: 1em; margin-left: 1em;"><img border="0" data-original-height="1451" data-original-width="1693" height="343" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiCZZansvg8HEZIQSKBK5NoN5DJi_RVXceJdIrRsRjCDYPef0dc3mk4eneVCyKyNtHsbqfNKKXLg0gHWwyoCItcQ37AaVRR-sXKPBkj9jPSwZYO6UnzYv1oiLkcTv8uzL0Vo2ZjxwhnjSxOTJaZoJiaspHyJ02PXEyXVUuI-F1afbrEifg-lDhtmHzcjZE/w400-h343/Cover%20Recht%20besinnlich.jpg" width="400" /></a></div><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Christian Solmecke ist Rechtsanwalt und vielen YouTube-Nutzern durch seinen Kanal <a href="https://www.youtube.com/@wbs_legal" target="_blank">WBS LEGAL</a> bekannt. Dort nimmt er zu Rechtsfragen Stellung, die ein breites Publikum interessieren. Fast 950.000 Abonnenten sind ein deutliches Indiz, wie groß das Interesse an juristischen Alltagsfragen ist.</span><p></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Mit seinem Buch <i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Recht besinnlich - Der juristische Adventskalender</span></i> richtet sich Solmecke an alle, die sich die Zeit bis zum Weihnachtsfest nicht mit dem täglichen Verzehr von Süßigkeiten vertreiben wollen, sondern ihren juristischen Horizont erweitern möchten. Solmecke geht dabei durchaus kreativ vor. An manchen Tagen nimmt er die Weihnachtsgeschichte genauer unter die Lupe und fragt seine Leserinnen und Leser, wie sie den einen oder anderen Sachverhalt mithilfe ihres sog. Bauchgefühls beurteilen würden: Stören Engel durch ihr unkoordiniertes Herumfliegen den Luftraum? Durfte der unfreundliche Herbergsvater Maria und Josef seines Hauses verweisen, obwohl sie sich in einer Notlage befanden? </span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Selbstverständlich wird jede dieser Rechtsfragen von Solmecke beantwortet, sodass nichts unklar bleibt. Aber ich verrate nicht zu viel, wenn ich sage, dass das Bauchgefühl bei juristisch strittigen Sachverhalten nicht der beste Ratgeber ist.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Solmecke belässt es in seinem besonderen Adventskalender aber nicht bei der Weihnachtsgeschichte, sondern wendet sich auch Ereignissen zu, die in den letzten Jahren stattgefunden und einen Bezug zum christlichen Glauben haben. Da ist die das Wort "Jesus" enthaltende Grußformel eines Callcenter-Mitarbeiters ebenso zu nennen wie der Tod eines evangelikalen Missionars, der sich dazu berufen fühlte, trotz eines Kontaktverbots der indischen Regierung die völlig von der Außenwelt isoliert lebenden Sentinelesen zu bekehren. Er schlug nicht nur das Regierungsverbot, sondern auch die unübersehbar ablehnende Reaktion der Bewohnerinnen und Bewohner auf North Sentinel Island in den Wind. Die juristische Frage, die sich nun stellt: Kann man die Sentinelesen für die Tötung des Missionars zur Rechenschaft ziehen?</span></p><h4 style="text-align: left;"><span style="color: #0b5394; font-family: verdana; font-size: large;">Lesen?</span></h4><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Recht besinnlich - Der juristische Adventskalender</span></i> ist eine unterhaltsame Abwechslung zu den üblichen Adventskalendern und beweist, dass Jura nicht "trocken" sein muss.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Das Buch ist 2023 bei Yes Publishing erschienen und kostet 12 Euro.</span></p>Ina Degenaarhttp://www.blogger.com/profile/12372372085755879381noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-6622832371304212471.post-29815797489220984562023-11-19T17:58:00.002+01:002023-11-21T18:37:50.944+01:00# 418 - Von Menschen und Krähen<p><span style="font-family: verdana; font-size: large;"></span></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgNNkQ9D_TkrVcDIWAM-fxly7vKjrZfOLvInNe-UMIrqI7KfIvCbapx-eh6aWg7Wu4a4K5V_AecDPC3DHZxDnbU38cXnDoJXrGGhiCN_oWLp5wJfKBNlCqxhkXZf8uT3WrwncnfvabwhwA0jGvtgA2ajoMFSvyKthrUM2Hk-wFm2C3FfxTmkvkhUleEf-w/s2904/Cover%20Kleine%20Schule%20des%20Fliegens.jpg" style="clear: right; float: right; margin-bottom: 1em; margin-left: 1em;"><img border="0" data-original-height="2904" data-original-width="1710" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgNNkQ9D_TkrVcDIWAM-fxly7vKjrZfOLvInNe-UMIrqI7KfIvCbapx-eh6aWg7Wu4a4K5V_AecDPC3DHZxDnbU38cXnDoJXrGGhiCN_oWLp5wJfKBNlCqxhkXZf8uT3WrwncnfvabwhwA0jGvtgA2ajoMFSvyKthrUM2Hk-wFm2C3FfxTmkvkhUleEf-w/w235-h400/Cover%20Kleine%20Schule%20des%20Fliegens.jpg" width="235" /></a></span></div><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Der Schriftsteller Alexander Höch hat gerade eine<br /> Chemotherapie hinter sich. Aber anstatt sich um ihn zu kümmern, beschließt seine Frau Eva, gerade jetzt das gemeinsame Haus renovieren zu lassen. Alexander wird in der Wohnung seines Bruders Georg untergebracht, der gerade auf Reisen ist. Eva duldet keinen Widerspruch, die dominante Psychotherapeutin weiß, wie sie ihren Mann "überzeugen" kann. Christina Walker gibt in ihrem Roman <i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Kleine Schule des Fliegens</span></i> einen tiefen Einblick in den Seelenzustand eines Mannes, der eine große Lebenskrise (vorläufig) überstanden hat und sich ungewollten neuen Herausforderungen gegenübersieht.</span><p></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Alexander fühlt sich abgeschoben, lästig und alleingelassen. Georgs Wohnung ist ihm fremd. Fremd ist ihm auch Melitta Müller, die immer wieder kurz vorbeikommt, um die Blumen zu gießen, ein bisschen zu putzen und kleine Besorgungen zu erledigen. Sie steht jedes Mal unverhofft in der Wohnung, was Alexander als ein Eindringen in seine Privatsphäre empfindet. Melitta behauptet jedoch jedes Mal, vorher geklingelt zu haben.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Eine Abwechslung bieten die Krähen, die auf der gegenüberliegenden Platane dabei sind, Nester zu bauen. An den Tieren scheiden sich allerdings die Gemüter der Nachbarschaft: Bewohnerinnen und Bewohner eines Altenheims füttern die Vögel heimlich, andere Nachbarn - allen voran Melitta - setzen alles daran, sie zu vertreiben.<br /></span></p><div style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><i>"Das ist eine der schönsten Straßen der Stadt", sagte die Frau mit den kurzen blonden Haaren, "eine Krähenkolonie hat hier einfach keinen Platz." <br /></i>Kommt einem dieser Satz nicht aus anderen Zusammenhängen bekannt vor?</span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><br /></span></div><div style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><span>Es ist Eile geboten, denn sobald die Nester fertig sind, müssen die Krähen in Ruhe gelassen werden. Der Eifer der Krähengegner scheint keine Grenzen zu kennen: Es beginnt mit einem gelben Vergrämungsballon, der in den Zweigen der Platane hängt und dessen eckige Augen den Krähen Angst machen sollen. Statt weniger kommen jedoch mehr von ihnen. </span>Die Krähenhasser versuchen es mit dem gesamten Sortiment des Vergrämungsmarktes, haben aber keinen Erfolg. Eines Morgens findet Alexander auf dem Küchentisch einen Revolver. Er gehört Melitta, die auch die passende Schreckschussmunition dabei hat. </span></div><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><i>"Wo sich eine Saatkrähe niederlässt", erwiderte Melitta Miller, "folgen bald die nächsten. Das ist der Beginn einer Migrationsbewegung, wenn wir nichts tun." </i></span></p><h4 style="text-align: left;"><span style="color: #0b5394; font-family: verdana; font-size: large;">Lesen?</span></h4><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Kleine Schule des Fliegens</span></i> ist ein sensibler Roman über die Einsamkeit eines Menschen und die Parallelen zwischen zwischen dem Wesen Alexanders und dem der Krähen. Nicht zuletzt verbirgt sich in dem Roman auch eine Portion Gesellschaftskritik, die aber nicht mit dem erhobenen Zeigefinger daherkommt.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Kleine Schule des Fliegens</span></i> ist 2023 im Braumüller Verlag erschienen und kostet in der gebundenen Ausgabe 22 Euro. Das Buch stand auf der Longlist des Österreichischen Buchpreises 2023.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><br /></span></p>Ina Degenaarhttp://www.blogger.com/profile/12372372085755879381noreply@blogger.com030966 Hemmingen, Deutschland52.2964253 9.730834223.986191463821157 -25.4254158 80.606659136178848 44.887084200000004tag:blogger.com,1999:blog-6622832371304212471.post-29403359807549479362023-11-12T15:17:00.000+01:002023-11-12T15:17:12.114+01:00# 417 - Männer töten<p><span style="font-family: verdana; font-size: large;"></span></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhystpOeBsNYyhxznnz1jmBnU1D_HWRnu_6CktgOwPc_Zzr1yLZLtC-97PaTLNKZQzlAqrONRt3fyKARb_ocSZZAdwuykwowyCLgJCzdEuXOIVX-Lxuz3orBZKDveGBXi0S6LhGELv_SbiEIlA5g1CR8T0mEFw5KeRK6qohL7_gcwGTrgryEzbM-amEYjg/s2368/Cover%20M%C3%A4nner%20t%C3%B6ten.jpg" imageanchor="1" style="clear: right; float: right; margin-bottom: 1em; margin-left: 1em;"><img border="0" data-original-height="2368" data-original-width="1800" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhystpOeBsNYyhxznnz1jmBnU1D_HWRnu_6CktgOwPc_Zzr1yLZLtC-97PaTLNKZQzlAqrONRt3fyKARb_ocSZZAdwuykwowyCLgJCzdEuXOIVX-Lxuz3orBZKDveGBXi0S6LhGELv_SbiEIlA5g1CR8T0mEFw5KeRK6qohL7_gcwGTrgryEzbM-amEYjg/w304-h400/Cover%20M%C3%A4nner%20t%C3%B6ten.jpg" width="304" /></a></span></div><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Absicht oder Zufall? Je nachdem, ob man im Titel von Eva Reisingers Debütroman <i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Männer töten</span></i> das erste oder zweite Wort betont, ergibt sich ein völlig entgegengesetzter Sinn. Grund genug, sich dieses Buch genauer anzusehen.</span><p></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Anna Maria ist 30 Jahre alt, Österreicherin und lebt in Berlin. Sie arbeitet seit drei Jahren für ein Praktikantinnen-Salär in einer Agentur für Online-Marketing und hat in der Hoffnung, dort beruflich aufsteigen zu können, ihr Studium geschmissen. Sie hat in Berlin zwei enge Freundinnen, fühlt sich dort aber immer unwohler. Die On-Off-Beziehung mit dem selbstbezogenen Friedrich ist eine Belastung. Anna Marias Leben fühlt sich an, als sei es in einer Sackgasse. </span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">In dieser Situation lernt sie in einem Club Hannes kennen. Er ist ebenfalls Österreicher und hat in dem abgelegenen oberösterreichischen Dorf Engelhartskirchen den Hof der Eltern übernommen. Kurz, nachdem die beiden einen One-Night-Stand haben, hat Anna Maria einen Fahrradunfall. Der einzige, der ihr auf die Frage des Krankenhausarztes: "Wer kann sie abholen?" einfällt, ist Hannes.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Anna Marias neues Leben beginnt in Engelhartskirchen an Hannes' Seite. Insbesondere die Frauen des Dorfes nehmen sie in ihrer Mitte auf. Gleich zu Beginn wird sie zum Junggesellinnenabschied von Sabine und Josepha eingeladen, dessen wichtigstes Merkmal der maßlose Alkoholkonsum ist. Anna Maria registriert zunächst alles, was ein österreichisches Dorf klischeehaft ausmacht: die idyllische Landschaft, die Kühe auf den Weiden, die Kirche. Doch dann wundert sie sich über die ihr fremden Gepflogenheiten wie die Arbeit der selbsternannte Pastorin, aber nach und nach begreift sie, was diesen Ort von allen anderen im Land unterscheidet: Hier wird das Matriarchat gelebt, und zwar bis zur letzten Konsequenz. Im Kampf gegen die Unterdrückung von Frauen hält die weibliche Dorfgemeinschaft eisern zusammen: die mit Verächtlichmachung gepaarte Homophobie des Hausarztes, Friedrichs in einer Vergewaltigung mündendes Stalking, ein der Frauengemeinschaft gefährlich werdender Journalist... Sie alle geben Anlässe, sich gegen Männer zu wehren. </span></p><h4 style="text-align: left;"><span style="color: #0b5394; font-family: verdana; font-size: large;">Lesen?</span></h4><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Es ist nicht schwer zu erkennen, welchen roten Faden Eva Reisinger in ihrem Roman verfolgt. In Engelhartskirchen wird die Umkehrung des andernorts vorherrschenden Patriarchats gelebt. Eines Patriarchats, das in Österreich zu durchschnittlich einem Femizid alle zwei Wochen und jährlich 50 Mordversuchen an Frauen führt. In Deutschland verliert im Durchschnitt alle drei Tage eine Frau durch einen Femizid ihr Leben.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Im Unterschied zu den Männern, die einen (versuchten) Femizid begehen, weil sie Frauen nicht als gleichwertig ansehen, verachten die Frauen von Engelhartskirchen die Männer jedoch nicht grundsätzlich. Sie haben allerdings kollektiv beschlossen, sich nicht mehr kleinmachen zu lassen. Und wenn das doch passiert...</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Männer töten</span></i> ist ein gedankliches Experiment, das nicht zur Selbstjustiz aufrufen will. Der Roman dient eher dazu, der Gesellschaft - insbesondere dem männlichen Teil - den Spiegel vorzuhalten. Das hat das Buch sehr gut geschafft. Das schien auch die Jury des Österreichischen Buchpreises so zu sehen, das den Titel auf die Shortlist des Debütpreises 2023 setzte.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Männer töten</span></i> ist 2023 im Leykam Verlag erschienen und kostet als gebundene Ausgabe 24 Euro sowie als E-Book 18,99 Euro.</span></p>Ina Degenaarhttp://www.blogger.com/profile/12372372085755879381noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-6622832371304212471.post-811926629161954002023-11-05T15:37:00.000+01:002023-11-05T15:37:58.097+01:00# 416 - Ein Sommer vor 50 Jahren<p><span style="font-family: verdana; font-size: large;"></span></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhSd3XjuObXcxQcvJvfn3GDV6NiVVEMdbqY_u4LpBxm1p_oUcSj9GsIn2S5E9yN6u7nASkqiEHFRLVHuJ7PcQLUZZBP07OIgXANMCcdqD877zN4iSC8p2vAQxpHYjV-BfesL5oUoVL6L55ZkkL4gsu8zzp7pTPLBvFBJxKrj5n_GylS95-LwNdCITXmuB4/s608/Cover%20Doppler3.jpg" style="clear: right; float: right; margin-bottom: 1em; margin-left: 1em;"><img border="0" data-original-height="608" data-original-width="469" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhSd3XjuObXcxQcvJvfn3GDV6NiVVEMdbqY_u4LpBxm1p_oUcSj9GsIn2S5E9yN6u7nASkqiEHFRLVHuJ7PcQLUZZBP07OIgXANMCcdqD877zN4iSC8p2vAQxpHYjV-BfesL5oUoVL6L55ZkkL4gsu8zzp7pTPLBvFBJxKrj5n_GylS95-LwNdCITXmuB4/w309-h400/Cover%20Doppler3.jpg" width="309" /></a></span></div><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Thomas Oláh, der in der Film- und Theaterbranche als Kostüm- und Bühnenbildner bekannt ist,</span> <span style="font-family: verdana; font-size: large;">hat mit <i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Doppler</span></i> sein Romandebüt veröffentlicht.</span><p></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Sein namenloser Ich-Erzähler ist ein Junge, der an einem Sommertag mit seinen Eltern und seinem kleinen Bruder mit dem Auto ins Wochenende fährt. Doch die Familie wird ihr Ziel nicht erreichen: Der Wagen kommt von der Straße ab, überschlägt sich und bleibt auf dem Dach liegen. Der Junge hat, wie er im Krankenhaus erfährt, eine Gehirnerschütterung. Was aus den Eltern und dem Bruder geworden ist, erfährt er nicht. Ein Onkel holt ihn aus dem Krankenhaus ab und bringt ihn zu seinen Großeltern, die er kaum kennt.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Die Handlung spielt 1970 im fiktiven österreichischen Dorf Frankenhayn, in dem die Großeltern des Jungen und weitere Verwandte wohnen. Der Ort ist geprägt vom Weinanbau. Oláh beschreibt das Leben der österreichischen Landbevölkerung, wie es vor rd. 50 Jahren auch in Deutschland oft üblich war. Es werden nicht mehr Worte als nötig gemacht, dem sozialen Miteinander haftet etwas Archaisches an, Zärtlichkeiten gibt es nicht. <br />Die oft grausame Art, mit Menschen und Tieren umzugehen, findet ihre Erklärung in der Geschichte und den Erfahrungen jedes einzelnen Familienmitglieds, wobei Oláh den Bogen in seinem Roman bis zurück in die Zeit unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs spannt. Der Hang zur Brutalität wird an die nächste Generation, hier an die beiden Cousins des Jungen, weitergegeben.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Die Großeltern werden als gefühlte Konstante von allen nachfolgenden Generationen mit "Mutter" und "Vater" angesprochen, ebenso konstant ist die Möblierung: Die beiden Alten schlafen in kastenähnlichen Bauernbetten mit hohen Rahmen, die von dem Jungen als Sarkophage bezeichnet werden.<br />Der Katholizismus wird mit seinen Ritualen gelebt, ihm haftet jedoch etwas Bigottes an. <br />Das Leben ist vom Rhythmus der anstehenden Arbeiten und vom ausgiebigen Verkosten des selbst hergestellten Weins geprägt, der in großen Zweiliter-Flaschen, den Dopplern, abgefüllt wird. Dieses Verkosten folgt ebenso wie der katholische Glauben festen Abläufen.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Und dann ist da das Gefühl des Jungen, von seiner Familie, die mit ihm verunglückt ist, vergessen worden zu sein: Eines Nachts bemerkt er die Gespräche der Erwachsenen, die wie dort üblich nur aus einzelnen Worten und Halbsätzen bestehen. Er sieht seinen Vater und seinen kleinen Bruder, die beiden scheinen gemeinsam mit den Großeltern die Mutter besuchen zu wollen. Der Junge ist jedoch nicht sicher, niemand spricht mit ihm darüber oder tröstet ihn. Er hat keine Ahnung, wie lange er in Frankenhayn bleiben muss und wie es mit ihm weiter geht.</span></p><h4 style="text-align: left;"><span style="color: #0b5394; font-family: verdana; font-size: large;">Lesen?</span></h4><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Thomas Oláh ist im selben Jahr geboren wie ich. Vieles von dem, das er beschreibt, habe ich so oder so ähnlich selbst in Erinnerung. Oláh schafft es sehr gut, die Haltlosigkeit des in dem Winzerdorf gestrandeten Jungen zu dokumentieren, sodass man durchweg auch in den positiven Szenen Mitgefühl empfindet.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Oláh setzt neben dem Jungen einen Erzähler ein, der die ihm unbekannten Familienhintergründe beschreibt. Dadurch geraten Leserinnen und Leser in die etwas kuriose Situation, dass sie im Gegensatz zur Hauptfigur, dem Jungen, das große Ganze überblicken, das Kind jedoch keine Chance hat, das ebenfalls zu tun und Zusammenhänge zu verstehen.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Unverständlich bleibt, dass der Junge ein sehr guter Beobachter ist und das Erlebte in seiner Rolle als Erzähler in passende Worte kleiden kann, er aber nicht den Antrieb aufbringt, Fragen nach seinen Eltern und seinem Bruder sowie seiner eigenen Zukunft zu stellen.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Thomas Oláh hat in drei eigenen Kapiteln Texte über heute (fast) vergessene Forscher oder Künstler eingefügt: Nikolaus Winkel (Erfinder des Metronoms), Christian Doppler (Entdecker des nach ihm benannten Doppler-Effekts) und Marcel </span><span style="background-color: white; color: #202122;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Mariën (belgischer Schriftsteller und Kunstkritiker). Den Zusammenhang zwischen der Handlung und den drei Männern konnte ich nur mühsam konstruieren, die Exkurse lenkten von der eigentlichen Handlung eher ab.</span></span></p><p style="text-align: left;"><span style="background-color: white;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><span style="color: #202122;">Insgesamt hinterlässt </span><i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Doppler</span></i><span style="color: #202122;"> bei mir einen zwiespältigen Eindruck. Den im Klappentext angekündigten Humor habe ich nicht wahrgenommen, über die über der Kernhandlung stehenden Themen wurde in den letzten Jahren bereits oft geschrieben. Der Roman ist trotz dieser Kritik interessant geschrieben und bringt für alle, denen das Landleben vor 50 Jahren und die Prägungen durch den Zweiten Weltkrieg noch fremd ist, etliche Erkenntnisse.</span></span></span></p><p style="text-align: left;"><span style="background-color: white;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Doppler</span> </i><span style="color: #202122;">ist 2023 im Verlag Müry Salzmann erschienen und kostet als gebundene Ausgabe 24 Euro.</span></span></span></p><p style="text-align: left;"><span style="background-color: white; color: #202122;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Der Roman stand auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2023 und ist im Rahmen des Österreichischen Buchpreises für den Debütpreis nominiert.</span></span></p><p><br /></p>Ina Degenaarhttp://www.blogger.com/profile/12372372085755879381noreply@blogger.com030966 Hemmingen, Deutschland52.2964253 9.730834223.986191463821157 -25.4254158 80.606659136178848 44.887084200000004tag:blogger.com,1999:blog-6622832371304212471.post-765440227864974152023-10-30T17:06:00.000+01:002023-10-30T17:06:33.863+01:00# 415 - Der diesjährige Gewinner des Deutschen Buchpreises: Wie überzeugend ist "Echtzeitalter"?<p><span style="font-family: verdana; font-size: large;"></span></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEie35I8Uxc43NBf0KdYRcj96AL_tygE5lL_kQogxHVvXYpQ1XdYNgOIY1jSd2IBsmv16xXwCYON3quACxkElexZRmGdZAPf9egME5GqCweMnwKQrfa91fxiHcauxVUJMww9Aj7ZPv0KNPiKXLpMnI6noAkmblGfvQJcSEmbrZDZhplnind8IFx9v_t0Sv8/s2417/Cover%20Echtzeitalter.jpg" style="clear: right; float: right; margin-bottom: 1em; margin-left: 1em;"><img border="0" data-original-height="2417" data-original-width="1728" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEie35I8Uxc43NBf0KdYRcj96AL_tygE5lL_kQogxHVvXYpQ1XdYNgOIY1jSd2IBsmv16xXwCYON3quACxkElexZRmGdZAPf9egME5GqCweMnwKQrfa91fxiHcauxVUJMww9Aj7ZPv0KNPiKXLpMnI6noAkmblGfvQJcSEmbrZDZhplnind8IFx9v_t0Sv8/w286-h400/Cover%20Echtzeitalter.jpg" width="286" /></a></span></div><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Mit seinem Debütroman <i><span style="color: #38761d;">Nicht wie ihr</span></i> hatte es Tonio<br /> Schachinger 2019 auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises geschafft, mit <i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Echtzeitalter</span></i> hat er den Preis in diesem Jahr gewonnen. Doch worum geht es in dem Roman?</span><p></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Till Kokorda besucht eine Wiener Eliteschule. Sein Klassenlehrer wird während der folgenden acht Jahre der konservative, despotische und von sich eingenommene Bruno Dolinar sein. Aus Sicht der Klasse hat der Lehrer nicht nur äußerlich Ähnlichkeit mit Lord Voldemort.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Die Schule ist in der ehemaligen Sommerresidenz der Habsburger untergebracht, das Schulklima passt perfekt zu dem alten Gebäude: Die Lehrkräfte sehen ihre Aufgabe darin, die Schülerinnen und Schüler auf das BWL-, Medizin- oder Jurastudium vorzubereiten. Diese kommen überwiegend aus reichen Familien, viele haben Eltern oder Großeltern, die in Österreich Ansehen und Einfluss haben oder hatten.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Till besucht die Schule mit gebremstem Ehrgeiz. Seine Leidenschaft gilt dem Echtzeit-Strategiespiel <i>Age of Empires 2</i>, in dem er mit der Zeit so gut wird, dass er zu den weltweiten Top 10-Spielern aufsteigt. In seinem Umfeld weiß lange jedoch nur sein Freund Georg davon, der ebenfalls ein Fan des Spiels ist, an Tills Fähigkeiten aber nicht heranreicht.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Till lebt mit seiner Mutter zusammen. Sein Vater ist verstorben, als Till 14 war. Das Spielen füllt Tills gesamte Freizeit aus. Gespräche mit der Mutter, die keine Ahnung hat, was ihr Sohn da an seinem Computer macht, beschränken sich auf Organisatorisches. </span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Seinem Klassenlehrer Dolinar missfällt Tills mangelnde Sprachbegabung, sodass es der Junge in dessen Deutsch- und Französischunterricht schwer hat. Dass seine Begabungen im mathematischen Bereich liegen, zählt für Dolinar nicht.<br />Als Till 18 ist und die Gelegenheit hat, sich auf der Gaming-Messe ChinaJoy in Shanghai mit den besten AoE-Spielern der Welt zu treffen und zu messen, ergreift er die Gelegenheit und meldet sich bei Dolinar erst kurz vor dem Abflug per SMS ab. Diese in dessen Augen falsche Priorität verärgert den Lehrer dermaßen, dass er seinen Zorn an Till mit den Mitteln der schwarzen Pädagogik auslässt und ihn vom Rest der Klasse isoliert. </span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Zu Tills Glück bricht Anfang 2020 die Corona-Pandemie auch über Österreich hinein. Die Schulen schließen für zwei Monate, die Matura-Vorbereitungen finden zu Hause statt. Mit dem Beginn der schriftlichen Matura-Prüfungen, die landesweit zeitgleich und inhaltlich identisch durchgeführt werden, endet das Angstregiment von Dolinar, denn wegen der Pandemie werden ausnahmsweise keine mündlichen Matura-Prüfungen abgenommen.</span></p><h4 style="text-align: left;"><span style="color: #0b5394; font-family: verdana; font-size: large;">Lesen?</span></h4><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Tonio Schachinger gibt durch die Figur des Till Einblicke in das Österreich der 2010-er Jahre bis einschließlich 2020. Der Roman verfolgt nicht nur Tills Erwachsenwerden, sein Schließen von neuen und dem Verlust von alten Freundschaften, seiner ersten Liebe und dem Verarbeiten des Todes des Vaters; Schachinger greift auch Schlagworte wie den Austrofaschismus und die Ibiza-Affäre um den damaligen Vize-Kanzler Strache, die 2019 einen großen Skandal auslöste, auf. </span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Immer wieder wird auf die österreichische Titelhörigkeit und auf die relativ große Gruppe der politisch Rechten angespielt, die auf das gesellschaftliche und politische Leben Einfluss nimmt. Doch während es lange den Anschein hat, dass diese Verhältnisse von Schachinger hingenommen werden, weil es nie anders war, wird dieser Eindruck zum Schluss gerade gerückt: Till trifft nach dem Ende der Schulzeit einen früheren Mitschüler wieder, der gerade den sechsmonatigen Grundwehrdienst ableistet. Als der Dolinars Schikanen mit den Worten: "Es war schon super, eigentlich", verklärt, weist Till das deutlich zurück. "Spinnst du?", entgegnet er. "Es war die Hölle, du Idiot!"</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">So gut mir der Roman gefallen hat, so sehr habe ich mich immer wieder mit österreichischen Besonderheiten abgemüht, die in Deutschland unbekannt sind. Ob es um 'WEGA' geht, die Lila Villa, den Begriff 'sekkieren', die BVT-Affäre, Grätzl oder das Schikaneder: <i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Echtzeitalter</span></i> lässt sich mit dem Anspruch, den Roman vollständig zu verstehen, nur lesen, wenn man die Lektüre immer wieder für eine Recherche unterbricht. Das Buch richtet sich an Österreicher, besser noch an Wiener. Da es jedoch im ganzen deutschen Sprachraum herausgegeben wurde, wäre ein Glossar hilfreich gewesen.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Echtzeitalter</span> </i>ist 2023 im Rowohlt Buchverlag erschienen und kostet als gebundene Ausgabe 24 Euro sowie als E-Book 19,99 Euro.</span></p><p><br /></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><br /></span></p>Ina Degenaarhttp://www.blogger.com/profile/12372372085755879381noreply@blogger.com030966 Hemmingen, Deutschland52.2964253 9.730834223.986191463821157 -25.4254158 80.606659136178848 44.887084200000004tag:blogger.com,1999:blog-6622832371304212471.post-72859816019636591482023-10-20T12:41:00.002+02:002023-10-20T12:41:57.681+02:00# 414 - Erinnerungen an die Mutter: Liebe sieht anders aus<p><span style="font-family: verdana; font-size: large;"></span></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjptczhGu3T4JFSOltRLYYakribhpNS99fUXiIccLHb2IIFfKfkzSziBKpIqPDaI0q-NT4UCmXQ3R8dFIdImfT0eKXGoummu-MvZKzj2DhZLK1J2gOrQpmvyANT2pe_y0WhP6YuAG9u2ko5Pooa6uq8IqpxG82nqSo7YmdoXnAX6ek_Az7xudgO9HaJsF4/s1306/Cover%20Maman.jpg" style="clear: right; float: right; margin-bottom: 1em; margin-left: 1em;"><img border="0" data-original-height="1306" data-original-width="959" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjptczhGu3T4JFSOltRLYYakribhpNS99fUXiIccLHb2IIFfKfkzSziBKpIqPDaI0q-NT4UCmXQ3R8dFIdImfT0eKXGoummu-MvZKzj2DhZLK1J2gOrQpmvyANT2pe_y0WhP6YuAG9u2ko5Pooa6uq8IqpxG82nqSo7YmdoXnAX6ek_Az7xudgO9HaJsF4/w293-h400/Cover%20Maman.jpg" width="293" /></a></span></div><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Die deutsch-französische Autorin Sylvie Schenk blickt in ihrem Roman <i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Maman</span></i> auf die Lebensgeschichte ihrer verstorbenen Mutter Renée und zeigt, wie sich deren Erfahrungen seit ihrer frühen Kindheit auf die Erziehung ihrer eigenen Kinder ausgewirkt haben. Sie hat ihren Töchtern beigebracht, Angst vor Männern und Sexualität zu haben und Männer zu verachten. Aber warum?</span><p></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Schenk weiß nur wenig über ihre Mutter, die sie als schweigsamen und kaum zugewandten Menschen erlebt hat. Renée wurde 1916 in einem Lyoner Krankenhaus geboren, ihre Mutter Cécile starb bereits eine Stunde später. Cécile wurde nur 45 Jahre alt, ihre Mutter war Seidenarbeiterin und wahrscheinlich eine Prostituierte.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Renée wird als Säugling von einer Bauernfamilie in der Ardèche als Pflegekind aufgenommen. Das Motiv der Familie ist nicht altruistisch, sondern ökonomisch: Man braucht das Pflegegeld als Zusatzeinkommen und rechnet damit, das Kind in einigen Jahren als kostenlose Arbeitskraft einsetzen zu können. Die "Erziehung" der Pflegeeltern ist von Gefühlskälte und Vernachlässigung geprägt.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Erst als Renée fast sechs Jahre alt ist, ist ihre Verwahrlosung auch für die Behörden nicht mehr zu übersehen, und sie wird aus der Familie herausgenommen. Die neuen Pflegeeltern, die sie später adoptieren werden, gehören zum bürgerlichen Milieu: Charles ist Apotheker, Marguerite geht in der Aufgabe auf, sich um Renée zu kümmern. Trotz aller Hingabe gelingt es ihr nicht, das Mädchen aus seiner Schweigsamkeit und Verschlossenheit herauszuholen. Das Kind hat Albträume und ist kognitiv schlechter als Gleichaltrige entwickelt. Daran ändert auch der Besuch einer Privatschule nichts. </span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Renées Leben verläuft weitgehend fremdbestimmt. Bis zu ihrer Hochzeit 1936 mit dem jungen Zahnarzt Jean sagt ihr Marguerite, was gut und richtig ist. Nach der Eheschließung wird das Renées Mann übernehmen. Die Ehe ist nicht von Liebe, sondern Konventionen geprägt. Renées Aufgabe ist ganz traditionell eine gute Ehefrau und Mutter zu sein. Sie bringt vier Töchter und einen Sohn zur Welt, die ohne ihre besondere Aufmerksamkeit und Fürsorge groß werden. Jean ist immer seltener zu Hause; die Lieblosigkeit, von der Renée in ihrer frühen Kindheit geprägt wurde, findet in ihrer Ehe ihre Fortsetzung. Das liegt auch daran, dass Renée für ihren Mann nur Abneigung empfindet.<br />Doch dann, in der Zeit der sich ausbreitenden Resistance, fühlt sich Renée zu einem Mann wirklich hingezogen und ist bereit, für ihn ihr bisheriges Leben hinzuwerfen und mit ihm durchzubrennen. Sie erkennt, dass sie auf eine Täuschung hereingefallen ist.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Das, was Sylvie Schenk über ihre Mutter weiß, hat sie aus Akten, in denen sie und ihre Geschwister recherchiert haben. Was sich nicht mehr ermitteln ließ, hat die Autorin durch fiktionale Inhalte ergänzt. Man spürt den Schmerz darüber, die Eltern und Großeltern nicht genauer nach deren früheren Lebensumständen befragt zu haben. </span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Die Mutter hat aus ihrer Herkunft, über die sie selbst nicht viel wusste, ein gut gehütetes Geheimnis gemacht. Mit ihrem Roman geht Sylvie Schenk der Frage nach, inwieweit ihr eigenes Leben durch das distanzierte Verhalten ihrer Mutter geprägt wurde. Die Leserinnen und Leser von <i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Maman</span></i> bekommen nicht nur Einblick in die sehr spezielle familiäre Situation, sondern auch in die bis in die 1960-er Jahre in Frankreich geltenden Konventionen, die oft nur als Fassade für ein gesellschaftlich nicht akzeptiertes Leben dienten.</span></p><p></p><h4 style="text-align: left;"><span style="color: #0b5394; font-family: verdana; font-size: large;">Lesen?</span></h4><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Maman</span></i> ist eine Aussöhnung mit der Mutter und deren nicht-mütterlichem Verhalten. Sylvie Schenk kann ihrer Mutter nun Verständnis für deren fehlende Wärme und Zuneigung entgegen bringen. Kurz vor ihrem Tod öffnet sich Renée kurz und gibt ihrer schreibenden Tochter einen Einblick in ihr Wesen. "Du darfst alles aufschreiben, ich weiß, dass du es aufschreiben wirst", sind die letzten Worte von der Mutter an die Tochter. Es ist, als würden sie einander die Hände reichen. Zum ersten und zum letzten Mal.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Maman</span> </i>ist 2023 im Carl Hanser Verlag erschienen und kostet als gebundene Ausgabe 22 Euro sowie als E-Book 16,99 Euro.<br />Der Roman stand auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2023.</span></p><span style="font-family: verdana; font-size: large;"> </span><p></p>Ina Degenaarhttp://www.blogger.com/profile/12372372085755879381noreply@blogger.com030966 Hemmingen, Deutschland52.2964253 9.730834223.986191463821157 -25.4254158 80.606659136178848 44.887084200000004tag:blogger.com,1999:blog-6622832371304212471.post-44586626551827584292023-10-15T17:05:00.000+02:002023-10-15T17:05:57.849+02:00# 413 - Eine Familiengeschichte, die nach Schuld und Verantwortung fragt<p></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgf4d753GGeRKOW2NaIPOr_kuuK_BXT435dazbb3I7t2oPRlfzpulLNXtYLkh3WVl1PeW3-TvKTavTKH5tl5yfKNRUckdurQVFLQ3FBykzK8Rh6NQ_TqcMwXXvaPk3P_0KgQeA6tS6mmSSSg28kV6hjxLl_nAxGthP1tJJdnNVXkzUpPag9pjKwBEpqNcg/s2955/Cover%20Die%20M%C3%B6glichkeit%20von%20Gl%C3%BCck.jpg" imageanchor="1" style="clear: right; float: right; margin-bottom: 1em; margin-left: 1em;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><img border="0" data-original-height="2955" data-original-width="1800" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgf4d753GGeRKOW2NaIPOr_kuuK_BXT435dazbb3I7t2oPRlfzpulLNXtYLkh3WVl1PeW3-TvKTavTKH5tl5yfKNRUckdurQVFLQ3FBykzK8Rh6NQ_TqcMwXXvaPk3P_0KgQeA6tS6mmSSSg28kV6hjxLl_nAxGthP1tJJdnNVXkzUpPag9pjKwBEpqNcg/w244-h400/Cover%20Die%20M%C3%B6glichkeit%20von%20Gl%C3%BCck.jpg" width="244" /></span></a></div><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Anne Rabe ist 1986 in Wismar geboren und aufgewachsen. Sie war drei Jahre alt, als ihr Land, die DDR, unterging. In ihrem Roman <i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Die Möglichkeit von Glück</span> </i>versucht sie die Frage zu klären, wann jemand ein Mitläufer ist und ab welchem Punkt man zum Mit-Täter wird.</span><p></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Die Hauptperson ist Stine. Sie wurde im selben Jahr und Ort wie die Autorin geboren. An die DDR hat sie wie diese also keine Erinnerungen. Aber die erwachsene Stine, die verheiratet und Mutter von zwei Kindern ist, blickt zurück auf ihre Kindheit und Jugend. Durch die Rückschau erlebt und beobachtet sie in ihrem familiären und beruflichen Umfeld die Folgen, die zwei aufeinanderfolgende Diktaturen für die Persönlichkeiten der Menschen gehabt haben.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Im Fokus stehen dabei ihre Eltern Sven und Monika sowie ihre Großeltern Eva und Paul. Das Verhältnis zu den Eltern ist zerrüttet, weil Stine und ihr jüngerer Bruder Tim unter der Gefühlskälte der Mutter gelitten haben und sich ihre Hoffnung, dass ihr Vater sich für seine Kinder einsetzen würde, nie erfüllt hat. Niemand in der Familie bemerkt, dass das Kind Stine im Alter von fünf oder sechs Jahren anfängt, sich selbst zu verletzen. Doch woher kommt die Eiseskälte der Mutter, deren pädagogisches Motto einem Zitat aus einer Rede Hitlers vor dem Reichsparteitag (1935) zu entsprechen scheint: hart wie Kruppstahl, zäh wie Leder? Die Kinder haben zu funktionieren, ihre Bedürfnisse spielen keine Rolle.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Rabe schlägt eine Brücke in die Vergangenheit und erzählt von Stines Großvater Paul, der in der DDR Propagandist, Schuldirektor und danach Hochschuldozent war. Ein Mensch, der in ärmliche Verhältnisse hineingeboren worden war und das Beste aus seinem Leben machen wollte. Ein Mensch, der sich in die Nazi-Maschinerie einfügte, Soldat wurde und in russische Kriegsgefangenschaft geriet, aus der er floh. Wie er das geschafft hat, bleibt unklar. </span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Paul wollte das Ziel des sozialen Aufstiegs erreichen und hat nach dem Untergang des Deutschen Reichs im Sozialismus der DDR sein Glück gesucht. Als auch die zu einem Teil der Vergangenheit wurde, blieb sie in den Augen der Eltern und Großeltern das bessere Deutschland.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Stine beginnt, über gezielte Recherchen so viel wie möglich über das Leben von Opa Paul herauszufinden. Sie ist davon überzeugt, dass er als Reichs- oder DDR-Bürger Schuld auf sich geladen hat. Fragen kann sie ihn nicht mehr, weil er bereits verstorben ist.<br />Die junge Frau liest Studien, die von sogenannten Entlastungserzählungen berichten: Die Deutschen wissen zwar um die Verbrechen, die im Nationalsozialismus begangen wurden, aber aus der eigenen Familie war - selbstverständlich! - niemand daran beteiligt. Diese Erzählungen gibt es auch in der eigenen Familie, doch was stimmt daran? Stines Recherchen werfen neue Fragen auf, beantworten aber nur wenige.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Und nach der Wende? Für die DDR-Bürger bleibt praktisch nichts, wie es war. Ihre Gewissheiten lösen sich in Rauch auf, sie finden sich innerhalb kurzer Zeit in neuen Strukturen wieder. Durch die Abwicklung zahlreicher VEB und LPG wird eine Massenarbeitslosigkeit ausgelöst, in deren Fahrwasser sich Neonazis breitmachen. Oder waren die nie wirklich weg?</span></p><h4 style="text-align: left;"><span style="color: #0b5394; font-family: verdana; font-size: large;">Lesen?</span></h4><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Anne Rabe schildert, wie sich die DDR im Leben ihrer Bürgerinnen und Bürger ein Stück weit fortsetzt und an ihnen klebt - wie etwas, was man unter dem Schuh hat, aber partout nicht los wird. Die DDR und die Erfahrungen, die die älteren Generationen in und mit ihr gemacht haben, verortet die Autorin als Fortführung des Erlebten aus der Nazi-Diktatur. Kurios: Wer von der DDR zum Beispiel durch einen hohen Bildungsabschluss profitiert hatte, konnte diesen für seine weitere berufliche Laufbahn einsetzen. Dieses Privileg hatten aber nur diejenigen, die sich dort systemkonform verhalten hatten. Wer sich gegen den Staat gestellt hatte, wurde dafür abgestraft: durch Ausschluss vom Abitur oder Studium oder auch durch die Vorgabe des künftigen Berufs. Mit dieser Hypothek starteten die Menschen, die sich gegen das System gestemmt hatten, in die neue Zeit nach der Wende.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">In ihrer Betrachtung spart Rabe den Westen Deutschlands fast völlig aus, so, als hätte er auf die Ereignisse im Osten keinen Einfluss (gehabt). Sie wirft nur einen kurzen Blick nach "drüben", als es um Opa Pauls Bruder geht, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg für ein Leben in der BRD entschieden und dort Karriere gemacht hat.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Um Situationen zu verdeutlichen, setzt Rabe einen alternativen Erzähler ein, dessen Passagen kursiv gedruckt sind. Er reflektiert Geschehnisse, indem er Stine direkt anspricht und ihr diese in Erinnerung ruft.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Letztendlich bleiben die Dinge im Ungefähren. Stine verurteilt ihren Opa für Taten, die sie ihm nicht nachweisen kann. Opa Paul kann sich naturgemäß nicht mehr verteidigen und nichts erklären, und so bleibt am Ende der Eindruck, dass viel zu viel geschwiegen wurde und wird - wie so oft.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Die Möglichkeit von Glück</span></i> ist interessant zu lesen, lässt aber zu viele Fragen offen. <br />Gegen Ende des Romans versucht Stines Mutter ein letztes Mal, Macht über ihre längst eigenständig lebende Tochter auszuüben. Warum das bei der Protagonistin nicht nur Wut, sondern auch Angst auslöst, bleibt offen, weil die Mutter zu diesem Zeitpunkt im Leben von Stines vierköpfiger Familie keine Rolle mehr spielt. Das zu erklären, dürfte die Aufgabe von Psychologen oder Psychologinnen sein.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Die Möglichkeit von Glück</span></i> ist 2023 im Verlag Klett-Cotta erschienen und kostet als gebundenes Buch 24 Euro sowie als E-Book 18,99 Euro.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Der Roman steht auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2023.</span></p>Ina Degenaarhttp://www.blogger.com/profile/12372372085755879381noreply@blogger.com030966 Hemmingen, Deutschland52.2964253 9.730834223.986191463821157 -25.4254158 80.606659136178848 44.887084200000004tag:blogger.com,1999:blog-6622832371304212471.post-21355381759091858182023-10-07T17:52:00.000+02:002023-10-07T17:52:06.816+02:00# 412 - Wie ist das Kindsein im Krieg? Ein Roman über Entwurzelung, Sprachlosigkeit und Euthanasie<p></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgF6e2NccAhmUvIGDWBnyk3UBdyearyisaTMwOR17s1d3xAT81QS75wkN5KGbYWyRipz8OS6fDUb3Zgf_3Oi3G-s_tjfce7621VS3sK1d-ZO7MHRIXsXWi4LWghbAYX-4nqvKghXNHCNIdor6OTLQFshnqQNCVhyphenhyphen3S1uFKQzIPenVlGcenuGbdG7tb2xG0/s979/Cover%20Ein%20Hund%20kam%20in%20die%20K%C3%BCche.jpg" style="clear: right; float: right; margin-bottom: 1em; margin-left: 1em;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><img border="0" data-original-height="979" data-original-width="816" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgF6e2NccAhmUvIGDWBnyk3UBdyearyisaTMwOR17s1d3xAT81QS75wkN5KGbYWyRipz8OS6fDUb3Zgf_3Oi3G-s_tjfce7621VS3sK1d-ZO7MHRIXsXWi4LWghbAYX-4nqvKghXNHCNIdor6OTLQFshnqQNCVhyphenhyphen3S1uFKQzIPenVlGcenuGbdG7tb2xG0/w310-h400/Cover%20Ein%20Hund%20kam%20in%20die%20K%C3%BCche.jpg" width="310" /></span></a></div><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Sepp Malls Roman <i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Ein Hund kam in die Küche</span></i> ist<br /> eine Zeitreise nach Südtirol und Oberösterreich Anfang der 1940-er Jahre. </span><div><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Die Südtiroler Familie Gruber entschließt sich 1942 auf Drängen des Vaters, die Heimat zu verlassen und nach Österreich auszuwandern, das nach dem sog. "Anschluss" des Alpenlandes ein Teil des Deutschen Reichs wurde. Hitler und Mussolini hatten eine als "Option" bezeichnete Möglichkeit vereinbart, dass die deutsch- und ladinischsprachige Bevölkerung Italiens (was im Wesentlichen der Bevölkerung Südtirols entsprach) sich entweder für ein Leben im Deutschen Reich oder den Verbleib in Italien entscheiden konnte. Die Ausreisewilligen werden in den Augen vieler Südtiroler zu Heimatverrätern.</span><div><div><p></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Der Vater des im Roman als Ich-Erzähler auftretenden elfjährigen Ludi ist von der Vorstellung begeistert, Reichsdeutscher werden und der deutschen Sache dienen zu können. Doch die Familie, die außerdem noch aus der Mutter und dem sechsjährigen Hanno besteht, ahnt nicht, was da auf sie zukommt.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Die erste Station ist Innsbruck. Dort werden die Vier zunächst in einem Hotelzimmer untergebracht, danach folgt eine genaue ärztliche Untersuchung. Während sie für Ludi und seine Eltern komplikationslos verläuft, muss sich Hanno einer weiteren medizinischen Begutachtung unterziehen. Er ist wegen seiner körperlichen und geistigen Einschränkungen aufgefallen.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Der Vater meldet sich kurz nach der Ankunft zum Kriegsdienst an die Front. Er ist überzeugt davon, dass Deutschland den Krieg schnell gewinnen und er bald wieder bei seiner Familie sein wird. Es wird jedoch Jahre dauern, bis er zurückkehrt.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Aufgrund der Untersuchungsergebnisse muss Hanno in ein Behindertenheim. Die Familie geht davon aus, dass es ein Aufenthalt von einigen Wochen oder vielleicht einem Monat wird und Hanno danach besser sprechen und laufen kann. Man ahnt, dass es anders kommt.</span></p><h4 style="text-align: left;"><span style="color: #0b5394; font-family: verdana; font-size: large;">Lesen?</span></h4><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Sepp Mall beschreibt die Folgen der krassen Fehlentscheidung des Vaters, die Heimat zu verlassen, brutal, aber dennoch empathisch. Szenen wie die, in denen es der Mutter und Ludi im Behindertenheim durch einen Trick verwehrt wird, sich von Hanno zu verabschieden, gehen sehr nahe. Ludi, der zu seinem Bruder ein enges und liebevolles Verhältnis hat, hofft, diesen noch einmal durch eines der Fenster zu sehen: "Und doch wurde ich den Gedanken nicht los, dass Hanno uns noch gesehen hatte. [...] Er musste uns gesehen haben, als wir davongingen." Die Mischung aus Hoffnung und Verzweiflung, die von Ludis Worten ausgeht, ist deutlich zu spüren. Später hört er den Kommentar des Dorfladenbesitzers nach Hannos Tod, dass alle Opfer bringen müssten und man das dem gesunden Volkskörper schuldig sei.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Mall spricht nicht nur die Euthanasie an, der Hanno im Zuge der "Aktion T4" zum Opfer fiel, sondern auch das Gefühl der Heimatlosigkeit. Ludi hat Heimweh nach seinem Tal in Südtirol, und seine Mutter verspricht ihm, dass sie beide so bald wie möglich dorthin zurückkehren werden. Er fühlt sich in Österreich im "Niemandsland": "Meine Mutter war die Einzige, die wusste, wer in der Schulbank neben mir gesessen hatte oder wen ich meinte, wenn ich der Schneider sagte. [...] Hier an diesem Ort gab es keine Erinnerungen, die mir gehörten und die ich mit jemandem teilen konnte." <br />Doch zunächst werden sie ins sog. Oberdonaugau (heutiges Oberösterreich) geschickt. Die Familie wird wegen ihrer italienischen Herkunft mit Vorurteilen konfrontiert, die geflüchteten Sudetendeutschen, denen sie begegnet, werden von den Einheimischen aber deutlich schlechter behandelt. </span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Und dann ist da diese Sprachlosigkeit. Nichts wird Ludi erklärt, oft muss er sich die Wahrheit aus den wenigen Äußerungen und Gesten seiner Eltern zusammenreimen. Auf Nachfragen, warum man ihm nichts gesagt habe, kommt häufig die stereotype Antwort: "Es ist besser so." Begriffe, die in der Sprachwelt der Erwachsenen eine Bedeutung haben, sind dem Jungen fremd und er gibt ihnen einen neuen Inhalt.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Mit einem sprachlichen Kniff lässt Sepp Mall den getöteten Hanno lebendig werden: Er erscheint seinem Bruder sowohl im Traum als auch im Alltag und erzählt ihm, was ihm im Behindertenheim widerfahren ist.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Ein Hund kam in die Küche</span></i> wurde für den Deutschen Buchpreis 2023 nominiert. Zu Recht, denn der Roman schildert eindringlich und mit klaren Worten, wie sich Entwurzelung und Krieg für ein Kind anfühlen. </span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Das Buch 2023 in der Leykam Buchverlagsgesellschaft erschienen und kostet als gebundene Ausgabe 24,-- Euro sowie als E-Book 18,99 Euro.</span></p></div></div></div>Ina Degenaarhttp://www.blogger.com/profile/12372372085755879381noreply@blogger.com030966 Hemmingen, Deutschland52.2964253 9.730834223.986191463821157 -25.4254158 80.606659136178848 44.887084200000004tag:blogger.com,1999:blog-6622832371304212471.post-60237163385325650902023-09-29T18:36:00.004+02:002023-09-30T14:51:50.881+02:00# 411 - Eine verhängnisvolle Liebe <p><span style="font-family: verdana; font-size: large;"></span></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiQqfKBY8IpkqmqOdffgKssP5UCdXUmkJkLJzTiRXDr_UXIEYiu-lSoYf6neobG8XudsPsCKgBroHmQdOKXamyvNbrxZxqymiQxO7yW2jT2yYgQa5vXTpFc7s5dq7Otu8whg9aO8NNi0Yfqi2zoIYZl2A-DhLxT86ITmfe9ma1lo6wUfB4iNtdlyt-ZLQw/s559/Cover%20Muna.jpg" imageanchor="1" style="clear: right; float: right; margin-bottom: 1em; margin-left: 1em;"><img border="0" data-original-height="559" data-original-width="350" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiQqfKBY8IpkqmqOdffgKssP5UCdXUmkJkLJzTiRXDr_UXIEYiu-lSoYf6neobG8XudsPsCKgBroHmQdOKXamyvNbrxZxqymiQxO7yW2jT2yYgQa5vXTpFc7s5dq7Otu8whg9aO8NNi0Yfqi2zoIYZl2A-DhLxT86ITmfe9ma1lo6wUfB4iNtdlyt-ZLQw/w250-h400/Cover%20Muna.jpg" width="250" /></a></span></div><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Muna oder Die Hälfte des Lebens</span> </i>von Terézia<br /> Mora ist die Geschichte einer Frau, die in der DDR im fiktiven Ort Jüris aufgewachsen ist. Der Roman beginnt Ende 1988 mit Munas Vorsatz, ihrer Heimatstadt und der Mutter so bald wie möglich den Rücken zu kehren. <br />Muna Appelius steht kurz vor dem Abitur. Sie lebt mit ihrer alkoholkranken Mutter, einer Theaterschauspielerin, zusammen, der Vater ist vor zehn Jahren an Lungenkrebs verstorben. Die finanzielle Situation der beiden Frauen ist prekär, denn Munas Mutter hat den Höhepunkt ihrer Karriere schon vor längerer Zeit überschritten. Beziehungen hat Muna bislang in Verbindung mit Trennung und Schmerz wahrgenommen.</span><p></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Im Herbst 1988, ein halbes Jahr vor dem Ende ihrer Schulzeit, beginnt Muna ein Praktikum bei einem Magazin der Tageszeitung <i>Volksstimme</i>. Dort lernt sie Magnus Otto kennen. Magnus ist hauptberuflich Gymnasiallehrer, im Nebenberuf Bildredakteur beim Magazin und deutlich älter als Muna. Er steuert dem Magazin von ihm selbst aufgenommene Fotos bei. Muna verliebt sich sofort in den introvertierten und geheimnisvoll wirkenden Mann und beginnt, ihm nachzuspionieren.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Im Juli 1989 verbringt Muna eine Nacht mit Magnus. Er fährt am nächsten Tag angeblich für eine Radtour nach Rumänien, aber in Wahrheit nutzt er die Situation in Ungarn, um sich in den Westen abzusetzen. Er bricht alle Brücken hinter sich ab, Muna sucht vergeblich nach ihm. Sie wird zum ersten Mal vor einer Beziehung mit Magnus gewarnt, versteht jedoch nicht den Grund dafür, denn sie sieht in Magnus "den schönsten Mann, den ich je im Leben sehen würde".</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Muna beginnt in Berlin ein Literaturstudium. Weitere Stationen führen sie nach Wien und London. Sie hat Affären mit verschiedenen Männern, keine davon befriedigt sie. Ihr Leben finanziert sie mit schlecht bezahlten Jobs. Magnus ist immer in ihrem Hinterkopf, allerdings sucht sie nicht mehr nach ihm. Doch dann, sieben Jahre nach ihrem One-Night-Stand, treffen sie sich zufällig in Berlin bei einer Open-Air-Veranstaltung. Sie nehmen den abrupt gerissenen Faden ihrer Beziehung wieder auf. </span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Ohne, dass sie es zunächst spürt, nimmt das Verhängnis für Muna seinen Lauf: Sie, die intelligente und sehr gut aussehende Frau, der viele Türen offen stehen würden, richtet ihr Leben an Magnus' Wünschen und Bedürfnissen aus. Sie vernachlässigt die Arbeit an ihrer Dissertation, folgt ihm bei jedem Ortswechsel und achtet penibel auf jeden Stimmungswechsel ihres Liebsten, um diesen nicht zu reizen. Wenn man sich bislang fragte, wie es dazu kommen kann, dass sich ein Mensch von einem anderen Menschen völlig abhängig macht und ihm psychisch und sexuell ergeben ist, bekommt man beim Lesen von <i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Muna oder Die Hälfte des Lebens</span></i> eine Ahnung von den Mechanismen, die dazu führen. Magnus manipuliert Muna auf eine Weise, die deren Selbstbewusstsein aushöhlt und sie an sich zweifeln lässt.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Muna sehnt sich danach, mit ihrem Traummann eine Familie zu gründen. Doch Magnus ist beim Thema Kinder klar: Er will weder jetzt noch irgendwann Vater werden. In das "irgendwann" legt Muna ihre Hoffnung, dass sie und Magnus nun ein Paar sind. Sie baut darauf, seine Meinung mit der Zeit zu ändern. Vor den Zeichen, die auf eine deutliche Schieflage in dieser Beziehung hindeuten, verschließt sie die Augen.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Man ahnt es: Nach der ersten wüsten Beschimpfung, die Magnus Muna wegen einer Kleinigkeit an den Kopf wirft, dauert es nicht mehr lange bis zur ersten Handgreiflichkeit. Es wird nicht die letzte bleiben.</span></p><h4 style="text-align: left;"><span style="color: #0b5394; font-family: verdana; font-size: large;">Lesen?</span></h4><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Muna oder Das halbe Leben</span></i> ist ein sehr bewegender und oft verstörender Roman, und man möchte der jungen Frau, die am Ende des Buches ihr halbes Leben hinter sich hat, immer wieder zurufen: "Verlass ihn! Renn, so schnell du kannst!" <br />Terézia Mora erzeugt jedoch Verständnis für Munas irrationales Verhalten, das dazu führt, dass sie ihre Beziehung zu Magnus auch dann noch verteidigt, als er immer gewalttätiger und rücksichtsloser wird. Doch es führt ein Weg aus dieser unheilvollen Beziehung hinaus, auch wenn er nur über Munas psychischen Zusammenbruch und ein unheilvolles Wiedersehen möglich ist.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Muna oder Das halbe Leben</span></i> steht auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2023, und das völlig zu Recht. Terézia Mora hat den Deutschen Buchpreis bereits 2013 gewonnen und hat mehr als ein Dutzend weitere Preise erhalten.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Der Roman ist 2023 im Luchterhand Verlag erschienen und kostet gebunden 25 Euro sowie als E-Book 19,99 Euro. Terézia Mora hat das Buch als den ersten Teil einer Trilogie angekündigt. Man darf also gespannt sein, wie es weitergeht.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><br /></span></p>Ina Degenaarhttp://www.blogger.com/profile/12372372085755879381noreply@blogger.com030966 Hemmingen, Deutschland52.2964253 9.730834223.986191463821157 -25.4254158 80.606659136178848 44.887084200000004tag:blogger.com,1999:blog-6622832371304212471.post-42349892062710435972023-09-24T20:47:00.000+02:002023-09-24T20:47:02.288+02:00# 410 - Eine urbane Liebesgeschichte in Kreuzberg<p><table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: right;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiHXXtousyE0sCGG-wzA5PmH2olrcGEqYjf6rt0wqJoGei0STdeu0bQH9ZwS5wVigN1nIm_ZQkxi7GTtxqBBXs_MhlslhI1KNZi-1PFDUG1o3wdNAVEAerCSGXj_vnIw36rfAmxdAAV8UnFuvG0GNtiDuo5EB5LRC1Q5fjKci8ymlfrPGZe9mKME3YFDRQ/s1574/Cover%20S%C3%BCdstern.png" imageanchor="1" style="clear: right; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><img border="0" data-original-height="1574" data-original-width="1007" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiHXXtousyE0sCGG-wzA5PmH2olrcGEqYjf6rt0wqJoGei0STdeu0bQH9ZwS5wVigN1nIm_ZQkxi7GTtxqBBXs_MhlslhI1KNZi-1PFDUG1o3wdNAVEAerCSGXj_vnIw36rfAmxdAAV8UnFuvG0GNtiDuo5EB5LRC1Q5fjKci8ymlfrPGZe9mKME3YFDRQ/w256-h400/Cover%20S%C3%BCdstern.png" width="256" /></span></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="font-family: verdana; font-size: xx-small;">Quelle Cover: Kanon Verlag</span></td></tr></tbody></table><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Der Erfolg von Tim Staffels in Berlin spielendem Buch <i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Südstern</span></i> hat den Autor selbst möglicherweise am meisten überrascht. Seine ersten vier Romane hat Staffel zwischen 1998 und 2008 veröffentlicht und dafür mehrere Literaturpreise erhalten, danach folgten zahlreiche Theaterstücke und Hörspiele. In einer Lebensphase, in der er sich aus dem Kulturbetrieb zurückgezogen hatte, um herauszufinden, ob er auch dann noch schreiben kann, wenn er nicht davon leben muss, hat Staffel dieses Buch neben seinem Brotjob geschrieben - und es damit auf die Longlist des Deutschen Buchpreises 2023 geschafft.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Vanessa Paschke und Deniz Aziz sind die zentralen Figuren der Handlung. Sie ist 27, Pharmakologin, Barfrau und seit Kurzem Drogenkurierin - was sie scherzhaft als Apothekenservice bezeichnet. Vanessa ist mit Olli, einem Bundestagsabgeordneten und Gesundheitsexperten, der sich für saubere Drogen engagiert, liiert.<br />Deniz ist ähnlich alt, Streifenpolizist aus Überzeugung und mit der Pflege seines an Parkinson erkrankten Vaters angesichts von Doppelschichten und gefährlichen Einsätzen und trotz der regelmäßigen Hilfe durch eine ambulante Pflegerin heillos überfordert.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Die beiden begegnen sich zufällig vor dem Mehrfamilienhaus in Kreuzberg, in dem Deniz mit seinem Vater Markus wohnt. Vanessa hat Markus nach Hause begleitet, als der den Weg nicht mehr fand. Seit diesem ersten Zusammentreffen gehen Vanessa und Deniz einander nicht mehr aus dem Kopf. Staffel beschreibt, wie sie sich langsam aneinander herantasten und nicht wissen, wie weit sie gehen und wie viel sie über sich erzählen dürfen. Es dauert einige Zeit, bis das Vertrauen zwischen ihnen so weit gewachsen ist, dass es auf dem Niveau ihrer Gefühle füreinander angekommen ist.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Sowohl Vanessa als auch Deniz kommen aus schwierigen sozialen Verhältnissen. Beide sind in Kreuzberg aufgewachsen, Deniz' Vater stammt aus der Gegend um den Südstern, einem im 19. Jahrhundert angelegten Platz, über den mehrere Kreuzberger Straßen verlaufen und unter dem sich eine gleichnamige U-Bahn-Station befindet. Markus passiert diesen Platz immer dann, wenn er das Grab seiner verstorbenen Frau Selda besuchen will. Es ist der einzige längere Weg, den er noch ohne Begleitung machen kann und für ihn ein bisschen ein Kurztrip in die eigene Vergangenheit.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><span><i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Südstern</span></i> greift das Leben vieler Menschen in Kreuzberg auf, die in Staffels Roman oft nur kurz und als Stellvertreter vieler Menschen auftreten, die ein ähnliches Schicksal haben. Da geht es um Schutzgelderpressung in der Gastronomie ebenso wie um Probleme im Kleinbürgermilieu. <br />Vanessa sieht schnell, wo die wahren Nöte der Leute liegen und wird von manchen direkt um ihre diskrete</span> "Hilfe" gebeten. Ärzte, Politiker und Sportler, die den Druck, der auf ihnen lastet, nicht mehr aushalten, sind ihre typischen Kunden. Aber sie ist auch da, wenn ihre empathische Unterstützung gebraucht wird: Sobald sie den Eindruck hat, dass ihr durch Bundeswehreinsätze traumatisierter Bruder Felix dem Tod näher als dem Leben ist, lässt sie alles stehen und liegen. Dessen Depression und Gewaltbereitschaft sind so stark, dass er für die Arbeit als Justizvollzugsbeamter im Gefängnis Tegel nicht mehr geeignet ist und schon mit 29 Jahren frühpensioniert wird. </span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Deniz hat als Polizist zwar seinen Traumberuf gefunden, kämpft aber darum, als Beamter mit Migrationshintergrund ernst genommen zu werden. Er muss sich nicht nur gegen Pöbeleien, sondern auch massive tätliche Angriffe im Dienst wehren. Dass er ausgerechnet mit seiner Kollegin Jovanna auf Streife ist, die nicht nur eine Angststörung, sondern auch ein ausgewachsenes Rassismusproblem hat, macht sein Leben nicht leichter.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Trotz aller Unterschiede bewegen sich Vanessa und Deniz aufeinander zu. Vanessa realisiert jedoch lange nicht, in welchem Konflikt sich Deniz befindet: Er liebt Vanessa, kann aber als Polizist schlecht damit umgehen, dass sie dealt. Werden sie den Konflikt lösen können?</span></p><h4 style="text-align: left;"><span style="color: #0b5394; font-family: verdana; font-size: large;">Lesen?</span></h4><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Südstern</span></i> ist ein Buch mit einer sehr urbanen Atmosphäre. Tim Staffel hält seine Sätze so kurz wie möglich und verzichtet auf sprachliche Schnörkel. Die Perspektivwechsel von Vanessa zu Deniz und umgekehrt passieren oft von einem Satz zum nächsten, was manchmal nur aus dem Zusammenhang erkennbar wird. Das irritiert zunächst, man gewöhnt sich jedoch daran.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Die Frage "Kriegen sie sich?" wird genauso hochgehalten wie die Beschreibung des besonderen Umfelds, in dem sich die beiden Protagonisten bewegen. Das macht den Roman von der ersten bis zur letzten Seite interessant. Insbesondere Vanessa stellt sich immer die Frage, was ein Zuhause und was Heimat ist. In ihrer Kindheit hatte sie beides nicht, jetzt als Erwachsene scheint sie erneut heimatlos zu sein. Aber die Hoffnung auf einen Platz, wo sie hingehört, ist ihr geblieben.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><span>Kritik habe ich an einigen Ungenauigkeiten, die vermeidbar gewesen wären. Da geht es um Felix' üppige Pension, die nach wenigen Dienstjahren im mittleren Dienst die Durchschnittspension aller Beamten übersteigt. <br />Es geht auch um Deniz' pflegebedürftigen Vater Markus, der bereits einen Pflegegrad hat, der im Roman aber nicht hoch genug ist, um den Einbau einer bodengleichen Dusche zu bezahlen - was schlicht falsch ist.<br />Und dann ist da noch die offenbar prekäre Situation mit der für Markus dringend nötigen Physiotherapie, für die der Arzt nur ein Rezept über zehn Behandlungen ausgestellt hat, was er nur einmal pro Quartal darf. Allerdings gehört Parkinson zu denjenigen Erkrankungen, für die eine Dauerverordnung möglich ist. <br /></span>Gegen diese Kritik ist die Szene, in der Vanessa und Deniz Ende April Pflaumen, Aprikosen und Kirschen aus Gärten klauen, eine Kleinigkeit. </span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">So hoffnungslos und dramatisch etliche Szenen in Tim Staffels Roman sind, so positiv ist es, dass sich für die Hauptpersonen etliches in ihrem Leben zum Guten wendet. Die Leserinnen und Leser erwartet ein Happy End, mit dem in dieser Form nicht zu rechnen war.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Südstern</span> </i>ist 2023 im Kanon Verlag erschienen und kostet als gebundenes Buch 25 Euro sowie als E-Book 19,99 Euro.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><br /></span></p><h4 style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><br /></span></h4><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><br /></span></p>Ina Degenaarhttp://www.blogger.com/profile/12372372085755879381noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-6622832371304212471.post-18462292081021155402023-09-18T23:15:00.003+02:002023-09-18T23:15:53.730+02:00# 409 - Eine Tour de Force durch das kriegseuphorische Wien <p><span style="font-family: verdana; font-size: large;"></span></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjdbbHsggyjMqScv5-i7kf0IixNzcodAic8lQJtSTE1zrqwLGPtZKONYQcEi2wJkLEajvmAfNvSSqLFIo9almgw1y0coid8PGPcF42yB0qgvp0qwN10VrENmP_6lMel6WT3cW2PKIOf7ucuBH2eyctKnsJtn2_J8S04r-dGv9PXJKsOwmTepxS_pVqBcR8/s2953/Cover%20Die%20Inkommensurablen.png" imageanchor="1" style="clear: right; float: right; margin-bottom: 1em; margin-left: 1em;"><img border="0" data-original-height="2953" data-original-width="1800" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjdbbHsggyjMqScv5-i7kf0IixNzcodAic8lQJtSTE1zrqwLGPtZKONYQcEi2wJkLEajvmAfNvSSqLFIo9almgw1y0coid8PGPcF42yB0qgvp0qwN10VrENmP_6lMel6WT3cW2PKIOf7ucuBH2eyctKnsJtn2_J8S04r-dGv9PXJKsOwmTepxS_pVqBcR8/w244-h400/Cover%20Die%20Inkommensurablen.png" width="244" /></a></span></div><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Hans Ranftler ist siebzehn Jahre alt, lebt und arbeitet<br /> für einen Hungerlohn als Knecht auf einem Hof in einem tiroler Tal und trauert seiner Schulzeit in einem Gymnasium nach, die mit dem Unfalltod des Vaters vor sieben Jahren ein jähes Ende nahm. Von dem, was in der Welt oder sogar nur in Österreich passiert, hat er nur so viel mitbekommen, wie ihm sein mit "Herr" angesprochener Bauer erzählt hat.</span><p></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Am frühen Morgen des 30. Juli 1914 kommt Hans mit dem Zug in Wien an, nachdem er sich vom Hof fortgeschlichen hat. Sein Ziel ist die Praxis der Psychoanalytikerin Helene Cheresch, einer Expertin für "Massenhysterien und parapsychologische Effekte", von der er in der Zeitung gelesen hat. Hans hat an sich eine Gabe beobachtet, die er für so außergewöhnlich hält, dass er von Chereschs Interesse daran ausgeht: Er nimmt Gedanken von Menschen in seiner Nähe kurz, bevor sie ihnen selbst bewusst werden, wahr.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Im Umfeld von Chereschs Praxis lernt Hans zufällig den Aristokratensohn und Offizier Adam und die begabte Mathematikdoktorandin Klara kennen, die aus armen Verhältnissen kommt und mit der Psychoanalytikerin lebt. </span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Wien ist zu diesem Zeitpunkt in Aufruhr. Zar Nikolaus II. hat die Generalmobilmachung der russischen Armee befohlen, und in Österreich ist der drohende Kriegsbeginn das alles beherrschende Thema. Zu Tausenden strömen junge Männer euphorisch in die Kasernen, der Kriegstaumel hat die ganze Stadt ergriffen. Jeder, mit dem Hans in Wien zusammentrifft, geht wie selbstverständlich davon aus, dass sich der junge Mann zum Kriegsdienst melden wird. Doch das hat Hans nicht vor.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><span>Für Klara und Adam geht es nur einen Tag später ums Ganze: Die Doktorandin will am 31. Juli 1914 ihr Rigorosum bestehen, bei dem es um Irrationalzahlen geht, die auch als Inkommensurable bezeichnet werden, und der junge Offizier hat bereits seinen Einberufungsbefehl in der Tasche. </span>Die beiden sind gut miteinander befreundet und nehmen den intelligenten, aber unbedarften Hans unter ihre Fittiche. </span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Adam, der von seinem Vater früh für das Leben als Offizier gedrillt wurde, hat diesem vor Jahren eine Bratsche abgetrotzt, um seiner wahren Leidenschaft, der Musik, nachgehen zu gönnen. Hans erlebt nun eine Probe des Zweiten Streichquartetts von Arnold Schönberg, danach ein Abendessen mit Adams Eltern und weiteren elitären Gästen und anschließend zu dritt Besuche von anrüchigen Etablissements, in denen Adam und Klara ein und aus gehen, die für Hans aber eine ganz neue Welt sind. Das, was er in kurzer Zeit in atemberaubender Geschwindigkeit kennenlernt, hat mit seinem bisherigen Leben auf dem Land nichts zu tun.</span></p><h4 style="text-align: left;"><span style="color: #0b5394; font-family: verdana; font-size: large;">Lesen?</span></h4><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Raphaela Edelbauer hat mit <i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Die Inkommensurablen</span></i> einen Roman geschrieben, der dicht gedrängt sowohl ein Ritt durch die Wiener Geschichte als auch die Zeichnung eines Gesellschaftsbildes beinhaltet. Die kriegstrunkene Bevölkerung verachtet Juden und Sozialisten, weil man bei ihnen eine fehlende nationalistische Einstellung voraussetzt. Die gesellschaftlichen Klassen spielen eine große Rolle und werden hier durch die drei Kurzzeit-Freunde Hans (Bauern), Adam (Adel und Militär) und Klara (Proletariat) repräsentiert. Hans beobachtet in einem Unterweltlokal zum ersten Mal homosexuelle Menschen, erlebt Drogensüchtige und hört neue Musik wie den Jazz und die heftig kritisierte Zwölftonmusik, deren bekanntester österreichischer Komponist der o. g. Arnold Schönberg ist.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Das Buch hält die Aufmerksamkeit durch sein Tempo und Edelbauers treffsichere Formulierungen hoch. <br />An manchen Stellen schleicht sich jedoch etwas Unglaubwürdigkeit in die Handlung: Es bleibt unklar, was Adam und Klara dazu bringt, die letzten Stunden bis zu den Wendepunkten ihres Lebens ausgerechnet mit einem ihnen völlig unbekannten Knecht zu verbringen, dem sie zufällig bei ihrer Psychoanalytikerin begegnen. Auch dass die Zeit für einige ausgedehnte philosophische Betrachtungen ausreicht, ist im Hinblick auf die sich überschlagenden Ereignisse erstaunlich. Nicht zuletzt ist das Vertrauen, dass beispielsweise Klara Hans entgegenbringt, ungewöhnlich: Sie kennen sich nur wenige Stunden, als sie ihm ein Geheimnis über Adam anvertraut. Doch was erwartet man von ihr, die sich unter großen Opfern durch ihr Studium gekämpft hat, um sich die letzte Nacht vor ihrem Rigorosum um die Ohren zu schlagen? Logisches Verhalten jedenfalls nicht unbedingt.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Die Wege der drei jungen Menschen trennen sich nach eineinhalb intensiven Tagen. Was aus ihnen wird und ob sie sich wiedersehen, bleibt offen.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Die Inkommensurablen</span></i> ist ein lesenswertes Buch mit einigen Abstrichen. Es steht auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2023.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Der Roman ist 2023 bei Klett-Cotta erschienen und kostet als Hardcover 25 Euro sowie als E-Book 19,99 Euro.</span></p>Ina Degenaarhttp://www.blogger.com/profile/12372372085755879381noreply@blogger.com030966 Hemmingen, Deutschland52.2964253 9.730834223.986191463821157 -25.4254158 80.606659136178848 44.887084200000004tag:blogger.com,1999:blog-6622832371304212471.post-45823797043938626492023-09-09T21:27:00.002+02:002023-09-09T21:27:55.764+02:00# 408 - Ein Freund der Erde - wahrgenommen als Feind der Menschen<p><span style="font-family: verdana; font-size: large;"></span></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgaOHgBiW4b4J4llQdOXoA5ldc-DYi6-uz7EfcY3ItcJdwPZ6iC2LZQgJhCnDx-Lkvm6_RahZ5tj3ufYsREOjKHlBEh4GAkMbSc8LvMdnr_4qI_3tMLEDv544rZ2FJr0rXKh0l4JBDB0aZwyQFLsTFW5vG_yVUdKTaR4kMhFwm5gAziTkvfaeNua18_K5U/s2027/Cover%20Ein%20Freund%20der%20Erde.jpg" imageanchor="1" style="clear: right; float: right; margin-bottom: 1em; margin-left: 1em;"><img border="0" data-original-height="2027" data-original-width="1206" height="444" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgaOHgBiW4b4J4llQdOXoA5ldc-DYi6-uz7EfcY3ItcJdwPZ6iC2LZQgJhCnDx-Lkvm6_RahZ5tj3ufYsREOjKHlBEh4GAkMbSc8LvMdnr_4qI_3tMLEDv544rZ2FJr0rXKh0l4JBDB0aZwyQFLsTFW5vG_yVUdKTaR4kMhFwm5gAziTkvfaeNua18_K5U/w264-h444/Cover%20Ein%20Freund%20der%20Erde.jpg" width="264" /></a></span></div><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Im Jahr 2000 wurde der achte Roman des US-Autors<br /> T. C. Boyle veröffentlicht, <i><span style="color: #38761d;">A Friend of the Earth</span>. </i>Ein Jahr später erschien die deutsche Fassung mit dem Titel <i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Ein Freund der Erde</span></i>. Jetzt sind wir im Jahr 2023, und man wird beim Lesen des Buches das Gefühl nicht los, dass auf Boyles Schreibtisch eine Kristallkugel steht, in die der Autor dann und wann einen Blick hineinwirft, um sich Anregungen für seine Bücher zu holen. Aber von vorn.</span><p></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Ein Freund der Erde</span> </i>spielt sowohl in den 80-er und 90-er Jahren des 20. Jahrhunderts als auch 2025 und 2026. Der Protagonist ist der ehemalige militante Umweltaktivist Tyrone "Ty" O'Shaughnessy Tierwater, der 2025 75 Jahre alt ist und im Auftrag eines gealterten früheren Popstars in Kalifornien die letzten Wildtiere hütet, die außerhalb des privaten Geheges längst ausgestorben sind: Löwen, Hyänen, Ameisenbären. Ratten haben selbstverständlich auch überlebt, für sie ist kein Schutz nötig. Krabben, Thunfische und Forellen sind ebenso Geschichte wie Frösche, Kondore oder Giraffen. Welse gibt es noch als Zuchttiere mit der Konsequenz, dass ein großer Teil der Ernährung durch sie sichergestellt wird - von Wels-Sushi bis Wels-Pizza ist da einiges möglich. <br />In der Nähe von Oslo werden kalifornische Weinreben angebaut, die nassen Loire- und Rheintäler eignen sich gut für den Ananas-Anbau. Auf der Erde leben 11,5 Milliarden Menschen, allein in Kalifornien 60 Millionen. Zu der Bevölkerungsexplosion haben auch medizinische Fortschritte beigetragen, die durch lebensverlängernde Maßnahmen zu einer Lebenserwartung von 100 Jahren führen.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Die Menschen in Kalifornien kämpfen 2025 ums Überleben in einer unwirtlichen Umgebung. Extreme Hitzeperioden, die die Erde aufbrechen und alles verdorren lassen, wechseln sich mit mächtigen Unwettern ab: Tage- oder wochenlang kommen ununterbrochen große Regenmengen vom Himmel, die alles überfluten und für Schimmel in den Gebäuden sorgen. Die Stürme sind so stark, dass ihnen nur speziell abgesicherte Dächer standhalten. Die klimatischen Veränderungen und die extensive Abholzung der Wälder haben dazu geführt, dass es so gut wie keine Bäume mehr gibt. </span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Wenn man sagt, dass Ty sein Leben für den Umweltschutz gegeben hat, ist das nicht übertrieben. Er hat gemeinsam mit seiner damaligen Frau Andrea an legalen Aktionen der Umweltorganisation "Earth Forever!- EF!" teilgenommen und sich radikalisiert, als er den Eindruck hatte, dass diese Aktionen nichts an der verfehlten Klima- und Umweltpolitik der US-Regierung und der Bundesstaaten ändern. Er machte Bau- und Holzfällermaschinen von großen Unternehmen nachts unbrauchbar und steckte eine Holzplantage in Brand, für die ein natürlicher Wald mit alten Baumriesen abgeholzt worden war. Dafür saß er jahrelang im Gefängnis. An seiner Einstellung hat die Haft nichts geändert. Ty war nie ein Redner, sondern wollte mit seinen Taten etwas erreichen: <i>"Ich halte keine Predigten. Es ist zu spät dafür, und abgesehen davon hat das Predigen noch nie irgendwas geholfen. Aber eins will ich sagen, der Ordnung halber - die meiste Zeit meines Lebens war ich Verbrecher. Genau wie ihr"</i>, lässt Boyle Ty Tierwater 2025 sagen.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Was ihn sein Leben lang verfolgt, ist der lange zurückliegende Tod seiner Tochter Sierra, die damals wegen einer spektakulären Umweltaktion zu einer Ikone der Umweltbewegung wurde. Alles lange her, kaum jemand kennt heute noch ihren und Tys Namen. Das soll sich plötzlich, vierundzwanzig Jahre nach Sierras Tod, ändern: Andrea taucht unvermittelt bei Ty auf, zwanzig Jahre, nachdem sich die beiden getrennt haben. Sie hat eine Frau mitgebacht, die Ty flüchtig von früher kennt und ihn nun interviewen will, um eine Biographie über seine Tochter zu schreiben. Die Anwesenheit der beiden Frauen führt zu problematischen Situationen, die sich zuspitzen, als das Wetter noch schlechter wird. Die normalerweise in ihren Gehegen lebenden Tiere sind vom ansteigenden Wasser bedroht, sodass Ty nur eine Chance sieht, sie zu retten: Sie müssen vorübergehend im weitläufigen Wohnhaus des Popstars untergebracht werden, das auf einer künstlichen Anhöhe steht. Diese Umsiedlung bringt eine verhängnisvolle Kette von Ereignissen in Gang, die manche der Hausbewohner nicht überleben.</span></p><h4 style="text-align: left;"><span style="color: #0b5394;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Lesen?</span></span></h4><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Boyles dystopischer Roman greift Themen auf, die ein Großteil der Menschen jahrzehntelang verdrängt hat. Der Klimawandel und seine Folgen sind für sich genommen keine Neuigkeit, wurden und werden jedoch "erfolgreich" ignoriert. </span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Boyle zeichnet die Folgen von drastischen Hitze- und Regenperioden nach und hält bereits vor dreiundzwanzig Jahren eine aktive Klimabewegung für möglich, die sich zum Teil radikalisiert, weil sie kein anderes Mittel mehr findet, um die Politik und die Bevölkerung aufzurütteln. Dass es heute, zwei Jahre vor dem im Roman maßgeblichen Jahr, noch nicht so schlimm gekommen ist, wie vom Autor vorhergesagt, kann vernachlässigt werden. Nur Geduld, das wird schon.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Gegen Ende schleicht sich bei Ty Tierwater Resignation ein, als er gefragt wird: <i>"Und was hast du erreicht? Sieh dich doch um - sieh dich doch nur um und beantworte mir das."</i> - <i>"Nichts, überhaupt nichts"</i>, ist seine Antwort. Mehr Frustration geht nicht.<br />T. C. Boyle entlässt seine Leserinnen und Leser allerdings nicht in dieses düstere Gefühl, sondern öffnet eine Tür, damit Ty und Andrea so etwas wie eine Zukunft haben.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">T. C. Boyle hat ein sehr feines Gespür für Themen, die Menschen jetzt bewegen oder es später tun werden. Man mag einwenden, dass das Narrativ des menschengemachten Klimawandels und dessen Folgen so oft gebetsmühlenartig wiederholt wird, dass man davon nichts mehr hören oder lesen mag. Aber solange es ein Aufreger ist, wenn im Wolfsburger VW-Werk mit seinen mehr als 30 Kantinen und Kiosken in nur einer (!) Kantine ausschließlich vegetarisch gekocht und die heißgeliebte VW-Currywurst nur fleischlos angeboten wird, ist es offenbar angebracht, immer wieder zu wiederholen, dass wir uns aus unserer Komfortzone verabschieden und die Realität wahrnehmen und entsprechend handeln sollten. Zwei Jahre lang wurde in dieser einen Betriebskantine fleischlos gekocht, dann knickte die Konzernleitung im August 2023 ein und passte das Angebot an das der anderen "normal" kochenden Kantinen an. Was würde T. C. Boyle dazu sagen? Man kann es nur erahnen.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Ein Freund der Erde</span></i> ist in der deutschen Version 2001 im Hanser Verlag erschienen und kostet als Taschenbuch 13 Euro sowie als E-Book 9,99 Euro.</span></p>Ina Degenaarhttp://www.blogger.com/profile/12372372085755879381noreply@blogger.com030966 Hemmingen, Deutschland52.2964253 9.730834223.986191463821157 -25.4254158 80.606659136178848 44.887084200000004tag:blogger.com,1999:blog-6622832371304212471.post-58396601868509404172023-09-04T15:00:00.000+02:002023-09-04T15:00:38.138+02:00# 407 - Wo ist Valentin?<p><span style="font-family: verdana; font-size: large;"></span></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgHBg7CwXxxAji5d4eUybrtuSGdk8fv0CmYFJHznxFp_yL7zmoqOxqBoYXjlkbt32wXGpUP7C72jVte1TjSwMRrIJ5-CVpSapjwf37N0dFsJtzltbgr081yLOU7HHaQYrQdhBV9dZXedqpb5aKplO1Eeyuk4QCQtfxQq1l5vIN9Vi6g1Fl_Nh59PPEVfoQ/s2231/Cover%20Wo%20ist%20Valentin.jpg" imageanchor="1" style="clear: right; float: right; margin-bottom: 1em; margin-left: 1em;"><img border="0" data-original-height="2231" data-original-width="1549" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgHBg7CwXxxAji5d4eUybrtuSGdk8fv0CmYFJHznxFp_yL7zmoqOxqBoYXjlkbt32wXGpUP7C72jVte1TjSwMRrIJ5-CVpSapjwf37N0dFsJtzltbgr081yLOU7HHaQYrQdhBV9dZXedqpb5aKplO1Eeyuk4QCQtfxQq1l5vIN9Vi6g1Fl_Nh59PPEVfoQ/w278-h400/Cover%20Wo%20ist%20Valentin.jpg" width="278" /></a></span></div><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Valentin - das ist der Name des bei der Lehrerin Katja<br /> lebenden Katers. Er wurde am Valentinstag geboren und kam so zu seinem Namen. Nomen est omen: Katja liebt das Tier heiß und innig wie wahrscheinlich kein anderes Wesen auf der Welt. Die Idylle der beiden wird durch nichts und niemanden gestört, denn nach einer erschütternden Erfahrung mit einem früheren Partner ist die junge Frau Single.</span><p></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Doch dann kommt der Tag, an dem Katja ihren Kater nach dem Unterricht nicht zu Hause antrifft. <i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Wo ist Valentin?</span></i> ist die zentrale Frage der Handlung und der Titel des neuesten Buches von Kai Hensel.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Katja versucht alles, um Valentin, ohne den sie sich unvollständig fühlt, zu finden. Sogar auf das ihr bislang unbekannte Terrain Social Media begibt sie sich. Unbedarft, wie sie in dieser Hinsicht ist, ahnt sie nicht, was sie mit ihren Beiträgen in einem bekannten sozialen Netzwerk auslöst. Der bislang beliebten Lehrerin an einem Kleinstadt-Gymnasium schlägt nun nicht nur Mitgefühl, sondern auch Misstrauen entgegen: Was hat es mit Valentins Verschwinden auf sich? Hat Katja etwas zu verheimlichen?</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Auch die Schülerin Ricky hat den Verdacht, dass es in Katjas Leben Schatten gibt, von denen niemand etwas weiß und die irgendwie mit Valentins Verschwinden zusammenhängen. Sie wittert ein #Katergate und stellt eigene Nachforschungen an. Ihr Traum ist ein Praktikumsplatz bei der kleinen Lokalzeitung, den sie mit einer spannenden Story ergattern will. </span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Die Handlung schlägt immer wieder Haken, und einige der Protagonisten lernen auf unfreiwillige und zum Teil gefährliche Weise, dass man seinen Mitmenschen immer nur bis vor die Stirn, aber nie dahinter schauen kann. Einer von ihnen wird nicht erfahren, wie die Geschichte ausgeht.</span></p><h4 style="text-align: left;"><span style="color: #0b5394; font-family: verdana; font-size: large;">Lesen?</span></h4><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Wo ist Valentin?</span></i> ist ein unterhaltsamer Cosy-Krimi der mit dem Umstand spielt, dass einige der Protagonisten sinnbildlich Leichen im Keller haben und Ziele verfolgen, die auf den ersten Blick nichts mit dem verschollenen Kater zu tun haben. </span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Kai Hensel beschreibt seine Figuren und die Verhältnisse, in denen sie leben, sehr genau, sodass man sich gut in sie hineinversetzen kann. Das eine oder andere Mal rutscht ein Klischee zwischen die Zeilen, das schmälert aber nicht den guten Eindruck des Romans.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Wo ist Valentin?</span> </i>ist 2023 im Kanon Verlag erschienen und kostet als gebundenes Buch 22 Euro und als E-Book 16,99 Euro.</span></p>Ina Degenaarhttp://www.blogger.com/profile/12372372085755879381noreply@blogger.com030966 Hemmingen, Deutschland52.2964253 9.730834223.986191463821157 -25.4254158 80.606659136178848 44.887084200000004tag:blogger.com,1999:blog-6622832371304212471.post-67727495677424287892023-08-26T15:39:00.001+02:002023-08-26T15:39:19.190+02:00# 406 - Eine lyrische Liebeserklärung an die schönste Insel der Welt<p><span style="font-family: verdana; font-size: large;"></span></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEieoYvWOY_Lm_hEh_uvUaimxtfESnkE48v8GyHzkGEPu8OF1Wd0arRYAGrTQu9A0ev5NQZeUso4LSGURJ5iOu5yHqck7TaBGPHYN75ZuBf8CCt0eu4jW5ZaaPMqbTGBfzw73HlP90oat8i7lqVPfRK-PaSAZ1mepOI-uZCefWZwTXEo1ie9HbZl0wMVJV4/s2057/Cover%20Du%20bist%20eine%20Insel.jpg" style="clear: right; float: right; margin-bottom: 1em; margin-left: 1em;"><img border="0" data-original-height="2057" data-original-width="1678" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEieoYvWOY_Lm_hEh_uvUaimxtfESnkE48v8GyHzkGEPu8OF1Wd0arRYAGrTQu9A0ev5NQZeUso4LSGURJ5iOu5yHqck7TaBGPHYN75ZuBf8CCt0eu4jW5ZaaPMqbTGBfzw73HlP90oat8i7lqVPfRK-PaSAZ1mepOI-uZCefWZwTXEo1ie9HbZl0wMVJV4/w326-h400/Cover%20Du%20bist%20eine%20Insel.jpg" width="326" /></a></span></div><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Welche tatsächlich die schönste Insel der Welt ist, liegt natürlich immer im Auge des Betrachters. Aber Thilo Schmid hat seine Wahl getroffen: Mallorca. Die größte Insel der Balearen ist seit einigen Jahren sein Sehnsuchtsort, an dem er sich zu Hause und mit dem er sich verbunden fühlt.</span><p></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Schon vor etwa zwanzig Jahren schrieb Schmid Gedichte und erlangte mit ihnen so viel Aufmerksamkeit, dass er mehrere Literaturpreise erhielt. Doch dann kam das Leben dazwischen, und die Poesie trat in den Hintergrund - bis er zum ersten Mal nach Mallorca kam. Die Landschaft und Atmosphäre der Insel ließen etwas in ihm zum Klingen bringen und brachten Thilo Schmid wieder zum Schreiben. <i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Du bist eine Insel</span></i> entführt seine Leserinnen und Leser in ein Mallorca fern von Ballermann und Schinkenstraße. </span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Schmids Gedichte sind kurz, aber greifen sehr feinfühlig Stimmungen und Emotionen auf. Seine bildliche Sprache lässt die Serra de Tramuntana, Schmids Lieblingsgegend, vor dem inneren Auge erstehen. Da ist die blühende Bougainvillea, die symbolisch für die Liebe steht; die an den Feigenbaum gelehnte Leiter wird zu einem Weg in den Himmel mit seinen Sternen; die Heftigkeit eines Morgengewitters wird mit Fischer- und Kriegsmotiven beschrieben.</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Wie eng der Dichter sein Band mit Mallorca empfindet, drückt u. a. das Gedicht <i>Glücklicher Moment</i> aus, das mit einem christlichen Motiv spielt:</span></p><p style="text-align: center;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><i>Die Sonne steht im Zenit.</i></span></p><p style="text-align: center;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><i>Für einen Moment werfen wir<br />keinen Schatten<br />und nichts wirft Schatten<br />auf uns.</i></span></p><p style="text-align: center;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><i>Erhitzt taufen wir uns<br />im Becken des Baches.</i></span></p><p style="text-align: center;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><i>Unlösbar von nun an unsere Gemeinschaft<br />mit der Insel. </i></span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Die Künstlerin Birte Thurow war zunächst nur gebeten worden, das Cover zu gestalten. Doch Schmids Gedichte lösten bei ihr so viel Inspirationen zu farbgewaltigen Kunstwerken aus, dass einige von ihnen den Weg ins Buch fanden. Jedes dieser Bilder unterstreicht die Wirkung der Worte, die Thilo Schmid für seine Poesie gefunden hat.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Schmid versteht <i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Du bist eine Insel</span></i> als ein Geschenk an Mallorca und seine Naturschönheiten. Da lag es nahe, die Gedichte ins Spanische übersetzen zu lassen. Diese sensible Aufgabe hat das renommierte Übersetzer-Duo Angelica Ammar und Javier Salinas übernommen. So stehen den deutschen Versen immer auch die spanischen gegenüber. <br />Zeitgleich mit <i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Du bist eine Insel</span> </i>ist das Buch im April 2023 unter dem Titel <i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Eres una Isla</span></i> in Spanien erschienen. </span></p><h4 style="text-align: left;"><span style="color: #134f5c; font-family: verdana; font-size: large;">Thilo Schmidt im Interview <br /></span></h4><p style="text-align: left;"></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgozfqe4kngwBSSzn6MCq1jOVd7ANGyN6FNoqiWDbBkLvab9G8buUBePHfNZb6zr12XQ9Xmg0a5m1Y9WH2CQUiFUtwmCdsGxnf79ZWO1Y5RimaOwl-k8hyZ8yHLkTE7LlRPUSmLcf_ZGQAujd1sHU6PRRd_X-5oiiCV0xC72J0mwZZJKJNwTbEox3hQYZc/s1345/Portr%C3%A4t.jpg" imageanchor="1" style="clear: right; float: right; margin-bottom: 1em; margin-left: 1em;"><img border="0" data-original-height="1215" data-original-width="1345" height="181" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgozfqe4kngwBSSzn6MCq1jOVd7ANGyN6FNoqiWDbBkLvab9G8buUBePHfNZb6zr12XQ9Xmg0a5m1Y9WH2CQUiFUtwmCdsGxnf79ZWO1Y5RimaOwl-k8hyZ8yHLkTE7LlRPUSmLcf_ZGQAujd1sHU6PRRd_X-5oiiCV0xC72J0mwZZJKJNwTbEox3hQYZc/w200-h181/Portr%C3%A4t.jpg" width="200" /></a></div><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Ich habe mich mit Thilo Schmid über sein Buch und sein Leben unterhalten, um ihn ein bisschen kennenzulernen. Seine offenen Antworten auf meine neugierigen Fragen lest ihr hier:</span><p></p><p><i><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Du lebst in Hamburg und hast mit Deinem Gedichtband "Du bist eine
Insel - Eres una Isla" der Baleareninsel Mallorca ein romantisches und
strahlendes Denkmal gesetzt. Warum fühlst Du Dich gerade auf dieser
Insel so zu Hause?<o:p></o:p></span></i></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Für mich war die Begegnung mit Mallorca wie eine Liebe auf den ersten
Blick. Als ich die Insel zum ersten Mal betreten habe, war es mir, als
käme ich nach einer langen Reise zurück nach Hause. Ich
liebe ihre unterschiedlichen
Landschaften, vor allem den Nordwesten der Insel, das Zusammentreffen von Bergen und Meer, die besondere Vegetation dort, die kleinen, versteckten
Buchten, die pittoresken Städtchen, die engen Straßen
entlang der Küste, den weiten Sternenhimmel, den mineralischen Wein, die
beruhigende Abgeschiedenheit, das Archaische. Alles dort bringt mich zum Klingen. Lässt mich „Mensch“ sein und zu
meinem Kern, zur Ruhe kommen. Ich bin nirgendwo auf der Welt glücklicher
und
zufriedener als dort. Aber das hat auch viel mit Julia zu tun, der Frau, die mir diesen Ort gezeigt hat, mit der ich dort sein darf
und die ich liebe.<o:p></o:p></span></p><p><i><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Bevor Du "Du bist eine Insel" veröffentlicht hast, hat es von Dir
über zwanzig Jahre kein Buch gegeben. Was hat Dich daran gehindert,
nicht schon früher wieder einen Titel herauszugeben?<o:p></o:p></span></i></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Es gab keine Notwendigkeit zum Schreiben. Tatsächlich sind fast
zwanzig Jahre lang keine Texte, keine Gedichte entstanden. Es war
einfach nicht an der Zeit. Mit der Begegnung mit Julia sind die Gedichte
zurückgekehrt. In den letzten Jahren sind nun gleich
mehrere Hundert entstanden - diese mussten noch einige Zeit „reifen“
und sind nun in der Welt.<o:p></o:p></span></p><p><i><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Ich habe gelesen, dass Du damals einige namhafte Literaturpreise
bekommen hast und als das vielversprechendste Talent Deiner Generation
bezeichnet wurdest. Du wurdest in einem Atemzug mit Botho Strauß oder
Patrick Süskind genannt. Dennoch bist Du diesen
literarischen Weg nicht weitergegangen, sondern hast Deine berufliche
Laufbahn ganz anders gestaltet. Was waren die Gründe für diese
Entscheidung?<o:p></o:p></span></i></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Trotz des Erfolges damals habe ich mich tatsächlich nie als
Schriftsteller empfunden, sondern als schreibender Mensch mit vielerlei
Interessen, vor allem aber war ich immer vor allem begeistert von
Büchern - sie haben meine persönlichen und beruflichen
Wege geprägt. Mehr als alles andere.<o:p></o:p></span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Mit der Gründung einer Familie habe ich die Verantwortung für andere
Menschen übernommen, das bedeutete auch, dass ich nachhaltig Geld
verdienen und nicht länger abhängig vom Zeitgeist, Stipendien und
Förderungen sein durfte.
<o:p></o:p></span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Ich habe also eine Ausbildung zum Buchhändler gemacht, später noch studiert und konnte so meinen Weg gehen.<o:p></o:p></span></p><p><i><span style="font-family: verdana; font-size: large;">In der Buchbranche kennt man Dich als Vertriebs- und
Marketingleiter der Verlagsgruppe Oetinger. Von außen betrachtet ist das eine
verantwortungsvolle Tätigkeit, die mit der eines Autors aber nichts
gemeinsam hat. Ist das Schreiben für Dich ein Ausgleich zu Deinem
Berufsleben?<o:p></o:p></span></i></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Nein, ich glaube nicht an solcherlei „Balancen“ – Work-Life-Schreiben
durchdringen einander, sind Facetten… Und auch im Schreiben hat man
natürlich - zumindest, wenn man veröffentlicht – eine Verantwortung.
Kreativ und abwechslungsreich sind beide Bereiche.
Das poetische Denken (oder Schreiben) ist für mich kein Ausgleich, es
ist einfach (wieder) ein Teil meines Lebens, ein unmittelbarer
Hallraum, eine Art des Denkens, des sich Versicherns, des Verstehens. Es
ist einfach da.<o:p></o:p></span></p><p><i><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Deine auf Deutsch geschriebenen Gedichte wurden von Angelica Ammar
und Javier Salinas ins Spanische übersetzt. Wie ist die Zusammenarbeit
mit den beiden entstanden?<o:p></o:p></span></i></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Durch schlafwandlerisches Glück. Ich habe mir über unser Lektorat
gute Übersetzer nennen lassen… und die beiden Namen sind gefallen. Mir
gefiel der Ansatz zwei Übersetzer zu haben, von denen die eine Deutsche
ist, die in Spanien lebt, und der andere spanischer
Muttersprachler ist, der wunderbar Deutsch spricht. Die beiden sind
miteinander befreundet und es gewohnt, sich über Sprache auszutauschen,
sich anzunähern, das „richtige“ Wort zu finden.<o:p></o:p></span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Glücklicherweise hatten beide ein kleines Zeitfenster und konnten
fast umgehend loslegen. In der Folge haben wir uns dann – über die
intensive Arbeit an den Texten und dem Ringen um einzelne Wörter –
immer besser kennengelernt und sind uns in der Zwischenzeit
auch persönlich begegnet. Wir mögen und schätzen einander sehr. Gerade
bin ich wieder auf dem Weg auf die Insel, um die beiden dort für eine
gemeinsame Lesung in Palma zu treffen, das wird herrlich!<o:p></o:p></span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Ich habe die Zusammenarbeit mit beiden als unglaubliche Bereicherung
empfunden und wusste meine Texte in den besten Händen. Behutsam und
selbstbewusst wurden diese ins Spanische übertragen und finden dort nun
Dank der Sensibilität und des Könnens der beiden
zahlreiche LeserInnen.<o:p></o:p></span></p><p><i><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Hast Du geplant, weitere Bücher zu veröffentlichen?<o:p></o:p></span></i></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Ja. Jede Veröffentlichung birgt Türen in großartige Begegnungs- und
Erlebnisräume. Und da die letzten Jahre nun sehr produktiv und meine
Erfahrungen mit BoD sehr erfreulich waren, kann ich mir das sehr gut
vorstellen… und habe schon
erste Ideen.<o:p></o:p></span></p><p><i><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Die Hamburger Künstlerin Birte Thurow hat für "Du bist eine Insel"
fünf farbgewaltige Illustrationen geschaffen. Kannst Du Dir auch für
künftige Titel eine Zusammenarbeit mit ihr vorstellen?<o:p></o:p></span></i></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Jederzeit – auch das war ein großes Glück. Ich kannte Birte aus dem
beruflichen Kontext und mag ihre Kunst und vor allem ihre intuitive,
unkonventionelle und sehr kreative Herangehensweise. Daher hatte ich
sie gebeten, ein Cover für den Band zu entwerfen
und ihr die Texte geschickt sowie ein Moodboard mit Bildern und Farben
erstellt. <o:p>
</o:p></span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Wenig später kam Birte dann statt mit einem mit über 10 Kunstwerken
um die Ecke, die mich alle total begeistert und meinen Texten eine
zusätzliche Ebene verliehen haben.<o:p></o:p></span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Sie ergänzen und verstärken die Gedichte auf eine so
einzigartige und wundervolle Art und Weise, dass wir uns schnell entschieden haben,
gleich mehrere der Kunstwerke mit ins Buch aufzunehmen. Diese illustrieren, interpretieren und gliedern nun die Texte
- und sind ein ästhetischer Genuss.<o:p></o:p></span></p><p><i><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Wer sich in Deine Gedichte vertieft hat, weiß, dass Du darin die
Schönheit mehrerer Orte auf Mallorca beschreibst. Hand aufs Herz: Wo
bist Du dort am liebsten und warum?<o:p></o:p></span></i></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">In der Tramuntana, einen Steinwurf unterhalb von Biniaraix. Weil dort Julias Feigenbaum steht…</span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><i>Lieber Thilo, ich bedanke mich herzlich für dieses Interview.</i></span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Thilo Schmid hat meine Fragen am 16. August 2023 beantwortet. Die Lesung in Palma hat am 18. August 2023 stattgefunden und war ein voller Erfolg.</span></p><p></p><h4 style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Fotos aus Mallorca</span></h4><p style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Ich zeige Euch hier einige Fotos, die mir der Autor freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat.</span></p><p></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Stimmungen und Eindrücke auf Mallorca wie diese haben ihn zu seinen Gedichten inspiriert:</span></p><p></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjdsT5tVygY4HK5BrtYxsF6q9CCQeykHB7Q0dGoTjo2JDr-Fex0Hrfc59BnDs-nNim2XgScV_5c0gF-Y7ke2p-BMfXWUWFj_PxQpVIhfTe4gAT7ol5JBtQXaYbB74oP9t-o5H0fcD1zzNwdEMVoh8VadZ7Yc7N01YXaGto3qm2TxTThAK97A8-Wk1KZJaY/s640/20.jpg" style="margin-left: auto; margin-right: auto; text-align: right;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="480" height="386" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjdsT5tVygY4HK5BrtYxsF6q9CCQeykHB7Q0dGoTjo2JDr-Fex0Hrfc59BnDs-nNim2XgScV_5c0gF-Y7ke2p-BMfXWUWFj_PxQpVIhfTe4gAT7ol5JBtQXaYbB74oP9t-o5H0fcD1zzNwdEMVoh8VadZ7Yc7N01YXaGto3qm2TxTThAK97A8-Wk1KZJaY/w300-h386/20.jpg" width="300" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Sonnenuntergang in der Serra Tramuntara</td></tr></tbody></table><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEijVdwCR4kn2RB33LTcvkuahliKiTOs1f01gyYkDtLwD_O2Z1_N-f7m34YmYi026nJm68UdKUtxTnadrWO8BRFVUVPmUwQGr24yxecxvLGnPGjYoFkvaZX5UzljUIh7ObyLtDAGNacOIyKDrJ6jbP9X3axDdbf6yN1u48AFt1o7UoCrpOqqmCs4fK8jW1E/s640/24.jpg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="480" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEijVdwCR4kn2RB33LTcvkuahliKiTOs1f01gyYkDtLwD_O2Z1_N-f7m34YmYi026nJm68UdKUtxTnadrWO8BRFVUVPmUwQGr24yxecxvLGnPGjYoFkvaZX5UzljUIh7ObyLtDAGNacOIyKDrJ6jbP9X3axDdbf6yN1u48AFt1o7UoCrpOqqmCs4fK8jW1E/w300-h400/24.jpg" width="300" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Abendstimmung in Biniaraix</td></tr></tbody></table><br /><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEj40N7QzG36s8LEsXqRMBLrShc4mIsJzeerHKUhonNRR2c5aMaogaowjZKYzptT_Ru2lGIFuqL-FkTCGRinQNP0rFGT55qGpTqQWA3k2b0bBKB6pgQYqzalqR5Owkn_Y32R6GKyKfdsWPVRXI5AB10VXJ1KTO-oBaxpyMZe3xGbYh8PMsV8hJhkRn_j3Bk/s640/37.jpg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="480" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEj40N7QzG36s8LEsXqRMBLrShc4mIsJzeerHKUhonNRR2c5aMaogaowjZKYzptT_Ru2lGIFuqL-FkTCGRinQNP0rFGT55qGpTqQWA3k2b0bBKB6pgQYqzalqR5Owkn_Y32R6GKyKfdsWPVRXI5AB10VXJ1KTO-oBaxpyMZe3xGbYh8PMsV8hJhkRn_j3Bk/w300-h400/37.jpg" width="300" /></a></div><br /><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhb_8LPQz3STWNsDvUX2wbgNa3guCIWE5jHiYGB1Qum4wZkg0cBWQSQPXmn2Rt7Y6v0VFdNSnYTpmVQymLaKV0TsCOs5fRgo_YKDAC0pnsaVl1_4LTPgml93VmzDSuBpNHzO_tQK9ytJnb8l7uY71RzCRdVEpPItJk9MmDy5qRKxKdKjCQHXXEoGSc-jWI/s640/30.jpg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="480" data-original-width="640" height="300" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhb_8LPQz3STWNsDvUX2wbgNa3guCIWE5jHiYGB1Qum4wZkg0cBWQSQPXmn2Rt7Y6v0VFdNSnYTpmVQymLaKV0TsCOs5fRgo_YKDAC0pnsaVl1_4LTPgml93VmzDSuBpNHzO_tQK9ytJnb8l7uY71RzCRdVEpPItJk9MmDy5qRKxKdKjCQHXXEoGSc-jWI/w400-h300/30.jpg" width="400" /></a></div><br /><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Einige Impressionen von der Lesung in der Buchhandlung <i>Casa del Libro </i>in Palma:</span><p></p><div><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgZ-mnpxslvpFpDlMwTeSl1YJ0kzJuvR7Iiizhh6SOtsgHjd19dplc6PIdAKrmBw1os_rDvNGweJxny5Fl1U-9FCFGk-A4j-PzaONDpjBhqJro7bAipm0X641BT047Wz00nTSrhq7Hu3djiK0bEgOZo8S1HP6AWtWnic0Gh1T3tBka1XoCcUKR_riNU5xo/s2016/5.jpg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="2016" data-original-width="1512" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgZ-mnpxslvpFpDlMwTeSl1YJ0kzJuvR7Iiizhh6SOtsgHjd19dplc6PIdAKrmBw1os_rDvNGweJxny5Fl1U-9FCFGk-A4j-PzaONDpjBhqJro7bAipm0X641BT047Wz00nTSrhq7Hu3djiK0bEgOZo8S1HP6AWtWnic0Gh1T3tBka1XoCcUKR_riNU5xo/w300-h400/5.jpg" width="300" /></a></div><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEh790zOGcCB13wh9zYzLncwyHamtX9g86Qw4cX4CBDpsAF9NFFkidJ0apzrxdsUCRQe3X7Wu7QpkxjRL40No02tTabs_TnDlQ9Q6GY2DA_2W8rEuIqLSiuj0nMXs3KaMqnsdUDsyVu2JPErXFqCpf6ZvSDqwhCu4KxwGJZWQyznQsA_UGSv0oLw3rmtXJ0/s640/Lesung%20Palma%2008-2023.jpg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="480" data-original-width="640" height="300" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEh790zOGcCB13wh9zYzLncwyHamtX9g86Qw4cX4CBDpsAF9NFFkidJ0apzrxdsUCRQe3X7Wu7QpkxjRL40No02tTabs_TnDlQ9Q6GY2DA_2W8rEuIqLSiuj0nMXs3KaMqnsdUDsyVu2JPErXFqCpf6ZvSDqwhCu4KxwGJZWQyznQsA_UGSv0oLw3rmtXJ0/w400-h300/Lesung%20Palma%2008-2023.jpg" width="400" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Thilo Schmid mit <span style="text-align: left;"><span style="font-family: verdana; font-size: x-small;">Javier Salinas im Casa del Libro, 18.8.23</span></span></td></tr></tbody></table><br /></div><br /><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">Du bist eine Insel</span></i> ist 2023 bei Books on Demand (BoD) erschienen und kostet als Hardcover-Ausgabe (mit Schutzumschlag und Lesebändchen) 25 Euro sowie als E-Book 8,99 Euro.</span></div>Ina Degenaarhttp://www.blogger.com/profile/12372372085755879381noreply@blogger.com230966 Hemmingen, Deutschland52.2964253 9.730834223.986191463821157 -25.4254158 80.606659136178848 44.887084200000004tag:blogger.com,1999:blog-6622832371304212471.post-55225286661043912592023-08-18T14:45:00.002+02:002023-09-01T11:31:13.548+02:00# 405 - Der kalte Tod eines Jugendlichen<p></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgaEHz-MWkeXQM2O8U-_5cReoYKYNfB1SdX7GM4vmH_HCyQXdhFczy12DKIbOe9ch5l2SjCEcPOHkvGVDa3zUoVDtvUjV2btwUEXIR2rtFFP8QDcjkD5pNXjEJdL0duWFmxfnYSoOgHhSDvbpcaY84gG9Au1B7EgTI-bNxKQ1kK-A4c6ZL6exbFPqxeG1Y/s2591/Cover%2030%20Tage%20Dunkelheit.jpg" style="clear: right; float: right; margin-bottom: 1em; margin-left: 1em;"><img border="0" data-original-height="2591" data-original-width="1800" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgaEHz-MWkeXQM2O8U-_5cReoYKYNfB1SdX7GM4vmH_HCyQXdhFczy12DKIbOe9ch5l2SjCEcPOHkvGVDa3zUoVDtvUjV2btwUEXIR2rtFFP8QDcjkD5pNXjEJdL0duWFmxfnYSoOgHhSDvbpcaY84gG9Au1B7EgTI-bNxKQ1kK-A4c6ZL6exbFPqxeG1Y/w278-h400/Cover%2030%20Tage%20Dunkelheit.jpg" width="278" /></a></div><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Jenny Lund Madsen ist in Dänemark als Drehbuchautorin bekannt geworden. 2020 hat sie mit <i><span style="color: #38761d;">Tredive Dages M</span></i></span><span style="background-color: white;"><i><span style="color: #38761d;">ørke</span></i><i style="color: #202122;"> </i><span style="color: #202122;">ihr erstes Buch veröffentlicht, das 2023 unter dem Titel </span><span style="color: #38761d;"><i style="font-weight: bold;">30 Tage Dunkelheit</i> </span></span><span style="background-color: white; color: #202122;">auf Deutsch herausgebracht wurde. </span></p>Im Mittelpunkt steht Hannah Krause-Bendix, eine in ihrer Heimat Dänemark renommierte Schriftstellerin. Vier Bücher hat sie veröffentlicht, nie eine schlechte Rezension bekommen und war zwei Mal für den Literaturpreis des Nordischen Rats nominiert. Für eine Auszeichnung hat es jedoch bisher nie gereicht, und Hannah vermutet, warum: Ihre Bücher sind für den Massengeschmack zu anspruchsvoll. Das geht leider mit schlechten Verkaufszahlen einher, die Hannah mit einem zu hohen Alkoholkonsum kompensiert. Sie lebt zurückgezogen in einfachen Verhältnissen und ist auf die Zahlungen des staatlichen Kunstfonds angewiesen.</span><p></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Kritische Selbstreflexion ist nicht ihr Ding, und so wundert man sich nicht, dass der einzige Mensch, den sie als Freund bezeichnen würde, ihr Lektor Bastian ist. Er spornt sie an, an ihrem aktuellen Buch weiterzuarbeiten, aber Hannah ist mit dem, was sie schreibt, unzufrieden und kommt nicht weiter. Bastian zuliebe (und um die Buchverkäufe anzukurbeln) nimmt sie an einer Buchmesse teil. Doch der Zufall will es, dass gegenüber ihres Verlagsstandes eine Bühne ist, auf der ihr Erzfeind </span><span style="background-color: white; color: #202122;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Jørn Jensen seinen neuesten Krimi vorstellt und vom Publikum bejubelt wird.</span></span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><span style="background-color: white; color: #202122;">Krimis sind in Hannahs Welt ein verabscheuungswürdiges Genre, und </span><span style="background-color: white; color: #202122;">Jørn gehört ihrer Meinung nach zu dessen unfähigsten Vertretern. Doch wie man es dreht und wendet: Er hat Erfolg und sie nicht. In ihrem Zorn bricht Hannah vor aller Augen einen Streit vom Zaun, an dessen Ende eine Wette steht: "In einem Monat habe ich einen Krimi geschrieben, der besser ist als alles, was du jemals veröffentlicht hast", schleudert sie ihm zu ihrer eigenen Überraschung entgegen.</span></span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><span style="background-color: white; color: #202122;">Gesagt ist gesagt. Bastian ist von so viel unerwarteter Publicity begeistert und organisiert für Hannah sofort eine passende Unterkunft in Island, wo diese die nötige Ruhe haben wird, um ihren ersten Krimi zu schreiben. Er schickt sie zu Ella, einer Freundin seiner Familie, die in einem abgelegenen Fischerdorf sechs Autostunden von Reykjavík entfernt lebt - und über 2.000 Kilometer Luftlinie von Hannahs Heimatstadt Kopenhagen entfernt.</span></span></p><p><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><span style="background-color: white; color: #202122;">Hannah hat sich allerdings kaum häuslich bei ihrer Gastgeberin eingerichtet, als deren siebzehnjähriger Lieblingsneffe Thor tot im Hafenbecken des Ortes gefunden wird. Der mit der Situation überforderte Dorfpolizist Viktor würde den Fall am liebsten als Unfall einstufen und zu den Akten legen. Hannah mag daran nicht glauben, denn der Jugendliche hatte Angst vor dem Wasser und konnte nicht schwimmen. Er mied das Wasser, sehr zum Ärger seines Vaters </span></span><span style="background-color: white; color: #040c28;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Ægir, des erfolgreichsten Fischers im Ort.</span></span></p><p><span style="background-color: white; color: #040c28;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;">Hannah mischt sich immer wieder in Viktors Ermittlungen ein und hofft dabei, das Erlebte in ihren Krimi einfließen lassen zu können, mit dem sie nicht recht vorankommt. Sie ahnt nicht, dass sie sich damit in Lebensgefahr begibt. Was sie noch nicht weiß: Das Fischerdorf hütet seit Langem das Geheimnis um ein Verbrechen, das Jahrzehnte zurückliegt. Zu Hannahs Glück bekommt sie aus einer unerwarteten Richtung Unterstützung.</span></span></p><h4 style="text-align: left;"><span style="background-color: white;"><span style="color: #0b5394; font-family: verdana; font-size: large;">Lesen?</span></span></h4><p style="text-align: left;"><span style="background-color: white;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">30 Tage Dunkelheit</span></i><span style="color: #040c28;"> spielt im November. Dieser Monat ist in Island nicht nur bereits sehr winterlich, sondern hat mit sechseinhalb Stunden sehr kurze Tage. In Hannahs Wohnort Kopenhagen sind es immerhin zwei Stunden mehr. Und so empfindet die Schriftstellerin die Tage in Island auch: Kaum ist der Morgen angebrochen, bricht schon die Dämmerung herein. Dieses Phänomen steht symbolisch für Hannahs Fremdeln mit der Kultur und den Menschen Islands. Erst nach und nach ändert sie ihre Meinung und damit auch ihr bislang menschenfeindliches Sozialverhalten.</span></span></span></p><p style="text-align: left;"><span style="background-color: white;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><span style="color: #040c28;">Jenny Lund Madsens Debüt ist eine schöne Mischung aus Krimi, einem kritischen Blick auf gesellschaftliche Vorurteile und einem Entwicklungsroman - diesmal im Hinblick auf eine Erwachsene. Der Spannungsbogen hat hier und da eine leichte Delle, aber </span><i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">30 Tage Dunkelheit</span></i><span style="color: #040c28;"> ist sehr gut gemachte Unterhaltung. Mal sehen, ob wir irgendwann noch mehr über Hannah Krause-Bendix erfahren.</span></span></span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-size: large;"><span style="background-color: white;"><span style="font-family: verdana;"><span style="color: #040c28;">Jenny Lund Madsen erhielt für </span></span></span><span style="font-family: verdana;"><i><span style="color: #38761d;">Tredive Dages M</span></i></span><span style="background-color: white; font-family: verdana;"><span style="color: #38761d; font-style: italic;">ørke </span><span>2021 den dänischen Harald-Mogensen-Literaturpreis für den besten Krimi des Jahres.</span></span></span></p><p style="text-align: left;"><span style="background-color: white;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><i style="font-weight: bold;"><span style="color: #38761d;">30 Tage Dunkelheit</span></i><span style="color: #040c28;"> ist 2023 im Tropen Verlag erschienen und kostet als Paperback 18 Euro sowie als E-Book 13,99 Euro.</span></span></span></p><p><span style="background-color: white; color: #040c28;"><span style="font-family: verdana; font-size: large;"><br /></span></span></p>Ina Degenaarhttp://www.blogger.com/profile/12372372085755879381noreply@blogger.com030966 Hemmingen, Deutschland52.2964253 9.730834223.986191463821157 -25.4254158 80.606659136178848 44.887084200000004