Freitag, 10. November 2017

# 124 - Glückwunsch zum 150.!

Bekannt wie ein bunter Hund

 

Heute wird der Reclam-Verlag 150 Jahre alt. Ich kenne niemanden, der nicht schon einmal eines der kleinen Büchlein in der Hand gehalten hat. Spätestens während der Schulzeit wird irgendwann ein Reclam-Klassiker gelesen. Anlässlich dieses Jubiläums habe ich in meinen Bücherschränken nachgesehen, welche Reclam-Hefte sich dort noch finden. Ein paar waren schon vor Jahren so zerlesen, dass ich mich von ihnen getrennt habe. Aber diese hier möchte ich euch gern zeigen:




Der Barbier von Sevilla von Rossini (oben links) stammt von einem Flohmarkt, wurde vom Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig herausgebracht und ist in Sütterlin gedruckt. Das Heft muss zwischen 1912 und 1917 erschienen sein: In der Verlagshistorie stammen die ersten Hefte in diesem Design aus dem Jahr 1912, die erste Preiserhöhung von 20 auf 25 Pfennig wurde 1917 eingeführt. Auf diesem Exemplar war noch der alte Preis aufgedruckt. Gute Qualität schien damals keine allzu hohe Priorität gehabt zu haben, denn der Schnitt rundherum sieht aus, als hätte man einen Praktikanten mit der Nagelschere drangesetzt. 

Oben rechts ist Der Heilige von Conrad Ferdinand Meyer, verlegt 1985 vom Verlag Philipp Reclam jun. Stuttgart. Ernst Reclam hatte 1950 Stuttgart zum neuen Stammsitz seines Verlags gemacht, nachdem die Arbeit in der sowjetischen Besatzungszone immer schwieriger geworden war. Dieses hier war ein "Muss-Buch": Ich musste es in der Schule lesen. Die Handlung stark gerafft: Hans der Armbruster ist ehemaliger Soldat unter Heinrich II. und erzählt einem Chorherrn von der eigenartigen Beziehung zwischen Thomas Becket und dem König. Sie wird sehr problematisch, als Becket von Heinrich II. zum Erzbischof von Canterbury ernannt wird und sich zum ausschließlichen Wohl der Kirche gegen diesen wendet. Wie so oft im Mittelalter geht die Sache nicht ohne Blutvergießen aus. Ich kann mich noch gut erinnern, dass ich Meyers Sprache, wie sie gegen Ende des 19. Jahrhunderts üblich war, anstrengend fand und dieses Büchlein außer bei jedem Umzug oder beim sporadischen Abstauben nicht mehr angesehen habe. Bis heute.

Es geht weiter mit Deutsche Volkslieder aus dem Jahr 1990. Es enthält 168 Liedtexte einschließlich der Noten und ist in mehrere Kapitel aufgeteilt wie z. B. "Viva la Musica" oder "Heimat und wandern". Was mich dazu bewogen hat, dieses kleine Liederbuch zu kaufen, kann ich heute nicht mehr nachvollziehen. Aber es hat seinen festen Platz im Regal. Vielleicht habe ich noch eine Zukunft als Heimatlied-Sängerin vor mir. Man weiß es nicht.

Unten rechts ist Deutsche Unsinnspoesie in der überarbeiteten Ausgabe von 1995. Hier weiß ich sehr genau, warum ich es habe: Ich mag abstruse Texte, und dieser Band enthält reichlich davon. Schüttelreime ("Ins Teppichhaus die Käufer laufen, sie wollen alle Läufer kaufen"), Palindrome ("Eine Hure bei Liebe ruhe nie") oder Texte z. B. von Ernst Jandl, Henning Venske, Heinz Erhardt, Eugen Roth, Kurt Schwitters oder Friederike Mayröcker. Quatsch auf fast 380 Reclam-Seiten. Daumen hoch!

Die Inflation macht auch vor der literarischen Bildung nicht halt

 

Eine kleine Randnotiz: Bis 1991 konnte man den Preis für einen Reclam-Band an den Heftrücken erkennen. Die Zahl der kleinen schwarzen Quadrate oder Punkte sagte aus, mit welchem Multiplikator gerechnet werden musste. Früher war das durchaus üblich, ich habe dieses System auch auf meinen alten dtv-Taschenbüchern gesehen.
1985 betrug der Basiswert für einen Preis-Punkt noch 2,40 DM, demnach habe ich damals für Der Heilige 4,80 DM bezahlt. Als Deutsche Volkslieder herauskam, stand jeder Punkt bereits für 2,90 DM, das Buch kostete bei vier Punkten also 11,60 DM. 18 DM (ab 2002 9,10 Euro) wurden für Deutsche Unsinnspoesie fällig, das war es mir aber wert.

Alles Gute und auf die nächsten 150 Jahre des Reclam-Verlags!