Kaum mehr als ein Jahr nach der Veröffentlichung der
ersten Auflage seines Buches Rechte Richter sah der promovierte Volljurist und Journalist Joachim Wagner die Notwendigkeit einer Erweiterung um rd. 90 Seiten. Seit der Veröffentlichung der ersten Auflage 2021 hat Wagner Entwicklungen beobachtet, die ihn dazu veranlasst haben, das Themenspektrum seines Buches auszuweiten. Gibt es eine Unterwanderung des deutschen Rechtssystems durch AfD-nahe Richter, Staatsanwälte und Schöffen? Was hat es mit einem Staatsanwalt auf sich, der Angeklagte auf den Koran schwören lässt und ist das überhaupt zulässig? Wie stark ist die AfD in Richterwahlausschüssen vertreten?
Wagner vermeidet es, die haupt- und ehrenamtlichen Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und
-anwälte unter Generalverdacht zu stellen. Er greift Einzelfälle heraus, die deutlich zeigen, dass man bei manchen zur Judikative gehörenden Personen durchaus daran zweifeln kann, ob sie sich noch auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung befinden.
Da ist der Staatsanwalt aus Gera, der gegen Kunstaktivisten ein Verfahren wegen des Bildens einer kriminellen Vereinigung anstrengte, nachdem der AfD-Politiker Björn Höcke diese nur einen Tag zuvor öffentlich als "kriminelle und terroristische Vereinigung" bezeichnet hatte. Andere Staatsanwaltschaften stellten ähnliche Verfahren bald ein, dieser Staatsanwalt hielt die Ermittlungen sechzehn Monate lang am Leben, bis das thüringische Justizministerium eingriff. Der Vorgang rückte den Staatsanwalt in den Mittelpunkt weiterer Nachfragen seitens der Medien. Ergebnis: Er hatte Geld an die AfD gespendet und war schon unter seinen Kommilitonen als "Jura-Nazi" bekannt.
Da sind aber auch Gerichtsurteile, die eindeutig rassistische und volksverhetzende Wahlplakate verharmlosen, oder zwei Landesverfassungsgerichte (Verfassungsgerichtshöfe Bayern und Baden-Württemberg), an denen ehrenamtliche Richterinnen und Richter mit einem AfD-Parteibuch tätig sind. Das ist keine Banalität, denn die Verfassungsgerichte der Länder entscheiden beispielsweise über Wahlprüfungsentscheidungen, Volksabstimmungen oder die Auslegung der Landesverfassung und somit die Basis dessen, was unsere Demokratie ausmacht.
Wagner wirbt dafür, schon dann genau hinzusehen, wenn eine juristische Karriere im Staatsdienst noch ganz am Anfang ist: bei der Einstellung von Referendarinnen und Referendaren. Das Bundesverfassungsgericht hat sich bereits entsprechend positioniert: In einem Urteil aus dem Jahr 1977 macht es deutlich, dass es sich verbietet, "Bewerber, die darauf ausgehen, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen, in die praktische Ausbildung zu übernehmen". Während in mehreren Bundesländern in diesem Sinne verfahren und rechtsextremistischen Bewerbern der Zugang zum Referendariat verweigert wurde, sah man den Sachverhalt beim Verfassungsgerichtshof Sachsen in einem konkreten Fall anders und ermöglichte einem aktiven rechtsextremen Nachwuchsjuristen, der in mehreren Bundesländern zurückgewiesen worden war, den Vorbereitungsdienst. Begründung der Richterinnen und Richter: Eine Zurückweisung ist nicht mit der sächsischen Verfassung vereinbar, weil sie die Grundrechte der freien Berufswahl und der freien Wahl der Ausbildungsstätte verletzen würde - eine Haltung, die im Gegensatz zu der o. g. Rechtsauffassung des Bundesverfassungsgerichts steht.
Wohin so eine Handhabung führen kann, hat das Land Berlin erlebt, als es vergeblich versuchte, eine rechtsextreme Richterin aus dem Landesdienst zu entfernen. Eine juristische Tür öffnete sich erst, als die Richterin im Zuge der Verhaftung von mehreren sog. Reichsbürgern im Dezember 2022 ebenfalls festgenommen worden war: Die Beteiligung an der Vorbereitung eines Staatsstreichs rechtfertigte nun ihre Suspendierung.
Die aktualisierte Buchfassung widmet sich auch der Corona-Pandemie. Wagner beschreibt zum Beispiel ihre Zuständigkeit überschreitende Amtsrichter, ein Netzwerk aus Corona-kritischen Richtern und Staatsanwälten sowie eine politisch motivierte Auswahl von Gutachtern bei Gerichtsverfahren.
Nicht zu unterschätzen ist die Rolle von Schöffen, die in Gerichtsverfahren gemeinsam mit Berufsrichtern zu Urteilen kommen. Sie werden auf kommunaler Ebene vorgeschlagen und für fünf Jahre von einem Schöffenwahlausschuss am zuständigen Amtsgericht gewählt. Eine Eignungsprüfung wird nicht durchgeführt, eine Überprüfung der Verfassungstreue ist bislang ebenfalls nicht üblich. Kein Wunder, dass die AfD ihre Mitglieder öffentlich dazu ermuntert, sich um ein solches Ehrenamt zu bewerben. Rechte sprechen Recht, und es wird kaum etwas dagegen unternommen. Das Thema ist gerade aktuell, weil in diesem Jahr deutschlandweit Schöffenwahlen für die Amtszeit 2024 bis 2028 stattfinden.
Lesen?
Joachim Wagner hat sehr genau hingeschaut und die Auswirkungen, die AfD-Richter auf die deutsche Rechtsprechung haben, akribisch dokumentiert. Der Jurist kritisiert deutlich die bislang vorherrschende Haltung der Berufsrichterinnen und -richter, wonach eine kleine Zahl von AfD-Mitgliedern in deren Reihen kein Problem darstellt, um das man sich Sorgen machen müsste. Wagner plädiert dafür, genauer hinzusehen und jedes Gerichtsurteil, das Züge rechter Gesinnung trägt, als das zu sehen, was es ist: ein Schritt mehr zu einem Staat, dessen Bürgerinnen und Bürger ihrer Richterschaft nicht mehr vertrauen und Zweifel an deren neutraler Rechtsfindung haben.
Rechte Richter verdeutlicht, wohin die Rechtsprechung abdriftet, wenn nicht rechtzeitig geeignete Maßnahmen ergriffen werden, die eine Vereinnahmung der Gerichte durch AfD-nahe haupt- und ehrenamtliche Richterinnen und Richter verhindern.
Die erweiterte zweite Auflage von Rechte Richter ist 2023 im Berliner Wissenschafts-Verlag erschienen und kostet 29 Euro.
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