Freitag, 31. Juli 2020

# 251 - Frauen morden anders

Selige Witwen heißt der Roman von Ingrid Noll, der bereits 2001 erschienen ist. Ich hatte vor dem Lesen keine Ahnung, dass er Teil einer Mini-Reihe um die beiden Freundinnen Cora und Maja ist, die ihre sehr spezielle Art haben, ihre Leben zu gestalten.

Cora und Maja sind Anfang 20. Cora ist bereits verwitwet und durch die Erbschaft wohlhabend geworden. Traurig ist sie wegen des Todes ihres Mannes nicht, denn das Beerben reicher Männer ist ihr Geschäftskonzept. Maja ist Mutter eines kleinen Sohnes, folgt ihrer Freundin und deren Wünschen und ist ständig pleite, weil sie ihren Job als Fremdenführerin in der Toskana verloren und keinen Beruf gelernt hat. Ihre einzige Einnahmequelle ist Cora, die sie immer wieder anschnorrt.

Doch durch die einst innige Mädchenfreundschaft zieht sich jedoch ein Riss. Maja nimmt ihre Freundin immer stärker als egoistisch und rücksichtslos wahr, Cora hingegen empfindet Maja immer öfter als schwerfällig und belastend. Cora hat ein Auge auf eine zum Verkauf stehende italienische Luxusvilla geworfen, die ihr von einer reichen Amerikanerin vor der Nase weggekauft wird. Was läge da näher, als diese Dame ins Jenseits zu befördern?

Aber da gibt es noch weitere Schauplätze. Während Cora die italienische Lebensart genießt und ihre Freundin darüber beinahe vergisst, lernt Maja in einer WG in Darmstadt, in die sie vorübergehend aufgenommen wurde, die unscheinbare Kathrin kennen. Kathrin ist auf der Flucht vor ihrem Noch-Ehemann Erik, einem gewieften Rechtsanwalt. Es stellt sich heraus, dass Erik nicht nur menschlich unterste Schublade ist, sondern sich im Rotlichtmilieu von Frankfurt tummelt. Geschäftlich, versteht sich. Und selbstverständlich kriminell, denn es geht nicht nur um illegale Prostitution, sondern auch um Menschenhandel und Mord. Da kann Maja nicht untätig bleiben, und auch Cora, die irgendwann gut erholt in Hessen eintrudelt, mischt kräftig mit.

Lesen?

Muss nicht sein. Die Handlung inklusive der "Wir-Frauen-müssen-zusammenhalten"-Szenarien ist in weiten Teilen vorhersehbar. Am Ende weilen ein paar Menschen weniger auf dieser Erde - die meisten davon selbstverständlich von der bösen Sorte - und andere Menschen sind bedeutend reicher als zu Beginn des Romans. Immerhin macht sich Maja auf den letzten Seiten Gedanken über ihren Lebenswandel und kommt zu dem Schluss: "Ich morde keine Männer mehr." Ingrid Noll scheint das jedoch nicht unbedingt so zu sehen, denn sie lässt die Tür zum nächsten Mord einen Spalt breit offen.

Selige Witwen ist bei Diogenes erschienen und kostet als gebundenes Buch 22,50 Euro, als Taschenbuch 12 Euro sowie als E-Book 9,99 Euro.

Freitag, 24. Juli 2020

# 250 - Wer bist du?

Philipp Petersen ist 2008 während einer Geschäftsreise nach Südamerika spurlos verschwunden. Es gab weder von ihm noch von irgendjemandem eine Nachricht oder ein Zeichen, dass er noch am Leben sein könnte. Das ist sieben Jahre her. Sieben Jahre, in denen seine Frau Sarah auf ihn gewartet und allein den gemeinsamen Sohn Leo großgezogen hat. 

Lange hat sie mit dem Verschwinden ihres Mannes gehadert, doch jetzt kann sie sich nicht mehr vorstellen, dass er noch lebt oder, falls er nicht tot sein sollte, dass er zurückkommen würde. Sie beginnt, ihr Leben neu einzurichten. Dazu gehört auch, sich wieder zu verlieben. Aber dann kommt plötzlich dieser Anruf des Auswärtigen Amtes: Philipp ist in Kolumbien aus der Gefangenschaft befreit worden und wird in Kürze nach Hause gebracht werden. 

Doch der Mann, der dann auf dem Hamburger Flughafen aus dem Flugzeug steigt, ist nicht Philipp Petersen: Er sieht nicht aus wie er und spricht nicht wie er. Doch alle, denen sie sagt, dass das nicht ihr Mann ist, wiegeln ab und versuchen sie zu beruhigen. Und tatsächlich: Dieser Fremde, der sich als Philipp ausgibt, sagt ihr, er sei vom Secret Service und würde sie töten, wenn sie mit jemandem darüber spreche. Es beginnt ein sich stetig steigerndes gegenseitiges Belauern und Sarah bemerkt, dass der Mann sehr private Dinge über sie weiß. Was wird hier gespielt? Und wie kann es Sarah schaffen, ihren Sohn und sich selbst aus dieser bedrohlichen Situation zu retten?

Lesen?

Die Wahrheit ist ein spannender Thriller, bei dem es bis fast zum Schluss unklar bleibt, was der Fremde im Schilde führt und welche Rolle Sarah tatsächlich inne hat. Auf den letzten Seiten wechselt das Buch in ein anderes Genre; deutlicher lässt sich dieser Bruch nicht beschreiben, wenn man keinen Hinweis auf das Ende geben will. Ohne diesen sehr speziellen Abschluss hätte mir das Buch besser gefallen.

Die Wahrheit ist bei btb erschienen und kostet als Paperback-Ausgabe 16 Euro, als Taschenbuch 10 Euro sowie als E-Book 9,99 Euro.

Samstag, 18. Juli 2020

Der Verlag, der seine Leser mit seinen Büchern nach Nordafrika reisen lässt

Die Verlegerin Donata Kinzelbach auf der FBM 2019
Ich habe mich kürzlich mit der Mainzer Verlegerin Donata Kinzelbach unterhalten: über ihren Verlag, ihren ungewöhnlichen Schwerpunkt und eine besondere Ehrung durch den Bundespräsidenten. Fazit: Der Verlag Donata Kinzelbach ist wirklich etwas Besonderes.

 
Frage: Liebe Donata, seit 33 Jahren gibt es Deinen Verlag schon. Allein die Tatsache, so eine lange Zeit zu bestehen, obwohl die großen Publikumsverlage so viel Aufmerksamkeit der Leserschaft auf sich ziehen, verdient großen Respekt. Aber Du hast mit Deinen Titeln eine Nische im Verlagswesen eingenommen, die es so in Deutschland kein zweites Mal gibt: Literatur aus dem Maghreb. Wie kam es dazu?

Antwort: Liebe Ina, stimmt, mittlerweile gibt es den Verlag bereits so lange! Ich habe mich immer schon für fremde Kulturen interessiert – vielleicht auch besonders, da ich in der Eifel groß geworden bin. Schon als Kind dachte ich, dass es neben dem täglichen Alltagstrott hoffentlich noch etwas zu entdecken gäbe! Als ich dann im Studium (Vergleichende Literaturwissenschaften, Philosophie, Anglistik) mit Literatur aus dem Maghreb konfrontiert wurde, hat das in mir eine Saite zum Schwingen gebracht. Und ich dachte mir, dass ich gegen große Verlage nur eine Chance habe, indem ich eine Nische besetze. (Dass das Verlegen von ausländischer Literatur mit hohen Kosten einhergeht, wurde mir erst später klar.)

F.: Hast Du damals auch über einen anderen oder weiteren Schwerpunkt nachgedacht?

A.: In der Tat wollte ich ursprünglich türkische Literatur verlegen – ganz einfach deswegen, weil ich im Studium mit einigen Türkinnen eng befreundet war, die mir Tipps gaben. Aber die erste Übersetzung, die ich anfertigen ließ, enttäuschte mich sehr, denn die Sätze waren sehr kurz, im Deutschen las sich das hölzern. (Maghrebiner kannte ich nicht, denn die studierten ja eher technische Studiengänge, und das zumeist im sozialistischen Bruderstaat, der DDR.)

F.: Du musstest in Deine neue Rolle als Verlegerin erst hineinfinden. Was waren Deine größten Probleme?

A.: In der Tat startete ich bei Null. Heute kann man alles googeln, aber ich stand damals vor ganz simplen Fragen: Wo beantrage ich z. B. eine ISBN-Nummer? Wie komme ich an gute Manuskripte? Wie viel zahlt man für Rechte? (Ja, natürlich habe ich Lehrgeld bezahlt!)

F.: In Deutschland sind die Namen von Schriftstellern aus Algerien, Marokko oder Tunesien eher unbekannt. Vermutlich können nur wenige Leser etwas mit Maïssa Bey, Abdelhak Serhane oder Malika Mokeddem anfangen. Wie lernst Du Autorinnen und Autoren kennen und wie kommt es dann zu der Entscheidung, ihre Bücher auf Deutsch herauszubringen?

A.: Kennen gelernt habe ich meine Autorinnen und Autoren alle nach und nach: auf Messen, bei Literaturkongressen in Algerien oder bei Lesereisen im deutschsprachigen Raum. Und dann wurden es immer mehr, denn es sprach sich schnell herum, dass es diesen kleinen Verlag gibt. Und die Autoren waren zufrieden mit meinem Engagement und lobten meinen Mut. Das hat wirklich gut getan!
Die Entscheidung für oder gegen ein Buch hängt einzig von meiner persönlichen Meinung darüber ab.

F.: Ein fremdsprachiges Buch zu verlegen ist aufwendiger als ein deutsches Buch herauszubringen. Was passiert genau in der Zeit zwischen der Einigung zwischen Dir und den Autorinnen und Autoren und dem Moment, in dem ein neuer Titel in den Buchhandel gelangt? Läuft da alles problemlos ab?

A.: Im Prinzip läuft das sehr einfach ab, ich erwerbe die Rechte und suche einen passenden Übersetzer oder Übersetzerin. Nachdem die Übersetzung vorliegt, lektoriere ich den Text, layoute ihn und gebe die fertige PDF an die Druckerei. Von dieser bekomme ich dann das, was früher die Blaupause war, nämlich das fertig gesetzte Buch als PDF zur Druckfreigabe. Dann braucht es nur ein Quäntchen Geduld, bis das Buch geliefert wird. Bei Taschenbüchern dauert das heute nur wenige Tage, bei Hardcover-Ausgaben etwas länger.

F.: 2008 hast Du vom damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler das Bundesverdienstkreuz erhalten. Wofür wurdest Du ausgezeichnet und wer hatte Dich vorgeschlagen?

A.: Wer mich vorgeschlagen hat, weiß ich gar nicht. Horst Köhler war seinerzeit oft in Algerien und hat dann meine Bücher entdeckt, vielleicht auch auf Hinweis des deutschen Botschafters, bei dem er ja zu Gast war.

F.: Hat sich in Deinem Leben als Verlegerin in den letzten 33 Jahren etwas verändert?

A.: Oh ja, die Digitalisierung hat einiges verändert – nicht nur zum Schlechten! Während man früher ausgedruckte Druckvorlagen beim Drucker vorbeibrachte oder per Post schickte, verschickt man heute mit einem Klick die PDF-Dateien.
Auch sämtliche Recherche-Arbeiten sind dank Google leichter geworden – und den Gang in die Unibibliothek kann ich auch online tun.

F.: Auf welchen Veranstaltungen ist der Donata Kinzelbach Verlag zu finden?

A.: Normalerweise – also vor Corona – besuche ich die Messen in Frankfurt, Leipzig, Nürnberg, Berlin, Algier sowie kleinere regionale Buchmessen. Außerdem halte ich Vorträge (in Zusammenarbeit mit der Landeszentrale für politische Bildung, der Vollmar Akademie in Kochel, mit Buchhandlungen und VHS ...). Und ich mache Lesungen, vielfach zweisprachig mit meinen Autorinnen und Autoren.

F.: In jedem Beruf gibt es Höhen und Tiefen. Was liebst Du als Verlegerin besonders und was tust Du nur, weil es getan werden muss?

A.: Lesen ist meine Passion und es ist ein Luxus, sein Hobby zum Beruf haben zu dürfen. Insofern bin ich sehr demütig und erledige auch die ungeliebteren Jobs (Mahnungen verschicken an säumige Kunden, Buchhaltung, schwere Pakete zum Versand bringen) mit meist guter Laune.

Liebe Donata, ich bedanke mich ganz herzlich für das Interview mit Dir und möchte zum Schluss auf ein Buch aus Deinem Verlag hinweisen:

Mourad Kusserow entführt die Leserinnen und Leser in seinem Buch Märchenhaftes Marokko
in die Welt der marokkanischen Mythen, des Aberglaubens und dem ewigen Wettstreit des Guten gegen das Böse. Die 17 Märchen beginnen alle mit dem Satz "Es war einmal, vielleicht aber auch nicht...", wie es in Marokko üblich ist. Denn die Wahrheit kennt nur Gott, weil Märchen hier Allgemeingut sind und sich nicht auf einen Verfasser zurückführen lassen. Die ausgewählten Märchen erzählen viel von der marokkanischen Lebensart, von Konflikten zwischen Berbern, Arabern und Juden und wie diese gelöst werden. Oft sind der Glaube an Geister und das beherzte Eingreifen von Zauberwesen gefragt, damit die Dinge wieder ins Lot kommen. 

Märchenhaftes Marokko öffnet die Tür zu einer anderen Welt, aber das ein oder andere Motiv hat durchaus Ähnlichkeit mit Märchen, die uns in Deutschland geläufig sind. Die Sammlung schließt mit einem Nachwort Kusserows, in dem er auch auf die kulturhistorischen Hintergründe der Märchen eingeht.

Am Ende eines jeden Märchens verabschiedet sich der Erzähler mit den Worten: "Ich habe sie ihrem Schicksal überlassen und bin zu euch geeilt, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute." Hoffen wir, dass die Tradition des Märchenerzählens nie aussterben wird.

Märchenhaftes Marokko  kostet 18 Euro und kann direkt beim Verlag bestellt oder über den Buchhandel bezogen werden.

Weitere Bücher aus dem Donata Kinzelbach Verlag

In der Bücherkiste habe ich bereits weitere Titel vorgestellt:

Freitag, 17. Juli 2020

# 249 - Leere Herzen

In Juli Zehs 2017 erschienenem Roman Leere Herzen werden dystopische Zukunftsentwürfe Wirklichkeit.

Wir sind im Jahr 2025. Angela Merkel wurde vor acht Jahren aus dem Amt gejagt und von Regula Freyer von der BBB - Besorgte Bürger Bewegung - nach einer demokratischen Wahl abgelöst. Die BBB legt seitdem immer neue 'Effizienzpakete' auf, die das bisherige politische System Zug um Zug verwässern und aufweichen.
Die Bürger sind in politischer Hinsicht so träge, dass sie die allmähliche Auflösung von demokratischen Standards eher gleichgültig registrieren: Eine Umfrage hat ergeben, dass sich die meisten Menschen bei der Wahl zwischen einer Waschmaschine und  ihrem Wahlrecht für die Waschmaschine entscheiden würden.

Die Hauptfigur des Buches ist Britta Söldner. Sie ist verheiratet, hat eine noch junge Tochter und ist in ihrem Beruf wirtschaftlich äußerst erfolgreich: Mit ihrem Geschäftspartner Barak, einem IT-Experten, betreibt sie Die Brücke, eine nach außen psychotherapeutische Heilpraxis, deren Hauptzweck es ist, Menschen mit einem ausgeprägten Todeswunsch an Organisationen zu vermitteln, die finden, dass ihren Zwecken mal wieder ein ordentliches Selbstmordattentat guttäte. Die Nachfrage ist immer da, der Laden brummt. Die geeigneten Attentäter werden in einem 12-stufigen Auswahlverfahren auf die Ausgeprägtheit ihres Selbstmordwunsches getestet. 
Brittas Mann und Freunde haben keine Ahnung, was tatsächlich hinter der Brücke steckt.

Britta findet nichts Verwerfliches an ihrem Tun, eher im Gegenteil: Der "klassische" Terrorismus ist am Ende, der 'Daesh' - der 'Islamische Staat' - existiert de facto nicht mehr, die Splittergruppen bekennen sich aber bereitwillig zu praktisch jedem Anschlag. Mit ihrem Geschäftskonzept hat sie eine Nische besetzt, in der sie und Barak ein Monopol inne haben. Anschläge laufen jetzt schön geordnet und strukturiert ab. Britta fehlt jede moralische Leitlinie und Empathie. Rücksichtslos verfolgt sie ihre Interessen, Skrupel sind ihr fremd. Das Interesse an der Gesellschaft und der Politik ist ihr im Laufe der letzten Jahre abhanden gekommen.

Doch dann wird am Leipziger Flughafen ein Anschlag verübt, der an Dilettantismus kaum zu überbieten ist. Gibt es da einen Konkurrenten, der Die Brücke aus dem Geschäft verdrängen will? Unvermittelt tritt der zwielichtige Multimillionär Guido Hatz auf den Plan, der sich ihrem Mann als Geschäftspartner anbietet. Hat dieser merkwürdige selbsternannte Geo-Heiler in Wirklichkeit Britta im Visier? Britta fühlt sich von Hatz beobachtet und verfolgt, schließlich gibt er ihr den "Rat", sich doch einfach mal eine Weile aus dem Geschäft zurückzuziehen. Dann wird in die Geschäftsräume der Brücke eingebrochen. Das Tempo der Handlung beschleunigt sich, plötzlich fühlt sich Britta existenziell bedroht. Sie begreift, dass sie und ihre Brücke von einer anderen Organisation für deren Zwecke missbraucht werden sollen. Es beginnt ein Kampf auf Leben und Tod.

Lesen?

Ja. Juli Zeh hält ihren Lesern den Spiegel vor. Schon ihre Widmung weist darauf hin: "Da. So seid ihr." Und das, was Zeh schon vor drei Jahren beobachtet und kritisiert hat, ist bis heute nicht besser geworden: Das um sich greifende Phänomen, das gern freundlich als 'Politikverdrossenheit' bezeichnet wird, ist nichts anderes als die Gleichgültigkeit der saturierten Bürger, die allzu gern bereit sind, ihre demokratischen Rechte einzutauschen, wenn ihr Leben nur schön bequem verläuft. Ihr Roman ist ein Plädoyer dafür, die Beschäftigung mit der Politik nicht nur denen zu überlassen, die dies aus beruflichen Gründen tun.

Leere Herzen  ist im Luchterhand Verlag erschienen und kostet als gebundene Ausgabe 20 Euro, als Taschenbuch 11 Euro (btb Verlag) sowie als E-Book 9,99 Euro.

 

Freitag, 10. Juli 2020

# 248 - Money, Money, Money...

Aus irgendwelchen Gründen, die ich nicht kenne, ist es in unserem Kulturkreis verpönt, übers Geld zu reden. Dem zu seiner Zeit reichsten Mann der Welt, dem amerikanischen Öl-Milliardär Jean Paul Getty, wird das Zitat zugeschrieben: "Über Geld spricht man nicht, man hat es."

Getty ist 1976 gestorben, in der Zwischenzeit hat sich hinsichtlich dieser sehr speziellen Sprachlosigkeit etwas geändert. Heute ist es vielen Menschen möglich, auch ohne eine sprudelnde Erdöl-Quelle ihr Vermögen zu vermehren, nämlich mit Wertpapieren. Wie genau, das erklären zahlreiche Bücher, Blogs und Börsenseiten. 

Aus der Fülle der Bücher möchte ich zwei herausgreifen und euch vorstellen. Beide haben einen unterschiedlichen Ansatz und sprechen ihre Leser auf verschiedene Weise an. Gemeinsam haben sie allerdings, dass sie auch Menschen erreichen, die sich zwar für das Thema interessieren, deren Kenntnisse bislang aber gering sind. Man kann es auch anders formulieren: Beide Titel haben das Zeug dazu, die Angst vor der Börse zu verlieren und zu erklären, wie man sich einer guten Kaufentscheidung nähert. Sie öffnen eine Tür für alle, die vor der Lektüre vielleicht gar nicht gewusst hätten, wo deren Klinke ist.

Ich beginne mit dem Buch einer jungen Frau, die sich
schon mit Mitte 20 auf diesem Feld einen Namen gemacht hat: Aya Jaff. Jaff sagt über sich selbst, dass Mathe in ihrer Schulzeit nicht zu ihren starken Fächern gehört hat. Das hielt sie nicht davon ab, ein Wirtschaftsinformatik-Studium zu beginnen und als Programmiererin und Gründerin tätig zu sein. Als Keynote-Speakerin spricht sie u. a. über Digitalisierung.  In  ihrem Buch Moneymakers wendet sie sich der Börse zu. Wer jetzt hofft, ein paar Kauftipps für den schnellen Reichtum zu finden, sollte sich einer anderen Veröffentlichung widmen, denn Aya Jaff geht es um etwas anderes: Sie möchte ihre Leser dazu ermuntern, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken. Das geht nicht ohne einige Grundkenntnisse darüber, wie die Wirtschaft und insbesondere die Börse funktioniert.

Sie lenkt den Blick nicht nur auf eine bekannte Influencerin, die im Allgemeinen als wandelnder Kleiderbügel wahrgenommen wird, aber eine clevere Geschäftsfrau ist; Jaff zeigt am Beispiel von China auch, dass die wirtschaftlichen Aktivitäten Asiens in Europa noch immer deutlich unterschätzt werden. Sie greift eine Reihe von "Moneymakers" beispielhaft heraus, um zu dokumentieren, wodurch deren Erfolg begründet wurde. Da kommen natürlich die bekannten Börsen-Gurus André Kostolany und Warren Buffett vor, aber auch die Influencerin Madame Moneypenny oder die chinesischen Unternehmer Jack Ma und Pony Ma.

Aya Jaff zeigt auch auf, wohin die Trends gehen: Biotech, KI oder Blockchain sind nur einige Stichworte. Alles wird leicht nachvollziehbar erläutert, zurückliegende Finanzereignisse werden anschaulich dargestellt. Völlig zu Recht kritisiert die Autorin, dass uns unser Bildungssystem diese Zusammenhänge nicht vermittelt.

Wenn man sich für dieses Buch etwas wünschen dürfte, dann wäre das ein aufmerksameres Lektorat, das bei der einen oder anderen Zahl stutzig wird. Jack Ma wäre sicher begeistert, wenn sein Unternehmen 31 Millionen Mitarbeiter hätte, tatsächlich sind es aktuell aber "nur" etwas mehr als 117.000. Richtig ist statt dessen, dass bis 2017 31 Millionen Stellen im Zusammenhang mit den Alibaba-Aktivitäten geschaffen wurden. Mit den Umsatzzahlen, die seinem Unternehmen zugeschrieben wären, wäre er aber sicher nicht zufrieden. Das soll mich jedoch nicht davon abhalten, dieses Buch zu empfehlen.

Moneymakers ist im Mai 2020 beim Finanzbuchverlag erschienen und kostet als Taschenbuch 16,99 Euro sowie als E-Book 12,99 Euro. 

Weiter geht's mit dem zweiten Buch:
"Schatz, ich habe den Index geschlagen!" Wie ich auszog, die besten Aktien der Welt zu kaufen von Christian Thiel. Thiel ist "eigentlich" Philosoph und arbeitet als Single- und Paarberater. Die Welt der Aktien ist jedoch seine Leidenschaft, die er so fachkundig betreibt, dass es sein Finanzblog Grossmutters Sparstrumpf 2016 auf die Shortlist für den 'comdirect finanzblog award' schaffte. 

Nennenswertes Vorwissen ist auch bei diesem Buch nicht nötig. Thiel verfolgt wie schon Jaff das Ziel, den Lesern die Sorge zu nehmen, beim Aktienhandel handele es sich um Hexenwerk. In zwölf Kapiteln erläutert er, warum Aktien entgegen aller Unkenrufe eine lohnende Anlage sind, was von anderen Anlageformen (Gold, selbstbewohnte Immobilien, Lebensversicherungen) zu halten ist und dass man bei der Beurteilung einer Aktie nicht nur durch die Front-, sondern auch durch die Heckscheibe schauen soll: Wie hat sie sich in den letzten fünf, zehn, 20 oder auch 30 Jahren entwickelt? 

Thiel rät Anlegern zu Geduld, gepaart mit profunden Kenntnissen über die Unternehmen, deren Wertpapiere sie kaufen wollen. Er räumt auch mit so manchen Mythen aus der Aktienszene auf: Diejenigen, die wir für wirtschaftlich erfolgreich halten, sind es in der Mehrzahl gar nicht. Die Rede ist hier zum Beispiel von Tradern, von denen die meisten Zocker sind, was sich fatal auf ihren Anlageerfolg auswirkt. Und am Rande merkt Thiel an: Auch die große Mehrheit der Drogendealer hat ein so geringes Einkommen, dass es nur für das Kinderzimmer im Hotel Mama reicht.

Und was ist, wenn man nicht ständig auf volatile Börsenkurse starren will, immer in der Angst, das eingesetzte Vermögen könnte quasi über Nacht verglühen? Auch hier hat Thiel praktikable Vorschläge in petto. Nebenbei verrät er seinen Lesern, mit welchen Aktien es ihm gelungen ist, den Index zu schlagen. Das Buch ist zwar schon Anfang 2017 erschienen, hat aber seine Gültigkeit und Aktualität nicht verloren. Einziger Nachteil von Thiels Strategie: Junge Aktien haben hier das Nachsehen, weil sich ihre Entwicklung nun mal nicht Jahre oder Jahrzehnte zurückverfolgen lässt.


"Schatz, ich habe den Index geschlagen!" Wie ich auszog, die besten Aktien der Welt zu kaufen ist im Campus Verlag erschienen und kostet broschiert 17,95 Euro sowie als E-Book 15,99 Euro.

Freitag, 3. Juli 2020

# 247 - Wenn die Toten zu Wort kommen

Das Feld hat der österreichische Schriftsteller Robert Seethaler sein 2018 erschienenes Buch genannt. Das Feld: Das ist das frühere Brachgelände eines Viehbauern, das die (fiktive) Gemeinde Paulstadt irgendwann gekauft und zu einem Friedhof gemacht hat. Hier liegen sie nun, die toten Paulstädter: Sie denken über ihr Leben nach, versuchen einen Dialog mit ihren Besuchern oder stoßen einfach nur einen kurzen Fluch aus.

Oder besser: Ein alter Mann, der alle Toten gekannt hat und wusste wie sie leben, hört sie sprechen. Er ist der Meinung, man könne erst dann über sein Leben urteilen, wenn man es hinter sich gebracht habe. 30 Paulstädter kommen zu Wort, und so wie die Menschen unterschiedlich sind, ist auch ihre Art, sich zu äußern unterschiedlich.

Da sind der Pastor, der im Wahn die Paulstädter Kirche angezündet hat und die Lehrerin mit der verkrüppelten Hand, die sich daran erinnert, dass ihr Mann ihre Hand immer gehalten hat, auch in der Stunde ihres Todes.

Eine andere Frau hat sich in einen Mann verliebt, von dem ihr ihre Großmutter abgeraten hat. Es kam, wie es dann so oft kommt: Die Frau hat den Mann trotzdem geheiratet. Und man ahnt es schon: Es war ein Fehler. Er wurde spielsüchtig, steckte sein Geld in Automaten und vergaß darüber seine Frau, die er doch eigentlich liebte. Eigentlich.
Seine Frau kommt ebenfalls zu Wort. Manches, was man schon von ihrem Mann weiß, sieht sie in einem anderen Licht. Auch das ist ein Phänomen, das jeder schon dutzendmal erlebt haben dürfte.

Lesen?

Das Feld wurde in der Presse hoch gelobt. Nach der letzten Seite dachte ich jedoch: Kann man lesen, muss man aber nicht. 
Die Verstorbenen waren zum Teil miteinander verwandt oder bekannt, einige hatten jedoch keine Verbindung zu ihren "Nachbarn". 
Ein Stück der Paulstädter Geschichte spiegelt sich in den Erinnerungen wider, aber wie schon bei den Erinnerungen der Verstorbenen werden Themen nur angerissen und nicht vertieft. Die Grundidee dieses Buches ist sehr spannend, die Umsetzung hat jedoch Schwächen.

Das Feld ist bei Hanser erschienen und kostet als gebundenes Buch 22 Euro sowie als E-Book 11,99 Euro.

In der Bücherkiste ist bereits eine Rezension zu Robert Seethalers Roman Ein ganzes Leben erschienen, der mir sehr gut gefallen hat (Klick auf Buchtitel).