Samstag, 18. Februar 2023

# 382 - Ein Filmfestival wird zur tödlichen Veranstaltung

Das Geheimnis des dunklen Hauses ist der sechste
Band einer Krimi-Reihe, in der die Schriftstellerin Margarete von Schwarzkopf ihre Hauptfigur, die Kunsthistorikerin Anna Bentorp, als Laien-Ermittlerin tätig werden lässt.

Anna hat ein untrügliches Gespür dafür, wenn an einer Sache etwas faul ist. Freunde nennen sie deshalb "Miss Marple". Sie ist aber auch ein großer Filmfan, und als ihre Freundin Marianne sie einlädt, als Jurymitglied an einem exklusiven Filmfestival im beschaulichen Eifel-Dorf Angerrath teilzunehmen, das sie gemeinsam mit ihrem Mann auf die Beine gestellt hat, nimmt Anna das Angebot gern an.

Die Jury soll zwar aus aktuellen Filmen die Sieger auswählen, doch der eigentliche Leckerbissen der Veranstaltung ist etwas für eingefleischte Cineasten: Die Tochter des jüdischen Regisseurs Leopold Welfenstein, der 1937 unter ungeklärten Umständen in einem Londoner Filmstudio ums Leben kam, wird aus den USA anreisen und ein Fragment des verschollenen letzten Films ihres Vaters im Gepäck haben. Die Kinowelt ist sich darin einig, dass Welfenstein einer der besten Filmemacher seiner Zeit war, und so sollen auch seine bekannten Werke in Angerrath gezeigt werden.

In dem dem kleinen Ort findet sich ein Publikum ein, das sich die Welt des Films zu eigen gemacht hat: Vom wohlhabenden Sammler von Kinodevotionalien bis zum Betreiber eines kleinen, aber feinen Filmmuseums ist eine bunte Gästemischung vor Ort.

Doch der Frieden soll nicht lange dauern. Ein Filmjournalist, der nicht nur in Angerrath als Querulant von sich reden gemacht hat, wird überfallen und schwer verletzt. Dann verschwindet der Filmstreifen aus dem Zimmer von Welfensteins Tochter. Anna vermutet, dass es einen Zusammenhang mit dem Tod des Regisseurs vor über achtzig Jahren gibt. Ihre Ahnung wird durch weitere Todesfälle untermauert, die im Zusammenhang mit dem verschwundenen Film zu stehen scheinen.

Der Krimi blickt immer wieder in die Zeit der 1930-er Jahre zurück. Während Chief Inspector Howell nicht daran zweifelt, dass sich Welfenstein umgebracht hat, ist sich sein Assistent Kinley da nicht so sicher. Trotz des Verbots seines Vorgesetzten, sich um die Angelegenheit zu kümmern, ermittelt der junge Polizist auf eigene Faust weiter. Im Mittelpunkt seiner Nachforschungen steht dabei die damals sehr einflussreiche Familie Carr, die um jeden Preis die Veröffentlichung von Welfensteins Film verhindern will, obwohl dieser ihn auf deren Wunsch bereits stark verfremdet hat. Was haben die Carrs zu verbergen und wie kommt es, dass sich in ihrer Familie die Todesfälle im Jahr 1900 häufen? Und waren die Unfälle, die weitere Menschen aus Welfensteins Umfeld das Leben kosteten, tatsächlich nur Unglücke oder steckten dahinter eiskalt geplante Morde?

Lesen?

In Das Geheimnis des dunklen Hauses lässt Margarete von Schwarzkopf ihre Protagonisten nicht nur wegen zahlreicher Mordfälle ermitteln, sondern wirft auch einen Blick in die deutsche Geschichte der 1930-er und 1940-er Jahre, als Menschen aus Angst vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten Deutschland verließen. Darunter waren zahlreiche jüdische Künstler und Wissenschaftler. In ihrem Buch sind Fiktion und Elemente aus dem eigenen Leben der Autorin und Journalistin miteinander verwoben und ergeben ein spannendes und stimmiges Gesamtwerk. Wenn es etwas zu kritisieren gäbe, dann wären es die zahlreichen Personen, die die Handlung beeinflussen und manchmal für etwas Unübersichtlichkeit sorgen.

Das Geheimnis des dunklen Hauses ist 2022 im Emons Verlag erschienen und kostet als Paperback-Ausgabe 15 Euro.

Freitag, 10. Februar 2023

# 381 - Eine Jugend auf Mallorca während der Franco-Diktatur

José Carlos Llop ist der wichtigste zeitgenössische
Schriftsteller Mallorcas. Sein Buch Der Bericht 'Guillermo Stein' erschien in Spanien bereits 1995 unter dem Titel El informe Stein und wurde 2008 mit dem Prix Ecureuil de Littérature Etrangère für den besten in Spanien veröffentlichten Roman ausgezeichnet. Und das, obwohl es sich um einen Titel mit nur rund 90 Seiten handelt. Was macht das Buch so besonders?

Der Kurzroman spielt im Sommer 1968 in Palma de Mallorca. Der Erzähler Pablo Ridorsa ist Schüler im Jesuitenkolleg. Spanien hat bewegte Jahrzehnte hinter sich: Die Ausrufung der 2. Republik, die Kirchenverfolgung durch die neue Verfassung, die Folgen des Spanischen Bürgerkriegs sowie die Diktatur unter General Franco wirken sich auch auf das Leben auf Mallorca aus. Doch man spricht nicht gern über die Vergangenheit und verdrängt die Flecken auf der weißen Weste seiner nächsten Angehörigen.

Der Sommer 1968 ist einer der regenreichsten der Insel. Mitten im Schuljahr taucht plötzlich ein neuer Schüler im Kolleg auf: Guillermo Stein. An ihm ist alles seltsam und geheimnisvoll, und Stein selbst tut nichts, um diesen Eindruck zu entkräften. Im Gegenteil: Er erzählt von seinem Vater, der Kontakt zu einflussreichen Faschisten hatte, trägt buntere Kleidung als die anderen und fährt auch im strömenden Regen mit dem Fahrrad zum Unterricht - als Einziger und mit einem auffälligen roten Regenmantel. Außerdem tritt er so auf, als ginge ihn alles um ihn herum gar nichts an. Die Neugier der anderen Jungen ist geweckt und es entsteht der Plan, möglichst viel über Stein herauszufinden und in einem Bericht zusammenzufassen.

Ridorsa, der bei seinen Großeltern aufwächst, freundet sich mit Stein an. Bei einem Besuch in Steins Zuhause fällt ihm der große Unterschied zum Haus der Großeltern auf: Während Stein im damals vornehmen Viertel El Terreno wohnt, haben Ridorsas Großeltern ihr Quartier innerhalb der Stadtmauern noch nie verlassen. Ridorsa registriert, dass die beiden alten Leute auf den Namen Stein angespannt reagieren und spürt, dass Steins Anwesenheit etwas ins Rollen bringt. Und tatsächlich kommen am Ende des Buches einige Wahrheiten ans Licht, die für etliche emotionale Erschütterungen sorgen - und Ridorsa begreifen lassen, warum sich seine Eltern nicht mehr auf Mallorca sehen lassen.

Lesen?

Der Bericht 'Guillermo Stein' ist mir auf der Frankfurter Buchmesse 2022 aufgefallen, als der Ehrengast Spanien zahlreiche deutsche Übersetzungen spanischer Bücher vorgestellt hat. José Carlos Llop verwebt in seinem Roman die fiktiven Ereignisse in einem Jesuitenkolleg in Palma mit der Geschichte Spaniens im 20. Jahrhundert. 

Die zunächst noch eher kindliche Neugier der Jungen gegenüber ihrem neuen mysteriösen Mitschüler verändert sich in dem Moment, als aus Gerüchten und Vermutungen Wahrheiten werden und sie von den Verfehlungen ihrer nächsten Verwandten erfahren: Denunzierungen und Verrat taugen nun mal nicht für Heldenerzählungen. 

Ridorsa wird zum ersten Mal mit seiner erwachenden Männlichkeit konfrontiert und verliebt sich. Und sein geheimnisvoller Freund, der schon bald wieder abreist, hat die letzten Jahre seines Lebens vor sich. 

Der Bericht 'Guillermo Stein' ist ein interessanter Blick in spanische Verhältnisse in den 1960-er Jahren und es lohnt sich, das ein oder andere, was uns aus der Landesgeschichte nicht bekannt ist, nachzulesen.

Der Roman ist 2022 im Kupido Verlag erschienen und kostet als gebundene Ausgabe 18,80 Euro.


Samstag, 4. Februar 2023

# 380 - Wie viel Black Power ist im Wahlkampf noch übrig?

Pleasantville ist nach Black Water Rising der zweite
Roman, in dem der Anwalt und frühere Black-Power-Aktivist Jay Porter die zentrale Rolle spielt. In seinem Leben hat sich viel verändert: Vor einem Jahr ist seine geliebte Frau verstorben, seitdem ist er alleinerziehender Vater eines zehnjährigen Sohnes und einer 15-jährigen Tochter. Die Trauer lähmt ihn so, dass er eine sich schon ein Jahr hinziehende Sammelklage gegen ein Chemieunternehmen endlich beenden und dann mithilfe der Einnahmen in Rente gehen will. Doch es kommt anders.

Pleasantville: Das ist ein Stadtteil von Houston, der 1948 gegründet wurde und vor allem Afroamerikaner anzog, weil sie sich dort legal ein eigenes Haus kaufen durften. Das Viertel zeichnete sich durch seinen großen Zusammenhalt, sein bürgerschaftliches Engagement und seine ungewöhnlich hohe Wahlbeteiligung von bis zu 90 Prozent aus. Aber auf die Idylle fielen Schatten: Nachdem in der Nähe eine Autobahn gebaut worden war, zog es zahlreiche Industrieunternehmen an den Rand von Pleasantville. 1995 brannte dort ein Chemielager, viele Menschen mussten aus ihren Häusern evakuiert werden. Dieses Ereignis greift Locke auf, um ein Buch zu schreiben, das gleichzeitig Krimi und Polit-Thriller ist.

1996, zum Zeitpunkt der Wiederwahl von Bill Clinton als US-Präsident, findet in Houston der Wahlkampf für die Stichwahl für das Bürgermeisteramt statt. Mit Alex Hathorne hat erstmals ein Afroamerikaner die Chance, diese Position zu erringen. Alex hat dabei drei Vorteile, die seine Wahl absichern könnten: Sein Vater Sam ist das Oberhaupt einer der Gründerfamilien von Pleasantville und hat beinahe den Status eines inoffiziellen Bürgermeisters, Alex selbst ist dort lange  Polizeichef gewesen und nicht zuletzt tritt er für die Demokraten an, die bislang hier immer die Nase vorn hatten. 

Seine Konkurrentin ist die republikanische Strafverteidigerin Sandy Wolcott, die ehrgeizig und weiß ist. Ihr Wahlkampf wird so aggressiv geführt, dass Alex' Vorsprung langsam dahinschmilzt. Doch dann wird die 15-jährige Alicia vermisst. Die wenigen Menschen, die sie zuletzt an einer Straßenecke in der Nähe eines Brachgeländes gesehen haben, hatten den Eindruck, dass sie auf jemanden gewartet hatte. Außerdem trug sie ein T-Shirt, an dem die Wahlkämpfer der Hathorne-Kampagne zu erkennen sind.

Einige Zeit zuvor sind bereits zwei Mädchen im selben Alter verschwunden und Tage später ermordet aufgefunden worden. Beide Fälle konnten nicht aufgeklärt werden. Hat derselbe Täter auch diesmal zugeschlagen? Tatsächlich wird Alicias Leiche gefunden, doch einige Details unterscheiden diesen Mord von den beiden anderen.

Schnell fällt der Verdacht auf Neal Hathorne, Axels Neffe und Wahlkampfchef. Doch der beteuert seine Unschuld. Da einige Indizien gegen ihn sprechen, wird er angeklagt und Jay beauftragt, Neal anwaltlich zu vertreten. Widerwillig übernimmt er das Mandat. Als sich diese Nachricht herumspricht, wird in Jays Kanzlei eingebrochen, er wird zusammengeschlagen und jemand durchwühlt seine Garage. Wer immer dahintersteckt, hat das Gegenteil dessen bewirkt, was er vermutlich wollte: Anstatt das Mandat niederzulegen, ist nun das Interesse des Anwalts geweckt. Er setzt mit seinem kleinen Helferkreis alles daran, den Mord an Alicia aufzuklären und herauszufinden, inwieweit die Politik hier ihre Finger im Spiel hat.

Lesen?

Pleasantville ist ein ungewöhnliches Buch, das viele verschiedene Themen miteinander verbindet. Zu sagen, es sei ein Krimi, wird ihm nicht gerecht. Attica Locke schafft es erneut, ihre Kritik an der US-amerikanischen Gesellschaft hinsichtlich des Umgangs mit der afroamerikanischen Bevölkerung einzubringen. Gleichzeitig beschreibt sie die Mechanismen, die seit Mitte der 1990-er Jahre dazu führen, dass die amerikanische Mittelschicht ausgehöhlt und das Wahlsystem und damit die Demokratie ad absurdum geführt werden. Das gelingt ihr mit diesem spannenden, aber nicht moralisierenden Buch.
Attica Locke gewann für Pleasantville 2016 den Harper Lee Prize for Legal Ficition.

Pleasantville ist 2022 im Polar Verlag erschienen und kostet als gebundene Ausgabe 26 Euro sowie als E-Book 21,99 Euro.