Samstag, 4. Februar 2023

# 380 - Wie viel Black Power ist im Wahlkampf noch übrig?

Pleasantville ist nach Black Water Rising der zweite
Roman, in dem der Anwalt und frühere Black-Power-Aktivist Jay Porter die zentrale Rolle spielt. In seinem Leben hat sich viel verändert: Vor einem Jahr ist seine geliebte Frau verstorben, seitdem ist er alleinerziehender Vater eines zehnjährigen Sohnes und einer 15-jährigen Tochter. Die Trauer lähmt ihn so, dass er eine sich schon ein Jahr hinziehende Sammelklage gegen ein Chemieunternehmen endlich beenden und dann mithilfe der Einnahmen in Rente gehen will. Doch es kommt anders.

Pleasantville: Das ist ein Stadtteil von Houston, der 1948 gegründet wurde und vor allem Afroamerikaner anzog, weil sie sich dort legal ein eigenes Haus kaufen durften. Das Viertel zeichnete sich durch seinen großen Zusammenhalt, sein bürgerschaftliches Engagement und seine ungewöhnlich hohe Wahlbeteiligung von bis zu 90 Prozent aus. Aber auf die Idylle fielen Schatten: Nachdem in der Nähe eine Autobahn gebaut worden war, zog es zahlreiche Industrieunternehmen an den Rand von Pleasantville. 1995 brannte dort ein Chemielager, viele Menschen mussten aus ihren Häusern evakuiert werden. Dieses Ereignis greift Locke auf, um ein Buch zu schreiben, das gleichzeitig Krimi und Polit-Thriller ist.

1996, zum Zeitpunkt der Wiederwahl von Bill Clinton als US-Präsident, findet in Houston der Wahlkampf für die Stichwahl für das Bürgermeisteramt statt. Mit Alex Hathorne hat erstmals ein Afroamerikaner die Chance, diese Position zu erringen. Alex hat dabei drei Vorteile, die seine Wahl absichern könnten: Sein Vater Sam ist das Oberhaupt einer der Gründerfamilien von Pleasantville und hat beinahe den Status eines inoffiziellen Bürgermeisters, Alex selbst ist dort lange  Polizeichef gewesen und nicht zuletzt tritt er für die Demokraten an, die bislang hier immer die Nase vorn hatten. 

Seine Konkurrentin ist die republikanische Strafverteidigerin Sandy Wolcott, die ehrgeizig und weiß ist. Ihr Wahlkampf wird so aggressiv geführt, dass Alex' Vorsprung langsam dahinschmilzt. Doch dann wird die 15-jährige Alicia vermisst. Die wenigen Menschen, die sie zuletzt an einer Straßenecke in der Nähe eines Brachgeländes gesehen haben, hatten den Eindruck, dass sie auf jemanden gewartet hatte. Außerdem trug sie ein T-Shirt, an dem die Wahlkämpfer der Hathorne-Kampagne zu erkennen sind.

Einige Zeit zuvor sind bereits zwei Mädchen im selben Alter verschwunden und Tage später ermordet aufgefunden worden. Beide Fälle konnten nicht aufgeklärt werden. Hat derselbe Täter auch diesmal zugeschlagen? Tatsächlich wird Alicias Leiche gefunden, doch einige Details unterscheiden diesen Mord von den beiden anderen.

Schnell fällt der Verdacht auf Neal Hathorne, Axels Neffe und Wahlkampfchef. Doch der beteuert seine Unschuld. Da einige Indizien gegen ihn sprechen, wird er angeklagt und Jay beauftragt, Neal anwaltlich zu vertreten. Widerwillig übernimmt er das Mandat. Als sich diese Nachricht herumspricht, wird in Jays Kanzlei eingebrochen, er wird zusammengeschlagen und jemand durchwühlt seine Garage. Wer immer dahintersteckt, hat das Gegenteil dessen bewirkt, was er vermutlich wollte: Anstatt das Mandat niederzulegen, ist nun das Interesse des Anwalts geweckt. Er setzt mit seinem kleinen Helferkreis alles daran, den Mord an Alicia aufzuklären und herauszufinden, inwieweit die Politik hier ihre Finger im Spiel hat.

Lesen?

Pleasantville ist ein ungewöhnliches Buch, das viele verschiedene Themen miteinander verbindet. Zu sagen, es sei ein Krimi, wird ihm nicht gerecht. Attica Locke schafft es erneut, ihre Kritik an der US-amerikanischen Gesellschaft hinsichtlich des Umgangs mit der afroamerikanischen Bevölkerung einzubringen. Gleichzeitig beschreibt sie die Mechanismen, die seit Mitte der 1990-er Jahre dazu führen, dass die amerikanische Mittelschicht ausgehöhlt und das Wahlsystem und damit die Demokratie ad absurdum geführt werden. Das gelingt ihr mit diesem spannenden, aber nicht moralisierenden Buch.
Attica Locke gewann für Pleasantville 2016 den Harper Lee Prize for Legal Ficition.

Pleasantville ist 2022 im Polar Verlag erschienen und kostet als gebundene Ausgabe 26 Euro sowie als E-Book 21,99 Euro.


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