Nach Mattias ist kein klassischer Roman, der eine Geschichte halbwegs übersichtlich erzählt. Das Buch des niederländischen Autors Peter Zantingh ist eine Abfolge von Beobachtungen von acht Menschen, die in einem unterschiedlichen Verhältnis zu Mattias standen. Standen, denn Mattias ist tot. Ganz plötzlich kam er ums Leben. Manche dieser Menschen kennen sich gar nicht.
In jedem Kapitel wird Mattias von einer anderen Person beschrieben. Da sind Menschen wie seine Freundin Amber, die den Verstorbenen sehr gut kannten, aber auch ein junger Mann, der mit ihm nur über ein Online-Spiel verbunden gewesen ist. Falls man dabei überhaupt von "verbunden" sprechen kann.
Mit jedem Kapitel und damit jedem sozialen Kontakt zu Mattias schält sich ein Stück von seiner Persönlichkeit heraus. Dabei stellen Einzelne fest, dass es an dem Toten Seiten gab, die sie nicht an ihm kannten. Manchmal bemerkt man aber auch, dass Eigenschaften, die man an Mattias mochte und schätzte, von anderen nicht oder anders wahrgenommen wurden.
Nach Mattias handelt nicht nur von der Titelfigur, sondern auch von der Erkenntnis, dass es auch Verbindungen zwischen Menschen geben kann, die es ohne eine dritte Person so nicht gegeben hätte - und das, obwohl diese Menschen nicht unbedingt Kontakt zu dieser dritten Person gehabt haben.
Erst spät wird deutlich, warum Mattias gestorben ist. Und dass dies der Grund dafür ist, dass die Trauer den privaten Bereich verlässt und öffentlich wird.
Nach Mattias beschäftigt sich zwar mit der Trauer und dem Tod, strahlt aber Hoffnung aus: Das Leben der acht Menschen wird 'nach Mattias' weitergehen, auch wenn Mattias Sterben eine Lücke hinterlassen hat.
Der Roman ist bei Diogenes erschienen und kostet als gebundene Ausgabe 22 Euro sowie als E-Book 18,99 Euro.
Jede Woche stelle ich ein Buch vor, das ich gelesen habe und das mich auf irgendeine Weise berührt hat.
Freitag, 29. Mai 2020
Freitag, 22. Mai 2020
# 241 - Wegen Arroganz geschlossen: Dieses Buch wurde abgebrochen

Was sich zunächst so verlockend liest, hat hier und da seine Haken. Der Schriftsteller nimmt sich die Zeit, um seiner Ansprechpartnerin Frau Faber-Eschenbach eine Antwort-Mail zu schreiben. Die gerät so lang, dass das Buch Betreff: Einladung zu einer Kreuzfahrt von Bodo Kirchhoff im E-Book-Format fast 170 Seiten einnimmt. Ich schiebe meine sich hier aufdrängende Frage, ob Frau Faber-Eschenbach den Brief bis zum letzten Punkt gelesen hat, einfach mal zur Seite.
Die Kreuzfahrt soll auf einem Schiff der mittlerweile üblichen Größe stattfinden: Fünftausend Passagiere plus zweitausend Mitarbeiter. Der Autor sieht gleich zu Beginn seiner E-Mail Probleme heraufziehen: Würden sich genug Gäste für ihn und seine Bücher interessieren? Würde er die vorzulesenden Texte selbst aussuchen können? Käme sein Gesicht auf den Plakaten zwischen den Fotos der anderen engagierten Künstler ausreichend positiv zur Geltung?
Mit Eitelkeiten beginnt dieses Buch, mit irrlichternden Gedankengängen macht es weiter: Will er zwei Wochen damit verbringen, Menschen beim Verstreichen der Zeit zuzusehen? Der Tagesablauf der Kreuzfahrttouristen wird banalisiert als eine Abfolge von Besuchen an überladenen Buffets, dem In-der-Sonne-Liegen auf dem Sonnendeck und den Überlegungen der Gäste in der Kabine, welche Berufe die Menschen haben mögen, die die Kabinen neben, über und unter der eigenen Unterkunft bewohnen.
Zwanzig Buchseiten weiter springen seine Überlegungen vom Kreuzfahrtschiff zum mit Flüchtlingen überladenen Schlauchboot, das eventuell am Horizont auftauchen könnte. Wie würde die Besatzung reagieren? Von diesem Gedanken geht der Schriftsteller nahtlos zu einer Fernsehsendung über, deren Gast er kurz zuvor gewesen war. Die Moderatorin wird als Schmollmündchen bezeichnet, während sich der Autor über "das Sexuelle" und dessen Einfluss auf Sprache auslässt.
Es bleibt unklar, ob sich Bodo Kirchhoff mit der Figur des Schriftstellers selbst gemeint hat, spielt aber auch keine große Rolle mehr.
Nach zehn weiteren Seiten habe ich das Buch auf Seite 60 beendet. Der Inhalt troff vor Arroganz und Selbstgefälligkeit, der Text kam mit nur wenigen Absätzen aus und bestand fast nur aus Bandwurmsätzen.
Betreff: Einladung zu einer Kreuzfahrt ist 2017 bei der Frankfurter Verlagsanstalt erschienen und kostet als gebundenes Buch 18 Euro sowie als E-Book 9,99 Euro.
Samstag, 16. Mai 2020
# 240 - Bei diesem Buch muss es niemandem kalt den Rücken hinunterlaufen

Vor wenigen Wochen ist sein neuestes Buch erschienen. In Hand aufs Herz spürt Essig Redensarten nach, die sich auf unseren Körper beziehen und erklärt ihre Bedeutung und Herkunft. Da geht es um Arme und Beine, den Kopf mit seinen Bestandteilen, den Rumpf, die inneren Organe, die Haut, die Nerven und - ja - auch die Körperausscheidungen. Über 500 Redewendungen stellt Essig vor und sorgt mit so mancher Erläuterung für eine Überraschung:
Wenn jemand sagt, dass ihm plötzlich etwas klar wird und ihm "wie Schuppen von den Augen fällt", dann geht das auf die biblische Figur Saul (oder Saulus) zurück. Der Verfolger der Christen erblindete plötzlich in Damaskus, nachdem er ein helles Licht gesehen und Jesus' Stimme gehört hatte. In Damaskus wurde er drei Tage später vom Jünger Hananias wieder sehend gemacht. In der Apostelgeschichte 9, 18 heißt es: "Sofort fiel es wie Schuppen von seinen Augen und er sah wieder".
Wer jemandem absolut vertraut, würde wohl für ihn "seine Hand ins Feuer legen". Für diese Redewendung bietet Essig gleich zwei mögliche Erklärungen an: Im Mittelalter waren Gottesurteile ein beliebtes Verfahren, um die Schuld oder Unschuld eines Menschen herauszufinden. Gern ließ man die Verdächtigen bei der Feuerprobe eine Hand in ein Feuer halten. Die Unschuld war erwiesen, wenn die Hand nicht oder nur wenig verletzt wurde. Auch für jemanden zu bürgen, war auf diese Weise möglich. So hatte man ruckzuck ein Urteil ohne langes Gerede, denn wer konnte schon mehr wissen als Gott der Allmächtige, der oben im Himmel den Daumen hob oder senkte?
Die zweite Erklärung ist ein richtiges "Männer-können-so-tapfer-sein"-Ding: Der Etruskerkönig Lars Porsenna soll 508 v. Chr. Rom belagert haben. Der Römer Gaius Mucius schlich sich mit dem Plan, Porsenna zu töten, in das Lager der Etrusker. Doch er kam nicht weit: Man nahm ihn gefangen und Porsenna fragte Mucius, ob alle Römer so mutig seien. Als Antwort legte der Gefangene seine rechte Hand in ein Kohlebecken und ließ sie verbrennen, ohne einen Mucks von sich zu geben. DAS sind wahre Heldensagen.
So haben weder Saulus (der zu Paulus wurde) noch Mucius ihre Köpfe in den Sand gesteckt, sondern das Herz in die Hand genommen. An ihnen hat sich vielleicht mancher die Zähne ausgebissen, aber sie haben die Nerven behalten. Doch sie haben bestimmt Blut und Wasser geschwitzt.
Hand aufs Herz ist im Dudenverlag erschienen und als Taschenbuch für 10 Euro erhältlich.
Samstag, 9. Mai 2020
# 239 - Teufelsweiber

Ganz bewusst springt sie dabei in der Weltgeschichte vor und zurück und nimmt auch auf die ethisch-moralische Bewertung des Lebens von so mancher Frau keine Rücksicht. Was die beschriebenen Frauen gemeinsamen haben, ist der unbedingte Wille, ihr Ziel zu erreichen, auch wenn dafür große Opfer gebracht werden müssen.
Carina Heer widmet jeder Einzelnen zwischen zwei und fünf Buchseiten und streicht heraus, was sie ausgemacht hat. Da geht es dann z. B. um die Zarin Katharina II. ("Die Große"), die keine Skrupel kannte, wenn sie Macht er- und behalten wollte.
Es geht auch um Adele Spitzeder, die 1869 eine Privatbank gründete, die nur den Zweck hatte, ein Schneeballsystem am Leben zu halten. Sie nutzte die Gier ihrer Kunden aus, um ihren eigenen aufwendigen Lebensstil zu finanzieren. Das konnte - man ahnt es bereits - nicht ewig gutgehen.
Und dann ist da auch noch die Regisseurin Leni Riefenstahl. Sie musste sich zeit ihres Lebens den Vorwurf gefallen lassen, die Nationalsozialisten im Dritten Reich mit ihren propagandistischen Filmen unterstützt zu haben. Dieses Image konnte sie für den Rest ihres über 100-jährigen Lebens nicht mehr abstreifen.
Lesen?
Carina Heer zeigt mit ihren schlaglichtartigen Beschreibungen der Schicksale von sehr unterschiedlichen 100 Frauen, dass diese in jedem Fall das Zeug hatten, es mit den Männern aufzunehmen - im Guten wie im Schlechten. Doch die Lebensgeschichten verdeutlichen auch, dass es in allen Zeiten der Menschheit oft nicht so einfach war, eine Frau zu sein - egal, aus welcher sozialen Schicht man stammte. Aufgrund der Kürze der einzelnen Biografien können diese aber eben auch nur eines sein: Schlaglichter. Deshalb kann Teufelsweiber auch als Einladung verstanden werden, sich die Biografie der einen oder anderen Frau ausführlicher anzusehen.Das Buch ist in einem lockeren und humorvollen Tonfall geschrieben. Dieser führt allerdings auch dazu, dass so manche Lebensgeschichte etwas unkritisch daherkommt: Beispielsweise fällt die Kritik am Wirken und Einfluss von Leni Riefenstahl sehr dünn aus; die im großen Stil begangenen Betrügereien von Adele Spitzeder führten zu einer Selbstmordwelle verzweifelter Menschen, was im Text mit nur einem kurzen Satz erwähnt wird.
Teufelsweiber ist im Benevento Verlag als gebundene Ausgabe zum Preis von 24 Euro erschienen. Unter dem Titel Wahre Rebellinnen wurde es im Goldmann Verlag herausgegeben und kostet 10 Euro.
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Freitag, 1. Mai 2020
# 238 - Ein Familienleben unter der roten Fahne
Dieses Buch ist mir zufällig über den Weg gelaufen.
Es erschien 1941 zum ersten Mal und wurde 2019 bei 'Aufbau digital' neu veröffentlicht: Die Väter des 1964 verstorbenen Autors Willi Bredel. Der Roman ist der erste Teil der Trilogie "Verwandte und Bekannte".
Im Mittelpunkt steht die Hamburger Arbeiterfamilie Hardekopf mit dem Familienoberhaupt Johann Hardekopf. Johann stammt aus Bochum, doch weil ihm die Stadt als zu grau erscheint, reist er durch Deutschland. Als 1870 der Deutsch-Französische Krieg beginnt, wird er schon kurz nach Kriegsbeginn verwundet und in ein Lazarett nach Pirmasens gebracht. Zu diesem Zeitpunkt versucht er bereits, die traumatischen Erinnerungen an die Kämpfe und einen toten französischen Soldaten, den er mit seinem Bajonett erstochen hat, zu verarbeiten.
Nach seiner Entlassung aus dem Lazarett sind sich die Soldaten einig, dass der Krieg nun bald vorbei sein müsse: Alle französischen Armeen konnten geschlagen werden, nun hätte von Paris aus die Heimreise angetreten werden können. Aber Paris wird weiterhin belagert, man ist dort noch lange nicht bereit, aufzugeben. Aus der Ferne beobachtet Hardekopf den Fortgang des Krieges. Er kann nicht glauben, was er sieht: Der französische Kaiser ist gefangengenommen, nun kämpfen Franzosen gegen Franzosen.
Doch es kommt für Hardekopf noch schlimmer: Einige flüchtige Kommunarden des revolutionären Pariser Stadtrats, die im Zuge des Krieges versucht hatten, eine sozialistische Verwaltung zu installieren, werden eines Nachts von einer deutschen Division aufgegriffen. Hardekopf bekommt den Auftrag, sie den Versaillern in Vincennes zu übergeben und begreift in seiner Unbedarftheit nicht, dass er sie damit dem sicheren Tod ausliefert. Die Hinrichtung der Kommunarden erlebt er entsetzt mit und erfährt, dass einer von ihnen Eisengießer gewesen ist - wie er selbst. Der Mann hatte ihn unterwegs immer wieder auf Französisch gebeten, ihn laufen zu lassen, zu Hause warteten seine Frau und seine drei Kinder.
Hardekopf wird dieses Erlebnis sein Leben lang nicht vergessen und sich bei jeder Erinnerung daran schuldig fühlen. Das Kriegsjahr hat ihn gründlich verändert. Was er in dieser Zeit erlebt hat, wird er für sich behalten.
Doch dann erfährt er, dass August Bebel, der wegen seines Eintretens für die Pariser Kommunarden in Festungshaft gesessen hat, in Bochum sprechen wird. Bebels Rede wird der Beginn für Hardekopfs Begeisterung für die Sozialdemokratie.
1879 verschlägt es Hardekopf nach Hamburg. Er ist von der Stadt sofort begeistert und findet Arbeit als Eisengießer auf einer Werft. Kaum in der Hansestadt angekommen, trifft er auf den Trauerzug von 30.000 Menschen, der sich anlässlich des Todes von August Geib formiert hat. Geib gehörte zu den Gründern der Arbeiterbewegung und war einer der bekanntesten Hamburger Sozialdemokraten. Für Johann Hardekopf ist es, als würde sich ihm eine Tür öffnen. Die Sozialdemokratie wird für ihn zu einer Leidenschaft, die bis zu seinem Tod anhält. Auch seine Kinder und seine Frau werden später mit einbezogen.
Doch Hardekopf erkennt, dass die Sozialdemokratie seinen Kindern und Schwiegerkindern weniger wichtig ist als ihm. Die größte Enttäuschung seines Lebens erfährt er, als der Kaiser 1914 die Mobilmachung verkündet: Die SPD organisiert zunächst noch Kundgebungen, stimmt dann aber Kriegskrediten zu.
Willi Bredel war in der DDR zehn Jahre Mitglied im ZK der SED und der Kulturkommission. Sein Eintreten für den Sozialismus in der DDR war so kompromisslos, dass er sich 1957 von seinem Freund Walter Janka, dem damaligen Leiter des Aufbau-Verlags, nach dessen Verurteilung wegen 'Boykotthetze' öffentlichkeitswirksam abwendete. Die 'Boykotthetze' war nach Artikel 6 der ersten DDR-Verfassung eine Straftat. Wer danach verurteilt wurde, verlor das aktive und passive Wahlrecht und durfte keine leitende berufliche oder Parteiposition mehr wahrnehmen. Janka hatte die Absetzung von Walter Ulbricht, Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit und freie Wahlen gefordert.
Das zu wissen, trägt dazu bei, Die Väter und den Autor einzuordnen. Lesenswert bleibt das Buch allemal.
Die Väter ist als E-Book für 8,99 Euro erhältlich oder kann über die Onleihe ausgeliehen werden.
Es erschien 1941 zum ersten Mal und wurde 2019 bei 'Aufbau digital' neu veröffentlicht: Die Väter des 1964 verstorbenen Autors Willi Bredel. Der Roman ist der erste Teil der Trilogie "Verwandte und Bekannte".
Im Mittelpunkt steht die Hamburger Arbeiterfamilie Hardekopf mit dem Familienoberhaupt Johann Hardekopf. Johann stammt aus Bochum, doch weil ihm die Stadt als zu grau erscheint, reist er durch Deutschland. Als 1870 der Deutsch-Französische Krieg beginnt, wird er schon kurz nach Kriegsbeginn verwundet und in ein Lazarett nach Pirmasens gebracht. Zu diesem Zeitpunkt versucht er bereits, die traumatischen Erinnerungen an die Kämpfe und einen toten französischen Soldaten, den er mit seinem Bajonett erstochen hat, zu verarbeiten.
Nach seiner Entlassung aus dem Lazarett sind sich die Soldaten einig, dass der Krieg nun bald vorbei sein müsse: Alle französischen Armeen konnten geschlagen werden, nun hätte von Paris aus die Heimreise angetreten werden können. Aber Paris wird weiterhin belagert, man ist dort noch lange nicht bereit, aufzugeben. Aus der Ferne beobachtet Hardekopf den Fortgang des Krieges. Er kann nicht glauben, was er sieht: Der französische Kaiser ist gefangengenommen, nun kämpfen Franzosen gegen Franzosen.
Doch es kommt für Hardekopf noch schlimmer: Einige flüchtige Kommunarden des revolutionären Pariser Stadtrats, die im Zuge des Krieges versucht hatten, eine sozialistische Verwaltung zu installieren, werden eines Nachts von einer deutschen Division aufgegriffen. Hardekopf bekommt den Auftrag, sie den Versaillern in Vincennes zu übergeben und begreift in seiner Unbedarftheit nicht, dass er sie damit dem sicheren Tod ausliefert. Die Hinrichtung der Kommunarden erlebt er entsetzt mit und erfährt, dass einer von ihnen Eisengießer gewesen ist - wie er selbst. Der Mann hatte ihn unterwegs immer wieder auf Französisch gebeten, ihn laufen zu lassen, zu Hause warteten seine Frau und seine drei Kinder.
Hardekopf wird dieses Erlebnis sein Leben lang nicht vergessen und sich bei jeder Erinnerung daran schuldig fühlen. Das Kriegsjahr hat ihn gründlich verändert. Was er in dieser Zeit erlebt hat, wird er für sich behalten.
Doch dann erfährt er, dass August Bebel, der wegen seines Eintretens für die Pariser Kommunarden in Festungshaft gesessen hat, in Bochum sprechen wird. Bebels Rede wird der Beginn für Hardekopfs Begeisterung für die Sozialdemokratie.
1879 verschlägt es Hardekopf nach Hamburg. Er ist von der Stadt sofort begeistert und findet Arbeit als Eisengießer auf einer Werft. Kaum in der Hansestadt angekommen, trifft er auf den Trauerzug von 30.000 Menschen, der sich anlässlich des Todes von August Geib formiert hat. Geib gehörte zu den Gründern der Arbeiterbewegung und war einer der bekanntesten Hamburger Sozialdemokraten. Für Johann Hardekopf ist es, als würde sich ihm eine Tür öffnen. Die Sozialdemokratie wird für ihn zu einer Leidenschaft, die bis zu seinem Tod anhält. Auch seine Kinder und seine Frau werden später mit einbezogen.
Doch Hardekopf erkennt, dass die Sozialdemokratie seinen Kindern und Schwiegerkindern weniger wichtig ist als ihm. Die größte Enttäuschung seines Lebens erfährt er, als der Kaiser 1914 die Mobilmachung verkündet: Die SPD organisiert zunächst noch Kundgebungen, stimmt dann aber Kriegskrediten zu.
Lesen?
Die Väter ist auch für diejenigen Leser interessant, die mit der Sozialdemokratie nichts anfangen können. Willi Bredel hat vieles aus der eigenen Biografie in seinem Roman verarbeitet und mit dem Eisengießer Johann Hardekopf eine Figur geschaffen, deren Lebensweg für den vieler anderer Menschen aus der Arbeiterklasse um die Jahrhundertwende steht. Der Roman entstand 1941 im Moskauer Exil und gilt als das beste Werk der Trilogie, die noch aus den Büchern Die Söhne und Die Enkel besteht.Willi Bredel war in der DDR zehn Jahre Mitglied im ZK der SED und der Kulturkommission. Sein Eintreten für den Sozialismus in der DDR war so kompromisslos, dass er sich 1957 von seinem Freund Walter Janka, dem damaligen Leiter des Aufbau-Verlags, nach dessen Verurteilung wegen 'Boykotthetze' öffentlichkeitswirksam abwendete. Die 'Boykotthetze' war nach Artikel 6 der ersten DDR-Verfassung eine Straftat. Wer danach verurteilt wurde, verlor das aktive und passive Wahlrecht und durfte keine leitende berufliche oder Parteiposition mehr wahrnehmen. Janka hatte die Absetzung von Walter Ulbricht, Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit und freie Wahlen gefordert.
Das zu wissen, trägt dazu bei, Die Väter und den Autor einzuordnen. Lesenswert bleibt das Buch allemal.
Die Väter ist als E-Book für 8,99 Euro erhältlich oder kann über die Onleihe ausgeliehen werden.
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