Samstag, 27. Oktober 2018

# 172 - Der amerikanische Bürgerkrieg kehrt zurück

Alte Feinde ist der achte Fall der schweizerischen Krimi-Autorin Petra Ivanov, in dem die Zürcher Staatsanwältin Regina Flint und der mit ihr liierte Kriminalpolizist Bruno Cavalli in gefährliche Ermittlungen verwickelt werden. Es ist allerdings das erste Mal, dass ihre Nachforschungen bis ins 19. Jahrhundert, in die Zeit des Sezessionskrieges, zurückreichen. Was für die Handlung wesentlich ist: Cavalli ist US-Bürger und indianischer Abstammung.

Wenn sich Wege überschneiden

 

Cavalli wurde vom FBI angefordert. Er soll undercover in einem Cherokee-Reservat dazu beitragen, die Ermittlungen in einer Mordserie voranzubringen, bei der Menschen durch Pfeilgift, das mit einem Blasrohr auf sie geschossen wird, getötet werden. 
Während seiner Abwesenheit wird in einem Zürcher Wohnhaus die Leiche von Albert Gradwohl gefunden. Die Ermittlungen ergeben, dass er mit einer historischen Waffe, die aus der Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs stammt, geradezu hingerichtet wurde. Der Tote ist ein Nachfahre des berüchtigten Lagerkommandanten Henry Wirz, der seinerzeit wegen der furchtbaren Zustände, unter denen die Gefangenen unter seiner Verantwortung leben mussten, hingerichtet wurde. Aus dem direkten Umfeld des Opfers kommt jedoch niemand als Täter infrage. Regina Flint erkennt, dass sie in der Schweiz mit ihren Nachforschungen nicht voran kommt und reist in die USA, um den Faden dort wieder aufzunehmen. Damit verbindet sie auch einen privaten Hintergedanken: Sie hat von Cavalli seit Monaten nichts mehr gehört und hofft, ihn zu finden. Sie hat zunächst keine Ahnung, dass sich der Vater ihrer Tochter Lily in tödlicher Gefahr befindet: Ein mit dem FBI abgesprochener Einsatz in einem Lokal, bei dem dem Blasrohr-Mörder eine Falle gestellt werden sollte, ging gründlich schief. Als der Killer vor Ort seinen nächsten Mord an dem Lockvogel Emma verüben will, ist entgegen der Absprachen niemand vom FBI vor Ort. Schwer verletzt kann Cavalli mit Emma fliehen und die beiden finden bei Emmas Cousin Buzz Unterschlupf. Buzz, ein Ex-Soldat, lebt völlig zurückgezogen und abgeschieden und wird sich im weiteren Verlauf der Handlung als loyaler und sehr hilfreicher Freund herausstellen. Cavalli ahnt, dass es beim FBI einen Maulwurf geben muss. Der Ermittler kommt außerdem zu dem Schluss, dass alle bisherigen Opfer des Blasrohr-Mörders in irgendeinem Verhältnis zu ihm gestanden haben und der Killer ihm mit jedem weiteren Toten ein Stück näher gekommen ist. Er vermutet einen Rachefeldzug, der seine gesamte Familie in Gefahr bringt.

Weil sich Flint im Rahmen ihrer Ermittlungen auch im Reservat aufgehalten hat, erfährt Cavalli von ihrer Anwesenheit. Gemeinsam führen sie die Ermittlungen fort und wissen schon bald nicht mehr, wem sie noch trauen können. Letztlich bringen sie ihre persönlichen Eigenschaften - der klare Verstand von Flint sowie die dosierte Risikobereitschaft und die hohe Sensibilität Cavallis - in ihren Ermittlungen einen großen Schritt nach vorn. Doch auch sie erkennen zu spät die Gefahr einer großen Eskalation.

Wie war's?

 

In Alte Feinde greift Petra Ivanov historische Fakten auf, die sie selbst recherchiert hat. So erfährt man nebenbei eine Menge über den Sezessionskrieg. Dem Leser ist es unbedingt zu empfehlen, die am Beginn der Kapitel genannten Datumsangaben im Auge zu behalten, um den roten Faden nicht zu verlieren. 
Bis zum Zeitpunkt des Aufeinanderstreffens von Flint und Cavalli ist das Buch interessant, ab dann wird es erst richtig spannend. Ich habe keinen der sieben vorangegangenen Bände gelesen, was an der einen oder anderen Stelle jeodch hilfreich gewesen wäre. Deshalb war die Erkenntnis, wer letztlich hinter den Morden steckt, für mich als "Quereinsteigerin" nicht schlüssig. 
Die von der Autorin erzeugte Atmosphäre dient nicht nur der Spannung, sondern auch dem Verständnis für die Gefühle und Handlungen von Flint und Cavalli. Ein Krimi, den ich mit den genannten Einschränkungen empfehlen kann.

Alte Feinde ist im Unionsverlag erschienen und kostet als gebundene Ausgabe 26 Euro sowie als epub- oder Kindle-Edition 22,99 Euro. Ich bedanke mich bei der Agentur Literaturtest, die mir das Buch zur Verfügung gestellt hat. 

Samstag, 20. Oktober 2018

# 171 - Drogenschwemme am Atlantik

Die befreundeten Studenten Matthieu und Romain aus Paris machen Urlaub in Biarritz. Eine Woche surfen soll sie vom stressigen Uni-Alltag ablenken. Die auf den ersten Seiten von So kommt die Nacht der französischen Autorin Estelle Surbranche noch heitere und entspannte Grundstimmung wird schon wenig später ins Gegenteil kippen. 

Hey, wir sind reich!

 
Zufällig finden die beiden jungen Männer an den Klippen zwei mit schwarzem Plastik verschweißte Päckchen. Ihnen ist sofort klar, worum es sich handeln muss: Kurz zuvor machte die Nachricht die Runde, dass etwas weiter südlich etliche Päckchen mit über 84 Kilogramm hochreinem Kokain an den Strand geschwemmt worden waren, jedes einzelne sieben Kilogramm schwer. Keine Frage, worum es sich bei diesen Quadern hier handelte. Was sie nicht wissen: Das Koks stammt von einer größeren Fracht, die zwei Kuriere vor der spanischen Küste über Bord geworfen hatten, als sich ihrem Schiff Boote und Hubschrauber der Guardia Civil näherten. Zu dem Zeitpunkt, als die beiden das Koks am Strand finden, weiß die französische Polizei bereits von 1,5 Tonnen angespültem Kokain. Dazu kommt eine unbekannte Menge, die noch nicht gefunden worden ist oder die die Finder behalten haben. 
Matthieu und Romain beschließen spontan, die Drogenpakete nach Paris mitzunehmen und den Inhalt nach und nach zu verkaufen. Der Koks und die damit verbundenen sprudelnden Einnahmen öffnen ihnen die Türen zu einem "besseren" Leben, in dem ständig inmitten von reichen und verwöhnten jungen Leuten Drogenpartys gefeiert werden.

Die Jagd beginnt


Der ungewöhnliche Drogenzufluss bewirkt, dass auch die Zahl der Junkies, die an einer Überdosis sterben, in die Höhe schnellt. Und: Der Preis für Koks folgt dem Prinzip von Angebot und Nachfrage, er fällt. Der Preisverfall und der Umstand, dass sich der serbische Drogenboss Radzik, dem die Ware gehört hat, nicht so einfach etwas wegnehmen lässt, rufen die junge Nathalie auf den Plan. Die Serbin arbeitet für Radzik und ist an Kaltblütigkeit und Skrupellosigkeit kaum zu überbieten. Sie macht sich auf die Spur der verschwundenen Drogen und löscht nach und nach diejenigen aus, die mit ihnen in irgendeiner Weise zu tun hatten. Ihr Markenzeichen am Ende jeder tödlichen Folterung: die ausgestochenen Augen ihrer Opfer. Romain und Matthieu sind lange völlig ahnungslos, in welcher tödlichen Gefahr sie sich befinden. Auch in ihrer Freundschaft bahnt sich eine grundlegende Veränderung an, die sie noch kurz zuvor wohl nicht für möglich gehalten hätten.

Selbstverständlich greift auch die Polizei in das Geschehen ein. Die Drogenfahnderin Gabrielle ahnt, dass hinter der Häufung der Drogentoten und den Koksfunden ein Zusammenhang besteht. Um ihren seit einer Ermittlungspanne ramponierten Ruf wieder herzustellen, arbeitet sie bis zur Erschöpfung, um die zunächst undurchsichtigen Zusammenhänge zu entwirren.


Wie war's?


So kam die Nacht ist mit der schnöden Bezeichnung "Kriminalroman", die sich auf dem Cover findet, völlig falsch beschrieben. Denn: Wo ein Thriller drin ist, soll auch "Thriller" drauf stehen. Den Leser erwarten: Spannung bis zum Punkt auf der letzten Seite; dazu eine Reihe von Szenen, in denen die Brutalität so plastisch geschildert wird, dass man sich kaum ausmalen mag, wie sie "in echt" wäre. Sie wird allerdings nicht als billiges Spannungsvehikel missbraucht, sondern verdeutlicht die Nöte und Stimmungslagen der Handelnden. Deren Gnadenlosigkeit ist ein Gradmesser für ihre Unmenschlichkeit, die bei manchen von Anfang an sehr ausgeprägt war, die andere Figuren jedoch erst nach und nach entwickeln.

So kam die Nacht ist im Polar Verlag erschienen und kostet als Taschenbuch 16 Euro sowie als epub- oder Kindle-Ausgabe 10,99 Euro. 

Sonntag, 14. Oktober 2018

Statt einer Rezension: Ein Buchmessetag

An diesem Woche stelle ich Euch nicht nur ein Buch, sondern einen Blick auf sehr viele Bücher vor. Ich war mit meinem Mann auf der Frankfurter Buchmesse. Dieses Mal nur einen Tag, aber das ist immer noch besser als nichts, oder?

Ich habe den Eindruck, dass die Messe in jedem Jahr
ein bisschen politischer wird. In diesem Jahr stehen die Menschenrechte im Fokus. Vor 70 Jahren wurden sie von der Generalversammlung der Vereinten Nationen in einer aus 30 Artikeln bestehenden Charta verabschiedet. Momentan hat man vielerorts allerdings den Eindruck, die Menschenrechte haben sich aus dem einen oder anderen Land verabschiedet. Die Frankfurter Buchmesse möchte für 2018 ein Zeichen setzen und die Menschenrechte mehr ins Bewusstsein bringen. Deshalb hat sie mit mehreren Kooperationspartnern (ZDF, ARTE, DER SPIEGEL, Börsenverein des deutschen Buchhandels) das Aktionsbündnis "I'm on the same page" ins Leben gerufen, das von den Vereinten Nationen und Amnesty International unterstützt wird. Die Kampagne wendet sich an alle, die in irgendeiner Form mit Büchern zu tun haben und bittet darum, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte zu unterstützen und "ein Zeichen für Respekt, kulturelle Verständigung und für eine freie und vielfältige Welt" zu setzen.

Da ich mich für das, was unabhängige Verlage und Selfpublisher herausbringen, interessiere, musste ich an deren Ständen vorbeischauen. Wie immer "sprangen" mich viele Bücher an. Ich glaube, ich kann gar nicht so lange leben, wie ich Zeit zum Lesen der Bücher bräuchte, die mich interessieren. Aber ich habe mich auch gefreut, mich mit Britta Kuhlmann vom Polar Verlag unterhalten zu können. Der Verlag gibt internationale Krimis heraus, in denen es richtig zur Sache geht und kein Stein auf dem anderen bleibt. Auf diesem Blog gibt es bereits mehrere Polar-Krimis; Ihr findet sie am schnellsten, wenn Ihr die Cover-Parade aufruft und auf den roten Polar-Schriftzug auf dem Cover achtet.
Zwei Tage vor unserem Besuch wurde die Gewinnerin des Selfpublishing-Preises gekürt. Gewonnen hat ihn Monika Pfundmeier mit ihrem historischen Roman "Löwenblut". Auch die Krimi-Autorin Ulrike Busch war mit ihrem Titel Mord auf der Hallig  nominiert, aber es hat leider nicht ganz gereicht, was ich sehr bedaure. Alle nominierten Bücher waren ausgestellt, und es war interessant zu sehen, welche Titel hier die Nase vorn hatten.   

Eine ganze Weile habe ich einem Vortrag auf dem Tolino-Stand zugehört. Im Kern ging es um die Frage, woran man einen künftigen Bestseller erkennt und im Umkehrschluss, wie man so ein Buch mithilfe von künstlicher Intelligenz kreiert. Na, herzlichen Glückwunsch. Noch mehr Mainstream-Mist braucht kein Mensch. Mir geht schon die Selbstoptimierung von Menschen gegen den Strich, und jetzt sollen auch noch Bücher so entstehen, dass sie für den Markt "optimiert" werden? Wenn sich so etwas durchsetzt, können wir uns vom Buch als Kulturgut verabschieden. 

Wenn Ihr Euch dafür interessiert, was ich außerhalb des Themas Bücher auf der Buchmesse erlebt habe, dann lest diesen Text.

Freitag, 5. Oktober 2018

# 170 - Von gelungenen Torten und zusammengefallenen Windbeuteln

Nikola Schwarzer ist promovierte Chemikerin und begeisterte Hobbybäckerin. Mit ihrem Buch Was uns schmeckt und was dahinter steckt widmet sie sich der Welt des Backens aus der Sicht der Chemie. Ihr Buch enthält daher keine Rezepte. 
Wer sich jetzt an die staubtrockenen Bücher erinnert, die in der Schulzeit in diesem Fach verwendet wurden, und jetzt nicht mehr weiterlesen will, verpasst etwas. Die Autorin bringt ihren Lesern näher, dass eine Küche im Grunde nur eine andere Art eines Chemielabors ist. Und das tut sie auf eine sehr unterhaltsame und auch für Laien sehr gut verständliche Weise.

Warum der eine Kuchen gelingt und der andere pappig wird

  

Die Welt der Hobbybäcker teilt sich in zwei Gruppen auf: Die einen halten sich strikt an die Vorgaben der Rezepte, die anderen sehen das gelassener und haben so viel Erfahrung, dass sie über die genaue Zusammensetzung eines Backwerks nicht mehr lange nachdenken müssen. Sie wissen, dass eine Prise Salz oder ein Backtriebmittel dazugehört und haben ein Gefühl für die richtige Mehlmenge. In der Regel haben diese beiden Gruppen allerdings gemeinsam, dass sie nicht oder nur sehr undeutlich wissen, was sie mit der Zugabe oder dem Weglassen von bestimmten Zutaten auslösen. Man muss so etwas nicht unbedingt wissen, um leckere Kuchen herzustellen. Aber die Hintergründe zu kennen ist so, als würde sich eine Tür öffnen, die einem ein besseres Verständnis ermöglicht.
Es ist zum Beispiel sinnvoll zu wissen, was die einzelnen Typenbezeichnungen für Mehl genau bedeuten. Type 405 kennt fast jeder, aber was erwartet mich bei Mehl der Typen 550 oder 1050? Was macht eigentlich ein Vollkornmehl aus?  Und warum ist Weizenmehl der Type 405 so beliebt?

Nikola Schwarzer hat das Buch in acht Kapitel aufgeteilt; jedes widmet sich einer Zutat, die in allen oder sehr vielen Backwaren enthalten ist. Die Kapitel beinhalten zum Schluss immer ein kleines Experiment. Beispielsweise werden im Abschnitt über Schokolade kleine Versuche gemacht, um herauszufinden, welchen Einfluss geringe Temperaturveränderungen auf das Aussehen, die Textur und das Mundgefühl haben. Unter der Rubrik "Denkanstoß", die ebenfalls in jedem Kapitel enthalten ist, geht es um Überlegungen zur jeweiligen Zutat, die nichts mit der heimischen Küche zu tun haben. Um beim Beispiel der Schokolade zu bleiben, klärt Schwarzer, ob sie tatsächlich glücklich macht und sie nicht doch gesund sein könnte - wenigstens ein kleines bisschen. Für Datenfans, die ein paar Schlagworte auf einen Blick haben wollen, ist zum Abschluss eines Kapitels eine Seite mit Zahlen und Fakten bestimmt. Jetzt weiß ich unter anderem, dass Kakao 600 verschiedene Aromastoffe enthält.

Wie war's?

 

Was uns schmeckt und was dahinter steckt ist ein sehr interessantes Buch, das auch Naturwissenschaftsmuffeln erklärt, was in der Rührschüssel und im Backofen passiert, bevor wir in ein Brot oder eine Biskuittorte beißen können. Um den Lesern den Inhalt noch besser zu verdeutlichen, hat Schwarzer sehr viele Fotos hinzugefügt.

Was uns schmeckt und was dahinter steckt ist im S. Hirzel Verlag erschienen und kostet 36,-- Euro (gebunden, mit Lesebändchen). Ich bedanke mich bei der Agentur Literaturtest, die mir den Titel zur Verfügung gestellt hat.