Sonntag, 2. Juli 2023

# 399 - Unsichtbare Mauern - Die Autobiographie einer der wichtigsten politischen Journalistinnen

Hella Pick wurde als Kind jüdischer Eltern 1929 in
Wien geboren. Die Familie führte bis zur Scheidung der Eltern ein bürgerliches Leben, diese trennten sich jedoch, als ihre Tochter drei Jahre alt war. Hella wuchs bei ihrer Mutter auf; der Vater wanderte 1938 in die USA aus. Von ihm hat Hella Pick seitdem nichts mehr gehört.

Die Situation der Juden in Österreich verschlechterte sich mit dem Beginn des von Adolf Hitler ausgerufenen "Anschlusses" des Landes an Deutschland stark. Im Frühling 1939 kam Hella Pick mit einem der Kindertransporte nach London, wo sie von einer britischen Familie aufgenommen wurde. Drei Wochen später gelang es auch ihrer Mutter, nach London auszureisen. Es sollte allerdings noch eine Weile dauern, bis es den beiden möglich war, wieder zusammen zu wohnen.

Hella Pick blickt in ihrer Autobiographie Unsichtbare Mauern auf ein langes und ereignisreiches Leben zurück. Der Untertitel Die abenteuerliche Reise einer der größten politischen Journalistinnen zu den Gipfeln und Abgründen der Zeitgeschichte trifft zum größten Teil das, was Pick ihren Leserinnen und Lesern in ihrem Buch vermittelt: Durch Fleiß, Beharrlichkeit und - wie sie selbst zugibt - einer guten Portion Glück nimmt Pick viele Hürden in ihrem Leben.

Höhere Schulbildung und das spätere Studium waren nur durch Stipendien und Zuschüsse möglich, da Picks Mutter nur wenig Geld verdiente. 1947 schloss sie ihr Studium ab und wollte unbedingt bei den Vereinten Nationen arbeiten. Doch die Quotierung nach dem Herkunftsland der Bewerber verhinderte diesen Wunsch. Später, nachdem sie sich dem Journalismus zugewendet hatte, wurde ihr klar, dass sie bei der UNO nicht glücklich geworden wäre.

1948 erhielt Hella Pick die britische Staatsbürgerschaft. Sie arbeitete in Wien, Paris und Afrika und schrieb ab 1961 als Korrespondentin für die britische Tageszeitung The Guardian aus Washington und New York, war jedoch in der ganzen Welt unterwegs. Viele bekannte Persönlichkeiten, die sie beruflich kennenlernte, wurden zu ihren Freunden. Ihre Gesprächspartner waren z. B. John F. Kennedy, Lech Wałęsa, Nicolae Ceaușescu oder Willy Brandt. Picks Reportagen sind am Puls der Zeit und die Ereignisse, über die sie bis zu ihrem Ausscheiden beim Guardian 1996 geschrieben hat, sind Bestandteile des kollektiven Gedächtnisses. Die Dekolonisierung afrikanischer Staaten ab Mitte der 1940-er Jahre, der Kalte Krieg und die Gründung der "Bewegung der Blockfreien Staaten" 1961, die Invasion von Indien in Goa und die damit einhergehende Glaubwürdigkeitskrise der UNO im selben Jahr, die Watergate-Affäre um US-Präsident Nixon bis zum Zerfall der Sowjetunion und dem Beginn der Jugoslawienkriege Anfang der 1990-er Jahre sowie der Brexit: Hella Pick war vor Ort und hat darüber berichtet.

Nach 35 Jahren beim Guardian hat sich Pick neu orientiert und u a. eine Biographie über den sog. "Nazijäger" Simon Wiesenthal geschrieben. Sie, die ihre jüdische Identität lange Zeit verdrängt hatte, beschreibt ein nächtliches Gespräch mit Willy Brandt 1971, dessen Wirkung sie als "kathartisch" bezeichnet: Erst dann schaffte sie es, mit Deutschland nicht automatisch den Nationalsozialismus zu verbinden.

Neben der Journalistin gibt es natürlich die Privatperson Hella Pick. Eine wesentliche Rolle nimmt in ihrem Leben ihre Mutter ein, die sich ununterbrochen um ihre in der Weltgeschichte herumreisende Tochter Sorgen machte und auch nicht davor zurückschreckte, sich beim Chefredakteur des Guardian zu beschweren. Pick schrieb ihr über viele Jahre täglich, um die Mutter ein Stück weit am eigenen Leben teilhaben zu lassen.
Die Mutter, die sich für ihr Kind einen guten Mann, ein festes Zuhause und Kinder wünschte, bewertete die Liebesbeziehungen der Tochter skeptisch - zu Recht, wie sich später herausstellen sollte. Für Hella Pick steht ihr Freundeskreis anstelle einer eigenen Familie.

Lesen?

In Unsichtbare Mauern schreibt Hella Pick, wo und wie es ihr gelungen ist, eben diese Mauern einzureißen. Nur beim Trauma, ein Flüchtlingskind zu sein, ist ihr das nicht gelungen. Die Unsicherheit, ob sie selbst gut genug ist, hat sie ihr Leben lang begleitet. Und das, obwohl sie sich in einer damals starken Männerdomäne behauptet hat. 
Hella Picks Autobiographie ist spannend, macht aber auch an vielen Stellen nachdenklich. Sie erhielt mehrere Auszeichnungen, darunter das Goldene Ehrenkreuz der Republik Österreich und den Commander of the British Empire.

Unsichtbare Mauern ist 2022 im Czernin Verlag erschienen und kostet als Hardcover 28 Euro.

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