Montag, 20. Januar 2025

# 463 - Tödlicher Wackelkontakt

Mit Wackelkontakt ist dem österreichischen Schriftsteller Wolf Haas ein ungewöhnlicher Roman gelungen. Das Ungewöhnliche: Ohne das Lesen eines bestimmten Buches käme die Handlung nicht voran.

Elio Russo ist ein Verräter. Der junge Mafioso aus Südkalabrien sitzt im Knast und wartet darauf, freigelassen zu werden. Er hat als Kronzeuge kurz zuvor siebenundzwanzig hochrangige Mitglieder der 'Ndrangheta verraten. Im Gegenzug wurde ihm eine neue Identität versprochen, um in Deutschland neu anfangen zu können.

Der leidlich erfolgreiche Trauerredner Franz Escher wartet in seiner Wohnung in Wien auf den Elektriker. Eine Steckdose in seiner Küche hat einen Wackelkontakt, der nun behoben werden soll. Der alleinstehende Escher hat zwei Leidenschaften: anspruchsvolle Puzzles - gern mit Motiven seines Namensvetters M. C. Escher - und das Lesen von Mafia-Romanen. Die Wartezeit auf den Handwerker zieht sich hin, deshalb beginnt Escher, ein neues Buch zu lesen. Es handelt von dem jungen Kriminellen Elio Russo aus Südkalabrien, der siebenundzwanzig hochrangige Mafiosi verraten hat und eine neue Identität bekommen wird. 

Elio Russo vertreibt sich im Gefängnis das Warten mit dem Lesen eines Buches, das er von seinem deutschen Zellennachbarn bekommen hat. Es geht um einen Mann namens Franz Escher, der zu Hause auf den Elektriker wartet. Als der Handwerker die defekte Steckdose repariert, kommt er ums Leben. Escher wird verzögert klar, dass dieser Tod seine Schuld ist. 

Wolf Haas verwebt zwei Handlungsstränge, die jedoch nicht unbedingt zeitlich parallel verlaufen. Die Leben zweier Männer, die einander nicht kennen und nichts gemeinsam haben, laufen trotzdem aufeinander zu. Das ist umso erstaunlicher, wenn man registriert, dass die Handlung im Leben des Franz Escher nur wenige Tage abdeckt, im Leben von Elio Russo, der nach einem vorgetäuschten Suizid zu Marko Steiner wird, jedoch viele Jahre vergehen.
Das von Escher gelesene Buch bleibt bei ihm, während Steiners Exemplar in andere Hände gerät und die Lesenden wie dieser den Fortgang der Ereignisse er-lesen. 
Letztlich wird die Handlung von Eschers Vorstellung vom Lauf der Zeit bestimmt. Wolf Haas lässt seinen Protagonisten diese Sätze sagen, die dessen Sichtweise auf den Punkt bringen: "Wir haben sowieso eine falsche Vorstellung von der Zeit. Unsere Vorstellung ist zu linear. Wir glauben, es geht in eine Richtung. Man muss es sich aber wie eine Schleife vorstellen."

Lesen?

Wackelkontakt ist ein sehr unterhaltsames Spiel mit der Zeit. Die Anspielungen auf den Künstler M. C. Escher und seine besonderen Werke sowie die Verschränkungen der Handlung machen das Buch zu etwas Besonderem. 

Der deutsche Schriftsteller Daniel Kehlmann hat im Dezember 2024 gegenüber dem Deutschlandfunk diesen passenden Kommentar abgegeben: "Ich bin sehr neidisch auf diese Grundidee. Ich denke mir, man, die hätte ich gerne gehabt, aber ich hatte sie nicht, was soll man machen."

Wackelkontakt ist 2024 im Carl Hanser Verlag erschienen und kostet 25 Euro sowie als E-Book 18,99 Euro.

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