Sonntag, 18. August 2019

# 208 - Fifty Shades of...?


Was fällt fast jedem ein, wenn "Fifty Shades" gesagt wird? Sicher nicht das Buch, das ich heute vorstellen werde: Fifty Shades of Merkel ist das zweite Buch der Politikwissenschaftlerin Julia Schramm und bereits 2016 erschienen. Wer nun vermutet, dass die Kanzlerin hier von einem ihrer Fans porträtiert wurde, liegt falsch: Schramm ist als ehemaliges Mitglied der Piratenpartei und jetziges Mitglied der Partei Die Linke unverdächtig, Angela Merkel in den Himmel zu heben.

In 50 Kapiteln ist Schramm der Bundeskanzlerin auf der Spur. Sie sieht sich deren Leben von ihrer Geburt als Tochter eines evangelischen Pastors in Hamburg bis 2015 an und betrachtet jeden Abschnitt aus verschiedenen Winkeln. Der Zweck des Buches ist trotz der entgegengesetzten politischen Ausrichtung der beiden Frauen nicht, Merkel zu verunglimpfen oder der Lächerlichkeit preiszugeben. 

Schramm geht analytisch und einigermaßen chronologisch vor und versucht, Angela Merkel zu verstehen und zu ergründen. Das ist nicht so einfach, denn die Kanzlerin gehört nicht zu den Menschen, die das Herz auf der Zunge tragen.

Schramm entdeckt sogar - man mag es kaum glauben - Parallelen zwischen Angela Merkel und Helmut Schmidt. Beiden schreibt sie eine hanseatische Gelassenheit zu und eine Politikausrichtung, die sich an den Erfordernissen des aktuellen Moments ausrichtet. 

Doch auch die Eltern Kasner sowie Angela Merkels jüngere Geschwister Irene und Marcus Kasner werden in den Blick genommen. Inwieweit haben sie dazu beigetragen, dass Angela Merkel die wurde, die sie heute ist? Es geht auch um ihren ersten Mann, dessen Namen sie auch nach ihrer zweiten Heirat behalten hat, sowie die politischen Weggefährten, mit denen sie zum Teil sehr gut zusammengearbeitet, sie in manchen Fällen aber auch politisch ermordet hat. Helmut Kohl war ihr bekanntestes Opfer; als "Vatermörderin" wurde sie damals bezeichnet, als sie mithilfe eines Artikels in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung im Dezember 1999 wegen der Spendenaffäre den Mann vom Thron stieß, der sie als Ziehvater in ihrer Polit-Karriere unterstützt hatte.

Julia Schramm bindet immer wieder amüsantes aus Merkels Leben ein, ihr Buch ist nicht als trockenes wissenschaftliches Werk zu sehen. Da ist zum Beispiel die Geschichte mit der gelben Bluse. Für die junge Angela Kasner war die BRD im Prinzip das Land, in dem Milch und Honig fließen. Eines Tages wünschte sie sich von ihrer Verwandtschaft in Hamburg, von der immer wieder Pakete geschickt wurden, eine gelbe Bluse. So etwas war in der DDR nicht aufzutreiben. Doch sie konnte kaum glauben, was ihre Tante ihr daraufhin antwortete: Auch in der BRD gab es weit und breit keine gelben Blusen, weil diese gerade nicht in Mode waren.

Die Kasners waren keine "normale" DDR-Familie. Sie wurden zunächst misstrauisch beäugt, und die Stasi hat sich das vom Vater betriebene Weiterbildungszentrum für Theologen in Templin in der Uckermark genau angesehen. Angela Merkel hat selbst eingeräumt, dass ihre Kindheit dazu geführt habe, kommunikativ vorsichtig zu sein.

Wie war's?

 

Fifty Shades of Merkel ist so etwas wie ein Angela-Merkel-Rundumschlag, den Julia Schramm so objektiv wie nötig und mit einem gewissen Abstand verfasst hat. Das Buch gibt viele neue Einblicke in das Leben und die Denkweise der Kanzlerin und bleibt dabei im positiven Sinn unterhaltsam.

Fifty Shades of Merkel ist bei Hoffman und Campe erschienen und kostet als gebundene Ausgabe 15 Euro sowie als E-Book 10,99 Euro. 
Ich habe das E-Book über die Onleihe bezogen.

Online (fast) gratis eBooks ausleihen - wie geht das?

Vor ein paar Monaten bin ich auf eine Möglichkeit
gestoßen, so gut wie gratis ständig an neuen Lesestoff zu kommen. Mittlerweile weiß ich, dass es sie schon seit einigen Jahren gibt, aber ihr Angebot immer mehr ausgeweitet wurde. Die Rede ist von der onleihe. Um daran teilnehmen zu können, benötigt man ein internetfähiges Endgerät und einen Leseausweis einer öffentlichen Stadtbibliothek, die an diesem Service teilnimmt.

Die Stadtbibliothek meines Wohnortes stellt dieses Angebot leider nicht zur Verfügung, deshalb bin ich auf die Nachbarkommune ausgewichen. Dort habe ich eine einmalige Gebühr von 2,60 Euro bezahlt und den Hinweis bekommen, dass ich die Gültigkeit meines Leseausweises einmal pro Jahr telefonisch verlängern muss. Dafür fallen keine Kosten an. Das ist nicht überall so: Wie viel für einen Leseausweis und damit für die Teilnahme an der onleihe bezahlt werden muss, ist von Bibliothek zu Bibliothek unterschiedlich.

Über eine eigens eingerichtete Homepage melde ich mich mit der Nummer meines Leseausweises und einem Passwort an und habe dann Zugang zu E-Books, Videos, E-Papers und E-Magazines. Die Verfügbarkeit sowie die maximale Ausleihdauer werden direkt neben dem Medium angezeigt. Sofern eines davon nicht sofort verfügbar ist, besteht die Möglichkeit, sich per E-Mail informieren zu lassen, sobald es zurückgegeben wurde.

Die Rückgabe erfolgt automatisch nach dem Ablauf der Ausleihfrist. Deshalb fallen keine Säumnisgebühren an. Die Medien können beliebig oft ausgeliehen werden, gleichzeitig kann man zehn Medien nutzen. Im Informationsblatt, das mir mit dem Leihausweis ausgehändigt wurde, wurde darauf hingewiesen, dass die Medien dieser Bibliothek nicht mit Kindle-Geräten kompatibel sind. Ich weiß aber, dass das in den einzelnen Stadtbüchereien unterschiedlich gehandhabt wird. Auch die anfallenden Gebühren variieren und müssen vor Ort nachgefragt werden.

Auf mich hat die onleihe einen sehr guten Eindruck gemacht: Sie hat mich durch ihre unkomplizierte Handhabung, die gute Darstellung der Bücher (andere Medien habe ich noch nicht ausprobiert) und die unschlagbar günstigen Kosten überzeugt.
Aber beim Lesen bleibe ich trotzdem altmodisch: Mir ist ein richtiges Buch mit echten Seiten grundsätzlich lieber. Aber angesichts des geringen Gewichts und der besseren Handhabbarkeit ist ein E-Reader für unterwegs die bessere Wahl.