Weltgeschichte humorvoll verpackt
Ich habe beim ersten Buch von Jonas Jonasson "Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand" etliche Male gelacht und mich auf seinen zweiten Roman Die Analphabetin, die rechnen konnte gefreut. Die Kombination aus Weltgeschichte und skurrilem Humor hatte mich damals bestens unterhalten.
Afrika als Wiege des Weltgeschehens
1961 wird in einem Slum im südafrikanischen Soweto Nombeko Mayeki geboren. Ihr Schicksal der ewigen Armut scheint von Anfang an besiegelt zu sein. Tatsächlich wird sie ihren Vater nie kennenlernen, der ihre Mutter bereits verlassen hat, als Nombeko nichts weiter als eine befruchtete Eizelle war. Die Mutter wiederum betrauert ihr Schicksal mithilfe von Medikamenten. Als Nombeko im Alter von fünf Jahren beginnt, wie viele andere als Latrinentonnenträgerin zu arbeiten und sich dadurch das Familieneinkommen erhöht, erweitert sich das Repertoire der Mutter auf Alkohol und andere Suchtmittel. Die finanzielle Situation der beiden verbessert sich durch Nombekos Einkommen also nicht. Fünf Jahre später stellt sie ihrer Mutter ein Ultimatum: Sie soll entweder aufhören, das Geld zu verschwenden oder sich eine andere Lösung überlegen. Gesagt, getan: Kurz danach stirbt die Mutter, und Nombeko muss ihr Geld mit niemandem mehr teilen. Doch das Kind ist keine typische Zehnjährige, sondern fällt schon früh durch sein Rechentalent und seine Cleverness auf. So schafft Nombeko es auch, einen Mann, der ihr an die Wäsche will, nicht nur davon abzuhalten, sondern ihn mit einer Drohung dazu zu bringen, ihr Lesen beizubringen. Die Phase, in der Nombeko Analphabetin ist, nimmt also in der Handlung nur einen sehr kleinen Teil ein. Als der Mann unerwartet zu Tode kommt, wird sie auf einen Schlag wohlhabend: Ihr war schon lange das verdächtige Funkeln im Mund ihres Lesementors aufgefallen, und bei näherem Hinsehen entpuppen sich die Zahnfüllungen des Toten als Diamanten. Getreu dem Motto "Wo etwas ist, da ist auch noch mehr", findet sie im Haus des Mannes unter dem Linoleumbelag des Fußbodens eine noch größere Menge Diamanten, die sie sich in ihre einzige Jacke einnäht.
Die eigene Sichtweise eines Apartheidregimes
Nombeko kann sich nicht lange über ihren Fund freuen: Der stockbesoffene Ingenieur Engelbrecht van der Westhuizen überfährt sie mit seinem Auto auf dem Gehweg. Eigentlich sollte die Schuldfrage klar sein, doch die Apartheid hatte ihre eigenen Gesetze: Schwer verletzt wird sie vor Gericht gestellt und mit einer abstrusen Begründung dazu verurteilt, das gegen sie verhängte Bußgeld innerhalb von sieben Jahren bei Westhuizen als Putzfrau abzuarbeiten. Ihre Diamanten verschweigt sie wohlweislich. Ihr Plan, bei der erstbesten Gelegenheit zu fliehen, erledigt sich kurz nach der Verurteilung: Westhuizen ist der für das geheime südafrikanische Atomwaffenprogramm verantwortliche Ingenieur und lebt und arbeitet in Pelindaba - einem hermetisch abgeschotteten Forschungsgelände, das von Wärtern und Wachhunden kontrolliert und mit Starkstromzäunen gesichert wird. Doch der Aufenthalt hat eine positive Seite: Nombeko hat Zugang zur dortigen Bibliothek und erwirbt sich im Laufe der Jahre so viel Wissen, dass sie für den völlig unfähigen Ingenieur zu einer unentbehrlichen Stütze wird. Immer wieder gelingt es ihr, Westhuizens Unkenntnis zu vertuschen und so seinen Kopf zu retten - und ihren eigenen gleich mit, weil sie als Geheimnisträgerin keine Stunde mehr zu leben hätte, wenn die Dummheit ihres Chefs aufflöge. Selbstverständlich weiß er das nicht zu würdigen, weil er in seinem rassistischen Schwarz-Weiß-Denkmuster verhaftet ist.
Der Wahnwitz hat Methode
Ohne zu viel verraten zu müssen kann gesagt werden, dass Nombeko zwar mehr als sieben Jahre in Pelindaba bleibt, aber es ihr gelingt, mithilfe von zwei israelischen Geheimagenten zu fliehen. Israel ist zwischenzeitlich Südafrikas Atombomben-Kooperationspartner geworden. Doch bei der Bombenproduktion unterläuft Westhuizen ein nicht mehr zu tilgender Fehler: Statt der von der Regierung geforderten sechs hat er versehentlich sieben Atombomben bauen lassen. Doch da ändert sich die Situation: Der ANC bekommt politischen Aufwind, und der weiße Präsident Botha will auf keinen Fall, dass bei einem eventuellen Machtwechsel der neuen schwarzen Regierung Atomwaffen in die Hände fallen. Also ordnet er die Zerstörung der sechs Exemplare an, deren Existenz bekannt ist und verpackt dies als Selbstmarketing-Aktion. Doch nun hat Ingenieur Westhuizen ein Problem: Wohin mit der siebten Bombe?
Hier kommt wieder Nombeko ins Spiel. Sie will nach Schweden fliehen, und bittet die drei Chinesinnen in der Poststelle von Pelindaba, mit denen sie befreundet ist, um einen Gefallen: Sie sollen ein Paket mit zehn Kilogramm von Nombekos heißgeliebtem getrockneten Antilopenfleisch an die israelische Botschaft in Stockholm und eine größere Kiste zusammen mit den Diplomatenpoststücken nach Jerusalem senden. Doch so einfach soll es nicht werden, sich der überzähligen Atombombe zu entledigen.
Als politischer Flüchtling kommt Nombeko in ein Flüchtlingslager in der Nähe von Stockholm und lernt dort zufällig den gleichaltrigen Holger Qvist kennen, der dort gerade Bettdecken und Kissen ausliefert. Holger hat einen gleichnamigen Zwillingsbruder, der als der Erstgeborene der beiden gilt und nur deshalb als einziger bei seiner Geburt dem Standesamt gemeldet wurde: Ihr Vater Ingmar war ein glühender Republikaner, der dem staatlichen und vom Königshaus dominierten System zutiefst misstraute und seine Söhne immer abwechselnd zur Schule schickte. Die "gewonnene" Zeit nutzte er, um seinen Nachwuchs in der richtigen Gesinnung zu unterrichten, damit sie nach seinem Tod in seine Fußstapfen treten und das Königshaus weiter bekämpfen können. Die Afrikanerin und der eigentlich nicht existierende Schwede kommen sich näher.
Erinnerung an den alten Wein in neuen Schläuchen
So gern ich Jonassons erstes Buch gelesen habe, so wenig habe ich dieses bis zum Schluss durchgehalten. Der Autor hält sich zwar an die Fakten der damaligen Weltpolitik, wobei die meisten Protagonisten ihr Fett abkriegen; die Wendungen werden im Laufe der Handlung jedoch immer abstruser und ähneln in ihrer Struktur so sehr dem "Hundertjährigen", dass ich angefangen habe, mich zu langweilen. Jonasson hat das Prinzip seines durchschlagenden Erstlingserfolgs kurzerhand ein weiteres Mal angewendet - nur der Ausgangspunkt und die Figuren wurden neu "eingekleidet". Das hat mich nicht überzeugt und wird mich eher nicht dazu bringen, Jonassons drittes Buch zu lesen, wenn es denn eines geben sollte.
Die Analphabetin, die rechnen konnte ist bereits im November 2013 erschienen und als Hardcover für 19,99 € erhältlich. Die Kindle- und die epub-Ausgabe kosten je 15,99 €, die Audio-Edition 7,99 €.
Moin, Ina,
AntwortenLöschenden Hundertjährigen fand ich zum Schießen. Desto unglaubwürdiger die Geschichte wurde, um so lustiger war sie. Auf ein zweites Buch vom Autoren war ich also gespannt. Aber was Du hier berichtest, scheint nur ein Abklatsch zu sein, und das muss ich mir dann doch nicht antun.
Hallo Anne,
Löschendas habe ich genauso empfunden. Vermutlich findet man das Buch besser, wenn man den "Hundertjährigen" nicht gelesen hat. Dort habe ich oft gelacht, am meisten über die Wege, auf die man zu Tode kommen kann :D
Ging mir ähnlich und ich dachte schon, es liegt an mir. ;)
AntwortenLöschenLiebe Grüße, Claudia
Liebe Claudia, wir sollten nicht anfangen an uns zu zweifeln, nur weil wir nicht in die allgemeinen Lobgesänge einstimmen. Es lag ganz sicher nicht an dir ☺
LöschenLiebe Grüße
Ina
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
LöschenIch habe mich bei Numbeko durchaus amüsiert. Abstrus fand ich die Atombombe in der Kiste. Aber es stimmt: allzu ähnlich zum Hundertjährigen.
AntwortenLöschenhttp://litterae-artesque.blogspot.de/2013/12/jonasson-jonas-die-analphabetin-die.html
Da muss ich doch gleich mal bei dir vorbeigucken. Aber wie auch immer: Die Geschmäcker und Vorlieben sind nun mal verschieden, und das ist auch gut so :-)
LöschenViele Grüße
Ina
Ähnlichkeiten gibt es durchaus,da stimme ich zu. Aber als Hörbuchvariante mit Katharina Thalbach fand ich es dennoch unglaublich unterhaltsam! :)
LöschenVielleicht rettet Katharina Thalbach da auch so Einiges. Das kann ich mir bei ihr gut vorstellen. Aber mir waren die beiden Bücher einfach zu dicht beisammen.
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