Wir sind im Jahr 1983. In Jakob Heins Roman Wie Grischa mit einer verwegenen Idee beinahe den Weltfrieden auslöste geht es um eine Geschichte, die es so zum Teil gegeben hat, wobei man zugeben muss, dass sowohl der erdachte als auch der wahre Inhalt live aus Absurdistan stammen könnten.
Grischa Tannberg hat gerade sein Studium beendet. Er ist im seiner Meinung nach verschlafenen Gera aufgewachsenen und träumt von einer Stelle in Berlin. Das klappt, denn seine Eltern sind linientreu und einflussreich. Grischa wird in der Staatlichen Plankommission eingesetzt, die in der DDR für die Koordinierung, Erstellung und Überwachung der Fünfjahrespläne zuständig war.
Grischas Erwartungen, sein Wissen einbringen und etwas leisten zu können, werden von seinem Vorgesetzten Ralf Burg abgebremst. Die beiden sind für die Wirtschaftskontakte mit dem Bruderland Afghanistan zuständig. Doch Burg macht seinem neuen Kollegen klar, wo das Problem ist: Die Afghanen freuen sich über Waren aus der DDR, haben aber selbst nichts, was sie den Deutschen verkaufen könnten. Für die beiden Männer gibt es nichts zu tun als die Zeit totzuschlagen und Produktivität vorzutäuschen. "Kunstvolles Warten" nennt Burg das und bittet Grischa um Diskretion. Um seinen Vorgesetzten jedoch klarzumachen, dass er, Burg, vor Arbeit fast absäuft, wurde ihm auf seinen Antrag eine zusätzliche Stelle bewilligt, auf der nun Grischa sitzt. Ein bisschen Theater spielen ist eben alles.
Doch so leicht gibt sich Grischa nicht geschlagen. Nachdem er sich alles verfügbare Wissen über das ferne asiatische Land angeeignet hat, kommt er auf die zündende Idee, wie eine Handelsbeziehung zwischen der DDR und Afghanistan aussehen könnte: Dort, in 5.000 Kilometern Entfernung, gibt es Hanf-Felder so weit das Auge reicht. Mehr als genug, um von dort Medizinalhanf zu importieren und die "afghanischen Bauern in ihrem Freiheitskampf" zu unterstützen. Selbstverständlich hat er mit Burgs Ablehnung gerechnet und sich darauf vorbereitet: Dessen Einwand, nicht "mutwillig Rauschgift importieren" zu wollen, kontert Grischa mit der Bemerkung: "Aber das machen wir doch schon! Wir versorgen die Bevölkerung kontinuierlich mit Alkohol, Nikotin und Koffein, das haben Sie selbst gesagt. [...] Gegen Cannabis gibt es derzeit keine offizielle Parteilinie."
Bei so viel sozialistischer Argumentation kann kein Chef "Nein" sagen. Und so kommt es, dass Grischa, Burg, eine Biologin und eine strenge Stasi-Offizierin nach Afghanistan fliegen und die erste Charge einkaufen. Kurz nach ihrer Rückkehr nach Berlin organisieren sie die Eröffnung eines deutsch-afghanischen Freundschaftsladens am Grenzübergang Invalidenstraße, in dem es offiziell landestypische Ware aus dem sozialistischen Bruderland gibt: Mützen, Schals und dergleichen. Das Cannabis ist als Bückware erhältlich. Selbstverständlich wird nicht in Mark der DDR, sondern in D-Mark bezahlt.
Innerhalb weniger Tage spricht sich das ungewöhnliche Angebot herum und der Hanf findet reißenden Absatz, denn der Stoff ist sehr hochwertig und kann gegen eine Quittung legal gekauft werden. Das schlägt Wellen bis nach Bonn ins Ministerium für innerdeutsche Beziehungen. Auch dort herrschte bislang gepflegte Langeweile. Die Meldung vom schwunghaften Cannabis-Handel an der innerdeutschen Grenze reißt die Behörde jedoch aus ihrer Schläfrigkeit. Es kann und darf nicht sein, dass die bundesdeutsche Bevölkerung durch die Hintertür mit dem Rauschmittel versorgt wird. Eine Rechtsreferendarin wird beauftragt, einen Plan gegen diese perfide Aktion auszuarbeiten. Ihr Vorschlag: D-Mark gegen eine Beendigung des Cannabis-Verkaufs. Viel D-Mark.
Lesen?
Jakob Hein bastelt eine aberwitzige Geschichte um eine wahre Begebenheit. 1983 stand die DDR am finanziellen Abgrund, aus dem ihr auch die UdSSR nicht heraushelfen konnte. Damals fädelte der damalige bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß einen Milliardenkredit ein, der höchstwahrscheinlich die Existenz der DDR verlängerte. Im Gegenzug sagte die DDR-Regierung unter anderem zu, Familienzusammenführungen und Ausreisen zu erleichtern und Selbstschussanlagen abzubauen. Der Vorgang wurde wie in einem Agenten-Thriller abgewickelt und bezog die Mitarbeit eines bayrischen Großschlachters ein.
Wie Grischa mit einer verwegenen Idee beinahe den Weltfrieden auslöste ist ein sehr witziges Buch, dass das damalige deutsch-deutsche Verhältnis, das lange Zeit sehr angespannt war, auf die Schippe nimmt und für Lacher sorgt. Egal, ob man dabei nach Ost oder West schaute: Auf dem Feld der Bürokratie waren beide Staaten spitze.
Wie Grischa mit einer verwegenen Idee beinahe den Weltfrieden auslöste ist 2005 bei Galiani Berlin, einem Inprint des Verlags Kiepenheuer & Witsch, erschienen und kostet gebunden 23 Euro sowie als E-Book 19,99 Euro (befristet 4,99 Euro).
Nachtrag: Wer mehr über den Milliardenkredit der BRD an die DDR wissen möchte, wird hier gut informiert.