Was fällt fast jedem ein, wenn "Fifty Shades" gesagt wird? Sicher nicht das Buch, das ich heute vorstellen werde: Fifty Shades of Merkel ist das zweite Buch der Politikwissenschaftlerin Julia Schramm und bereits 2016 erschienen. Wer nun vermutet, dass die Kanzlerin hier von einem ihrer Fans porträtiert wurde, liegt falsch: Schramm ist als ehemaliges Mitglied der Piratenpartei und jetziges Mitglied der Partei Die Linke unverdächtig, Angela Merkel in den Himmel zu heben.
In 50 Kapiteln ist Schramm der Bundeskanzlerin auf der Spur. Sie sieht sich deren Leben von ihrer Geburt als Tochter eines evangelischen Pastors in Hamburg bis 2015 an und betrachtet jeden Abschnitt aus verschiedenen Winkeln. Der Zweck des Buches ist trotz der entgegengesetzten politischen Ausrichtung der beiden Frauen nicht, Merkel zu verunglimpfen oder der Lächerlichkeit preiszugeben.
Schramm geht analytisch und einigermaßen chronologisch vor und versucht, Angela Merkel zu verstehen und zu ergründen. Das ist nicht so einfach, denn die Kanzlerin gehört nicht zu den Menschen, die das Herz auf der Zunge tragen.
Schramm entdeckt sogar - man mag es kaum glauben - Parallelen zwischen Angela Merkel und Helmut Schmidt. Beiden schreibt sie eine hanseatische Gelassenheit zu und eine Politikausrichtung, die sich an den Erfordernissen des aktuellen Moments ausrichtet.
Doch auch die Eltern Kasner sowie Angela Merkels jüngere Geschwister Irene und Marcus Kasner werden in den Blick genommen. Inwieweit haben sie dazu beigetragen, dass Angela Merkel die wurde, die sie heute ist? Es geht auch um ihren ersten Mann, dessen Namen sie auch nach ihrer zweiten Heirat behalten hat, sowie die politischen Weggefährten, mit denen sie zum Teil sehr gut zusammengearbeitet, sie in manchen Fällen aber auch politisch ermordet hat. Helmut Kohl war ihr bekanntestes Opfer; als "Vatermörderin" wurde sie damals bezeichnet, als sie mithilfe eines Artikels in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung im Dezember 1999 wegen der Spendenaffäre den Mann vom Thron stieß, der sie als Ziehvater in ihrer Polit-Karriere unterstützt hatte.
Julia Schramm bindet immer wieder amüsantes aus Merkels Leben ein, ihr Buch ist nicht als trockenes wissenschaftliches Werk zu sehen. Da ist zum Beispiel die Geschichte mit der gelben Bluse. Für die junge Angela Kasner war die BRD im Prinzip das Land, in dem Milch und Honig fließen. Eines Tages wünschte sie sich von ihrer Verwandtschaft in Hamburg, von der immer wieder Pakete geschickt wurden, eine gelbe Bluse. So etwas war in der DDR nicht aufzutreiben. Doch sie konnte kaum glauben, was ihre Tante ihr daraufhin antwortete: Auch in der BRD gab es weit und breit keine gelben Blusen, weil diese gerade nicht in Mode waren.
Die Kasners waren keine "normale" DDR-Familie. Sie wurden zunächst misstrauisch beäugt, und die Stasi hat sich das vom Vater betriebene Weiterbildungszentrum für Theologen in Templin in der Uckermark genau angesehen. Angela Merkel hat selbst eingeräumt, dass ihre Kindheit dazu geführt habe, kommunikativ vorsichtig zu sein.
Wie war's?
Fifty Shades of Merkel ist so etwas wie ein Angela-Merkel-Rundumschlag, den Julia Schramm so objektiv wie nötig und mit einem gewissen Abstand verfasst hat. Das Buch gibt viele neue Einblicke in das Leben und die Denkweise der Kanzlerin und bleibt dabei im positiven Sinn unterhaltsam.
Fifty Shades of Merkel ist bei Hoffman und Campe erschienen und kostet als gebundene Ausgabe 15 Euro sowie als E-Book 10,99 Euro.
Ich habe das E-Book über die Onleihe bezogen.
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