In dieser Woche ist mein Lesepensum im Vergleich zu sonst eher gering ausgefallen. Der Grund: Ich war am Wochenende in Leipzig und habe die Buchmesse besucht - seit der coronabedingten Absage 2020 die erste nach dem offiziellen Ende der Pandemie. Wie war's?
Ich bin nicht zum ersten Mal zur "LBM" gefahren, wusste also, was mich in etwa erwartet und worauf ich mich einstellen muss. Aber wie das so ist mit vermeintlichen Sicherheiten, lösen sie sich manchmal gern in Rauch auf. Das war auch hier so.
Wir sind am Messe-Freitag, dem zweiten Messetag, angereist, kamen in unserem Hotel aber so spät an, dass wir darauf verzichtet haben, für zwei Stunden Messebesuch zum Gelände zu fahren. "Ist doch kein Problem", dachten wir. "Wir haben morgen den ganzen Tag Zeit und am Sonntag auch noch ein paar Stunden." Ein Trugschluss.
Als wir uns am Samstag auf der Autobahn dem Messegelände näherten, wies die Navigationsapp auf ein Problem hin. Schon etliche Kilometer vor der Abfahrt zur Messe war die Straße rot markiert: Stau, angeblich zwölf Minuten Zeitverlust. Na ja, damit kann man leben. Auf eine andere Route auszuweichen, konnte man sich ohnehin schenken: Alle anderen Zufahrtsstrecken waren ebenfalls rot auf der Karte eingefärbt. Also Stillstand. Zwanzig Meter fahren. Stillstand. Fahren. Die angekündigten zwölf Minuten schien der Algorithmus ausgewürfelt zu haben, so weit weg waren sie von der Wirklichkeit.
Aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Die Autoschlange setzte sich nach der Autobahnausfahrt nahtlos bis zu den Messeparkplätzen fort. Die waren schon rappelvoll. Aber wir wollten zum Presseparkplatz, hatten schon die Parkberechtigung hinter die Windschutzscheibe gelegt und waren verhalten optimistisch. In der Warteschlange vor der Schranke beobachteten wir das Gespräch des Parkplatzwächters mit dem Fahrer des Autos vor uns. Der fuhr kurz darauf dorthin zurück, woher er gekommen war: auf die Straße. Immer noch klingelte es nicht bei uns. "Na, da wollte wohl einer einen 'alternativen' Parkplatz ausprobieren", lästerten wir.
Dann standen wir an der Pole-Position - direkt vor der Schranke. Doch der junge Mann mit der Sicherheitsweste klärte uns auf: "Hier ist nichts zu machen. Die Fahrzeuge stapeln sich schon! Der Park&Ride-Parkplatz ist auch schon voll. Die Besucher-Parkplätze auch." Unsere Idee, in der Nähe einer Straßenbahnhaltestelle zu parken und mit Öffis zum Messegelände zu fahren verpuffte in dem Moment, in dem wir mehrere Bahnen gesehen hatten: Zwischen die einzelnen Fahrgäste passte kein Blatt Papier.
Wir haben uns dann entschieden, die nächsten Stunden im Panometer zu verbringen. Dort wird gerade das 360°-Panoramabild New York 9/11 des Künstlers Yadegar Asisi gezeigt. Schon 2018 musste dieser Ort als Alternative zur Buchmesse "herhalten", weil ein Schneechaos über Leipzig hereingebrochen war.
Start mit Verzögerung
Unser Messebesuch begann am Samstag um 16 Uhr, zwei Stunden vor der Schließung. Da ich einigen unabhängigen Verlagen meinen Besuch angekündigt hatte, wollte ich auf Nummer sicher gehen und war dort zuerst.
Vom Verlag Donata Kinzelbach habe ich hier schon mehrmals berichtet. Seit nun schon 38 Jahren gibt die Verlegerin Literatur aus dem Maghreb, also den nordafrikanischen Staaten Tunesien, Algerien, Marokko sowie der West-Sahara, heraus. Im Laufe der Jahre hat sich die Bandbreite etwas erweitert: Der Verlag bietet nun auch einige Titel von Autorinnen und Autoren anderer Nationalitäten an, der Maghreb bleibt jedoch der Schwerpunkt.
Für ihre Verdienste hinsichtlich der Vermittlung zwischen Kulturen und Kulturkreisen erhielt Donata Kinzelbach vor 15 Jahren sogar das Bundesverdienstkreuz am Bande.
In Kürze werde ich in der Bücherkiste den autobiografischen Titel Wie Mond und Sonne der iranischen Autorin Mahshid Najafi vorstellen, die 1985 gemeinsam mit ihrem Mann aus ihrer Heimat nach Deutschland geflüchtet ist und im Januar 2023 für ihre ehrenamtlichen Bemühungen um Integration und Demokratie mit dem Integrationspreis der Stadt Offenbach ausgezeichnet wurde.
Auch diesmal habe ich beim Polar Verlag vorbeigeschaut, dessen Krimis ich seit einigen Jahren mit Begeisterung lese. Ihr werdet hier bald noch mehr über ihn finden, und damit sind nicht (nur) weitere Rezensionen gemeint. Demnächst werde ich den in diesem Jahr auf Deutsch erschienenen Krimi Sunset City von Melissa Ginsburg vorstellen.
Margarita Stein, die Leiterin der Anthea Verlagsgruppe, habe ich während der Frankfurter Buchmesse 2022 kennengelernt. Sie gibt Bücher von bemerkenswerten Autorinnen und Autoren heraus, darunter das des Gewinners des Europäischen Literaturpreises 2021. Sie hat mir den Roman Der Fassadenkletterer von Angela Schmidt-Bernhardt ans Herz gelegt. Ein Anruf aus Polen reißt eine Frau aus ihrem bisherigen Leben: Der beste Freund ihres Vaters hinterließ einen Stapel Briefe, in denen sich interessante Informationen über ihren eigenen Vater befanden. Was hat ihr Vater ihr verschwiegen?
In der Bücherkiste wurden bereits sieben Titel aus dem erst vor drei Jahren gegründeten Kanon Verlag vorgestellt - ein deutliches Indiz dafür, wie gut mir gefällt, was dort veröffentlicht wird. Das nächste Kanon-Buch wird "Was ich sah, war die freie Welt" des Publizisten Max Dax sein. In seinen 24 Gesprächen über die Vorstellungskraft interviewt er zum Beispiel Yoko Ono, Grace Jones oder Isabella Rossellini. Ich bin sehr gespannt.
Am Samstag hatten wir noch etwa zwei Stunden Zeit, bevor wir die Heimreise angetreten haben. Das genügte für einen Überblick über das Angebot des diesjährigen Gastlandes Österreich. Ein Buch hatte es mir besonders angetan: Die 1929 in Wien geborene jüdische politische Journalistin Hella Pick schreibt in ihrem autobiografischen Buch Unsichtbare Mauern (erschienen im Czernin Verlag, Wien) über ihre Flucht nach England 1939 und ihren Werdegang zu einer der renommiertesten Journalistinnen. Sie war für die BBC tätig und reiste für die Zeitung The Guardian um die Welt. Pick wurde für ihr Lebenswerk mit britischen, österreichischen und deutschen Preisen ausgezeichnet. Ich freue mich darauf, das Buch zu lesen.
Am Stand des Steidl Verlags, dessen Name österreichisch klingt, der aber in Göttingen zu Hause ist, haben wir zuerst die tollen Foto-Bände bewundert. Doch dann bin ich über das Buch Stella Goldschlag - Eine wahre Geschichte gestolpert. Stella? Nachdem ich mich bei einer Standmitarbeiterin erkundigt hatte, wurde meine Vermutung bestätigt: Es handelt sich tatsächlich um dieselbe Person, über die der Autor Takis Würger seinen 2019 veröffentlichten Roman Stella geschrieben hat. Es war damals sicher eines der am kontroversesten diskutierten Bücher des Jahres, das ich auch hier in der Bücherkiste besprochen habe. Der Autor und Journalist Peter Wyden war ein Mitschüler Stella Goldschlags und ist der Geschichte um ihren massenhaften Verrat von Jüdinnen und Juden an die Nationalsozialisten nachgegangen. Sein Buch basiert auf Fakten, was es von Würgers Roman unterscheidet.
Fazit
Die Leipziger Buchmesse hat wieder viele spannende Titel bereitgehalten, und ich habe mich sehr über die guten Gespräche an den Ständen gefreut.
Der Wermutstropfen war die katastrophale Verkehrs- und Parkplatzsituation am Messe-Samstag. Möglicherweise war die Messeleitung von diesem Ansturm selbst überrascht, man weiß es nicht. Das sollte sich jedoch nicht wiederholen, denn die Messebesucher sollen das Gelände am Ende eines Tages mit einem guten Gefühl verlassen. Schließlich sind sie das, was die Branche dringend braucht: Buchkäuferinnen und -käufer.
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