José Carlos Llop ist der wichtigste zeitgenössische
Schriftsteller Mallorcas. Sein Buch Der Bericht 'Guillermo Stein' erschien in Spanien bereits 1995 unter dem Titel El informe Stein und wurde 2008 mit dem Prix Ecureuil de Littérature Etrangère für den besten in Spanien veröffentlichten Roman ausgezeichnet. Und das, obwohl es sich um einen Titel mit nur rund 90 Seiten handelt. Was macht das Buch so besonders?
Der Kurzroman spielt im Sommer 1968 in Palma de Mallorca. Der Erzähler Pablo Ridorsa ist Schüler im Jesuitenkolleg. Spanien hat bewegte Jahrzehnte hinter sich: Die Ausrufung der 2. Republik, die Kirchenverfolgung durch die neue Verfassung, die Folgen des Spanischen Bürgerkriegs sowie die Diktatur unter General Franco wirken sich auch auf das Leben auf Mallorca aus. Doch man spricht nicht gern über die Vergangenheit und verdrängt die Flecken auf der weißen Weste seiner nächsten Angehörigen.
Der Sommer 1968 ist einer der regenreichsten der Insel. Mitten im Schuljahr taucht plötzlich ein neuer Schüler im Kolleg auf: Guillermo Stein. An ihm ist alles seltsam und geheimnisvoll, und Stein selbst tut nichts, um diesen Eindruck zu entkräften. Im Gegenteil: Er erzählt von seinem Vater, der Kontakt zu einflussreichen Faschisten hatte, trägt buntere Kleidung als die anderen und fährt auch im strömenden Regen mit dem Fahrrad zum Unterricht - als Einziger und mit einem auffälligen roten Regenmantel. Außerdem tritt er so auf, als ginge ihn alles um ihn herum gar nichts an. Die Neugier der anderen Jungen ist geweckt und es entsteht der Plan, möglichst viel über Stein herauszufinden und in einem Bericht zusammenzufassen.
Ridorsa, der bei seinen Großeltern aufwächst, freundet sich mit Stein an. Bei einem Besuch in Steins Zuhause fällt ihm der große Unterschied zum Haus der Großeltern auf: Während Stein im damals vornehmen Viertel El Terreno wohnt, haben Ridorsas Großeltern ihr Quartier innerhalb der Stadtmauern noch nie verlassen. Ridorsa registriert, dass die beiden alten Leute auf den Namen Stein angespannt reagieren und spürt, dass Steins Anwesenheit etwas ins Rollen bringt. Und tatsächlich kommen am Ende des Buches einige Wahrheiten ans Licht, die für etliche emotionale Erschütterungen sorgen - und Ridorsa begreifen lassen, warum sich seine Eltern nicht mehr auf Mallorca sehen lassen.
Lesen?
Der Bericht 'Guillermo Stein' ist mir auf der Frankfurter Buchmesse 2022 aufgefallen, als der Ehrengast Spanien zahlreiche deutsche Übersetzungen spanischer Bücher vorgestellt hat. José Carlos Llop verwebt in seinem Roman die fiktiven Ereignisse in einem Jesuitenkolleg in Palma mit der Geschichte Spaniens im 20. Jahrhundert.
Die zunächst noch eher kindliche Neugier der Jungen gegenüber ihrem neuen mysteriösen Mitschüler verändert sich in dem Moment, als aus Gerüchten und Vermutungen Wahrheiten werden und sie von den Verfehlungen ihrer nächsten Verwandten erfahren: Denunzierungen und Verrat taugen nun mal nicht für Heldenerzählungen.
Ridorsa wird zum ersten Mal mit seiner erwachenden Männlichkeit konfrontiert und verliebt sich. Und sein geheimnisvoller Freund, der schon bald wieder abreist, hat die letzten Jahre seines Lebens vor sich.
Der Bericht 'Guillermo Stein' ist ein interessanter Blick in spanische Verhältnisse in den 1960-er Jahren und es lohnt sich, das ein oder andere, was uns aus der Landesgeschichte nicht bekannt ist, nachzulesen.
Der Roman ist 2022 im Kupido Verlag erschienen und kostet als gebundene Ausgabe 18,80 Euro.
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