Samstag, 18. Januar 2020

# 225 - Ein Blick in den Maghreb

Während der Frankfurter Buchmesse habe ich mich mit der Mainzer Verlegerin Donata Kinzelbach unterhalten, die mit ihren Büchern eine Nische besetzt, zumindest für deutsche Verhältnisse. Seit mehr als 30 gibt sie Literatur aus dem Maghreb heraus. Ihr Schwerpunkt liegt auf Titeln aus Marokko, Algerien und Tunesien.

Der Maghreb: Das sind etwa 100 Millionen Menschen, die in den Mitgliedsstaaten der Arab Maghreb Union (AMU) leben - also Algerien, Libyen, Mauretanien, Marokko und Tunesien - sowie Gebieten in der West-Sahara und die Städte Ceuta und Melilla. Einige der Maghrebstaaten sind vielen Deutschen als Urlaubsziele bekannt, viel Aufmerksamkeit bekamen die Länder im Zuge des Arabischen Frühlings.

Ich stelle hier zum Einstieg zwei Bücher aus dem Kinzelbach Verlag vor, die einen ersten Eindruck von der Bandbreite bieten, die die Maghreb-Literatur zu bieten hat. Beide stammen von der algerischstämmigen Autorin Fatima Belhadj, sind jedoch sehr unterschiedlich.

In Leben in der Banlieue geht es vordergründig um zwölf Menschen, die es aus maghrebinischen Staaten in die Banlieu verschlagen hat. Aber hinter jedem Schicksal steht auch die Vorstadt mit ihrer Kriminalität, den Drogen und den verschiedenen Nationalitäten, die hier aufeinander treffen. Nicht nur aus dem Maghreb, sondern auch aus afrikanischen Ländern oder Osteuropa. Da ist zwar auch ein Zusammenhalt nach außen, aber eben auch die Abwesenheit von Lebensfreude.

Fatima Belhadj erzählt zum Beispiel von einem zwanzigjährigen Mann, der schon zwei Jahre seines Lebens im Gefängnis verbracht hat, und von der fünfzigjährigen Tunesierin, die mit ihrem Mann bis zu dessen Tod in einer arrangierten Ehe lebte. Manche leben freiwillig in der Banlieu, anderen wurde dort von der Sozialbehörde eine Wohnung zugewiesen. Die beschriebenen Personen sind fiktiv, hinter ihnen stehen jedoch tatsächlich existierende Menschen. Mit ihrer klaren und unmittelbaren Sprache ermöglicht es die Autorin ihren Lesern, direkt in die Atmosphäre und besonderen Umstände, unter denen die beschriebenen Menschen leben, einzutauchen. Leben in der Banlieu stößt eine Tür auf, die in eine uns fremde Welt führt.

Das zweite Buch von Fatima Belhadj, das ich
vorstelle, hat den Titel Das Geheimnis des Mondes. Es handelt von einer auf einer berberischen Erzählung basierenden Geschichte: Die 16-jährige Massilya ist zusammen mit ihrer Mutter von Frankreich in den Osten Algeriens gereist, um dort bei den Chaouis, einem Berbervolk, die Ferien zu verbringen. Die Eltern stammen aus der Gegend, dem Mädchen ist sie fremd.

Es fehlt dort nicht nur an Strom und fließendem Wasser, sondern Massilya ist auch von den Anschauungen der Menschen befremdet: Das ganze Leben geschieht nach dem Willen Gottes und ist für jeden vorherbestimmt. Da die Ereignisse ohnehin Schicksal sind, hat es keinen Sinn, dagegen anzukämpfen.

Was Massilya nicht ahnt: Ihre Eltern haben sie dem wohlhabenden und deutlich älteren Aghilas versprochen. Als sie davon erfährt, wird ihr schlagartig klar, dass ihr Körper nicht ihr, sondern ihren Eltern gehört und nach der Hochzeit in das Eigentum von Aghilas übergehen würde.
Doch dann lernt sie auf dem Markt den jungen Wighlan kennen und beide verlieben sich sofort ineinander. Als Massilya schwanger wird, nimmt die Handlung einen dramatischen Verlauf und mündet in ein ungewöhnliches Ende.
Mit ihrem Buch tritt Fatima Belhadj deutlich für das Recht ein, dass sich Frauen ihren Ehepartner selbst auswählen und eigenständig über ihr Leben entscheiden können.

Sowohl Leben in der Banlieu als auch Das Geheimnis des Mondes sind als Taschenbuch für je 18 Euro erhältlich.

In Kürze wird es eine weitere Vorstellung eines Titels aus dem Kinzelbach Verlag geben. Das dann vorgestellte Buch wird einen sehr aktuellen Bezug haben.

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