Freitag, 5. August 2016

# 62 - Ein Leben im Großraumbüro


Ein hochgelobter Roman um den modernen Büroalltag


Björn ist die Hauptfigur im Roman Das Zimmer des schwedischen Autors Jonas Karlsson und ein Mensch, der von seinem Arbeitsverhalten restlos überzeugt ist. Er sieht sich als cleveren Mitarbeiter, zu dem die Kollegen aufschauen sollten. Tun sie es nicht, liegt das nur an ihnen.
So war es auch mit seinem letzten Job gewesen: Björn hatte sich ständig unterfordert gefühlt und sich nicht immer mit den Kollegen gut verstanden. Eines Tages hatte ihm sein ehemaliger Chef nahegelegt, an seiner Karriere zu arbeiten und etwas aus sich zu machen. Das leuchtete Björn ein. Er wechselte ohne Komplikationen zu einer neuen und sehr großen Behörde in Stockholm. Wäre man böswillig, könnte man Björn als einen "Wanderpokal" bezeichnen.

Kollegialität? Was soll das sein? Wer braucht das?


Björn stellt an seinem neuen Arbeitsplatz fest, dass er im Vergleich zu seinem alten mit einigen Verschlechterungen leben muss. Das trübt jedoch nicht seinen Optimismus. Wie gewohnt teilt er sich seine Arbeitszeit in ein festes Schema ein, das er strikt einhält: Nach 55 Minuten konzentrierter Arbeit folgen fünf Minuten Pause, in denen auch der Toilettengang erledigt werden muss. Er arbeitet sich intensiv in seine neuen Aufgaben ein und nutzt dafür sogar das Wochenende. Björn möchte sich möglichst schnell einen Vorsprung verschaffen, der ihn aus der Masse der Kollegen positiv heraushebt. Sein Ziel ist es, irgendwann zur Führungsebene dieser Behörde zu gehören.
Björn beginnt sofort, sein neues Umfeld zu analysieren und bei jedem Menschen dessen Stärken und Schwächen herauszufinden. Echte Sympathien kann er für keinen der 22 Kollegen aufbringen, die mit ihm in der Abteilung zusammenarbeiten.
Selbstverständlich fragt er auf der Suche nach Kopierpapier auch niemanden danach, wo es normalerweise aufbewahrt wird, sondern streift selbst auf der Etage herum. Dabei öffnet er zufällig die Tür zu einem kleinen Zimmer, das wie ein Büro eingerichtet ist und sich neben der Altpapiertonne und dem Fahrstuhl und hinter den Toiletten befindet. Der Raum ist akkurat aufgeräumt und staubfrei, alles ist genau an seinem Platz. Björn hat das deutliche Gefühl, dass dieses Büro auf jemanden wartet. Auf ihn.

Wer spinnt hier wirklich?


Niemand außer Björn scheint das Zimmer zu kennen. Aber für ihn wird es wie eine zweite Heimat: Dort kann er sich am besten konzentrieren und ungestört seine Akten bearbeiten. Doch Björn ist irritiert, dass niemand außer ihm dieses Zimmer zu sehen scheint. Sind um ihn herum tatsächlich alle zu blöd, um wahrzunehmen, was für ihn offensichtlich ist? Oder wollen sie ihn gemeinsam in den Wahnsinn treiben? Er überprüft den Grundriss seiner und der darüber liegenden Etage und muss feststellen, dass dieses Zimmer irgendwie nicht hineinpassen kann. Was wird da vor ihm verheimlicht?
Die Situation spitzt sich zu, als sowohl seine Kollegen als auch sein Chef ihn misstrauisch beäugen und ihm immer distanzierter begegnen. Björn kann sich ihr Verhalten zuerst nicht erklären, aber dann wird er von Håkan direkt gefragt, was er „da“ eigentlich mache, wenn er so im Toilettenflur herumstehe. Björn wird mit aller Deutlichkeit klar, dass seine Kollegen ihn für einen verschrobenen Spinner halten und ihm die Existenz des kleinen Zimmers nicht glauben. Doch er weiß sich zu helfen: Er beruft eine Versammlung aller Kollegen ein und fordert sie einer nach dem anderen auf, in diesen Raum, den sie angeblich nicht kennen, einzutreten. Als Björn sieht, dass sich die ganze Abteilung in dem kleinen Zimmer versammelt hat, ist er sicher, ihren Scherz entlarvt zu haben. Doch er irrt sich, und die Situation eskaliert.

Ausgewachsene Psychose oder ausgefeiltes Mobbing?


Björn ist ohne Frage ein Kollege, wie ihn sich niemand selbst freiwillig aussuchen würde. Er ist über alle Maßen von seiner Großartigkeit überzeugt und der Meinung, dass ihm keiner ernsthaft das Wasser reichen kann. Es bleibt ihm unbegreiflich, dass es anderen Menschen so schwer fällt, sein Genie zu erkennen. Eine Weihnachtsfeier, die die Kollegen als willkommene Abwechslung vom Arbeitsalltag betrachten, ist für ihn nur albernes Getue, das unnötig Zeit kostet. Ob sein Verhalten krankhaft oder er einfach nur eine Nervensäge ist, lässt sich nicht zweifelsfrei feststellen.
Im Klappentext wird davon gesprochen, dass sich der Autor „mit der Konformität in der modernen Arbeitswelt“ beschäftigt. Das, was Jonas Karlsson in Das Zimmer beschreibt, hat allerdings weniger mit Anpassung und Gleichheit, als vielmehr damit zu tun, dass die Hauptperson Björn eine ausgewachsene Klatsche hat.
Das Buch hat mich leider nicht überzeugt und ich habe mich gefragt, wo ich während meiner eigenen Jahre in verschiedenen Behörden war, dass ich nichts von dem, was Karlsson hier beschrieben hat, wiedererkannt habe. 

Das Zimmer ist im Luchterhand Literaturverlag erschienen und wurde mir vom Bloggerportal zur Verfügung gestellt, wofür ich mich herzlich bedanke. Es kostet als gebundene Ausgabe 17,99 €, als Audio-CD 16,99 €, als Kindle- oder epub-Edition 13,99 € und als Hörbuch-Download 12,95 €.

2 Kommentare:

  1. Danke für deinen Kommentar :) Deine Rezension kann ich teilweise nachvollziehen. Offenbar sind nicht alle Büros und Behörden gleich ...

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    1. Behörden gleichen einander so viel oder wenig, wie es Unternehmen tun. Ich habe verschiedene Behörden auf Bundes- und Landesebene kennengelernt und keine so erlebt, wie es im Buch dargestellt wurde. Auch die Vorstellung vom gleichgeschalteten Behördenfuzzi, der irgendwie den Tag herumbringt, ist überholt. Allerdings weiß ich nicht, wie es in schwedischen Behörden zugeht ;-)

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