Freitag, 17. Juli 2020

# 249 - Leere Herzen

In Juli Zehs 2017 erschienenem Roman Leere Herzen werden dystopische Zukunftsentwürfe Wirklichkeit.

Wir sind im Jahr 2025. Angela Merkel wurde vor acht Jahren aus dem Amt gejagt und von Regula Freyer von der BBB - Besorgte Bürger Bewegung - nach einer demokratischen Wahl abgelöst. Die BBB legt seitdem immer neue 'Effizienzpakete' auf, die das bisherige politische System Zug um Zug verwässern und aufweichen.
Die Bürger sind in politischer Hinsicht so träge, dass sie die allmähliche Auflösung von demokratischen Standards eher gleichgültig registrieren: Eine Umfrage hat ergeben, dass sich die meisten Menschen bei der Wahl zwischen einer Waschmaschine und  ihrem Wahlrecht für die Waschmaschine entscheiden würden.

Die Hauptfigur des Buches ist Britta Söldner. Sie ist verheiratet, hat eine noch junge Tochter und ist in ihrem Beruf wirtschaftlich äußerst erfolgreich: Mit ihrem Geschäftspartner Barak, einem IT-Experten, betreibt sie Die Brücke, eine nach außen psychotherapeutische Heilpraxis, deren Hauptzweck es ist, Menschen mit einem ausgeprägten Todeswunsch an Organisationen zu vermitteln, die finden, dass ihren Zwecken mal wieder ein ordentliches Selbstmordattentat guttäte. Die Nachfrage ist immer da, der Laden brummt. Die geeigneten Attentäter werden in einem 12-stufigen Auswahlverfahren auf die Ausgeprägtheit ihres Selbstmordwunsches getestet. 
Brittas Mann und Freunde haben keine Ahnung, was tatsächlich hinter der Brücke steckt.

Britta findet nichts Verwerfliches an ihrem Tun, eher im Gegenteil: Der "klassische" Terrorismus ist am Ende, der 'Daesh' - der 'Islamische Staat' - existiert de facto nicht mehr, die Splittergruppen bekennen sich aber bereitwillig zu praktisch jedem Anschlag. Mit ihrem Geschäftskonzept hat sie eine Nische besetzt, in der sie und Barak ein Monopol inne haben. Anschläge laufen jetzt schön geordnet und strukturiert ab. Britta fehlt jede moralische Leitlinie und Empathie. Rücksichtslos verfolgt sie ihre Interessen, Skrupel sind ihr fremd. Das Interesse an der Gesellschaft und der Politik ist ihr im Laufe der letzten Jahre abhanden gekommen.

Doch dann wird am Leipziger Flughafen ein Anschlag verübt, der an Dilettantismus kaum zu überbieten ist. Gibt es da einen Konkurrenten, der Die Brücke aus dem Geschäft verdrängen will? Unvermittelt tritt der zwielichtige Multimillionär Guido Hatz auf den Plan, der sich ihrem Mann als Geschäftspartner anbietet. Hat dieser merkwürdige selbsternannte Geo-Heiler in Wirklichkeit Britta im Visier? Britta fühlt sich von Hatz beobachtet und verfolgt, schließlich gibt er ihr den "Rat", sich doch einfach mal eine Weile aus dem Geschäft zurückzuziehen. Dann wird in die Geschäftsräume der Brücke eingebrochen. Das Tempo der Handlung beschleunigt sich, plötzlich fühlt sich Britta existenziell bedroht. Sie begreift, dass sie und ihre Brücke von einer anderen Organisation für deren Zwecke missbraucht werden sollen. Es beginnt ein Kampf auf Leben und Tod.

Lesen?

Ja. Juli Zeh hält ihren Lesern den Spiegel vor. Schon ihre Widmung weist darauf hin: "Da. So seid ihr." Und das, was Zeh schon vor drei Jahren beobachtet und kritisiert hat, ist bis heute nicht besser geworden: Das um sich greifende Phänomen, das gern freundlich als 'Politikverdrossenheit' bezeichnet wird, ist nichts anderes als die Gleichgültigkeit der saturierten Bürger, die allzu gern bereit sind, ihre demokratischen Rechte einzutauschen, wenn ihr Leben nur schön bequem verläuft. Ihr Roman ist ein Plädoyer dafür, die Beschäftigung mit der Politik nicht nur denen zu überlassen, die dies aus beruflichen Gründen tun.

Leere Herzen  ist im Luchterhand Verlag erschienen und kostet als gebundene Ausgabe 20 Euro, als Taschenbuch 11 Euro (btb Verlag) sowie als E-Book 9,99 Euro.

 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen