Freitag, 15. September 2017

# 117 - Mord in Namibia

Die deutsche Kolonialherrschaft wirkt bis heute nach

 

Die Journalistinnen Almut Hielscher und Uta König haben die Handlung ihres Krimis Mord am Waterberg nach Namibia gelegt, das in der Zeit des deutschen Kolonialismus ab 1884 den Namen Kolonie Deutsch-Südwestafrika trug. Schon auf Seite 11 wird schlagwortartig erläutert, wie die deutsche mit der namibischen Geschichte verwoben ist: Während der 40er Jahre des 19. Jahrhunderts errichteten die ersten deutschen Missionare Stationen und begannen, den Ureinwohnern das nahezubringen, was sie für den rechten Glauben hielten. Den Grundstein für die spätere Kolonialisierung legte der deutsche Kaufmann Adolf Lüderitz, der sich mit Verträgen, in denen die Einheimischen übers Ohr gehauen wurden, 580.000 Quadratmeter Land an der Westküste kaufte. 1884 wurde das Gebiet zum sog. Schutzgebiet, danach zur deutschen Kolonie. Diamantfunde weckten dann Begehrlichkeiten im fernen Deutschland, es kamen immer mehr deutsche Einwanderer. Je größer ihre Zahl wurde, umso größer wurde der Widerstand der Einheimischen, sodass Reichskanzler Bismarck immer mehr Soldaten schickte, um die Einheimischen in Schach zu halten. Die hatten allerdings mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts genug von Ausbeutung, Unterdrückung und Landnahme durch die Deutschen: Nacheinander erhoben sich zwischen 1904 und 1908 mehrere Stämme, die von den deutschen Truppen niedergemetzelt wurden. Als entscheidendes Ereignis gilt die Schlacht am Waterberg, bei der 80 % der Hereros ihr Leben verloren; nicht zuletzt, weil sie unter dem Kommando von Generalleutnant Lothar von Trotha in der Omaheke-Wüste eingekesselt wurden und dort verdursteten.


Ist so viel Geschichte wirklich nötig?

 

Bei diesem Buch eindeutig ja. Ohne ein Mindestmaß an Kenntnissen über die deutsche Kolonialherrschaft kann man die im Buch beschriebenen Befindlichkeiten und Verhaltensweisen der Namibier nicht nachvollziehen. Das Erbe dieser Zeit wirkt bis heute nach: Die größten Farmen mit den ergiebigsten Böden gehören immer noch den Nachfahren der deutschen Siedler, deutsche Farmnamen sind nichts Ungewöhnliches. 
In dieses Land fliegt im August 2004 die Buchhändlerin Katrin Sattler. Nicht, um dort Urlaub zu machen und Landschaft und Tierwelt zu bestaunen, sondern um ihre tote Schwester Anna nach Hause zu holen. Wenige Tage zuvor wurde Anna in ihrem Haus in Okakarara erschlagen gefunden. Sie war dort vier Jahre für den Deutschen Entwicklungsdienst in einem Kulturverein tätig gewesen und hatte gegenüber ihrer Schwester immer von ihrer Arbeit sowie Land und Leuten geschwärmt. Katrin hatte sich nie überwinden können, Anna dort zu besuchen, und so hatte sich ihr Kontakt im Wesentlichen auf Telefongespräche beschränkt. Ihr Plan ist, nur so viel Zeit in Namibia zu verbringen, wie nötig ist, um die Überführung der Schwester zu regeln und den Sarg ins heimische Stuttgart zu begleiten. Aber es soll anders kommen.

Wer hat Anna getötet?

 

Von Annas Chef Arnold erfährt Katrin, dass sich der Mörder bereits in Untersuchungshaft befindet. Das wird von der örtlichen Polizei bestätigt: Anhand von angeblich eindeutigen Indizien wurde ein Siebzehnjähriger als Täter für den Raubmord identifiziert, der jedoch vehement abstreitet, etwas mit dem Verbrechen zu tun zu haben. Aber als Katrin in Annas Haus ist, bemerkt sie, dass alles, was einen nennenswerten Wert hatte, noch da ist. Sie hat an der Raubmord-Theorie erste Zweifel. Die sollen sich auch weiter verdichten, als ihr immer mehr Ungereimtheiten auffallen: Sie ist sich sicher, dass Arnold, der erheblich zur Verhaftung des jungen Mannes beigetragen hat, selbst keine weiße Weste hat. Da sich dieser auch ihr gegenüber merkwürdig verhält, beginnt Katrin, eigene Nachforschungen anzustellen. Sie findet heraus, dass der verhaftete Tatverdächtige für den Tatzeitraum ein Alibi hat: Er hat über mehrere Stunden hinweg in Arnolds Garten gearbeitet. Außerdem findet sie im Haus des Vereinschefs zwei Aktenordner und eine Kladde, die kurz zuvor aus Annas Haus gestohlen worden waren. Als Katrin ihre Beobachtungen der Polizei schildert, werden die Vorgänge verharmlost und sie wird nicht ernst genommen. Doch als sie nach einem nächtlichen Drohanruf Anzeige erstattet, wird man auch dort hellhörig. Ein Besuch auf der Farm, die einst von ihrer Großtante und deren Mann bewirtschaftet wurde und heute einer einheimischen Familie gehört, irritiert sie: Die Feindseligkeit, die ihr von der Mutter und einem der Söhne entgegenschlägt, kann sie sich nicht erklären. Auch ihre Schwester hatte die Familie besucht, um mehr über die längst verstorbene Großtante zu erfahren. Katrin beschließt, erst dann die Heimreise anzutreten, wenn zweifelsfrei feststeht, wer Anna getötet hat. Es gibt mehrere Menschen, denen das nicht gefällt. Doch sie findet Unterstützung in Annas Freundin Agnes und Chief John Kambanda, die auch für Katrins Schwester gute Freunde waren.


Wie war's?

 

Mord am Waterberg hat einen starken historischen Bezug. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich zwar 2004 zu den Gräueltaten während ihrer Kolonialherrschaft bekannt, wies aber Entschädigungsforderungen zugunsten von mehr Entwicklungshilfe zurück. Anfang 2017 reichten Vertreter der Herero und der Nama vor einem New Yorker Schiedsgericht eine Sammelklage ein. Die namibischen Verhandlungsführer haben durch ein Gutachten Reparationen in Höhe von 30 Milliarden Euro ermitteln lassen. Vieles, was zum Verständnis der Vorbehalte der Namibier gegenüber Deutschen nötig ist, wurde im Buch angesprochen. Das Thema dürfte heute vielen Deutschen nicht mehr präsent sein; so erklärt sich auch die Naivität, mit der sich Katrin oft in Namibia bewegt.
Die Idee, einen fast vergessenen Teil der deutschen Geschichte mit der Handlung eines Krimis zu verknüpfen, ist sehr interessant. Aber so genau die Beschreibung des historischen Hintergrunds und der heutigen Lebensverhältnisse ist, so flach ist die Zeichnung der einzelnen Charaktere: Sie bleiben eindimensional, weil wie in einer Reportage zwar ihr Handeln geschildert wird, aber oft unklar bleibt, was sie dazu bewogen hat. Warum beispielsweise aus dem Geplänkel zwischen Katrin und einem deutschen Biologen in der Bar einer Pension dann offenbar eine ernsthafte Liebebeziehung wird, ist kaum nachvollziehbar. Es ist diese Flachheit der Figuren, die dazu führt, dass dem Buch die wirkliche Spannung fehlt und es schwerfällt, sich in eine der Personen hineinzuversetzen.

Mord am Waterberg ist bei Pro Talk Crime erschienen und kostet als Taschenbuch 11,90 €. Das Buch wurde mir von der Agentur KongKing zur Verfügung gestellt, wofür ich mich herzlich bedanke.