Freitag, 5. Februar 2021

# 276 - Ein Reisebericht der ersten Touristin auf Mallorca

Wer schon einmal auf Mallorca war, hat wahrscheinlich auch das Bergdorf Valldemossa im Tramuntana-Gebirge besucht. Die Hauptattraktion des Ortes ist das ehemalige Kartäuserkloster, in dem die französische Schriftstellerin George Sand mit ihren beiden Kindern und dem polnischen Komponisten Frédéric Chopin den Winter 1838/1839 verbrachte. Ihre Eindrücke hat Sand 1842 in ihrem Buch Un Hiver à Majorque geschildert, das unter dem deutschen Titel Ein Winter auf Mallorca mehrfach herausgegeben wurde. Das Buch gilt als Klassiker der Reiseliteratur.

Die Vier wollten das anstrengende Leben in Paris für ein paar Jahre hinter sich lassen und erhofften sich eine wohltuende Wirkung des mallorquinischen Klimas auf die Rheumaerkrankung des Sohnes und die Lungenerkrankung des Komponisten. Doch das, was sie auf der Insel während ihres viermonatigen Aufenthalts erlebten, hat ihnen so zugesetzt, dass sie schließlich fast schon fluchtartig die Rückreise antraten.

Man kann sich allerdings darüber wundern, mit welchen Vorstellungen insbesondere George Sand auf die Insel gereist ist. Sie und Chopin gelten als die ersten Touristen Mallorcas, eine nennenswerte Infrastruktur gab es nicht, die Dampfschiff-Verbindung zwischen Palma und Barcelona war erst wenige Jahre zuvor eingerichtet worden. Sie fanden kein Hotel, kamen kurzzeitig in einem leerstehenden Herrenhaus in Establiments in der Nähe von Palma unter, das sie aber dann abrupt räumen mussten, weil der Eigentümer befürchtete, bei Chopins Erkrankung könnte es sich um Tuberkulose handeln - was, wie sich später herausstellte, richtig war.

Auf der Suche nach einer neuen Unterkunft wurden sie im schon damals vom Kartäuserorden aufgegebenen Kloster von Valldemossa fündig. Das Dorf verfügt jedoch über ein eigenes Mikroklima, sodass die Temperaturen im Sommer dort angenehmer sind als in den niedrigeren Lagen Mallorcas, der Winter kann dort allerdings sehr ungemütlich werden und erinnert mit seiner Kälte, dem Wind und den gelegentlichen Schneefällen an die norddeutsche Tiefebene. Das alles wussten weder Sand noch Chopin.

Ihnen war auch nicht klar, wie provokant ihr Auftreten und Lebensstil auf die Einheimischen wirken mussten: Diese sahen eine Patchworkfamilie mit einem unverheirateten Paar, eine Frau in Männerkleidung und die Verweigerung, am Sonntagsgottesdienst teilzunehmen. Ihnen schlug die Ablehnung und das Misstrauen der Landbevölkerung entgegen, die auf dieses Anderssein mit großer Zurückhaltung und dem Verkauf von Lebensmitteln zu Wucherpreisen reagierte. 

Entsprechend schlecht kamen sowohl die Bauern als auch die Adeligen auf der Insel in Sands Reisebeschreibung weg. Den Bauern spricht sie die Fähigkeit zum Denken ab und bescheinigt ihnen Planlosigkeit, dem Adel fehlen hingegen Stil, Bildung und ein gewisses Maß an Durchsetzungsvermögen.  

Sand bricht jedoch in große Euphorie aus, wenn es um die Beschreibung der Naturschönheit Mallorcas geht. Dichtern und Malern empfiehlt sie mehrmals, sich von ihr inspirieren zu lassen.

Mit keinem Wort erklärt sie jedoch, bei wem es sich um den Begleiter handelt, er wird nur als "der Patient" bezeichnet. Erst 1855 kommt sie mit der Veröffentlichung von "Die Geschichte meines Lebens" wieder auf Chopin und ihre gemeinsame Zeit auf Mallorca zu sprechen und schildert dort das Verhalten des Komponisten und das Fortschreiten seiner Erkrankung.

Lesen?

Es ist an vielen Stellen des Buches kaum zu glauben, dass sich eine Frau, die zur damaligen Bildungselite gezählt hat, zu solch einem Abenteuer hat hinreißen lassen und sich praktisch ohne Vorbereitung mit zwei kranken Menschen auf diese Reise begeben hat. Ihre Beschreibung ist gerade dann, wenn von den Einheimischen die Rede ist, oft sehr gnadenlos und einseitig, aber sicher hat jede subjektive Aussage einen wahren Kern. Mallorca war vor mehr als 180 Jahren einfach nicht darauf vorbereitet, Fremde zu beherbergen und zu versorgen. Der Blick in die Vergangenheit ist schon deshalb interessant, weil die Insel heute zu den beliebtesten Urlaubszielen zählt und jedes Jahr von ca. 14 Millionen Touristen besucht wird. George Sand hat zudem einen so lockeren Schreibstil, dass das Lesen nicht langweilig wird.

Ein Winter auf Mallorca lag mir als E-Book in der neuesten Übersetzung von Hermann Lindner aus dem Jahr 2016 vor. Es enthält neben dem ungekürzten Text mehrere zeitgenössische Illustrationen, einen Auszug aus Sands Buch Die Geschichte meines Lebens ("Der Winter auf Mallorca"), den "Brief eines heimgekehrten Reisenden an einen häuslichen Freund" (von George Sand an einen Herrn namens François) und Anmerkungen zu Leben und Werk der Schriftstellerin.
Das Buch ist bei dtv digital erschienen und kostet 14,99 Euro.


Nachtrag: Das Herrenhaus, in dem die Familie zuerst gewohnt hat, gibt es noch. Es befindet sich in Privatbesitz, wird aber leider nicht gepflegt. Hier geht es zu einem kurzen Bericht: 
Hier froren George Sand und Frédéric Chopin zuerst (mallorcamagazin.com)

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