Freitag, 5. Mai 2017

# 98 - Mehr Schein als Sein

So geht's zu in Hollywood

 

Doris Dörrie wird vielen eher durch ihre Filme als ihre Bücher bekannt sein, aber sie hat bisher fast zwei Dutzend Titel veröffentlicht. Und was wird aus mir? ist bereits 1997 erschienen, und man wird beim Lesen den Verdacht nicht los, dass sie ganz bestimmte Personen vor Augen hatte, als sie dieses Buch schrieb.

Hollywood, Arroganz und Generationenkonflikt

 

Johanna, eine Frau um die 50, ist in Deutschland zunächst als Schauspielerin und zuletzt als Requisiteurin an einem Opernhaus gescheitert: Ein ordinärer vergessener Müllsack, der bei der Aufführung von Verdis "Rigoletto" nicht rechtzeitig zur Stelle war, brachte ihr die fristlose Kündigung. Ohne Job und erst recht ohne Perspektive erinnert sie sich an ihren früheren Freund, den Regisseur Rainer. Zusammen mit ihm und der blonden Heidi hatte sie in den 1970er Jahren einen Filmerfolg gelandet, der sie bis nach Hollywood brachte. Deutschsein galt damals im US-Filmgeschäft als "refreshing", und die Drei wurden von einem Filmevent zum nächsten herumgereicht und glaubten, angekommen und erfolgreich zu sein. Doch nach ihrem hochgelobten Film ergab sich für Johanna rein gar nichts mehr. Ihr Zusammenleben mit Rainer war geprägt von Langeweile, während sie stundenlang den Telefonaten ihres Freundes zuhörte oder im öden Hotelzimmer auf ihn wartete. Als sie begriff, dass sie weder bei Rainer noch im Filmgeschäft eine Chance hatte, packte sie ihre Sachen und kehrte nach Deutschland zurück. Und jetzt, arbeits- und mittellos, hofft sie, dass ihr Rainer eine Chance geben kann. Er ist in Hollywood ein gefragter und erfolgreicher Regisseur, der seiner modesüchtigen 15-jährigen Tochter Allegra in den Sommerferien eine Menge bieten kann. Bei ihrer Ankunft in Rainers Villa inmitten einer noblen Nachbarschaft ist sie dann auch beeindruckt von der teuren Einrichtung und dem Pool im Garten. Doch ihr fällt auf, dass sich im Haus nichts Persönliches befindet, das einen Hinweis auf den Menschen Rainer geben würde. Ihr Instinkt lässt sie hier nicht im Stich.

Gepflegter Wahnsinn zwischen Konsum und Einsamkeit

 

Johanna merkt schnell, dass es mit Rainers beruflichem Erfolg nicht weit her ist. Er arbeitet als Nebendarsteller in zweitklassigen Filmen und nimmt immer dann, wenn sich seine verwöhnte Tochter, die ihren Vater verachtet, zu ihrem mehrwöchigen Sommeraufenthalt ankündigt, einen Job als Housesitter in einem edlen Villenviertel an. Dazu gehört praktischerweise auch die Benutzung eines sündhaft teuren Autos. So kann er für Allegra die Lüge vom wohlhabenden und erfolgreichen Filmregisseur aufrechterhalten. Während des restlichen Jahres lebt er in einem billigen Motel und kratzt sein Geld zusammen, um seiner Tochter während ihres Urlaubs bei ihm den spendierfreudigen Vater vorspielen zu können. In diesem Jahr entwickelt sich eine besonders pikante Situation: Rainer hütet das Edel-Domizil des millionenschweren Filmproduzenten Marko Körner und spielt in dessen aktuellem Streifen über Adolf Hitler eine kleine Nebenrolle. Rainer hasst Marko: für seinen Erfolg, für seinen Reichtum und dafür, dass er ihn ungestraft verspotten kann. Er ahnt nicht, dass Marko ein seelisches Wrack ist und seine Tage nur mit der Hilfe von Antidepressiva und dem Kontakt zum Medium Heidi übersteht - eben jener Heidi, die 20 Jahre zuvor gemeinsam mit Rainer und Johanna als aufstrebender Stern am Filmhimmel gefeiert wurde. Auch ihr haben die Studios kein Glück gebracht, deshalb hat sie ihren Schwerpunkt auf eine Form der Esoterik verlegt, die sich geschmeidig an die wechselnden Bedürfnisse der Schönen und Reichen anpasst. Heidi vermittelt Marko mehrmals täglich Gespräche mit der verstorbenen Japanerin Misako, die als 16-Jährige von einem Hochhaus in Tokio gesprungen ist, nachdem ihr konservativer Vater im Internet Fotos gesehen hatte, auf denen seine Tochter als Pornodarstellerin zu sehen war. Misakos Worte aus dem Jenseits führen Marko durchs Leben und geben ihm die Kraft, die er braucht, um sich selbstsicher präsentieren zu können. Misako prophezeit ihm, er werde am Ort des Friedens ein 15-jähriges Mädchen treffen, das ihn retten wird. Sie soll recht behalten.

Lesen?

 

Und was wird aus mir?  beschäftigt sich mit der Flüchtigkeit des Erfolgs, dem schönen Schein des Konsums und der Einsamkeit. Die drei früheren Freunde ringen mit dem Älterwerden, das sie nur schwer akzeptieren können. Doris Dörrie beschreibt den Generationenkonflikt zwischen Rainer und Allegra in einer Weise, wie sie vielen bekannt vorkommen wird: Rainer lebt in dem Irrtum, dass seine Tochter ihn am ehesten akzeptiert, wenn er ihr jeden Wunsch erfüllt. Am Ende des Buches muss sich Rainer mit einem Verlust abfinden, aber ein anderer seiner Träume geht in Erfüllung.
Auch Heidi und Johanna finden ihren Frieden, wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise.
Und was wird aus mir? ist eine gut erzählte Geschichte, die allerdings manchmal knapp am Klischee vorbeischrammt. Oder ist das, was wir für ein Klischee halten, die Realität? Wer weiß.

Und was wird aus mir? ist beim Diogenes Verlag als gebundenes Buch erschienen, in dieser Ausgabe jedoch nur noch antiquarisch erhältlich. Als Taschenbuchausgabe kostet der Roman 11,90 Euro, als Hörbuch (9 Audio-CDs) 34,90 Euro.

 

4 Kommentare:

  1. Ich fühle mich von dem Buch thematisch sehr angesprochen, liebe Ina. Ich werde es mir kaufen. Auch das Cover finde ich faszinierend. Typisch für Diogenes.
    Schöne Grüße, Mira

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    1. Liebe Mirella, ich freue mich, dass dir die Rezension offenbar gefallen hat und wünsche dir viel Spaß beim Lesen. Das Bild auf dem Cover ist übrigens von Picasso.
      Liebe Grüße, Ina

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  2. Von Picasso? Ja, jetzt wo du es sagst. Das sieht ihm voll ähnlich. Seinen Malstil meine ich. Aber der Diogenes - Verlag schafft es immer wieder, solche schönen Covers zu kreieren.

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    1. Um es noch genauer zu sagen: Auf dem Bild ist Dora Maar zu sehen, die mit bürgerlichem Namen Henriette Theodora Markovitch hieß. Sie war selbst Künstlerin und jahrelang die Geliebte und Muse Picassos.

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