Es wird gestorben - freiwillig?
Der Autor Friedrich Ani ist seinen Lesern vor allem wegen seiner Kriminalromane bekannt, in denen Ermittler wie Polonius Fischer, Tabor Süden oder Jonas Vogel den menschlichen Untiefen auf den Grund gehen durften. Mit seinem neuesten in diesem Jahr erschienenen Buch Der namenlose Tag kümmert sich zum ersten Mal Jakob Franck um einen Todesfall von nebenan.
Wenn die Toten keine Ruhe geben
Kriminalhauptkommissar Jakob Franck ist seit zwei Monaten im Ruhestand. Endlich keine Toten mehr und keine Angehörigen, denen er die schlimmste Nachricht ihres Lebens überbringen muss: Jemand, der ihnen sehr nahestand, ist tot. Die Ehefrau, der Sohn, die Tochter, die Eltern. Viele von ihnen wurden ermordet; manche hatten, weil sie ihr Leben nicht mehr ertragen konnten, es selbst beendet. Franck war dafür der richtige Mann: Er fand instinktiv immer die richtigen Worte und ließ die Trauernden nie in ihrer Verzweiflung allein zurück. Doch jetzt ist Schluss damit. Denkt er. Aber die Toten lassen ihn nicht los: Seit unzähligen Jahren hält er an seinem Küchentisch mit ihnen Zwiesprache, den Teller mit Butterkeksen immer griffbereit. Das ist seit Jahr und Tag seine Methode, diese schrecklichen Ereignisse und die Bilder, die er mit ihnen verbindet, zu verarbeiten.
Ein unerwarteter Besuch katapultiert ihn plötzlich 21 Jahre zurück.
Verzweiflung, Sprachlosigkeit und zwei tote Frauen
Die fassungslose Mutter hatte sich damals in ihrem Schmerz an Franck gelehnt, und er hatte sie sieben Stunden ununterbrochen im Arm gehalten. Schon deshalb hatte er diesen Fall sofort wieder vor Augen, als 21 Jahre später Ludwig Winther vor seiner Tür stand, und ihn bat, den Tod seiner Tochter erneut zu untersuchen. Seit damals war Winther den Verdacht nicht losgeworden, dass Esther sich nicht selbst aufgehängt, sondern jemand nachgeholfen hatte. Der Selbstmord seiner Frau nur ein Jahr nach dem Tod der Tochter konnte daran nichts ändern.
Franck rollt den längst zu den Akten gelegten Fall im Rahmen seiner Möglichkeiten als Pensionär wieder auf. Er spricht mit Esthers damaligen Freunden und trifft auch eine Zeugin, die sich bei der polizeilichen Befragung nicht daran erinnern konnte, andere Menschen im Park gesehen zu haben. Auch der benachbarte Zahnarzt Dr. Jordan, der früher den Ruf hatte, sich an junge Mädchen heranzumachen und der von Winther verdächtigt wird, Esther getötet zu haben, wird von Franck erneut befragt.
Ein unerwartetes Finale und jede Menge Tragik
Mit jeder Menge Empathie, Beharrlichkeit und seiner eigenwilligen Methode der "Gedankenfühligkeit" gelingt es Jakob Franck, Licht in den Fall zu bringen und die Hintergründe von Esther Winthers Tod aufzuklären. Friedrich Ani zeichnet mit seinem Blick auf die Mitglieder der Familie Winther das Ausmaß einer Sprachlosigkeit, die über Ludwig, Doris und Esther hinaus auch deren Verwandtschaft fest im Griff hat und am Ende dazu führt, dass sich Menschen einander entfremden und Verbindungen gekappt werden.
Der bei Suhrkamp herausgegebene Roman Der namenlose Tag ist alles andere als ein Allerweltsbuch. Anis Schreibstil lässt den Leser in die Handlung eintauchen und das Gefühl haben, bei allem, was geschieht, direkt dabei zu sein. Ein Krimi jenseits des üblichen Krimi-Genres. Lesen!
Eine sehr schöne Rezension.
AntwortenLöschenVielen Dank ☺
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