Freitag, 8. März 2019

# 187 - Ein Buch, das mich aggressiv gemacht hat


Das passiert mir selten, dass ich ein Buch lese, bei dem ich
gegenüber einer der Hauptfiguren einen solchen Groll entwickle, dass ich ihr am liebsten eine runterhauen würde, wenn das denn möglich wäre, aber trotzdem durchhalte bis zum Schluss. Warum ich das Werk nicht in die nächste Ecke geschleudert habe? Ich bin mir nicht sicher, aber vermutlich, weil ich darauf gewartet habe, dass es im Laufe der Handlung jemanden geben würde, der dem, der im Buchtitel der "Ich" ist, mit Schwung...

Das Buch, um das es heute geht, ist bereits 2003 erschienen und bedeutete für den damals noch unbekannten Schriftsteller Daniel Kehlmann den Durchbruch: Ich und Kaminski heißt es, und beim Lesen des Buchtitels dachte ich fast schon reflexartig an einen Ausspruch meiner Mutter, wenn ich als Kind einen Satz mit: "Ich und..." begonnen hatte. Sie sagte dann: "Der Esel nennt sich immer zuerst." Aber die Reihenfolge passt hier genau: Bei 'Ich' handelt es sich um Sebastian Zöllner, einen mäßig erfolgreichen, dafür aber sehr von sich überzeugten Kunstkritiker. Er heftet sich an die Fersen des greisen Malers Manuel Kaminski, der den Höhepunkt seiner künstlerischen Schaffensphase schon lange hinter sich hat, aber dessen Name in Kunstkreisen immer noch mit einer gewissen Ehrfurcht ausgesprochen wird. Seine Spezialität: Kaminski ist blind und hat die Komposition seiner Werke erspürt. Zöllner plant, ein Standardwerk über den einst berühmten Maler zu schreiben und so seinen Ruf als Kunstexperte aufzupolieren.

Zöllner schafft es mit einem Versprechen, den von seiner Tochter abgeschirmten Maler aus seinem abgelegenen Haus in den Bergen zu locken. Vor der Fahrt sieht er sich genau im Haus um und öffnet Zimmer- und Schranktüren, um so viel wie möglich über den Maler zu erfahren. Seine Interviews mit Kaminskis Zeitgenossen ergaben ein uneinheitliches Bild, das sich schwer verwerten lässt. Zöllner bringt den alten Mann dazu, sich ihm für eine längere Fahrt anzuschließen, indem er ihm etwas über einen geliebten und von Kaminski totgeglaubten Menschen erzählt. Damit werden in dem Künstler uralte Wunden wieder aufgerissen und Hoffnungen genährt, für die es keine Grundlage gibt. Doch so einfach, wie es sich Zöllner vorgestellt hat, macht es ihm Kaminski nicht. Die Geschichte um den Gernegroß Zöllner und den Maler Kaminski nimmt für beide ein Ende, mit dem am Beginn ihrer Roadtour nicht zu rechnen war.

Ich und Kamninski hat mir als Buch sehr gut gefallen, aber die Figur des Sebastian Zöllner ist ein wahrer Kotzbrocken: Er ist selbstverliebt, distanzlos, rücksichtslos und gnadenlos aufdringlich. Die Spur seines Lebens ist eine Abfolge von zahllosen Fettnäpfchen. Er ist jemand, den man bedenkenlos zum Mond schießen möchte. Aber die Handlung ist interessant erzählt und man wartet im Grunde immer darauf, was sich Zöllner wohl als nächstes einfallen lässt, um seinem Ziel näher zu kommen. Und darauf, wer ihm denn endlich die überfällige... na, Ihr wisst schon.

Ich und Kaminski ist bei Suhrkamp erschienen und als Taschenbuch (8 Euro), epub- oder Kindle-Ausgabe (7,99 Euro) und Audio-CD (4,99 Euro) erhältlich.
Das Buch wurde 2015 verfilmt, die Rolle des Sebastian Zöllner spielte Daniel Brühl, Jesper Christensen übernahm den Part des Manuel Kaminski. Hier geht es zum Trailer:

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