Sonntag, 9. März 2025

# 468 - Vermissen auf Japanisch

Die Japanerin Kyoko ist mit dem US-Amerikaner Levi verheiratet und lebt mit ihm und dem gemeinsamen zweijährigen Sohn Alex in San Francisco. Die Aufgaben sind klassisch verteilt: Levi kümmert sich um die Firma und die Finanzen, Kyoko um den Sohn und den Alltag. Doch dann verunglückt Levi tödlich und Kyoto muss ihr Leben und das ihres Sohnes neu ordnen. Aus dieser Ausgangssituation entwickelt sich die Handlung des Romans Vermissen auf Japanisch von Yukiko Tominaga (übersetzt von Juliane Zaubitzer).

Trotz seiner Beteuerungen, sich um eine Lebensversicherung zu kümmern, hatte Levi es versäumt, tatsächlich eine abzuschließen. Statt wohlgeordneten Finanzen hinterlässt er seiner Familie Schulden.

Levis Familie sind ihre jüdischen Wertvorstellungen wichtig. Deshalb bietet dessen Bruder Ben Kyoko an, zu ihm und seiner Familie nach Boston zu ziehen. Dort lebt auch ihre Schwiegermutter, die ihrer Schwiegertochter trotz der eigenen Trauer Halt geben will.

Yukiko Tominaga schildert in Episoden nicht nur, wie es Kyoko und Alex über mehrere Jahre gelingt, ihre Leben in gute Bahnen zu lenken, sondern sie macht auch deutlich, welche Bedeutung es in den beiden unterschiedlichen Kulturen hat, einen Menschen zu vermissen: Während man im Englischen auf verschiedene Weise zum Ausdruck bringen kann, dass einem eine Person fehlt, gibt es dafür im Japanischen keinen speziellen Ausdruck, mit dem das deutlich gemacht werden könnte. Kyoko äußert, dass ihr Levi fehlt, bezweifelt aber, ob sie ihn tatsächlich geliebt hat. Der starke kulturelle Unterschied, wenn es darum geht, einander Liebe zu zeigen, offenbart sich in einem Dialog zwischen Kyoko und ihrer Schwiegermutter:

"Weißt du was", sagte ich, "in unserer Sprache gibt es auch keine >Umarmung<."
"Kein >Ich vermisse dich< und keine Umarmungen. Wie erkennt ihr die Liebe?"
"Wir lesen die Luft", sagte ich.

Lesen?

Vermissen auf Japanisch hat mir atmosphärisch gut gefallen. Yukiko Tominaga hat die Sorgen und Nöte ihrer Protagonistin sowie die kulturelle Kluft zwischen ihr und ihrer angeheirateten amerikanischen Familie gut vermittelt. Die Autorin hat allerdings mit Zeitsprüngen gearbeitet, was mir das Lesen erschwert hat. Um zu zeigen, wie sich das Leben von Kyoko und Alex nach Levis Tod entwickelt, wäre eine chronologische Entwicklung aus meiner Sicht besser gewesen.

Vermissen auf Japanisch ist 2025 im mare Verlag erschienen und kostet 24 Euro sowie als E-Book 15,99 Euro.



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