Freitag, 4. Februar 2022

# 335 - So wird sich Deutschland bis 2050 verändert haben, wenn wir nichts dagegen unternehmen

Letzte Woche wurde hier ein Buch vorgestellt, in dem es um einen Ausblick auf die Welt im Jahr 2030 ging, heute reicht der Blick noch weiter: Toralf Staud und Nick Reimer schauen in ihrem Buch Deutschland 2050 - Wie der Klimawandel unser Leben verändern wird noch weiter in die Zukunft.

Womit müssen wir in knapp 30 Jahren rechnen? Wie wird sich das Klima in Deutschland bis dahin verändert haben und welche Folgen hat das genau für unser Leben? Staud ist Journalist und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Thema Klimawandel; Reimer hat Energieverfahrenstechnik studiert, lehrt an der Universität Lüneburg und erhielt vor einigen Jahren den Otto-Brenner-Preis für seinen Blog Klimaluegen-detektor.de.

Wer heute in den sonnigen Süden fährt, um sich dort die Sonne auf den Bauch scheinen zu lassen, kann sich das in Zukunft sparen: Das Durchschnittswetter in Hamburg wird sein wie das heute in Pamplona, in Berlin wird man sich 2050 fühlen wie heute in Toulouse. Ist das nicht prima? Man kann sich die weiten Wege in den Sommerurlaub sparen und bekommt auch in Norddeutschland bequem einen Sonnenbrand.

Nein, diese Aussichten sind nicht das, was wir uns wünschen. Während es im Südwesten Deutschlands bis zum Jahr 2000 an etwa 30 Tagen im Jahr Temperaturen von mehr als 25° C gab, werden es in 30 Jahren 80 Tage sein. Dort wird es Höchsttemperaturen von 45° C geben. Für obdachlose Menschen wird man im Sommer Kühlräume benötigen, Altenheime werden nicht mehr ohne Klimaanlagen auskommen.

Diese und alle weiteren Prognosen haben sich die Autoren nicht aus den Fingern gesogen. Ihre Darstellung basiert auf zahlreichen Studien und Gesprächen mit Wissenschaftlern. Reimer und Staud haben sich u. a. mit Fachleuten für Wasserwirtschaft, beim Deutschen Wetterdienst, Botanikern, Agrar- und Forstwissenschaftlern, Verkehrs- und Energieexperten, Feuerwehrleuten, Soziologen, Klimaforschern und Ökonomen unterhalten und sie nach ihren Einschätzungen befragt.

Auch hinsichtlich der zu erwartenden Niederschläge zeichnen die beiden Autoren ein Zukunftsszenario, von dem wir bereits beispielsweise mit der Überflutung des Ahrtals im Sommer 2021 einen Vorgeschmack bekommen haben. Im Winter wird es viel regnen, im Sommer wenig, dann jedoch vermehrt als Starkregen: Das Wasser reißt Menschen in den Tod und richtet hohe Sachschäden an, aber unsere Grundwasserreservoirs werden kaum aufgefüllt, weil die Wassermengen nicht von den Böden aufgenommen werden können. Die daraus entstehende Wasserknappheit zieht Konflikte nach sich, die sich z. B. zwischen der Industrie, der Landwirtschaft und den privaten Verbrauchern abspielen werden. Ebenso werden starke Stürme immer alltäglicher.

Auch hinsichtlich der öffentlichen Infrastruktur wird es Probleme geben: Da es viel mehr heiße Tage mit sehr hohen Temperaturen geben wird, muss deutlich häufiger mit Zugausfällen wegen verformter Schienen gerechnet werden. Dass an Hitzetagen auch Straßenbeläge schmelzen, haben wir bereits vereinzelt gesehen und werden es künftig immer häufiger erleben.

Reimer und Staud erläutern die Auswirkungen des Klimawandels auch auf weitere Bereiche: Es wird starke Veränderungen im Tourismus geben, wir müssen mit mehr Waldbränden rechnen, 30 % der in Deutschland heimischen Pflanzenarten sind bedroht. 

Eine Fülle von Fakten dient als Grundlage für dieses Buch. Das, was wir beim Lesen als schockierend empfinden, hat jedoch leider nichts mit Übertreibung oder Fiktion zu tun, sondern es ist genau das, was uns erwartet.

Was können wir tun, um diese Entwicklung zu verhindern? Können wir überhaupt noch etwas aufhalten, quasi das Ruder herumreißen? 
Für manches ist es tatsächlich bereits zu spät. Die Menschheit hat so viele Treibhausgase emittiert, dass es zu einer im Vergleich zum Jahr 1881 um etwa 2° C höheren Durchschnittstemperatur gekommen sein wird. Da könnte man natürlich fragen: Ist der Kampf gegen den Klimawandel dann nicht schon verloren? Hat es überhaupt noch Sinn, die bisherige Lebensweise zu verändern?

Das größte Hindernis, wenn es um Verhaltensveränderungen geht, sind wir selbst. Menschen halten gern am Gewohnten fest und können nur schlecht langfristig denken. Wenn es darum geht, das eigene Verhalten an veränderte Gegebenheiten anzupassen, neigen wir dazu, diesen Umstand zu ignorieren und allerlei Gründe herbei zu fabulieren, um an unserer bisherigen Lebensweise festzuhalten.
Ein weiteres Problem, wenn es um Klimaschutzmaßnahmen geht, ist das Verhalten von Politikern: Das, was da eigentlich angestoßen werden müsste, um einen Einfluss auf das Klima zu haben, ist für die Bürgerinnen und Bürger unbequem und darum unpopulär. Die Erfolge von Programmen oder Einschnitten zeigen sich erst dann, wenn diejenigen Verantwortlichen, die sie angestoßen haben, gar nicht mehr an der Macht sind. Das macht sie heute unattraktiv. Und das trotz der eindringlichen Warnung der WHO, dass es bis zum Ende dieses Jahrhunderts mehr Menschen geben wird, die wegen des Klimawandels als aufgrund von Infektionskrankheiten gestorben sind.
Nicht zuletzt ist es die schleichende Entwicklung des Klimawandels, die nicht so plötzlich daherkommt wie eine Pandemie mit in die Höhe schießenden Infektions- und Todeszahlen. Da kann man sich eine ganze Weile einreden, dass "alles nicht so schlimm" ist.

In 14 Kapiteln wird in Deutschland 2050 - Wie der Klimawandel unser Leben verändern wird jeder Bereich unseres Lebens unter die Lupe genommen. Spoiler: Wir werden unser Land in 30 Jahren nicht wiedererkennen, in wirklich jedem Bereich werden sich die Verhältnisse grundlegend verschlechtern. Die beiden Autoren nehmen in ihrer Einleitung bereits vorweg, was nach ihrer Einschätzung und der der o. g. Experten unbedingt nötig ist: "Strenger Klimaschutz rettet also zumindest noch etwas Stabilität. Man könnte sagen, er sichert unser Zuhause, unser Eigentum, unsere Städte. Oder noch kürzer: Klimaschutz bewahrt Heimat. Wer verhindern will, dass Deutschland sich noch stärker verändert, als in diesem Buch geschildert, muss sofort mit dem schärfsten Klimaschutz anfangen, den er sich überhaupt vorstellen kann."

Lesen?

Dieses Buch sollte wirklich jede/r lesen! Es ist sehr gut verständlich, die Schlussfolgerungen wurden sehr gut nachvollziehbar erläutert.

Deutschland 2050  - Wie der Klimawandel unser Leben verändern wird ist 2021 im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen und kostet als Paperback 18 Euro sowie als E-Book 16,99 Euro.

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