Manfred Krug kennt man in Westdeutschland vor
allem aus dem Tatort und der Serie Liebling Kreuzberg. Auch der DDR-Film Spur der Steine, in dem Krug 1966 die Hauptrolle des Zimmermanns und Vorarbeiters Hannes Balla spielte, und der schon bald nach dem Kinostart verboten wurde, war in der BRD bekannt.
Fast pünktlich zu Krugs 85. Geburtstag, den er am 8. Februar begangen hätte, ist dieses Buch erschienen: Ich sammle mein Leben zusammen - Tagebücher 1996-1997. Der Zeitraum mag kurz erscheinen, doch in diesen beiden Jahren gab es im Leben des Schauspielers einige der einschneidendsten Ereignisse seines Lebens.
Einiges ist allgemein bekannt: Krug als Werbeikone der Telekom, Krug als Hauptdarsteller in den beiden oben genannten TV-Serien oder Krug als erfolgreicher Autor von Abgehauen, einer Abrechnung mit dem System der DDR. Der breiten Öffentlichkeit dürfte jedoch sein über viele Jahre geführtes privates Doppelleben neu sein: Mit seiner Frau Ottilie hatte er drei Kinder, mit einer Kollegin eine uneheliche Tochter. Es gelang ihm lange, die Beziehung geheim zu halten: Ottilie und Manfred Krug bewohnten in Westberlin gemeinsam eine Mietwohnung, direkt gegenüber hatte er eine weitere Wohnung angemietet, sein 'Atelier'. Dass ihr Mann dort seine Geliebte traf, erfuhr Ottilie Krug zufällig, als sie in der Zweitwohnung nachsehen wollte, ob dort noch ein Stück Butter im Tiefkühlschrank ist. Anstelle der Butter fand sie auf dem Ledersessel eine junge Frau in Unterwäsche vor. Das Baby auf dem Fußboden nahm sie gar nicht wahr. Vor 20 Jahren tauchte das Thema kurz in der deutschen Presse auf, um dann in der Versenkung zu verschwinden. Bis heute.
Manfred Krug schlägt in seinen Tagebüchern einen hemdsärmeligen und manchmal schnoddrigen Ton an. So, wie das Publikum ihn zum Beispiel in Interviews erlebt hat, gibt er sich auch in seinen niedergeschriebenen Gedanken. Immer wieder schimmert aber auch der sensible Mensch durch: Mit dem 1997 verstorbenen Jurek Becker verband Krug eine enge Freundschaft. Die beiden Männer standen sich sowohl privat und beruflich nah, und Krug beschreibt seine Gefühle, die er angesichts der sich verschlechternden Gesundheit seines Freundes (Becker litt an Darmkrebs) und bei dessen Beisetzung hatte.
25 Jahre ist es her, dass Manfred Krug die Tagebucheinträge machte. Beim Lesen wird deutlich, wie sehr sich einige Dinge, die den heutigen Umgang der Menschen miteinander ausmachen, geändert haben. Da geht es beispielsweise um Worte, die der Schauspieler ganz selbstverständlich benutzte wie das N-Wort oder den Begriff "türken" sowie seinen Blick auf hübsche Frauen, die im Buch namentlich genannt werden, weil sie "schöne Titten" oder einen "hübschen Hintern" haben. Für Krug waren das alltägliche Aussprüche, er betonte ausdrücklich, kein Rassist zu sein.
Krug war, so legt es sein Tagebuch nahe, ein Mensch mit vielen Facetten. Über das ein oder andere kann man sich durchaus wundern: Er wurde durch einen Fernsehbeitrag auf das Schicksal von polnischen Frauen aufmerksam, die in einem KZ inhaftiert gewesen sind, und beschloss sofort, für sie Geld zu spenden. Allerdings musste vorher eine Möglichkeit geschaffen werden, die Spende steuerlich geltend zu machen. An dieser und weiteren Stellen wird deutlich, dass Krug dem Staat mit Vorbehalten gegenüber stand.
Manfred Krug nahm auch kein Blatt vor den Mund, wenn es darum ging, seine Skepsis oder gar Verachtung auszudrücken. Die Menschen aus der Werbebranche, mit denen er für die Produktion von Fernseh- oder Radiospots Kontakt hatte, hielt er nicht für besonders fähig. Bei praktisch jedem Werbeprojekt griff Krug ein und schrieb den Text um, bis er ihm gefiel. Kompromisse ging er dabei nicht ein. Auch so mancher Drehbuchautor (mit Ausnahme von Jurek Becker) kam bei ihm nicht gut weg.
Mit Verachtung schrieb Krug über den "Ekelprollo-Darsteller" Tom Gerhardt, als dessen Film Ballermann 6 1997 in die Kinos kam: "Man muss Deutschland sehr lieben, wenn man die Deutschen lieben will. [...] Großer Erfolg in den Kinos. Echt würg, eh."
Das zentrale Ereignis, das Krug den Boden unter den Füßen weggezogen hat, war sein Schlaganfall im Sommer 1997. Er beschreibt genau, wo er sich in diesem Augenblick befand, wer bei ihm war und was er empfand. Nach dem Krankenhaus- folgte ein längerer Reha-Aufenthalt, den Krug fast hinter verschlossenen Türen verbrachte, um den draußen lauernden Reportern kein Material zu liefern.
Was machte den Menschen Manfred Krug noch aus? Man erfährt etwas über eines seiner liebsten Hobbys (über den Flohmarkt gehen und Trödel kaufen), seine innige Liebe zu seiner unehelichen Tochter (verbunden mit der Reue, vom Aufwachsen seiner älteren Kinder so wenig mitbekommen zu haben) und seine tief sitzende Unsicherheit: Nach jeder Folge einer TV-Serie waren ihm die Einschaltquoten und Marktanteile sehr wichtig, ebenso die gute Position seines Buches Abgehauen auf der Spiegel-Bestsellerliste. Doch Krug stellt dabei fest: "Aber es sind nicht Viele, die sich außer mir freuen."
Lesen?
Ich sammle mein Leben zusammen - Tagebücher 1996-1997 ist ein Dokument der Zeitgeschichte, weil es zahlreiche Ereignisse wieder aufleben lässt, die nach und nach in Vergessenheit geraten sind. Allerdings ist das Buch voll mit Namen, die viele wahrscheinlich gar nicht mehr kennen. Ein Register, um die Bedeutung der Personen kurz zu erklären, wäre hier hilfreich gewesen. Mir sind z. B. noch die Namen Harald Juhnke (Schauspieler), Horst Jankowski (Jazzmusiker, Bandleader), Prof. Julius Hackethal (Mediziner), Horst Tappert (Schauspieler), Walter Momper (früherer Regierender Bürgermeister von Berlin) oder Rudolf Bahro (DDR-Dissident) geläufig, aber jüngeren Menschen wohl kaum. Viele andere Personen kennen wahrscheinlich diejenigen, die in der DDR gelebt haben, mir haben viele Namen jedoch nichts gesagt.
An etlichen Stellen blitzt Manfred Krugs trockener Humor auf, etwa wenn er das Phänomen, dass Hamburger um 21 Uhr die Gaststätten verlassen und nach Hause eilen, als "hamburgische Selbstkasernierung" bezeichnet oder über die erste Folge der seichten Fernsehserie Klinik unter Palmen nur schreibt: "War sicher ein schöner Drehort."
Tagebücher sind etwas sehr Intimes. Die meisten Menschen wollen nicht, dass sie von anderen gelesen werden. Hätte Manfred Krug der Veröffentlichung seiner eigenen Tagebücher zugestimmt? In seinen Erinnerungen an den Tag seines Schlaganfalls schrieb er, dass er unbedingt wollte, dass sein Computer ausgeschaltet wird: "Niemand sollte meine Notizen lesen, das war mir das Wichtigste." Doch ein halbes Jahr später schien er seine Meinung geändert zu haben: "Sollte ich schneller wegsterben als erhofft, und sollte sich ein Verlag finden, der diese Notizen drucken will, so wäre es gut, wenn ein ordentlicher Schreiber das Ganze ein bißchen einköcheln würde." Genau das wurde gemacht.
Ich sammle mein Leben zusammen - Tagebücher 1996-1997 ist 2022 im Kanon Verlag erschienen und kostet als gebundene Ausgabe 22 Euro. Mit einem Nachwort der Lektorin Krista Maria Schädlich, die alle Bücher Manfred Krugs betreute.
Jetzt weiß ich auch wieder, dass ich diesen Schauspieler nie mochte. Seine Popularität konnte ich niemals nachvollziehen. Er mag ein paar gute Dinge gesagt haben, aber das tut meine Putzfrau auch. ;-)
AntwortenLöschenLG
Sabiene
Ich denke, was ihn so populär machte war, dass er sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland erfolgreich gewesen ist. Beim Lesen des Buches habe ich mich einige Male... gewundert.
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Ina