Lauri und Kalle - zwei Finnen gehen zusammen durch Dick und Dünn
Lauri, der gerade von seinem Arbeitgeber gefeuert wurde, hat nun Zeit für etwas Neues. Da kommt die jüngste Erfindung seines Kumpels Kalle gerade recht: eine viersprachige Gebetsmühle, die ihren Nutzern so etwas wie ein Talisman und beratender Freund sein soll. Wenn sich ihr Besitzer in einer schwierigen Situation befindet, gibt sie ihm Rat und empfiehlt ihm den passenden Gott, der dann um Hilfe ersucht werden kann. Diese phänomenale Gebetsmühle soll eines Tages über immerhin eine Million Entscheidungsalternativen verfügen und in der Lage sein, die für ihren Besitzer optimale herauszusuchen. Ganz klar, dass Kalle nicht nur Einzelstücke verkaufen will, sondern mit dieser technischen Errungenschaft eine Serienproduktion anstrebt. Das sollte mit der hochwertigen und innovativen Ausstattung der Gebetsmühle auch möglich sein: Das Gerät besteht in seinem Inneren aus einem Mikrofon, einer Lautsprecheranlage, einem Akku und einem Mini-Computer.
Kalle ist überhaupt ein Mann, der nur in großen Dimensionen denkt. Keine Vision ist zu abseitig, um nicht in Konzepte und Strategien verpackt zu werden. Daher hat er selbstverständlich auch an die Details gedacht: Die Gebetsmühle sollte zuerst in der Dritten Welt vertrieben werden und mit einem Gewicht von nur eineinhalb Kilo gut zu transportieren sein. Doch um diese grandiose Neuerung zu vermarkten, entschließen sich die beiden Finnen, die künftigen glücklichen Nutzer persönlich anzusprechen und planen eine Reise nach Indien, China und Tibet.
Die reisenden Freunde geben dem Wort "Überlebenskünstler" eine neue Bedeutung
Eine Reise in so weit von Finnland entfernte Länder ist teuer, Kalle und Lauri verfügen jedoch nur über ziemlich übersichtliche finanzielle Mittel. Aber das ist kein ernstzunehmendes Hindernis: Kalle erfindet quasi nebenbei eine neue Technologie für Düsenflugzeuge. Mit ihrer Hilfe wird verhindert, dass sich die von den Flugzeugen beim Start verursachten und gefürchteten Luftwirbel bilden, die für die nachfolgenden startenden Maschinen eine so große Gefahr sein können, dass mit Abstürzen gerechnet werden muss. Daher führt sie ihr erster Flug von Helsinki nach Paris, wo sie Kalles Erfindung Air France anbieten. Hier wird nicht gekleckert, sondern geklotzt. Die Verantwortlichen der Fluggesellschaft zeigen sich sofort interessiert und sind bereit, die Nutzungserlaubnis in kostenlosen Blanko-Flugtickets zu vergüten. Jetzt ist für die beiden Finnen der Weg nach Neu Delhi frei.
Kaum dort angekommen, wenden sie sich an die größte Autowerkstatt und bieten ihr eine Geschäftspartnerschaft für den Bau der Gebetsmühle an. Die indischen Ingenieure sind von der Erfindung sehr angetan und von Kalles geplantem Produktionsvolumen, das sich im Millionenbereich bewegt, beeindruckt.
In dieser Phase wird von den beiden die Idee geboren, um die Gebetsmühle herum eine völlig neue Religion zu gründen, die ohne einen Gott auskommt und absolut alltagstauglich ist
Doch zunächst gilt es, das nötige Reisegeld zu verdienen. Hier hat nun eindeutig Lauri die Nase vorn: Er hat die finnische Ausgabe des Kochbuchs "Kulinarische Genüsse aus Indien" im Gepäck und schlägt Kalle vor, auf der Basis der dort aufgeführten Rezepte ein Restaurant zu eröffnen. Überflüssig zu erwähnen, dass die Freunde keinerlei gastronomische Erfahrung haben. Aber ihr ungebremster Eifer und ihre Zuversicht helfen ihnen auch hierbei weiter: Sie mieten im Stadtzentrum ein Ladenlokal, stellen einen einheimischen Koch ein und erfüllen die umfangreichen bürokratischen Auflagen. Vieles lässt sich nur durch Schmiergelder regeln. Ihr Restaurant wird wegen seiner guten Küche von vielen Gästen besucht, und die Finnen können sich der Weiterentwicklung der Gebetsmühle widmen, da die Finanzierung ihrer Reise durch die Restauranteinnahmen nun gesichert ist.
Ein Besuch beim Dalai Lama, ein Aufenthalt in chinesischer Gefangenschaft und die Begegnung mit dem Schneemenschen
Das Repertoire der Gebetsmühle wird um zahlreiche religiöse Texte ergänzt und umfasst nun auch die Lehren der indischen Gurus, die Hymnen und Mantras des Veda sowie die Botschaften aller Religionen, die in Indien praktiziert werden. Schnell sind sich Kalle und Lauri einig, dass dieses religiöse Wundergerät auch dem Dalai Lama vorgeführt werden muss. Der Plan wird zunächst etwas ausgebremst, weil Lauri und Kalle die nötigen Visa fehlen. Also führt sie ihr nächster Weg in die chinesische Botschaft in Neu Delhi. Dort hat man gleich ein offenes Ohr für ihren Wunsch; den Plan, den Dalai Lama in seinem Exil zu treffen, verschweigen die Freunde zunächst. Sie treffen tatsächlich den Führer des tibetischen Buddhismus und erläutern ihm das Prinzip der Gebetsmühle. Der Dalai Lama verspricht, dem Gerät eine Aufnahme einer Andacht in alter tibetischer Fassung hinzuzufügen. Man trennt sich in freundschaftlicher Atmosphäre und die Finnen setzen ihre Reise nach Tibet fort.
In Tibet angekommen, wird ihnen ein chinesischer Tourismusexperte an die Seite gestellt, der für sie ein Besichtigungsprogramm ausgearbeitet hat. Ihm gegenüber machen sie jedoch den Fehler, allzu deutlich auf die völkerrechtswidrige Annektion Tibets durch China hinzuweisen und Kritik an der Unterdrückung des tibetischen Volks zu üben. Es kommt, wie es kommen muss: Sie werden verhört und inhaftiert. Ausgerechnet ein in Tibet lebender finnischer Arzt rettet sie aus dem Gefängnis. Auf ihrer Flucht über die tibetische Hochebene begegnen sie dem Kirgisen Tsu, der schon seit etlichen Jahren in seiner Verkleidung als Schneemensch im Auftrag der chinesischen Regierung den Mythos dieses rätselhaften Wesens aufrecht erhält und so Touristen ins Land lockt. Da er von seinem Job total frustriert ist, schließt er sich den Abenteurern an. Sie überqueren zu dritt nachts die Grenze nach Indien und werden erneut beim Dalai Lama vorstellig. Tsu wird von ihm kurzerhand als Leibwächter engagiert, und Lauri und Kalle folgen der telegrafischen Aufforderung ihrer Ehefrauen, endlich nach Hause zurückzukehren.
Ein Finale, wie es kaum noch zu steigern ist
Die Gebetsmühle ist ein Verkaufsschlager und die neue Religion, die die beiden erfunden haben, findet in Lichtgeschwindigkeit weltweit immer neue Anhänger. Es gefällt den Menschen, sich nicht mehr an einen bestimmten Gott zu wenden, sondern ganz pauschal das Weltall um Hilfe zu bitten. Um das Gemeinschaftsgefühl zu stärken, planen Kalle und Lauri zusammen mit ihren Frauen das erste religiöse Treffen, das Mitte Februar (das genaue Jahr spielt hier keine Rolle) in Lappland stattfinden soll. Der zugefrorene Inarisee (Inarijärvi) dient dabei als Veranstaltungsort. Auf dem aus dem See aufragenden Felsen Ukonkivi werden 50 Gebetsmühlen kreisförmig um ein Feuer herum aufgestellt. Bei -20° C und klarem Wetter strömen mehrere tausend Ausländer auf den See, Schätzungen zufolge sind es 200.000 Menschen. Die Gebetsmühlen sorgen für eine mystisch aufgeladene Stimmung, und die schon früh nachmittags einsetzende Polarnacht ist das atmosphärische Sahnehäubchen. Die neu erleuchteten Religionsanhänger bringen massenhaft Opfergaben in die Höhle des Ukonkivi, die zum Verkauf angebotenen Gebetsmühlen finden reißenden Absatz. Bei solchen Szenarien können sich die Pastafari, die Anhänger des "Fliegenden Spaghettimonsters", warm anziehen.
Ihr habt einen Hang zum schrägen Humor? Dann ist das euer Buch!
Wer mal etwas richtig Abseitiges lesen möchte, ist mit diesem Buch gut beraten. Paasilinna erzählt das irrwitzige Unterfangen der Freunde Lauri und Kalle so ernsthaft, als handele es sich um das Normalste auf der Welt, etwas zu verkaufen, das die Welt nicht wirklich braucht und dabei nebenbei diplomatische Verwicklungen auszulösen. Dass sich in China das Verhör auf Finnisch führen lässt, weil sich der Finne Teppo N. 30 Jahre zuvor maoistisch erweckt fühlte und sich auf den Weg nach China machte, wo er nun als Dolmetscher arbeitet, ist ja schon ein ausgesprochen großer Zufall. Aber dass dann auch noch ein aus Finnland stammender Arzt die Freunde untersucht, der sich - als ob es nicht schon reichen würde bei so vielen Zufällen - dann mit ihnen auch noch in dem seltenen Dialekt Rauma unterhalten kann, der selbst in Finnland kaum noch verstanden wird, ist dann so absurd, dass es einfach lustig ist.
Arto Paasilinna ist in Deutschland kaum bekannt, obwohl die mir vorliegende Buchausgabe aus dem Verlag Bastei Lübbe GmbH & Co. KG 18 Titel auflistet, die von ihm dort erschienen sind. Er ist in Finnland sehr populär und veröffentlicht jedes Jahr im Herbst ein neues Buch. Aktuell sind es schon 34, und wenn ich mir die Titelliste ansehe, wird das hier beschriebene nicht das einzige bleiben, das ich von ihm lesen werde.
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