Freitag, 3. Januar 2025

461 - Das letzte Buch eines Nobelpreisträgers

Der Todestag des Literatur-Nobelpreisträgers Gabriel
García Márquez jährt sich im April zum elften Mal. Seine letzten Lebensjahre wurden von einer fortschreitenden Demenz geprägt. Kurz vor dem Ende seines Lebens schrieb er die letzte Fassung von Wir sehen uns im August, ein kurzes Werk von nur 63 Seiten. Das 2024 als Kurzroman herausgegebene Buch war ursprünglich dazu gedacht, Teil eines umfangreicheren Romans zu sein, der aus fünf Teilen bestehen und sich mit der Liebe älterer Menschen beschäftigen sollte. Wir sehen uns im August sollte eine dieser Erzählungen sein. 
1999 wurde der Text erstmals in der spanischen Tageszeitung El País abgedruckt.

Doch Gabriel García Márquez' hoher Anspruch an seine Arbeit verhinderte den Fortgang. Der Text wurde von ihm mehrmals geändert. García Márquez kämpfte dabei gegen seine schwindenden geistigen Kräfte an. Im Vorwort schreiben seine Söhne, die sich letztendlich für die Veröffentlichung nach einer erneuten Überarbeitung entschieden haben, wie ihr Vater dazu stand:
"Dieses Buch taugt nichts. Es muss vernichtet werden."

Als García Márquez-Fan mag ich so weit nicht gehen. Die Geschichte um Ana Magdalena Bach, die zu Beginn 46 Jahre alt, mit einem Dirigenten verheiratet und Mutter von zwei erwachsenen musikalisch begabten Kindern ist, ist berührend. Jedes Jahr im August besucht sie allein das Grab ihrer Mutter, die auf einer nicht benannten Insel in der Karibik bestattet ist. Jahrelang folgen diese Besuche einem festen Ablauf, doch dann lernt Ana Magdalena in ihrem Stammhotel einen allein reisenden Mann kennen. Die beiden kommen sich näher und schlafen am selben Abend miteinander. Das Gefühl, begehrt worden zu sein, erlischt schlagartig, als Ana Magdalena am nächsten Morgen allein in ihrem Hotelbett aufwacht und bemerkt, dass der Fremde einen Zwanzigdollarschein in das aktuell von ihr gelesene Buch gesteckt hat.

Trotz dieser Demütigung wird die Suche nach einem Mann für eine Nacht für sie in den nächsten Jahren fester Bestandteil der Aufenthalte auf der Insel. Das regelmäßige Fremdgehen wirkt sich jedoch auf ihre Ehe aus. Ana Magdalena hat außerdem den Eindruck, dass sich die Insel seit ihrer ersten Affäre jedes Jahr stärker wandelt. Auch ihrem Mann fällt das veränderte Verhalten seiner Frau auf, sodass Ana Magdalena befürchtet, dass ihr Geheimnis auffliegen könnte.

Der Schluss des Buches hält für die nun fast 50-jährige Frau eine überraschende Erkenntnis über ihre Mutter bereit.

Lesen?

Wir sehen uns im August ist ein guter Einstieg für alle, die bislang noch kein Werk von Gabriel García Márquez gelesen haben und sich einen ersten Eindruck von seinem Schreibstil verschaffen wollen.
Mir sind jedoch leider die Schwächen aufgefallen, die das Buch im Vergleich zu allen anderen Titeln des Autors hat: Manche Reaktionen sind nicht nachvollziehbar, wiederholt werden Erzählstränge nicht fortgesetzt, sondern verharren wie lose Enden in der Geschichte. Immer wieder blitzt das grandiose Erzähltalent des preisgekrönten Autors auf, und man spürt, dass da noch mehr hätte kommen sollen. Den Eindruck, ein unfertiges Buch in der Hand zu halten, wird man nicht los.

Die Hauptfigur Ana Magdalena Bach hat den fast identischen Namen der zweiten Ehefrau des Komponisten Johann Sebastian Bach. Wollte García Márquez eine Parallele herstellen und hat vergessen, den Gedanken fortzuführen? Oder hat er sich nichts dabei gedacht? Man wird es nicht mehr erfahren.

Wir sehen uns im August ist 2024 im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen und kostet 23 Euro sowie als E-Book 19,99 Euro.

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