Montag, 6. Juni 2022

# 350 - Butter, Tote und gesellschaftliche Normen - alles in einem Roman

Manako Kajii ist dick, selbstsüchtig und wird
beschuldigt, drei Männer getötet zu haben. Die Tötungsart ist höchst merkwürdig: Die Frau, die mithilfe von Internet-Partnerportalen ihre späteren Partner kennenlernte, kocht leidenschaftlich gern. Dabei spart sie nicht an Kalorien: Butter gehört zu ihren liebsten Zutaten, und das reichhaltige fettige Essen soll den Männern den Garaus gemacht haben. Zumindest indirekt. Ganz direkt hat sie vom Vermögen der Verblichenen profitiert.

Rika Machida ist auf den ersten Blick das genaue Gegenteil: Die Journalistin achtet penibel darauf, sehr schlank zu bleiben, hat einen Freund, der wie sie mit seiner Arbeit sehr eingespannt ist, und will beruflich weiterkommen. Die beiden Frauen treffen im Roman Butter der japanischen Schriftstellerin Asako Yuzuki aufeinander, und was als Recherche für eine mehrteilige Interview-Serie über die mutmaßliche Mörderin Manako angelegt ist, entwickelt sich nach und nach in eine andere unerwartete Richtung.

Rikas Versuche, die Angeklagte im Untersuchungsgefängnis zu befragen, scheitern zunächst. Erst als die Journalistin auf Manakos Bedingung eingeht, deren Gerichte nachzukochen, kommt es zu mehreren Begegnungen im Besucherraum. Rikas anfängliche Abneigung gegen die Frau, der es egal zu sein scheint, was andere über ihre Figur und ihren Lebensstil denken, weicht einer gewissen Faszination. Sie wird von Manako nicht nur dazu gebracht, ungewohntes Essen zuzubereiten und zu verzehren, sondern sie lässt sich von der Gefangenen auch an Orte schicken, die deren Lebensweg geprägt haben. Rika erkennt erst spät, dass sie manipuliert wird. Während ihrer Recherche wird sie jedoch auch mit einem traumatischen Ereignis aus ihrer Kindheit konfrontiert, dem sie sich erst jetzt stellt.

Butter erzählt nicht nur die Geschichte einer Mörderin, sondern Asako Yuzuki nutzt die Figur der Rika sowie ihrer besten Freundin Reiko dazu, deutliche Kritik am japanischen Gesellschaftsmodell zu üben: Von Frauen wird nicht nur erwartet, dass sie schlank und gepflegt sind, sondern sich dem immensen beruflichen Leistungsdruck ebenso beugen wie Männer - sogar, wenn sie eine Familie haben. Sobald sie verheiratet sind, sollten sie sich allerdings beruflich im Hintergrund halten; wenn das erste Kind geboren ist, wird das Leben der Frauen im Idealfall allein von der Familie bestimmt. Das scheint tatsächlich nötig zu sein, denn Männer werden in diesem Roman als derart unselbständig beschrieben, dass sie sich nicht selbst eine Mahlzeit zubereiten können und ohne eine Frau an ihrer Seite verwahrlosen. Dass es sich dabei auch um moralische Verwahrlosung handeln kann, schildert Yuzuki mit einer Episode aus Manakos Kindheit, in der ein Kinderschänder im Mittelpunkt steht.

Wie nebenbei lernt man nicht nur, wie bestimmte Gerichte zubereitet werden, sondern auch, wie sich die Menschen in Japan im Winter in ihren Wohnungen vor der Kälte schützen. Tipp: Eine Heizung, wie wir sie kennen, ist dort nicht üblich.

"Enjokōsai" ist ein Phänomen, das uns auch hier nicht fremd ist. Das Wort bedeutet "Aushilfsbegleitung" und meint, dass sich Oberstufenschülerinnen von älteren wohlhabenden Männern aushalten lassen - sehr oft spielt dabei der Sex eine große Rolle. Enjokōsai ist zwar mittlerweile verboten, wird aber gesellschaftlich toleriert. Es spielt in der Handlung des Romans zwar nur eine untergeordnete Rolle, wirft aber ein weiteres Schlaglicht auf die japanischen Moralvorstellungen.

Lesen?

Wer japanische Literatur kennenlernen möchte oder sich bereits dafür begeistert, sollte Butter unbedingt lesen. Es hilft, die wiederkehrenden japanischen Ausdrücke nachzuschlagen, um sich besser in die Handlung hineinzuversetzen. Ich weiß jetzt beispielsweise, worum es sich bei einem Kotatsu handelt.

Butter ist 2022 im Blumenbar Verlag erschienen und kostet als gebundenes Buch 23 Euro.

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