Die Philosophin und Journalistin Veronika Fischer war dabei, eine Doktorarbeit über die Liebe zu schreiben. Dann beschloss sie, nicht zu promovieren und den Inhalt der Beinahe-Dissertation so umzuschreiben, dass er sich als Sachbuch eignet, das auch von Nicht-Philosophen verstanden wird. So entstand Liebe.
Das ist ihr zweifellos gelungen. Beim Lesen erwischt man sich dabei, immer wieder zustimmend mit dem Kopf zu nicken oder über die eine oder andere Aussage nachzudenken. Fischer macht schon zu Beginn deutlich, wie inflationär mit dem im Grunde sehr intimen Begriff "Liebe" umgegangen wird. Ist das Kribbeln im Bauch und der Gefühlsrausch am Beginn einer Beziehung schon Liebe? Oder ist es eine Vorstufe, also die Verliebtheit? Und wie ist das, wenn sich langjährige Freundschaften nach und nach in Liebesbeziehungen verwandeln, ohne dass es vorher die Phase der Verliebtheit gegeben hat?
Fischer zieht zahlreiche Quellen wie Philosophen, Schriftsteller oder Musiker heran, um zu ergründen, was es mit der Liebe auf sich hat. Für die Überlegung, ob es sich bei der Liebe um ein Gefühl handelt, hilft möglicherweise die Definition des Wörterbuches der Philosophie weiter, denn es heißt hier, dass man unter einem Gefühl eine "nicht dem Willen unterliegende, körperlich-seelische Reaktion eines Individuums auf die Inhalte seines Erlebens" versteht. So ganz passt das nicht auf die Liebe.
Vorsicht ist geboten, wenn man auf der Suche nach klugen Ratgebern, die sich in der Vergangenheit bereits über die Liebe Gedanken gemacht haben, auf solche stößt, die außer salbungsvollen Worten nichts Hilfreiches zum Thema zu bieten haben. Beispielhaft sei der französische Schriftsteller Stendhal genannt, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts jahrelang eine verheiratete politische Aktivistin liebte, aber von ihr nie erhört wurde. Stendhal hat die Dame nie berührt und die in seinem Inneren mit ihr geführten Gespräche nie in der Realität umgesetzt. Er hatte sein Leben lang keine Liebesbeziehung, weswegen Fischer ihn mit einem mittelalterlichen Minnesänger vergleicht. Wie sollte er etwas Sinnvolles über die Liebe sagen können, wenn er nur das Stadium des Verliebtseins kannte?
Veronika Fischer nähert sich der Liebe von mehreren Seiten und es wird deutlich, was wir schon ahnten: Es ist nicht immer alles eitel Sonnenschein, sondern eine Liebesbeziehung basiert auch darauf, dass man an ihr arbeitet und - schöne Grüße an Paare, die sich nur noch anschweigen - miteinander kommuniziert.
Die meisten Überlegungen, die Fischer in Liebe anstellt, sind nachvollziehbar. Einige Stellen fand ich jedoch irritierend, zum Beispiel die Aussage, dass in Liebesbeziehungen nicht automatisch Liebe im Spiel ist. Die Begründung hat mich leider nicht überzeugt.
Auch die Passage, in der es heißt, dass "in vielen anderen Kulturen [...] arrangierte Ehen ein fester Bestandteil der Liebespraxis (sind), bei deren Nicht-Befolgung ein Verstoßen aus der Gemeinschaft droht", ließ mich ratlos zurück.
Lesen?
Liebe ist ein lesenswerter Exkurs in ein Thema, über das wohl schon nachgedacht wird, seitdem Menschen Sätze formen können. Dem Text ist zwar manchmal anzumerken, dass seine Autorin mit ihm ursprünglich etwas anderes vor hatte, den für wissenschaftliche Arbeiten verwendeten sprachlichen Duktus vermeidet Fischer jedoch. Manche Aussagen werden jedoch nicht weiter vertieft und bleiben einfach im Raum stehen. Da wäre an einigen Stellen mehr möglich gewesen.
Liebe ist 2024 im Verlag Kremayr & Scheriau erschienen und kostet als Hardcover-Ausgabe 20 Euro sowie als E-Book 12,99 Euro.
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