Bis auf wenige Szenen spielt sich die Handlung auf dem Feuerschiff "Texel" ab, das vor Den Helder in Nordholland liegt. Die Mannschaft bleibt vier Wochen ununterbrochen an Bord, bevor sie von der nächsten Crew abgelöst wird. Das Leben auf der "Texel", die keinen Meter zurücklegt, ist öde. Auf solch einem Schiff, das weder eine Schraube noch ein Ruder hat, geht es darum, die Funktionen eines Leuchtturms zu übernehmen, wo es nicht möglich ist, einen aufzustellen. Die Mahlzeiten des Schiffskochs Lammert sind der einzige Lichtblick und retten die Männer vor der Verzweiflung.
Eines Tages beschließt Lammert, etwas ganz Besonderes zu kochen: Gulai kambing, einen indonesischen Schmortopf mit dem Fleisch eines jungen Ziegenbocks. Lammert schmuggelt das Tier verbotenerweise in seinem Rucksack an Bord und plant, es demnächst zu schlachten. Aber wie das so ist mit Plänen: Trotz Lammerts Hinweis, dem Böckchen auf keinen Fall einen Namen zu geben, wird es zu einem unterhaltsamen Teil der Besatzung. Es gewöhnt sich schnell an das schwankende Schiff und entwischt dem Koch, wenn der es fangen will. Und die Crew gewöhnt sich an das Böckchen.
Doch Lammerts Plan, ein leckeres Gulai kambing zu kochen, wird durch ein weiteres Problem verhindert: Der Koch hatte sich als Kind mit Malaria infiziert. Seitdem kehren immer wieder heftige Fieberschübe zurück. Als es Lammert besonders schlecht geht und er in seiner Koje intensive Fieberträume hat, zieht dichter Nebel auf, der die "Texel" und alle anderen Schiffe in der Umgebung praktisch unsichtbar macht. Das Feuerschiff muss ununterbrochen mit Leuchtfeuer und Nebelhorn auf sich aufmerksam machen, um nicht selbst von vorbeifahrenden Frachtschiffen, die deutlich größer sind, gerammt zu werden.
Lammert nimmt das Dröhnen der Nebelhörner ebenso wahr wie das Rennen und Rufen der Mannschaft an Deck. Doch alles vermischt sich mit seinen traumatischen Erinnerungen an das Leben im Lager auf Java, als er noch ein kleiner Junge war. Was damals in seiner Kindheit passierte, ist tief in seiner Seele vergraben und bricht während seiner Krankentage in der Kajüte hervor. Eines Tages wurde dem kleinen Lammert gesagt, dass sein Vater nicht mehr wiederkommen würde. Wo er war, das wurde ihm nicht erklärt. Und dann ist da noch eine andere Erinnerung:
"[...] und sie haben Mutter eingesperrt, und jeden Tag gehen sie dort hinein, und dann hört er sie schreien, und dann schreit er selbst auch, aber seine Tante, wo ist sein Vater, seine Tante, die keine richtige Tante ist, nimmt ihn fest in den Arm und streicht ihm über den Kopf, [...]."
Lesen?
Der Schiffskoch hat mich überrascht, weil in diesem kurzen Roman mehr steckt, als ich erwartet hatte.
Mathijs Deen schildert plastisch, wie es ist, auf engem Raum zusammenleben zu müssen und von anderen nicht ernst genommen zu werden, weil man auf einem Schiff arbeitet, das nie vom Fleck kommt.
Als es zu einem Todesfall kommt, der möglicherweise hätte verhindert werden können, zeigt sich, wie wenig die Männer trotz der räumlichen Nähe voneinander wissen. Als er von Kriminalbeamten befragt wird, antwortet der Maschinist zutreffend:
"Was weiß man denn wirklich von jemand anderem?"
Mathijs Deen spielt in seinem Roman auf historische Ereignisse an, die der Schiffskoch in seinen Fieberträumen immer wieder durchlebt: Die Insel Java war Teil der niederländischen Kolonie Niederländisch-Indien und wurde im März 1942 im Rahmen des Pazifikkrieges in Südostasien von japanischen Truppen überfallen und eingenommen. Die dort lebenden Niederländer wurden in Lager gesperrt oder getötet, viele Frauen vergewaltigt - eine Parallele, die praktisch alle Kriege gemeinsam haben.
Das Feuerschiff "Texel" war tatsächlich im Einsatz. Wer sich für seine Geschichte interessiert, kann sie hier nachlesen. Es kann heute im Museumhaven Willemsoord besichtigt werden.
Der Schiffskoch ist 2021 als gebundene Ausgabe im mareverlag Hamburg zum Preis von 18 Euro erschienen. Ein Jahr später erschien das Buch in einer Broschurausgabe für 11 Euro im Insel Verlag.
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