Freitag, 9. Februar 2024

# 426 - Hass und Liebe während der "Troubles" in Nordirland

Louise Kennedy hat mit Übertretung ihren ersten
Roman veröffentlicht - im dafür ungewöhnlichen Alter von 56 Jahren. Sie wuchs in der Nähe von Belfast auf und hat die auch als "Troubles" bezeichneten bürgerkriegsähnlichen Zustände während des Nordirlandkonflikts, um die es in ihrem Buch geht, aus erster Hand erlebt.

Belfast, 1975: Die 24-jährige Grundschullehrerin Cushla Lavery lebt mit ihrer alkoholkranken Mutter Gina zusammen und hilft häufig im Pub ihres Bruders Eamonn aus. Der Pub befindet sich in einem Stadtteil, der überwiegend von Protestanten bewohnt wird, die Laverys sind allerdings Katholiken. Das ist mitten im Nordirland-Konflikt, in dem trotz der vereinbarten Waffenruhe täglich Attentate von beiden Seiten verübt werden, nicht einfach. Katholisch zu sein ist dort eine Sache, es zu zeigen eine andere und in dieser Gegend keine gute Idee. Niemand ist davor geschützt, nicht Opfer eines Anschlags zu werden. Wer nicht hinterrücks in seinem Haus erschossen werden will, zieht mit Einbruch der Dunkelheit die Vorhänge vor die Fenster. Schon ein geringes Fehlverhalten von pro-britischen Protestanten oder pro-irischen Katholiken kann zu einer Eskalation führen.

Cushla ist mit ganzem Herzen Lehrerin und nimmt wahr, wie belastend die ständige Gewalt um sie herum für ihre Schülerinnen und Schüler ist. Am meisten haben Kinder aus sogenannten Mischehen zu leiden, bei denen ein Elternteil katholisch und das andere protestantisch ist. Das erfährt auch der kleine Davey McGeown, dessen Klassenlehrerin Cushla ist. Sein Vater wird eines Tages derart zusammengeschlagen, dass ihn die massiven Verletzungen zu einem lebenslang behinderten Mann machen, der seine Familie nicht mehr ernähren kann. Um Davey kümmert sich Cushla besonders.

Cushla lernt während ihrer Arbeit im Pub den Prozessanwalt Michael Agnew kennen. Der Jurist ist Protestant, verheiratet, Vater eines Sohnes und etwa doppelt so alt wie die junge Frau. Er ist in Nordirland sehr bekannt, weil er vor allem Menschen verteidigt, die wegen politischer Delikte angeklagt sind. Ihre Konfession ist Michael egal. Es gibt somit genügend Gründe, zu ihm Abstand zu halten. Eigentlich. Doch zwischen Cushla und Michael beginnt eine leidenschaftliche Beziehung, die strikt geheim gehalten werden muss. Sie ahnen nicht, dass sie schon bald ins Visier genommen werden. Über ihnen braut sich ein Unheil zusammen, das sich in einem dramatischen Ereignis entlädt.

Lesen?

Mit Übertretung ist Louise Kennedy ein Roman gelungen, der seine Leserinnen und Leser in den Nordirland-Konflikt, der seit dem Brexit auf kleiner Flamme wieder aufgelebt ist, eintauchen lässt. Mit der verbotenen Liebe zwischen Cushla und Michael transportiert sie die damalige brisante Stimmung in Nordirland und zeigt, wie sehr der Hass das Leben der Menschen bestimmte und Menschlichkeit und Mitgefühl abschaffte.

Kennedy beleuchtet auch, inwieweit die Kirche durch ihren Einfluss auf die Bevölkerung den Konflikt befeuerte und hier in Gestalt des widerwärtigen Paters Flatterly Öl ins Feuer goss. Der Roman ist spannend geschrieben, sodass man ihn kaum aus der Hand legen mag.

Leider sind in der von mir gelesenen E-Book-Erstausgabe etliche Fehler beim Korrekturlesen übersehen worden. Das ist sehr schade, ändert aber nichts am guten Eindruck des Werks.

Übertretung ist 2023 im Steidl Verlag erschienen und kostet als gebundene Ausgabe 25 Euro sowie als E-Book 12,99 Euro.

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