Der bereits 1981 verstorbene Krimi-Autor Seishi Yokomizo ist in Japan sehr bekannt, außerhalb des Landes war er es bis vor Kurzem nicht. Das änderte sich zumindest für den deutschen Buchmarkt, nachdem der Aufbau Verlag 2022 unter seiner Marke Blumenbar die Übersetzung des ersten Teils der Reihe um den Detektiv Kosuke Kindaichi, Die rätselhaften Honjin-Morde, herausbrachte. Das erstmals 1946 erschienene Buch war so erfolgreich, dass Yokomizo noch 76 weitere Male seinen Detektiv durch Japan schickte, um scheinbar unlösbare Kriminalfälle aufzuklären.
Die Handlung spielt im November 1937 in einer ländlichen Gegend in der Präfektur Okayama. Kenzo, der älteste und bereits 40-jährige Sohn einer begüterten Familie, hat am Vortag im kleinen Kreis geheiratet, als die Familie in der Nacht durch schreckliche Schreie geweckt wird. Kurz erklingt das schnelle Anschlagen einer Koto [Anm.: japanisches Saiteninstrument], gefolgt vom Geräusch eines Aufpralls. Als die Familie das vor Kenzos Haus liegende Gartentor gewaltsam öffnen will, sind wieder die Töne einer Koto und kurz darauf ein sirrendes Geräusch, das von einer gerissenen Saite stammen könnte, zu hören.
Die Familie findet Kenzos Haus verschlossen vor. Auf dem Grundstück sind auf dem frisch gefallenen Schnee keine menschlichen Spuren außer ihren eigenen zu sehen - und ein Schwert, das im Schnee steckt. Mithilfe eines Beils verschaffen sich einige der Männer Zutritt zum Gebäude und finden das Brautpaar getötet in einer großen Blutlache vor. Neben der toten Braut Katsuko steht eine blutverschmierte Koto mit einer gerissenen Saite. Außerdem ist ein Wandschirm umgestürzt. Auf ihm befinden sich ebenfalls Blutspuren: Es ist der Abdruck einer Hand zu sehen, allerdings nur des Daumens, des Zeige- sowie des Mittelfingers. Und offenbar hatte sich der Mörder Koto-Plektren über die Finger gestreift. Ist der mysteriöse Fremde, der im Dorf am Tag der Hochzeit nach dem Weg zum Anwesen der Familie gefragt hatte, der Mörder?
Katsukos Onkel, der Teil der Hochzeitsgesellschaft gewesen ist, registriert, dass der anwesende Kriminalkommissar und sein Assistent an ihre Grenzen stoßen und schickt seiner Frau ein Telegramm: Katsuko tot. Schick Kindaichi.
Wird der Privatdetektiv, der Kriminalfälle nur nach logischen Gesichtspunkten löst, es schaffen, auch hinter das Geheimnis dieses Falls zu kommen?
Lesen?
Die rätselhaften Honjin-Morde ist insbesondere für europäische Leserinnen und Leser ungewöhnlich. Nicht nur, dass Seishi Yokomizo hier ein Locked Room Murder Mystery konstruiert und sein Publikum zwischendurch gekonnt in die Irre führt; der Krimi gibt außerdem einen tiefen Einblick in die gesellschaftlichen Regeln und Lebensumstände im Japan der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts - eine Welt, die uns kaum fremder sein kann. Wer normalerweise keine Krimis liest, sollte diesen allein deshalb zur Hand nehmen.
Allerdings ist auch Yokomizos Stil etwas gewöhnungsbedürftig, sodass sich sein Krimi nicht durchgehend flüssig lesen lässt. Aber es lohnt sich, am Ball zu bleiben.
Um den Überblick aufgrund der Vielzahl von japanischen Ausdrücken und auftretenden Personen nicht zu verlieren, sind dem Buch ein Personenregister und ein Glossar angefügt.
Die rätselhaften Honjin-Morde ist gebunden für 20 Euro, als Taschenbuch für 12 Euro, als Audio-Download für 14,99 Euro sowie als E-Book für 9,99 Euro erhältlich.
Anmerkung: Honjins waren während der Edo-Zeit Gasthäuser, in denen nur gehobene Regierungsbeamte und Adelige einkehrten. Wer solch einen Gasthof betreiben durfte, stieg sowohl wirtschaftlich als auch sozial auf. Die Familie des getöteten Kenzo betrieb ein Honjin bis zum Sturz des Shoguns und der Wiederherstellung des kaiserlichen Systems Ende der 1860-er Jahre. Diese Zeit bildet die Grundlage ihres Ansehens und Wohlstands.
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