Mit Gottes Sohn über "Gott und die Welt" diskutieren
Um die Bibel ranken sich einige strittige Fragen, die immer wieder aufs Neue von Theologen und Laien (verbal) ausgefochten wurden und werden. Jeder scheint für sich eine Deutungshoheit zu beanspruchen, was die Christen in dieser Hinsicht nicht von der einen oder anderen Religion unterscheidet. Detlev F. Neufert hat sich in seinem im Februar 2015 erschienenen Buch Jesus - Das Interview mit Gottes Sohn über alle Themen unterhalten, die sich immer wieder aufdrängen: Wie eng soll man die Zehn Gebote auslegen? Ist das Zölibat nicht dafür verantwortlich, dass es immer wieder verheimlichte uneheliche Kinder gegeben hat und sich Priester aus Verzweiflung umbrachten? Ist Gott immer gut und gerecht?
Auf einen Plausch mit Jesus
Auf 256 Seiten erfährt man, wie Jesus wirklich "tickt". Neufert führt mit ihm ein ziemlich launiges, aber immer wieder auch kritisches Interview, wobei sich die beiden Herren nichts schenken. Anhand des Covers und des Titels hatte ich zunächst ein eher lustiges Buch erwartet, die Absicht des Autors ist aber eine ganz andere. Das Interview ist in einzelne Kapitel aufgeteilt, wobei ein Kapitel fließend in das nächste über geht. Kein Zweifel, dass da immer wieder Neuferts persönliche Ansichten durchschimmern, zumal er selbst u. a. Theologie studiert hat. So äußert er sich zu der Frage, wie sinnvoll eine Babytaufe ist, obwohl der Täufling noch keine Ahnung haben kann, woran er glauben sollte (sinnvoll!).
Auch das Thema Zwangsheirat, das in Deutschland immer wieder im Zusammenhang mit muslimischen Frauen in den Medien auftaucht, wird angesprochen. Jesus - oder Neufert? - ist selbstverständlich dagegen, denn er ist nicht der Meinung, dass ein Leben nicht nur dazu da ist, um der Fortpflanzung zu dienen. Diese Haltung passt auch zum Thema Homosexualität:
Im Gegensatz zu manch kirchlichem Würdenträger ist Jesus kein Gegner von Eheschließungen unter homosexuellen Paaren. Er hängt die "Idee der Heirat" von gleichgeschlechtlichen Partnern, die vor allem in der katholischen Kirche auf großen Widerstand stößt, bei Weitem nicht so hoch auf wie die, die Gottes Stellvertreter auf Erden sind. "Der Wille meines Vaters ist, dass die Liebe siegt." Das darf sich gern jeder auf die Fahnen schreiben.
Was macht eine gute Religion aus?
Diese Frage ist ja eigentlich immer aktuell: Jede Religion verkörpert für ihre Anhänger die besten Werte und Weltsichten. Schwierig wird es jedoch, wenn religiöse Vorstellungen einen dogmatischen Drall bekommen und als allein seligmachend angesehen werden. Jesus definiert hier einige Kriterien, die man anlegen kann, um den wahren Wert einer Religion zu erkennen: Wird die Freiheit der Erkenntnis unterdrückt? Werden Andersgläubige akzeptiert? Sind Männer und Frauen gleichberechtigt? Das sind nur einige der Maßstäbe, die zur Beurteilung einer Religion herangezogen werden.
Immer wieder ist auch von Luzifer und der Hölle die Rede. An diesen Stellen, in denen es darum geht, dass Sünder in die Hölle kommen, weht ein Hauch Mittelalter durch die Buchseiten. Aber auch das Prinzip und die Häufigkeit der Wiedergeburt werden besprochen und von Jesus erläutert.
Neufert lässt kaum ein Thema aus, das sich mit der Bibelauslegung, religiösen oder ethischen Fragen beschäftigt. Wie beurteilt Gott den Kindesmissbrauch durch Priester? Zitat Jesus: "Gott kotzt!" Das ist ja schon mal ganz beruhigend, dass Gott aufgefallen ist, dass da etwas völlig aus dem Ruder gelaufen ist, aber an solchen Stellen finde ich angesichts der lebenslang verletzten Seelen diese göttliche Reaktion zu dürftig. Aber das mag jeder anders sehen.
Kann ich das Buch empfehlen?
Das ist eine schwierige Frage. Das Frage-Antwort-Prinzip ist eine interessante und ungewöhnliche Möglichkeit, sich theologischen und ethischen Themen zuzuwenden. Neufert hat Jesus eine ziemlich coole Aura gegeben, sodass er nicht vergeistigt und unnahbar wirkt. Jesus - Das Interview lässt sich dank Neuferts flottem Schreibstil flüssig lesen und verzichtet auf religiöses Fachvokabular. So kann man jedem Gedankengang problemlos folgen. Der Autor spricht jedoch so viele verschiedene Themen an, dass sich die Diskussion zwischen den beiden Herren zum Teil jeweils nur kurz mit ihnen auseinandersetzen kann. Die meisten Fragen hätten es jedoch verdient, ausführlicher behandelt zu werden als ein Abrissblatt auf einem Tageskalender.
Religiösere Menschen als ich könnten auch durchaus auf die Idee kommen, warum sich jemand dazu aufschwingen kann, uns mitteilen zu wollen, wie Jesus die Welt und die Menschen beurteilt. Aber das kann jeder für sich selbst entscheiden.
Hin und wieder hätte ich mir einen aufmerksameren Lektor gewünscht, wie zum Beispiel an der Stelle, an der es hieß, dass Kain Adam erschlagen haben sollte.
Meine Bilanz fällt insgesamt etwas gemischt aus. Im Gegensatz zu einigen anderen Büchern, die ich hier schon vorgestellt habe, würde ich dieses zumindest kein zweites Mal lesen.
Ich bedanke mich beim Bloggerportal, das mir dieses Buch zur Verfügung gestellt hat. Es ist über die Verlagsseite des Gütersloher Verlagshauses oder den Buchhandel zum Preis von 17,99 € erhältlich. Die Ausgabe im Kindle-Format kostet 13,99 €.
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