Ein Verwirrspiel vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise
Dieses Buch ist eine Premiere für meinen Blog: Zum ersten Mal stelle ich hier mit Boat People von Roland Künzel ein E-Book vor. Der Roman ist in seiner ersten Auflage bereits im Januar 2015 erschienen und beschäftigt sich in erster Linie mit der Flüchtlingsproblematik, die seit Monaten das meistdiskutierte Thema in Europa ist. Die mir vorliegende zweite Auflage wurde im November 2015 herausgegeben.
Gran Canaria als Ziel der Träume
Auf der Kanareninsel Gran Canaria treffen sich gut situierte Touristen aus ganz Europa zu einem 5-Sterne-Luxusurlaub, der keine Wünsche offen lässt. Eine Gruppe von 23 Urlaubern, die aus 22 Erwachsenen und einem 8jährigen deutschen Mädchen besteht, hat einen Piratenabend gebucht mit allem, was dazu gehört: Eine Fahrt auf einer komfortablen Segelyacht in Piratenkostümen ist ebenso Teil des Arrangements wie ein zünftiger, feucht-fröhlicher Abend am Lagerfeuer in einer der einsamen Buchten. Das Leistungspaket beinhaltet selbstverständlich den Rücktransfer ins Hotel per Yacht und Bus, doch zum vereinbarten Zeitpunkt ist kein Schiffsführer in Sicht, der die überwiegend sturzbetrunkene Gruppe aufnehmen könnte. Das Servicepersonal entschließt sich zu vorgerückter Stunde trotzdem, Feierabend zu machen und verlässt die Hobby-Piraten, da praktisch minütlich mit dem Eintreffen der Yacht zu rechnen ist.
Zum selben Zeitpunkt steuert ein Fischerboot die Insel an, das 22 Erwachsene und einen Jungen von der nordafrikanischen Küste an den nächstliegenden Ort der EU bringt - Gran Canaria. Die 23 Afrikaner fliehen vor der wirtschaftlichen Aussichtslosigkeit in ihrer Heimat und erhoffen sich in Europa ein besseres Leben. Für die Überfahrt haben die Schleuser viel Geld verlangt, wofür oft die ganze Familie gemeinsam aufgekommen ist.
Die beiden Schleuser setzen ihre Flüchtlingsgruppe in einer der Buchten Gran Canarias ab. Von dort aus sollen die Afrikaner mit einem anderen Boot weitertransportiert werden. Doch schon kurz nachdem das Fischerboot die Heimfahrt in Richtung Afrika angetreten hat, werden die Schleuser von ihrem afrikanischen Mittelsmann darüber informiert, dass sich die afrikanischen Staaten im Rahmen des kürzlich in London geschlossenen europäisch-afrikanischen Abkommens dazu verpflichtet haben, die von dort ausgehenden Flüchtlingsströme zu stoppen und bereits in Europa angekommene afrikanische Flüchtlinge zurückzunehmen.
Im Gegenzug sagen die europäischen Staaten zu, Afrika dabei zu unterstützen, die dortigen Lebensverhältnisse deutlich zu verbessern. Das ist den beiden Schleusern in diesem Moment jedoch nicht so wichtig: Sie haben den Auftrag, die ausgesetzten 23 Flüchtlinge schleunigst wieder einzusammeln und auf direktem Wege zurück nach Afrika zu bringen, um diplomatisches Unheil zu vermeiden. Sollte ihnen das nicht gelingen, droht den beiden bei ihrer Rückkehr massiver Ärger mit dem britischen Hafenkommandanten John Hopkins in der Hauptstadt Nouakar, der von dem Verschwinden der Menschen noch nichts bemerkt hat.
Wenn es mal nicht nach Plan geht...
Die Schleuser machen sofort kehrt und fahren zurück nach Gran Canaria. Sie können sich allerdings nicht mehr genau erinnern, an welcher der Buchten sie die Flüchtlinge abgesetzt haben. Als sie ein Lagerfeuer sehen, halten sie direkt darauf zu. Doch sie treffen nicht auf die Afrikaner, sondern auf die Touristengruppe, die immer noch auf ihre Passage wartet. Da die Zeit drängt, beordern sie kurzerhand die Reisenden auf das Boot, die das zunächst noch für einen amüsanten Teil des Piraten-Ausflugspakets halten. Doch als der Bootsführer von ihnen verlangt, sich die Haut mit altem Motoröl einzureiben, um vor dem Hafenkommandanten in Afrika möglichst als Schwarze durchzugehen, keimt bei denjenigen, die noch halbwegs nüchtern sind, das erste Misstrauen auf. Für alle beginnt nun eine Odyssee, die sie ihr Leben lang nicht vergessen werden.
Auch die Flüchtlinge erleben eine interessante Zeit. Sie werden von einer eleganten Yacht abgeholt und an Bord mit köstlichen Getränken bewirtet. Ihre sehr einfache Kleidung erregt kein Misstrauen: Sie wird vom Bordpersonal sogar als besonders originelle Kostümierung gelobt. Nur die dunkle Haut der Menschen macht kurz skeptisch, aber warum soll es nicht auch wohlhabende Afrikaner geben, die sich eine so teure Reise erlauben können?
Die Vorzugsbehandlung setzt sich im Hotel fort, alle Flüchtlinge beziehen komfortable Suiten und werden erstklassig verpflegt. Als sich herausstellt, dass "ihr" Gepäck abhanden gekommen ist, dürfen sich die 23 Fremden auf Kosten der Hotelleitung neu einkleiden - selbstverständlich nur mit teurer Designerkleidung. Doch der Irrtum, den die Afrikaner fälschlicherweise als europäische Großzügigkeit interpretieren, fliegt auf, und die Gruppe wird sang- und klanglos in ein Flugzeug gesetzt, das sie zurück in ihre Heimat bringt.
Im Verlauf der weiteren Handlung begegnen sich die beiden so unterschiedlichen Gruppen in Afrika, und es kommt zu weiteren Verwicklungen. Die Geschichte nimmt einen unerwarteten Verlauf und endet mit einem Ereignis, das sich auch ein phantasiebegabter Leser über weite Teile des Buches nicht vorstellen kann: Die Queen löst die Frage der Thronfolge auf ziemlich unorthodoxe Weise, was weltweit Begeisterung hervorruft.
Ein - eigentlich - ernstes Thema wird zu einer Folge von unerwarteten Begebenheiten
Ich habe selten ein Buch gelesen, das aus so vielen unwahrscheinlichen Elementen bestand, die dazu dienten, den Fortschritt der Handlung und so etwas wie Spannung am Leben zu erhalten. Im Hintergrund wabert immer eine Parallelgeschichte, die aus der Sorge um den Untergang des britischen Königshauses besteht: Einer bereits König Karl II. überlieferten Legende nach gehen die britische Monarchie und das gesamte Königreich unter, sobald die Tower-Raben den White Tower verlassen. Da in Boat People nicht nur die Raben kränkeln, sondern auch der White Tower einzustürzen droht, ist die betagte Queen auf der Suche nach einer Nachfolgeregelung, mit der diese Entwicklung aufgehalten werden kann. Sie findet sie, aber das Zustandekommen ihrer Entscheidung und die "Personalauswahl" selbst sind meiner Ansicht nach an den Haaren herbeigezogen. Auch andere Handlungsstränge sind dermaßen konstruiert, dass ich mich gefragt habe, ob das Buch als Satire gemeint war und deshalb mit bewussten Übertreibungen gearbeitet wurde.
Schon der Beginn der Haupthandlung mit den identischen Gruppengrößen baute auf einer großen Portion Zufall auf; auch, dass der Hafenkommandant sich die zurückgekehrten "Flüchtlinge" nicht so genau anschaut und sie als Afrikaner ansieht, ist doch ziemlich weit hergeholt: Nach der Schilderung von Roland Künzel entsprachen die echten Flüchtlinge dem Bild, das sich Europäer im Allgemeinen von Afrikanern machen. Hopkins jedoch fällt nicht auf, dass die Gesichtszüge und Augenfarben nichts Afrikanisches an sich haben.
Es gibt noch mehr Ungereimtheiten, die mich fast dazu gebracht hätten, das Lesen dieses Romans abzubrechen. Doch dann hat die Neugier gesiegt: Was würde sich der Autor als Nächstes einfallen lassen, um seine Leser bei der Stange zu halten?
Ich muss es wohl nicht besonders betonen, aber BoatPeople hat meine Erwartungen nicht erfüllt. Die Grundidee ist gut, aber die Ausgestaltung hat mich nicht überzeugt.
Ich bedanke mich für die Bereitstellung des Buches bei Blogg dein Buch. Das Buch ist beim Verlag epubli GmbH erschienen und kostet als Softcover-Ausgabe 9,95 € sowie als E-Book 2,99 €.
Schade, die Grundidee ist richtig gut.
AntwortenLöschenLiebe Renie, das fand ich auch, als ich das Buch zur Hand genommen hatte. Zumal ich bei Amazon zwei 5*-Bewertungen gesehen habe. Aber ich war ziemlich enttäuscht über die Ansammlung von so viel ... (du weißt schon ;-) )
LöschenLiebe Grüße
Ina