Sonntag, 23. Juli 2023

# 402 - Frauen, die schreiben, leben gefährlich

Der Autor und Lektor Stefan Bollmann hat schon
einige Bücher veröffentlicht, in denen es ums Schreiben oder Lesen geht, in der Mehrzahl spielen Frauen darin die Hauptrolle.

Das ist mit dem Buch Frauen, die schreiben, leben gefährlich nicht anders. Bollmann hat sich beispielhaft die Biographien von 36 schreibenden Frauen angesehen, die zwischen dem 12. (Hildegard v. Bingen) und 21. Jahrhundert (Arundhati Roy) leben oder gelebt haben. 

Der Buchtitel legt nahe, dass die schreibenden Frauen um ihr Leben fürchten mussten, wenn sie ihrer Passion nachgingen. Doch ganz so ist es nicht. Allen ist gemeinsam, dass sie durch ihr Schreiben oder das, was sie geschrieben haben, in Schwierigkeiten geraten sind: sei es, weil sie es neben den Pflichten, die ihnen die gesellschaftlichen Konventionen oder der Ehemann auferlegten, das, was sie am liebsten Taten, irgendwie zeitlich unterbringen mussten; sei es, weil ihnen kein geeigneter Platz zum Schreiben zur Verfügung stand; sei es, weil man das, was ihnen am Herzen lag, nicht ernst nahm. Einigen dieser Frauen setzte ihre unbefriedigende Situation so zu, dass sie sich das Leben nahmen.

Bollmann hat die Kurzporträts der schreibenden Frauen in chronologischer Reihenfolge angeordnet, jedoch thematisch auch in sieben Kapitel unterteilt, denen er jeweils eine Erläuterung vorangestellt hat. Da geht es um "Ahnherrinnen schreibender Frauen" oder auch "Weibliche Stimmen der Weltliteratur". 

Das von Elke Heidenreich stammende Vorwort nimmt den Buchtitel wörtlich und stellt Frauen, die das Schreiben in den Tod getrieben hat, in den Mittelpunkt. Dabei stellt sie die Frage, warum "gerade die klügsten, die schöpferischsten, die begabtesten Frauen so sehr am Leben [verzweifeln], dass sie es nicht mehr aushalten können?" Die Antwort, die sie postwendend gibt, zeigt das Dilemma, in dem sich Frauen sowohl in früheren Jahrhunderten als auch heute befinden, wenn sie sich selbst verwirklichen wollen - egal, ob sie schreiben oder etwas ganz anderes tun wollen, das ihnen wichtig ist. Und, ja: Der Schlüssel für diese Zerrissenheit lag und liegt überwiegend bei den Männern. Da ist es kein Wunder, dass Bollmann in seiner Betrachtung von Christine de Pizan (1365-1430), einer der ersten Schriftstellerinnen, die vom Schreiben leben konnte, diesen Ausspruch zitiert:

Liebe Frauen, denkt stets daran, wie sehr die Männer euch der Leichtfertigkeit und Schwäche bezichtigen, wie gewaltige Anstrengungen sie aber andererseits unternehmen, euch in Netzen einzufangen. Flieht, flieht, liebe Frauen."

In seinem Nachwort gibt Stefan Bollmann einen Überblick über die Entwicklung, die das Schreiben für Frauen genommen hat. Spoiler: Freiherr v. Knigge war im 18. Jahrhundert nicht begeistert, dass "Frauenzimmer" professionell mit Literatur umgehen wollten.

Lesen?

Frauen, die schreiben, leben gefährlich gibt einen sehr guten Eindruck über die Probleme, mit denen Frauen fertig werden mussten, die nicht nur daheim das eine oder andere Buch lesen, sondern sich selbst aktiv in die Literaturszene einbringen wollten. Da stellt sich natürlich die Frage, ob sich daran heute etwas entscheidend geändert hat. Bei manchen der Porträts kann man durchaus einen Bogen in die heutige Zeit schlagen und erkennt, dass zahlreiche Schriftstellerinnen bei der Ausübung ihres Berufs anderen Bedingungen unterworfen sind als ihre männlichen Kollegen: Eine Pilotstudie des Projekts #frauenzählen ergab 2018, dass zwei Drittel der in Feuilletons rezensierten Bücher von Männern geschrieben und in der Mehrzahl von Männern besprochen wurden. Kurzum, aus der Sicht der Frauen: Da geht noch was.

Frauen, die schreiben, leben gefährlich ist in der mir vorliegenden Ausgabe 2014 als Insel-Taschenbuch 4295 im Insel Verlag Berlin erschienen und kostet 9,95 Euro.

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