So ungewöhnlich, dass es einfach wahr sein muss
Joachim Meyerhoff fährt nach Alle Toten fliegen hoch - Amerika und Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war mit Ach diese Lücke, diese entsetzliche Lücke fort, über sein Leben zu schreiben. In diesem dritten Teil ist er aus seinem Auslandsjahr in den USA zurück und muss sich mit zwanzig überlegen, was er mit seinem Leben anfangen will. Eher halbherzig bewirbt er sich bei der renommierten Otto Falckenberg Schule in München um einen Platz als Schauspielstudent, hängt aber gleichzeitig der romantischen Idee nach, zunächst eine Zivildienststelle im Münchener Klinikum rechts der Isar zu beginnen: ein bisschen Schwimmunterricht für kranke Kinder geben und die Freuden genießen, die das Leben im Schwesternwohnheim als junger Mann so mit sich bringt. Doch es kommt anders.
Ein Leben in zwei Welten
Obwohl sich Mayerhoff nicht als künftigen Schauspieler sieht, nimmt er an den Aufnahmeprüfungen der Otto Falckenberg Schule teil. Es werden fürs Vorsprechen drei Rollen erwartet, er kann nur eine vortragen und die auch nur stockend. Er wird wider Erwarten angenommen und zieht mangels Alternativen bei seinen Großeltern ein. Seine Großmutter ist eine frühere Schauspielerin und ehemalige Lehrerin an der Schauspielschule ihres Enkels, die viele divenhafte Allüren hat. Meyerhoffs Großvater ist ein emeritierter Philosophieprofessor, angesichts dessen Bildung sich auch der erwachsene Joachim ziemlich klein fühlt. Dieses Paar bewohnt eine alte Villa im vornehmen Stadtteil Nymphenburg, die mit Möbeln und Dekorationen ausgestattet ist, die das gemeinsame jahrzehntelange Leben förmlich atmen. Seit langer Zeit halten sich die Großeltern an einen strikten Tagesablauf, der mit zwei Gläschen Champagner zum Frühstück beginnt und mit Cointreau am Abend endet. Dazwischen hat der Tag drei weitere Gründe, etwas Belebendes zu sich zu nehmen, irgendwann wird sogar direkt nach dem Aufstehen mit Enzianschnaps gegurgelt. Für die Gesundheit, versteht sich. Der Enkel Joachim wird im rosa Zimmer einquartiert, das sich ebenfalls so lange nicht verändert hat, wie er zurückdenken kann. Sein Versuch, den Rosaanteil des Raums zu reduzieren, wird dann auch sofort unterbunden. Das Leben Meyerhoffs bei seinen Großeltern ist wie in einem Kokon: Sie sind in ihrer eigenen Welt, egal, was draußen vor ihrer Tür passiert.
Da ist die Schauspielschule schon etwas ganz anderes. Der Schüler Meyerhoff wird mit den unterschiedlichsten Menschen konfrontiert und muss sich Dingen zuwenden, von denen er bislang keine Ahnung hatte. Doch er schafft nur, sich im Aikido zu behaupten. In allen anderen für das Theater typischen Fächern scheitert er. Sein größtes Problem ist dabei, sich zu öffnen und etwas von seiner Persönlichkeit in die Darstellung der geforderten Charaktere zu legen. Als jedoch Kostüme aus dem Fundus der Münchener Kammerspiele für einen wohltätigen Zweck versteigert werden sollen, hat er auf dem Laufsteg in einem langen Glitzerkleid und High Heels seinen großen Auftritt. Doch im Grunde will er nur eines: auf der Bühne stehen, ohne gesehen zu werden.
Der Schatten auf seiner Seele
Meyerhoff wird klar, dass sein Verhalten und sein Gefühl, ein Getriebener zu sein, ihre Wurzeln im Unfalltod seine Bruders haben. Er hat den Verlust verdrängt, aber nicht verarbeitet. Diese Lücke, die im Buchtitel genannt wird und aus Goethes Werther zitiert ist ("Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke, die ich hier in meinem Busen fühle"), ist die, die durch den Tod des älteren Bruders für immer gerissen wird.
Die Schule wird zu einem angstbesetzten Ort voller Chaos und Unberechenbarkeit, wo auf ihn nur die ständige Überforderung lauert. Bis heute kann er sich nicht erklären, warum man ihn an der Schauspielschule angenommen hat. Insgeheim vermutet er, dass seine Großmutter ihre Finger im Spiel hatte, aber das bleibt ungeklärt.
Doch es soll noch weitere Leerstellen in Meyerhoffs Leben geben: Nach seiner Abschlussprüfung sterben sowohl seine Großeltern als auch sein Vater innerhalb kurzer Zeit.
Lesen?
All diese Erlebnisse erzählt Meyerhoff zwar ernst, aber mit viel hintergründigem Humor, der die Zuneigung, die er zu seiner teilweise schrulligen Verwandtschaft hat, widerspiegelt. Ein sehr gutes Buch, nach dessen Lesen man kaum glauben mag, dass der Autor ein gefeierter Schauspieler geworden ist, der von der Zeitschrift Theater heute zum "Schauspieler des Jahres 2017" gekürt wurde und seit Jahren beim Wiener Burgtheater unter Vertrag ist.
Ach diese Lücke, diese entsetzliche Lücke ist bei Kiepenheuer & Witsch erschienen und kostet als gebundene Ausgabe 21,99 Euro, als Taschenbuch 10,99 Euro sowie als epub- oder Kindle-Edition 9,99 Euro.
Hallo Ina,
AntwortenLöschendas ist ein Buch nach meinem Geschmack, ein echter Bericht aus dem Leben, auch wenn ich den Schauspieler gar nicht kenne. Gerade die Großeltern hören sich sehr interessant an.
Vielen Dank für diese Vorstellung
Daniela, der Buchvogel
Hallo Daniela,
Löschenmir haben alle drei Bücher, die ich bisher gelesen habe, gut gefallen. Die Krönung des absurden Humors hat allerdings der zweite Teil "Wann wird es endlich wieder so,..." abgeliefert, den ich im Text verlinkt habe. Es ist ganz klar, dass ich den vierten Roman auch lesen muss.
Viele Grüße
Ina