Freitag, 21. September 2018

# 168 - "Wir werden immer radikaler"

Das ist der erste Satz auf dem Schutzumschlag des Buches Die radikalisierte Gesellschaft - von der Logik des Fanatismus des emeritierten Psychologieprofessors Ernst-Dieter Lantermann. Gemeint ist damit nicht nur die politische Radikalisierung, sondern auch die unserer Lebensweise: Da geht es um die fanatischen Selbstoptimierer, die ihre Laufrunden nie ohne ihren Fitness-Tracker gehen; die radikalen Veganer, deren Verzicht auf alles Tierische auch Bücher mit geleimten Rücken umfasst - der Leim könnte ja aus Knochen hergestellt worden sein.

Was führt zu einer Radikalisierung?

 

Lantermann erläutert anhand von Studien, wie es zu Radikalisierungen kommt und macht dabei einen Unterschied zwischen Radikalismus und Fanatismus. Er weist auch auf Arten von Radikalisierungen hin, die erst auf den zweiten Blick erkennbar sind: Ein Beispiel sind die Gated Communities, die in den USA, Südafrika, Russland oder Polen schon seit etlichen Jahrzehnten Normalität sind, hier aber erst seit einigen Jahren verstärkt gebaut werden. Menschen, die sich diese Wohnform leisten können, wollen sich abschotten gegen Gewalt, die außerhalb der Zäune und Schranken vermutet wird und fühlen sich hier sicher. Ein weiteres Motiv ist der Wunsch nach einer sozialen Homogenität, um unter Seinesgleichen zu sein und keine Neiddebatten führen zu müssen. Diese Anlagen liegen meist inmitten von Innenstädten: Der Wunsch der Bewohner nach Abschottung ist für die benachbarten Anwohner gleichzeitig eine Zurückweisung und ihnen bleibt der Eindruck, dort ausgenutzt zu werden, wo ihr Viertel Lebenswertes bietet - vom Kindergarten und der Schule bis zur Gastronomie und kulturellen Angeboten. Von den Community-Bewohnern kommt allerdings nichts zurück. Zwischen ihnen und den "außen" lebenden Menschen kommt es zu einer Distanz, wenn nicht sogar Gegnerschaft.

Die Wurzeln der Radikalisierung sieht Lantermann in den schnellen gesellschaftlichen Veränderungen, die bei vielen Menschen zu Unsicherheiten führen. Jeder hat das Bedürfnis nach Gewissheit, Sicherheit, Überschaubarkeit und Kontrollierbarkeit. Wenn dieses Bedürfnis über einen längeren Zeitraum hinweg unerfüllt bleibt, sind die Selbstachtung und das Selbstwertgefühl bedroht. Eine häufige Reaktion ist dann, sich selbst Sicherheiten und Gewissheiten zu schaffen - in der Radikalisierung oder gar im Fanatismus.

Wie war's?

 

Das Buch hat mich leider nicht rundum überzeugt. Die Ursachen von Radikalisierung und Fanatismus werden gut verständlich erklärt, diese Erläuterung wiederholt sich jedoch einige Male in leicht veränderten Zusammenhängen. Der Klappentext hat zudem den Eindruck vermittelt, dass sich Lantermann verschiedenen Ausprägungen des Fanatismus gleichermaßen widmen würde, das ist jedoch nur bedingt der Fall: Es werden mehrere Varianten wie z. B. die Selbstoptimierung behandelt, den deutlich breitesten Raum nimmt allerdings die politische Radikalisierung ein. In Anbetracht des politischen Geschehens ist das zwar nachvollziehbar, der Klappentext ist hier jedoch irreführend.
Lantermanns Hoffnung, dem politischen Fanatismus und der Radikalisierung etwas entgegenzusetzen, ruht auf einer engagierten Zivilgesellschaft und er  beklagt, dass sich ehrenamtlich Engagierte nicht nur von Rechtsextremen, sondern auch von so manchen Politikern anhören müssen, sie seien Bahnhofsklatscher oder Gutmenschen.

Die radikalisierte Gesellschaft - von der Logik des Fanatismus ist im Blessing Verlag erschienen und kostet als gebundene Ausgabe 19,99 Euro sowie als epub- oder Kindle-Edition 15,99 Euro.

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