Freitag, 11. Juni 2021

# 294 - Der große Sommer - eine Geschichte vom Erwachsenwerden in den 1980-ern

Ewald Arenz hat mit Der große Sommer einen
Coming-of-Age-Roman geschrieben, der in einem Jahr spielt, in der der 1965 geborene Arenz genauso alt war wie seine Hauptfigur Friedrich "Frieder" Büchner: 1981. 

1981 war das Jahr, in dem die SALT II-Verhandlungen zwischen den USA und der Sowjetunion scheiterten und das Wettrüsten neu Fahrt aufnahm. Eine Zeit der Unsicherheit und der Sorge, wann und wie diese Entwicklung ein Ende nehmen würde.

Was da in der Welt vorgeht, spielt für Frieder jedoch keine große Rolle. Er durchlebt seine eigene, ganz private Unsicherheit: Der Gymnasiast ist in der 9. Klasse gescheitert und kann seinen Verbleib in der Schule nur sichern, indem er die Nachprüfungen besteht. Seine Eltern eröffnen ihm, dass er nicht wie in den letzten Jahren mit ihnen und seinen Geschwistern ans Meer fahren, sondern die ganzen Sommerferien zum Lernen bei den Großeltern verbringen wird. Der Großvater ist ein angesehener Professor für Bakteriologie und streng mit sich und seinen Mitmenschen. Im Gegensatz zum Alltag in der eigenen achtköpfigen Familie erwarten Frieder dort Ruhe, ein geregelter Tagesablauf und Aufsicht. Frieder fügt sich und hakt die nächsten sechs Wochen im Geiste als gelaufen ab.

Doch die Zeit entwickelt sich völlig anders als gedacht. Frieder lernt im Freibad die gleichaltrige Beate kennen, die seine erste große Liebe wird. Die beiden verbringen die Nachmittage und Abende mit Frieders Schwester Alma und seinem besten Freund Johann. Im Gegensatz zu allem anderen, was für Frieder bislang passte und es jetzt nicht mehr tut - die Schule, die Schallplatten im Kinderzimmer, die Eltern - passt diese Gemeinschaft hundertprozentig.

Johann ist der, der den Takt vorgibt und vorschlägt, was man unternehmen könnte. Er ist auch der, der am coolsten wirkt und so, als könnte ihn nichts erschüttern. Doch mitten in den Ferien gibt es ein Ereignis, das seine Seele völlig aus der Bahn wirft. Sein für die Clique verändertes Verhalten ist irritierend und führt dazu, dass die Freundschaften plötzlich auseinanderbrechen und kein Stein auf dem anderen bleibt. 

Doch nicht nur in dieser Situation erweist sich der anfangs so skeptisch betrachtete Großvater als verlässlicher und pragmatischer Helfer, der um sein Handeln nicht viel Aufhebens macht. Frieder beginnt, seinen Blick auf ihn zu verändern.

Durch einen Zufall stößt er im Haus seiner Großeltern auf ein Tagebuch seiner Großmutter aus dem Jahr 1948. Er liest darin und erfährt Dinge aus der Familiengeschichte, die ihm bislang unbekannt waren. Manches, was er bislang nicht verstanden hatte, kann er nun nachvollziehen und in einem neuen Licht sehen. Auch das ist eine Zäsur mit Folgen.

Lesen?

Ich bin nur ein Jahr jünger als Ewald Arenz. Deshalb weckt vieles von dem, was er schreibt, Erinnerungen an meine eigene Jugend und das Lebensgefühl, das ich mit dieser Zeit verbinde. Hier spüre ich, dass jemand weiß wovon er schreibt und nicht Sekundärquellen heranziehen muss, bevor er den ersten Satz formuliert.

Arenz belässt es nicht dabei, seine Hauptfigur diesen einen Sommer erleben zu lassen. Er zeigt auch den erwachsenen Frieder, der regelmäßig auf den Friedhof seiner Heimatstadt geht, um ein bestimmtes Grab aufzusuchen. Dabei wird deutlich, dass Frieder nicht völlig mit sich im Reinen ist: Heute ist so ein Tag. Ein Tag, an dem ich mich frage, ob aus dem Jungen von damals dieser Mann werden musste, der zu früh aufwacht und überlegt, ob er sein Leben noch richtig lebt. (Seite 39)

Der Tod ist ein Motiv, das sich durch den Roman zieht. Frieder wird sehr nachdenklich, als er eigentlich nur seine Schwester, die in einem Altenheim arbeitet, dort besuchen will. Unvorbereitet findet er sich in einem Zimmer wieder, in dem sich eine alte Frau in der letzten Phase des Sterbens befindet und eine Schwester ihm und Alma genau erklärt, welche Anzeichen auf den nahen Tod hindeuten. Ihm wird zum ersten Mal klar, was der Tod bedeutet und dass sich die Erde danach weiterdreht.

Der letzte Sommer hat viele lebensfrohe und komische Facetten, wird aber immer wieder von Nachdenklichkeit und einem Hauch Melancholie durchweht. Leseempfehlung!

Der letzte Sommer ist 2021 im DuMont Buchverlag erschienen und kostet als Hardcover-Ausgabe 20 Euro sowie als E-Book 14,99 Euro.

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