Donnerstag, 23. September 2021

# 309 - Lodert in dieser Ehe noch eine Flamme oder ist es nur noch ein letztes Glimmen?

In ihrem neuen Roman Der Brand steht ein seit fast dreißig Jahren verheiratetes Paar im Mittelpunkt: Peter ist ein 55-jähriger Germanistik-Professor, Rahel eine 49-jährige Psychotherapeutin. Sie leben in Dresden, aber während der drei Wochen, um die es hier geht, ist Dresden weit weg. Was nicht weit weg ist, ist "das Virus": Die Handlung spielt mitten in der Covid 19-Pandemie, wird aber nicht von ihr dominiert.

Peter und Rahel hatten eigentlich geplant, in die bayerischen Alpen zu fahren. Ein Wanderurlaub sollte es werden. Doch die einsam gelegene Ferienhütte brennt kurz vor ihrer Abreise ab. Just in diesem Moment meldet sich Ruth, eine alte Freundin, und bittet um ihre Hilfe: Ihr Mann Viktor hat einen Schlaganfall erlitten und muss für die nächsten drei Wochen in eine Rehaklinik. Sie, Ruth, wird ihn begleiten. Ob Peter und Rahel sich währenddessen wohl um das Haus in Dorotheenfelde kümmern können?

Das Paar kann den Freunden diese Bitte nicht abschlagen und fährt in die Uckermark, um sich um das etwas marode Haus, den Garten und die Tiere - vom flügellahmen Storch bis zur einohrigen Katze - zu kümmern. Es ist das Kontrastprogramm zu dem, was sie ursprünglich vor hatten: keine Wanderferien mit einem hohen Ablenkungspotenzial, sondern ein Aufenthalt in einem Haus in Alleinlage ohne Ablenkung. 

Die Situation bringt Rahel und Peter dazu, sich mit sich selbst und ihrer Partnerschaft zu beschäftigen. Die Leidenschaft zwischen ihnen ist längst erloschen, sie leben schon seit einer Weile wie Bruder und Schwester miteinander. Aber Rahel will sich nicht damit abfinden: Sie hat Angst davor, nicht mehr begehrt und mit der Zeit nur noch als ältliche Oma wahrgenommen zu werden - als ein Mensch, der niemandem mehr auffällt.

Doch Peter verübelt seiner Frau, nicht zu ihm gehalten zu haben, als er ihren Rückhalt gebraucht hätte: Er hatte in einer Vorlesung Olivia P., die als nicht-binär angesehen werden wollte, immer wieder als Frau bezeichnet, woraufhin diese einen Shitstorm gegen ihren Professor initiierte. Peter war die Situation unverständlich geblieben, die Reaktion seiner Frau empfand er als Verrat. "Nenn sie doch einfach, wie sie will!", hatte Rahel gesagt.

Daniela Krien unterteilt ihren Roman in die einzelnen Tage der drei Wochen in Dorotheenfelde. Man erfährt, dass die immer sehr korrekte Ruth mit Rahels bereits verstorbener Mutter Edith befreundet war, Ediths Mutterqualitäten jedoch sehr zu wünschen übrig ließen. Das Wissen, wer Rahels Vater ist, hat Edith mit ins Grab genommen. Aber nun, während Peter und Rahel zum ersten Mal allein in Ruths und Viktors Haus sind, kommen alte Erinnerungen an die Oberfläche. Und eine von ihnen verfestigt sich zu einer Ahnung, wer Rahels Vater sein könnte. Als Rahel sich in Viktors Atelier umsieht und einige Kunstwerke findet, sieht sie ihre Vermutung bestätigt.

Die Ruhe wird jäh von der Ankunft der Tochter Selma und deren beiden kleinen Söhnen unterbrochen. Rahel fühlt sich Selma gegenüber schuldig, weil sie und Peter das Kind schon als Säugling lange bei der Großmutter untergebracht und es nur selten besucht hatten, weil sie selbst in Ruhe studieren wollten. Das egozentrische und sprunghafte Verhalten der erwachsenen Selma ordnet Rahel als frühkindliche Bindungsstörung ein. Das ändert nichts daran, dass Rahel ihre Tochter als anstrengend empfindet - was zu den nächsten Schuldgefühlen ihr gegenüber fühlt.

Der Sohn Simon lebt ein Leben, das seine Eltern nicht nachvollziehen können, das sie aber schweren Herzens akzeptiert haben: Er ist Offiziersanwärter an der Bundeswehruni und will sich zum Heeresbergführer ausbilden lassen. Die Entscheidung für diesen Berufsweg ist für seine Eltern kaum nachvollziehbar.

Lesen?

Der Brand beleuchtet, was sich in vielen Partnerschaften abspielt, wenn die Kinder erwachsen und "aus dem Haus" sind. Das Kümmern um den Nachwuchs fällt weg, an seine Stelle tritt häufig eine sprachlose Leere, die die Bruchstellen einer Beziehung offenlegt. So ist es auch bei Rahel und Peter. Doch in ihrer Geschichte geht es nicht nur um die gemeinsame Vergangenheit, sondern um Beständigkeit, die sich hier nicht nur im positiven Sinne zeigt, sondern auch als rückwärtsgewandtes Verhalten und dem Festhalten am Vergangenen: Manches, was heute als modern gilt, erschließt sich ihnen nicht und bleibt ihnen fremd.

Daniela Kriens klare und strukturierte Sprache verleiht dem Roman eine eigentümliche Atmosphäre, die zwischen Verzweiflung, Trauer und Ratlosigkeit einerseits sowie Zuversicht, Hoffnung und Liebe andererseits pendelt. Leseempfehlung!

Der Brand ist 2021 im Diogenes Verlag erschienen und kostet 22 Euro.

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