Freitag, 1. Oktober 2021

# 310 - Vision eines Rechtsrutsches in Österreich

Beim Lesen des Blogtext-Titels könnte man natürlich
einwenden: Ist Österreich nicht ohnehin schon ganz schön weit rechts? Ja schon, aber wenn man den Krimi Rechtswalzer des österreichischen Schriftstellers Franzobel liest, dann merkt man: Da geht noch eine ganze Menge.

Freitag, der 6. Dezember 2024 ist für den Wiener Malte Dinger ein rabenschwarzer Tag. Der bislang erfolgsverwöhnte Gastronom lebt mit seiner Frau und seinem Sohn in gutsituierten Verhältnissen, achtet beim Einkaufen auf die Herkunft der Produkte, trennt seinen Müll und tritt für benachteiligte Menschen ein. Er gibt sich Mühe, ein guter Ehemann und Vater zu sein und blickt zufrieden auf sein Leben. Doch dann wendet sich das Blatt abrupt: Auf dem Weg zur U-Bahn findet Malte ein Smartphone. Bevor er sich entscheiden kann, was er damit als nächstes tun wird, empfängt das Gerät einen Anruf. Eine Stimme bezeichnet ihn als Arschloch und sagt voraus, dass es mit Maltes Glück nun vorbei ist. "Du bist raus, kapiert? Raus. Du hast ausgeschissen in der Welt!"

Und so ist es. Den Auftakt der unvergleichlichen Pechsträhne erlebt Malte in der U-Bahn: Zwei Kontrolleure fordern ihn auf, seinen Fahrschein vorzuzeigen. Doch an der Stelle in seiner Brieftasche, an der sich normalerweise die Monatskarte befindet, ist nichts. Maltes Frau, die die Karte am Tag zuvor benutzt hatte, hatte sie ihm nicht zurückgegeben. Ab diesem Moment beginnt sich für den bislang unbescholtenen Bürger Malte Dinger eine beispiellose Abwärtsspirale zu drehen, die ihn nicht nur ins Gefängnis bringt, sondern sogar zu einer Mordanklage gegen ihn führt - obwohl er unschuldig ist wie ein neugeborenes Kind.

Seine Probleme verschärfen sich, weil Österreich seit einiger Zeit von der Partei LIMES regiert wird, an deren Spitze der "Meister" steht. Die Redewendung "rechts von ihnen ist die Wand" trifft hier nicht zu: LIMES hat die rechte Wand bereits durchbrochen, aber die Bürger und Bürgerinnen Österreichs sind mit der Verhaftung von anders Denkenden und anders Aussehenden entweder einverstanden oder es ist ihnen schlicht gleichgültig, da es sie nicht persönlich betrifft. Diejenigen, die bei dem Fortschreiten der Repressalien gegen alle (vermeintlich) nicht angepassten Menschen ein flaues Gefühl im Magen haben, halten lieber den Mund oder verschließen die Augen vor dem Offensichtlichen.

Parallel zum offenbar unabwendbaren Schicksal von Malte Dinger geschehen noch  andere Vorkommnisse: In der Wiener Strozzigasse wird in einer Wohnung ein ermordeter Mann gefunden, der auf grausame Weise getötet wurde. Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Mord und dem plötzlichen Verschwinden des Gemeindesekretärs von Untergrutzenbach? Kommissar Groschen nimmt sich des Falls an und ermittelt in dem Dorf, das von der vermögenden Familie Hauenstein, die mit ihrem Bauunternehmen reich geworden ist, dominiert wird. Alle Hauensteins, so unterschiedlich sie auch sind, haben das Credo "Geld regiert die Welt" verinnerlicht und verzetteln sich in Kleinkriegen untereinander, die von Neid und Missgunst geprägt sind. Inwieweit sind sie in den Mord in der Strozzigasse verwickelt? Und welchen ominösen Deal, der strikt geheim gehalten worden ist, hat der LIMES mit einer ausländischen Regierung abgeschlossen? Franzobel hat in seinem Buch eine Entwicklung vorweggenommen, die sich später zu einem handfesten Skandal entwickelt hat: Die Gedankenspiele des damaligen Vize-Kanzlers Strache, die alle Welt in dem bekannten "Ibiza-Video" nachvollziehen konnte, finden sich bereits in Rechtswalzer.

Die zunächst unabhängig voneinander verlaufenden Handlungsstränge treffen zum Schluss beim Wiener Opernball aufeinander. Verschiedene Personen versuchen aus unterschiedlichen Motiven dort einen Anschlag zu verüben. Es kommt zu einem Chaos. 

Lesen?

Franzobel gelingt es, mit leichter Hand nachzuzeichnen, wie sich schleichend ein totalitärer Staat entwickelt, der den Menschen zunächst vorgaukelt, es nur gut mit ihnen zu meinen, indem er alles, was diesen Staat in seiner "positiven" Entwicklung stört, aus dem Verkehr zieht. Die Handlung ist an etlichen Stellen überzeichnet - so viel Pech, wie Malte Dinger hat, ist kaum vorstellbar -, doch der lange Arm der Partei, die gleichbedeutend mit der Regierung ist, erreicht auch die, die sich bislang für rechtschaffen gehalten haben. Am Ende führt LIMES sogar eine neue Zeitrechnung und ein Glaubensbekenntnis ein! 

Trotz aller Dramatik sorgt Franzobel immer wieder für eine Prise Humor. In seiner Danksagung widmet er sein Buch allen Kindern und insbesondere seinen beiden Söhnen, "auf dass sie allen gesellschaftlichen Entwicklungen, die in Richtung Totalitarismus gehen, mutig trotzen." Leseempfehlung!


Rechtswalzer ist 2019 im Paul Zsolnay Verlag erschienen und kostet als Taschenbuch 19 Euro sowie als E-Book 11,99 Euro.

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